Rezension: Altvater, Elmar/Brunnengräber, Achim (Hg.): Ablasshandel gegen Klimawandel? – Marktbasierte Instrumente in der globalen Klimapolitik und ihre Alternativen, Hamburg: VSA 2008, 236 Seiten, € 15,80
Dass der Klimawandel die Lebensbedingungen der Menschen bedroht und gravierend verändern wird, ist spätestens seit den Debatten im letzten Jahr common sense. Die Notwendigkeit einer Reduktion von Treibhausgasen, besonders dem mengenmäßig wichtigsten Treibhausgas Kohlendioxid, steht außer Zweifel. Im Zuge der internationalen Verhandlungen zum Kyoto-Protokoll, das seit 1997 den rechtlich-institutionellen Rahmen für Reduktionsbemühungen bildet, wurden marktbasierte Instrumente, besonders der Emissionshandel, als die geeignetsten Mittel für solche Bemühungen angepriesen. Das System des Emissionshandel (Emissions Trading System, ETS) verspricht nicht nur eine rasche und bürokratiefreie Umsetzung der Reduktionsziele, sondern scheint auch auf elegante Weise die vermeintlichen „Stärken des Marktes“, sprich die effiziente Allokation knapper Güter, für umweltpolitische Ziele nutzbar zu machen. Dies stellt, so Andreas Fisahn in seinem Beitrag zu dem Sammelband, zumindest in Deutschland einen Paradigmenwechsel dar, weg von einer ordnungspolitischen hin zu einer marktorientierten Steuerung Diese hat nicht nur bei MarktideologInnen und wirtschaftlichen AkteurInnen, sondern auch in „der kritischen umweltpolitischen Debatte Zustimmung“ (7) gefunden. Unter dem provokanten Titel „Ablasshandel gegen Klimawandel?“ widmet sich der wissenschaftliche Beirat von Attac diesen marktbasierten Instrumenten nun mit einer Sammlung von Beiträgen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, die in differenzierter Art Marktinstrumente kritisch betrachten und Alternativen andenken.
Das umgesetzte Emissionshandelssystem umfasst drei miteinander verbundene Elemente: Das Zertifikatshandelssystem und zwei flexible Mechanismen, den Clean Development Mechanism und die Joint Implementation. Den Kern bildet ein auf Zertifikathandel aufgebautes cap-and-trade System. Die Anzahl der für den Handel (trade) ausgegebenen Zertifikate wird immer weiter verringert (cap). Doch ist CO2, wie Elmar Altvater und Achim Brunnengräber betonen, keine normale Handelsware mit einem Marktpreis. Verschmutzungsrechte (allowances) müssen geschaffen und ein Markt politisch konstituiert werden. Aber auch dieser Markt wird in Krisentendenzen hineingezogen, denn der CO2-Markt ist, so Ralf Ptak, „Teil der internationalen politischen Ökonomie und folgt ihren Regeln. Hier herrscht bekanntlich das Regime neoliberaler Globalisierung, das mindestens aus zwei Perspektiven klimapolitische Ziele negativ beeinflusst: dem intensiven Standortwettbewerb und dem internationalen Finanzmarkt.“(47) Den Human Development Report 2007 zitierend weist Altvater darauf hin, dass das cap-and-trade System für die Manipulation durch verschiedene Interessengruppen off en ist. Die Verteilung der Zertifikate und deren Preiswerden durch einen politischen Prozess bestimmt, der von starken AkteurInnen beeinflusst werden kann und faktisch auch wird (163).
Am Beispiel Deutschlands zeigen Bernd Brouns und Uwe Witt, wie ein solcher politischer Prozess, geprägt von Standortkonkurrenz und starken unternehmerischen Interessen, dem Klimaschutz sogar entgegenwirkt. So waren schon die Ergebnisse der ersten Umsetzungsphase des ETS ernüchternd. Die Zuteilung der Zertifikate an die Unternehmen erfolgte in der ersten Phase gratis und orientierte sich an den bisherigen Emissionsniveaus (grandfathering). Die großzügige Ausgabe der Zertifikate – unter anderem auf Drängen der Industrie – führte zu einem Überangebot und einem Preisverfall. So entstand in Deutschland die paradoxen Situation, dass „die in den Jahren 2005 und 2006 zugeteilten Emissionsberechtigungen die Emissionen 2000 bis 2002 um über 20 bzw. 25 Mio. t [überstiegen].“ (74) Gleichzeitig fiel der Preis nach einem Anstieg zu Beginn der Handelsperiode rasant ab. Am 5. März 2008 lag der Preis bei lächerlichen 3 Cent pro EU-Emissions-Allowance. Die Anzahl der ausgegebenen Zertifikaten schwankt, so Fisahn, immer „zwischen der Gefahr, zu hoch zu sein, [womit] der Anreiz zur Emissionsreduktion wegfällt oder so niedrig zu sein, dass wegen der hohen Preise der Berechtigungen Anreize geschaffen werden, die Reduktionsverpflichtungen zu unterlaufen, d.h. die tatsächlichen Emissionen zu verschleiern.“ (62) Auf einen weiteren Punkt machen Fisahn sowie Ptak in ihren Beiträgen aufmerksam. Das Emissionshandelssystem dient einigen Sektoren – besonders im Stromsektor – als Bereicherungsquelle. Da Emissionswerte nun einen Preis haben, fließen sie in die Unternehmenswerte ein und erhöhen die Erträge der Unternehmen. Gleichzeitig wird der Wert der Berechtigungen auf Grund der entstehenden Opportunitätskosten auf die VerbraucherInnen umgelegt, wodurch sogenannte windfall profits (unverhoffte Gewinne) anfallen. Einfach ausgedrückt hat das gleiche Produkt Strom plötzlich einen höheren ökonomischen Wert. Das bedeutet z.B. für die deutsche Strombranche 5 Mrd. Euro pro Jahr an windfall profits. (45, 64f) Da, wie Altvater darstellt, Emissionszertifikate zusätzlich ein transferierbares Kapitalgut darstellen, das den „Börsenwert von Unternehmen erhöht und als Wertpapier gehandelt werden kann“ (149), werden diese auf Finanzmärkten gehandelt, um Rendite zu bringen. Diese werden, so Edward Nell, Willi Semmler und Armon Rezai, „der Spekulation von profitorientierten Investoren ausgesetzt, die auf ein Steigen oder Fallen des Preises wetten“, was zu einer enorm hohen Volatilität, d.h. einer hohen Schwankungsbreite des Preises führt.
Die flexiblen Mechanismen des Kyoto-Protokolls geben diesen Problemen noch eine zusätzliche Dimension. Der Clean Development Mechanism (CDM) besteht darin, dass für Investitionen in „Entwicklungsländern“, die dem Klimaschutz dienen, Emissionsgutschriften verteilt werden. Dadurch sollen die Kosten von Klimaschutzmaßnahmen verringert und durch Technologietransfers in den Süden eine nachhaltige Entwicklung in diesen Ländern gefördert werden. Doch erste Erfahrungen mit dem CDM, so Witt und Florian Moritz, zeigen, dass diese Mechanismen eher als Schlupfloch dienen, um den Reduktionsverpflichtungen auszuweichen, und den im Titel erwähnten „Ablasshandel“ ermöglichen. Die Anrechnung von Projekten, die auch ohne CDM durchgeführt würden, führt zu faulen Emissionsgutschriften, die einen erhöhten Ausstoß in der EU ermöglichen, ohne eine Neutralisierung desselben durch Einsparung in CDM-Gastländern zu bewirken. Neben diesen faulen Emissionsgutschriften werden z.T. aus ökologischer Sicht unsinnige, aus ökonomischer Sicht aber sinnvolle Projekte unterstützt. Ein Beispiel: In einem indischen Ort fällt bei der Produktion des Kältemittels HCFC-22 das extrem gefährliche Trifluormethan an, das 11.700-mal klimaschädlicher als CO2 ist. Eine im Zuge des CDM neugebaute Verbrennungsanlage zerstört diese. Was erst mal nett klingt, erweist sich als höchst profitable „Gelddruckmaschine“. Durch die „simple thermische Zerstörung von gerade mal 290 Tonnen Trifluormethan jährlich, erhalten die Investoren Emissionsgutschriften von rund drei Millionen Tonnen CO2, und das in diesem Fall elf Jahre lang.“ (100) Nach Berechnungen würden pro Tonne produziertem Kältemittel ein Reingewinn von 40 Euro anfallen. Jeder Anreiz, die Produktion des Trifluormethans zu verhindern, fällt weg. Es wird umgekehrt sogar profitabel die Kältemittelerzeugung auszuweiten. Die Bilanz die Witt und Moritz ziehen ist ernüchternd. „Die verbindlichen Klimaschutzziele des Kyoto-Protokolls und der EU werden so unterlaufen, der Druck zu einem Strukturwandel im Norden wird deutlich vermindert. Auch einen Beitrag zum Technologietransfer und zu einer nachhaltigen Entwicklung leistet der CDM kaum: Nur wenig Kapital fließt in Effizienzsteigerungen und erneuerbare Energien, fast keines in die Länder Afrikas.“ (102)
Das Fragezeichen im Titel verrät es schon. Nicht alle Beiträge des Readers stehen dem ETS gleich kritisch gegenüber. So kommentieren Ralf Schäfer und Felix Creutzig aus umweltökonomischer Sicht zwar die jetzige Umsetzung des ETS kritisch, streichen aber deren Vorteile gegenüber einer Umweltsteuer hervor. Auch der Beitrag von Miranda Schreus argumentiert, dass es um die Ausgestaltung des ETSystems geht. Aus historischer Perspektive untersucht sie die unterschiedlichen Arten und Umsetzungskontexte bisheriger (z.T. durchaus erfolgreicher) ETS-Modelle. Sie kommt zum Schluss, dass die Effizienz von ETS maßgeblich von „der Art der Emissionen [und] der Ausgestaltung des Handelssystems“ (12) abhängig ist. Tilman Santarius kann sich einen sinnvollen Emissionshandel vorstellen, wenn auch unter entschieden anderen Vorzeichen. Nach einer Diskussion der Gerechtigkeitsproblematik zwischen den Hauptverursachern des Nordens und den südlichen Ländern im Kontext des jetzigen ETS – und den möglichen Ablasszahlungen der Industrienationen – argumentiert er für die Möglichkeit, das ETS als „Instrument, welches mit der überproportionalen Belastung der reichen Länder erst den Klimaschutz mit den Entwicklungsrechten der Länder des Südens in Einklang bringt“ einzusetzen (130). Notwendig wären politische Bestimmungen, welche die Industrienationen über ein negatives Emissionsbudget nicht nur zur Reduktion der eigenen Emissionen, sondern zur Finanzierung von Vermeidungsmaßnahmen in anderen Ländern zwingen. Auch die von Mohssen Massarat vorgeschlagene Alternative einer Ölförderungsgrenze statt einer Emissionsbegrenzung, also einer Entwicklung vom „nachfrage- zum angebotsregulierten kooperativen Klimaschutzregime“, bedient sich marktförmiger Mechanismen in Verbindung mit einer besseren/anderen Regulierung derselben. Auf seine Hoffnung auf eine win-win Situation (214) trifft allerdings die in anderen Beiträgen formulierte Kritik ebenso zu. Die politischen Rahmenbedingungen und die Ausgestaltung von marktförmigen Mechanismen sind natürlich Teil gesellschaftlicher Auseinandersetzungen um Reformen und Umsetzungsbedingungen. Doch ist dieser Prozess wie schon erwähnt geprägt von starken Interessensgruppen, zumal, wie Brunnengräber argumentiert, die Klimapolitik der EU in einem unauflösbaren Zusammenhang mit Energiepolitik steht und dabei versucht wird, einen Klimakapitalismus zu schaff en der den Rahmen für neue und lukrative Märkte bietet.
Viel bedeutender ist allerdings, dass mit der Umsetzung marktbasierter Instrumente die Durchsetzung von Eigentumsrechten auf Umweltgüter verbunden ist. Diese Tendenz weg von öffentlichen, hin zu privatisierten Gütern problematisieren Adelheid Biesecker und Uta von Winterfeld. Die Verwandlung von Natur in privates Eigentum und deren Internalisierung in die ökonomische Struktur bedeutet, „dass der Umgang mit ihr gemäß der Rationalität der Marktteilnehmer erfolgt. Was deren Gewinn maximiert, wird getan. Kapitalistische Märkte sind so – ihre Rationalität ist so.“ (194) Marktbasierte Instrumente, bleiben schließlich dem Ziel der „Effizienz“ verpflichtet, auch wenn sie für Umweltziele eingesetzt werden sollen. Effizienz als relative Kategorie, so Ralf Ptak, ist aber nicht an der bestmöglichen umweltpolitischen Lösung, sondern an Kostenabwägungen orientiert.
Die große Bandbreite der Zugänge in „Ablasshandel gegen Klimawandel?“ lädt zum diskutieren ein, auch wenn man nicht mit allen Argumenten und vor allem den vorgeschlagenen Alternativen einverstanden sein wird. Wie die Reduktion von Treibhausgasen bewerkstelligt werden kann und wie dieses Vorhaben von derzeitiger Politik angegangen wird, sind brennende Fragen unserer Zeit. Schließlich, so Altvater (158), kann „der ‚issue’ des bedrohlichen Klimawandels im Prinzip mit politischer und militärischer Macht, marktwirtschaftlich mit marktbasierten Instrumenten oder nach dem Prinzip globaler Solidarität bearbeitet werden.“ Als Einstieg in diese vielfältigen Diskussionen kann „Ablasshandel gegen Klimawandel?“ auf alle Fälle empfohlen werden.