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Alle reden übers Wetter
von Michael Botka

Rezension: Tim Flannery: Wir Wettermacher. Frankfurt/M.: Fischer 2007. 10,30 €

Noch vor wenigen Jahren sprachen nur „Eingeweihte und Freaks“ über Erderwärmung und Klimawandel. Inzwischen vergeht kein Tag, an dem nicht in beinahe jedem Medium zumindest eine Bemerkung dazu fällt. Mit dem steigenden Medieninteresse beginnt sich ein immer größer werdender Kreis für die Hintergründe zu interessieren. Da wirtschaftliche Interessen raschen Gegenmaßnahmen klar gegenüber stehen, gibt es auch eine wachsende GegnerInnenschaft. Konzerngruppen, pseudowissenschaftliche Marketingallianzen und Regierungen, alle mit starker Anbindung an die Öl-, Kohle- bzw. Energiewirtschaft, tun ihr Bestes, um zu verheimlichen, leugnen und denunzieren und noch ein bis zwei Jahrzehnte fette Gewinne einstecken zu können.
Wer diesen „Alles nur Panikmache”-Argumenten etwas entgegenstellen will, sollte „Wir Wettermacher“ von Tim Flannery lesen.
Das Buch fängt damit an, ausführlich die wichtigsten Klimavorgänge zu erklären und zu untersuchen. Flannery stützt sich dabei auch auf aktuelle Erkenntnisse von Eiskernbohrungen, erdgeschichtlichen Klimaabläufen und ähnlichen Quellen der Klimaforschung. Wegen der verwendeten Fachbegriffe ist ein gewisses Vorwissen an Biologie, Physik und Chemie beim Lesen hilfreich.
Ausgehend von genaueren Betrachtungen der Mechanismen historischer Abläufe und aktueller Veränderungen und der Rolle des Menschen in diesen Prozessen, behandelt Flannery die konkreten Auswirkungen von Schadstoffemissionen und die Möglichkeiten deren Vermeidung und Rückgewinnung. Er berichtet und erklärt Unmengen an großen Studien und Forschungsergebnissen rund um das Thema. Die Untersuchung der Lebensgewohnheiten von über 1700 Tier- und Pflanzenarten durch die beiden Forscherinnen Parmesan und Yohe zum Beispiel zeigten, dass seit den 50er Jahren eine enorme Verschiebung der Lebensrhythmen stattfindet, sei es durch die durchschnittliche Ausdehnung des Frühlings um 2,3 Tage pro Jahrzehnt oder die um bis zu vier Tage pro Jahrzehnt verfrühte Rückkehr der Zugvögel. Das Problem ist dabei eigentlich nicht die Veränderung an sich, sondern eher deren Geschwindigkeit. Eine Vielzahl von Abläufen in der Nahrungskette ist auf wenige Tage, teilweise sogar Stunden genau aufeinander abgestimmt. Daher können kleine Änderungen an einer Stelle schnell zu unabschätzbaren Auswirkungen an völlig anderen Stellen führen. Durch die Geschwindigkeit, in der die Veränderungen im Moment stattfinden, können sich die einzelnen Tier- und Pflanzenarten nicht anpassen.
Diese Komplexität von natürlichen und meteorologischen Prozessen macht präzise Vorhersagen über das genaue Ausmaß des Klimawandels und dessen Auswirkungen schwierig. Je globaler und langfristiger diese Vorhersagen jedoch sind, desto richtiger werden sie. So gilt als ziemlich sicher, dass bei anhaltender Luft- und Wassererwärmung der Golfstrom abreißt, mit weitreichenden Konsequenzen für das Klima.
Obwohl ich das Buch nicht als politisches Buch bezeichnen würde, finden sich dennoch wichtige politische Argumente.
Einerseits, schreibt Flannery, bilden Solar- und Windenergie nicht nur technisch gesehen sinnvolle Alternativen zu fossilen Brennstoffen oder Atomkraft, sondern geben auch die Möglichkeit einer dezentraleren Verteilung von Energie. Über viele Häuser verteilte Solarzellen würden so eine Unabhängigkeit und Loslösung von zentralen Verteilern und Energiekonzernen ermöglichen. Allerdings setzt das enorme staatliche Subventionen für alternative Energiequellen voraus, damit gewährleistet ist, dass sich auch jede/r diese Solarzellen leisten kann.
Spannend sind seine Ausführungen über erfolgreiche Klimaschutzprojekte, wie das FCKW-Verbot und den damit verbundenen Sieg über den größten Produzenten duPont. Aus Sicht des Autors hat diese Kampagne gezeigt, dass es durchaus möglich ist, im globalen Maßstab gegen Konzerne, die den Planeten zerstören, vorzugehen. Das Ozonloch regeneriert sich seitdem langsam wieder und duPont ist aus der, inzwischen aufgelösten, Global Climate Coalition ausgestiegen – einer Institution zur Leugnung von anthropogenen Ursachen des Klimawandels.
Die dringendste Aufgabe ist, laut Flannery, die Reduktion von CO2-Emissionen, dem wichtigsten Treibhausgas. Die durch die Industrialisierung ausgelöste Erhöhung von präindustriellen 250 ppm um etwa 100 ppm können riesige „feedback cycles“ starten. So führen das Austrocknen der Regenwälder, das Auftauen riesiger Speicher an Methaneis am Meeresboden (Methan ist noch wirkungsvoller als CO2) und Gletscherschmelze zu einer erhöhten CO2-Konzentration in der Atmosphäre und einer weiteren Beschleunigung der Erderwärmung. Die Auswirkungen dieser Erwärmung werden vor allem die Armen in den Slums und Städten der „Dritten Welt“ treffen. Wie abhängig unsere Zivilisation vom Klima ist, zeigt schon die Tatsache, dass Sesshaftwerdung und Ackerbau erst durch den langen „milden Sommer“ seit der letzen Eiszeit ermöglicht wurde. Der Ressourcenmangel und die daraus resultierenden Versorgungsprobleme großer Ballungszentren werden die Menschheit vor große Probleme stellen. Wenn man bedenkt, wie unfähig Kapitalismus ist, Verteilung von Ressourcen gerecht zu gestalten, wird mir Angst und Bang bei der Vorstellung von Wasserknappheit in Millionenstädten oder der Notwendigkeit, Landwirtschaft weltweit umzuorganisieren.
Das Buch endet mit einer umfassenden Abhandlung darüber, was global zu tun ist. Zuallererst gilt es ein emissionsfreies Stromnetz zu schaffen, d.h. alle Kohle-, Öl- und Gaskraftwerke abzudrehen und durch vom Staat geförderte Solaranlagen auf Wohnhäusern sowie Windkraftanlagen zu ersetzen. Zusätzlich muss der Transport und Verkehr umgestellt werden, so dass bis 2050 nahezu keine künstlichen CO2-Emissionen mehr von Menschen erzeugt werden.
Bisher hat mir bei diesem apokalyptischen Thema besonders Kopfzerbrechen bereitet, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass eine derart große und geplante Veränderung im Kapitalismus möglich ist. Mit dem besseren Verständnis und tieferen Einblick in die Materie, besonders auch Flannerys Beschreibung der Möglichkeiten und Zusammenhänge, sind zumindest einige Veränderungen für mich greifbarer und konkreter geworden. Gegen Ende spricht Tim Flannery noch eine Warnung vor top-down Prozessen wie dem Kyoto-Protokoll aus. Weil eine solche Kommission im Laufe der Jahre oder Jahrzehnte immer mehr Bereiche kontrollieren müsste, beginnend bei CO2-Ausstoß, Energie und Transport, über Landwirtschaft und Wohnen, besteht die Gefahr, dass sie sich in eine Art Orwellsche „1984“-Organisation verwandelt, die jede/n und alles kontrolliert. Viel besser und wirkungsvoller im Kampf gegen den Klimawandel ist, diese Veränderung von unten zu organisieren.





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