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Stars and Strikes
von Philipp Probst

Philipp Probst ruft die militanten und kreativen Kämpfe der revolutionären Gewerkschaft der Industrial Workers of the World zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Erinnerung. Die Organisierung überwiegend weiblicher, migrantischer, ungelernter ArbeiterInnen ist heute noch ein inspirierendes Beispiel klassenkämpferischer Gewerkschaftspraxis.

Amerika scheint ein Land ohne Klassenauseinandersetzungen und kämpfende Arbeiterinnen und Arbeiter zu sein; das Klischee des amerikanischen Arbeiters als weiß, männlich, patriotisch, zumindest ein bisschen christlich-fundamental und im Grunde reaktionär hält sich hartnäckig. Die Proteste migrantischer ArbeiterInnen 2006, worker centers, die Organizing-Versuche neuer Gewerkschaftsbewegungen und „wilde“ Streiks zeichnen hingegen ein anderes Bild der amerikanischen ArbeiterInnenklasse.
Dass viele dieser Entwicklungen nicht völlig neuartig sind, ist allerdings in der Geschichte der US-amerikanischen ArbeiterInnenbewegung verschüttet worden. Bereits die revolutionäre Gewerkschaft der Industrial Workers of the World (IWW), eine der herausstechendsten Organisationen der Kämpfe Anfang des 20. Jahrhunderts, versuchte, Kampf- und Organisationsformen ungelernter, überwiegend weiblicher und migrantischer ArbeiterInnen aufzugreifen. Von der Sensibilität der „Wobblies“ für Veränderungen in der Zusammensetzung der ArbeiterInnenklasse und ihrer klassenkämpferischen Einstellung kann auch die heutige Debatte zur Neuausrichtung der Gewerkschaftsbewegung lernen.
In der Phase der industriellen Umstrukturierung der amerikanischen Wirtschaft war die IWW die erste gewerkschaftliche Organisation, die die Auswirkungen des Taylorismus auf die ArbeiterInnenklasse erkannte. Ihr Anspruch, die Spaltungen zwischen den ArbeiterInnen zu überwinden und alle in einer großen Gewerkschaft zu organisieren, war wegweisend für die spätere amerikanische Gewerkschaftsbewegung. Das Ziel der IWW war eine neue, bessere Gesellschaft und der Massenstreiks das entscheidende Mittel, diese zu erreichen.

Die „Industrial Workers of the World”

Am 27. Juni 1905 eröffnete „Big Bill“ Haywood in Chicago den Gründungskonvent der IWW unter großem Beifall: „Dies ist der kontinentale Kongress der ArbeiterInnenklasse. Wir sind hier, um die ArbeiterInnen dieses Landes zu einer ArbeiterInnenbewegung zusammenzuschließen, deren Ziel die Befreiung der ArbeiterInnenklasse von der kapitalistischen Sklaverei ist“.1 Der Saal war voll mit Delegierten aus dem ganzen Land: AnarchistInnen und SozialistInnen, der linke Flügel der Socialist Party, Frauen und Männer, Schwarze und Weiße, die kämpferischen Bergleute der Western Federation of Miners, „Radikale, RebellInnen und RevolutionärInnen, die ‚stiff-necked irreconcilables’ im Krieg mit der kapitalistischen Gesellschaft“.2 Sie sahen die Organisation als Mittel, den Kapitalismus zu stürzen und durch „eine neue soziale Ordnung“ zu ersetzen, als eine Organisation, die „geformt, basiert und gegründet ist im Klassenkampf“ und kompromisslos gegen die von anderen Gewerkschaften betonte Klassenkooperation stand. „Die Idee des Klassenkonflikts war … die Ausgangsbasis der IWW“3 und anstelle des „konservativen Mottos ‚Ein fairer Tageslohn für einen fairen Arbeitstag‘“ stand die Forderung nach der Abschaffung des ganzen Lohnsystems.4
Der Slogan „One Big Union“ brachte auf den Punkt, was die IWW sein wollte. Entgegen der ausgrenzenden Politik etablierter Gewerkschaften wie der American Federation of Labor (AFL), die nur weiße, gelernte Arbeiter aufnahmen, sollte die IWW nicht nur gelernte und ungelernte (skilled and unskilled labor) umfassen, sondern auch Frauen und die große Zahl migrantischer Arbeiter und Arbeiterinnen. „Was wir diesmal aufbauen wollen, ist eine ArbeiterInnenorganisation, die ihre Türen weit für alle öffnen wird, die ihren Unterhalt entweder durch ihre Muskeln oder ihr Gehirn verdienen.“5

Vorgeschichte: Pullman 1894

Der Streik der American Railway Union in Pullman unter Führung des Sozialisten Eugene V. Debs war ein entscheidender Moment in der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung und die Gründe für dessen Niederlage prägten die nachfolgenden Jahre und die Politik der IWW grundlegend.
Ende des 19. Jahrhunderts war Amerika Schauplatz rasanter Industrialisierung und Mechanisierung der Produktionstechniken und heftiger Streikbewegungen. 1892 konnte in Homestead der Streik der damals stärksten Teilgewerkschaft, der Amalgamated Association of Iron and Steel Workers, gegen das Carnegie Unternehmen nur durch die Gewalt von Privatarmee und Regierungstruppen gebrochen werden. Der Arbeitskampf endete mit der Zerschlagung der Amalgamated Association. Die Zerschlagung „der mächtigsten Gewerkschaft der Vereinigten Staaten durch eine Privatarmee, die Staatsmiliz und die Carnegie-Gesellschaft zwang die Arbeiter zum Umdenken. Es galt, neue Lösungen auf dem Boden einer weitreichenden Solidarität der Lohnabhängigen zu finden.“6
Ähnliche Erfahrungen machten im gleichen Jahr die ArbeiterInnen von New Orleans, die einen Generalstreik ausgerufen hatten, in dem sich schwarze und weiße ArbeiterInnen solidarisierten. Kurzfristig wurde die rassistische Segregation unter den ArbeiterInnen überwunden und das Potential gemeinsamer Kämpfe aufgezeigt. Aufgrund der Gefahr einer Solidarisierung schwarzer und weißer ArbeiterInnen verschärften Unternehmer und Regierung rassistische Segregationsstrategien sowie die Durchsetzung der Jim Crow-Gesetze.7
Die Streikwelle des Jahres 1894 – es streikten 750.000 ArbeiterInnen, mehr als jemals zuvor – gipfelte schließlich in den Auseinandersetzungen in Pullman. George Pullman, Besitzer des Waggonherstellerunternehmens Pullman Palace Car Company, gehörte im Grunde die ganze Stadt: Häuser, Wohnungen und Straßen. Der Frust über fallende Löhne bei gleich bleibenden Mieten, die direkt vom Lohn abgezogen wurden, führte zum Streik. Ein Arbeiter fasste die Stimmung zusammen: „Wir bekommen zu wenig Geld zum Leben, warum sollten wir also arbeiten?“8 In diesen Auseinandersetzungen war die American Railway Union (ARU, eine Teilgewerkschaft der AFL), in der Eugene Debs eine führende Rolle innehatte, entscheidend. Der Streik in den Pullmanwerken weitete sich rasch aus. Solidaritätsstreiks und ein Boykott der Weichensteller führten dazu, dass bald alle Linien nach Chicago brach lagen.
Die Solidaritätsstreiks wurden vor allem durch eine Strategie der ARU möglich, die im Gegensatz zur AFL-Dachgewerkschaft, die die Facharbeiter nach „Zünften“ oder „Handwerk“, d.h. einer Teilgewerkschaft für Weichensteller, einer für Drucker, etc.9 organisierte, darauf abzielte, möglichst allumfassend die ArbeiterInnen der Industrien zu organisieren.
Die ARU nahm damit schon in Ansätzen vorweg, was die IWW später unter Industrial Unionism verstand. Debs fasste zusammen: „Die Arbeiter müssen sich vereinigen. Die Trennungslinien müssen nach und nach überwunden werden und alle unter dem siegreichen Banner der Arbeit zusammenkommen, zusammen marschieren, zusammen wählen und zusammen kämpfen. Dann ist die Zeit nicht mehr fern, in der die Arbeiter die Früchte ihrer Arbeit selbst besitzen und genießen werden.“10
Der Kampf gegen die Eisenbahnergesellschaften war erfolgreich. Diese standen trotz medialer Hetze gegen die Streikenden und Privatarmee mit dem Rücken zur Wand und sahen die letzte Möglichkeit darin, die Regierungstruppen einzuschalten, damit sich der Streik nicht über das ganze Land ausbreitet. Der bis dahin bewusst friedliche Streik11 eskalierte und es kam zu gewaltsamen Ausbrüchen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen von Sacramento bis New Mexico. An der Spitze der Gegenwehr der ArbeiterInnen standen vor allem „Emigranten, Arbeitslose und unqualifizierte Arbeiter – also die am brutalsten ausgebeutete Klasse des Proletariats.“12 Debs wurde verhaftet und der Streik stand an der Kippe. Die Gewerkschaft der ZigarrendreherInnen forderte einen Generalstreik. Die AFL sprach sich jedoch gegen Solidaritätsstreiks aus und stellte sich grundsätzlich gegen das umfassende gewerkschaftliche Konzept der ARU. Sie beschloss eine symbolische 1000-Dollar Spende für Debs’ Verteidigung, ordnete den lokalen AFL-Zweigen an, wieder zur Arbeit zurückzukehren, und nahm damit dem Streik den Wind aus den Segeln. Die Eisenbahner zogen ihre Lehren aus dem Verlauf des Streiks: „Er hat gezeigt, dass die Arbeiter gemeinsam kämpfen müssen, dass keine Einzelgewerkschaft Erfolg haben kann … Die gesamte Presse war gegen uns, die Richter, die öffentlichen Vertreter des Staates, der Staat selber – ja sogar die alten Arbeitervereine“.13
Die alten Gewerkschaften hatten jedoch weder die Auswirkungen der Umstrukturierungen im Zuge der Industrialisierung auf die ArbeiterInnenklasse begriffen, noch waren sie gewillt, eine ernsthafte Konfrontation mit der kapitalistischen Klasse einzugehen. Laut Eugene Debs musste deshalb eine „revolutionäre ArbeiterInnenorganisation“ aufgebaut werden, die „den Klassenkampf ausdrücken muss. Sie muss die Klassenlinien sehen. Sie muss, selbstverständlich, klassenbewusst sein. Sie muss vollständig kompromisslos sein. Sie muss eine Organisation der ArbeiterInnen an der Basis selbst sein.“14 Der alte Gewerkschaftstyp der AFL habe „nicht nur seinen Nutzen verloren …, sondern ist reaktionär geworden, nichts als ein Hilfsmittel der kapitalistischen Klasse“.15
Die Lehren der Kämpfe des späten 19. Jahrhunderts wurden von der IWW aufgenommen. Diese machte es sich sowohl zur Aufgabe, die neue Zusammensetzung der ArbeiterInnenklasse, wie auch die Umstrukturierung der kapitalistischen Wirtschaft im Zuge der Industrialisierung und der von Taylor eingeführten ‚wissenschaftlichen Betriebsführung’ zu analysieren. Diese neue Klassenzusammensetzung, die sowohl Ergebnis der technischen Umstrukturierung wie auch des Widerstands dagegen war, stand im Zentrum der theoretischen und praktischen Aktivitäten der IWW.16

Wissenschaftliche Betriebsführung

Im Zuge der Industrialisierung des amerikanischen Kapitalismus verschwanden die alten Formen der Produktion, die Formen der individuellen Produktion durch gelernte Arbeiter. Neue Technologien und die Einführung der „wissenschaftlichen Betriebsführung“ gaben den Unternehmern mehr Kontrolle über den Arbeitsprozess. Mit dieser technischen Umstrukturierung schwand auch die Macht der Fachgewerkschaft der AFL.
Diese lag vor allem darin, dass sie das Produktionsausmaß, also die produzierte Stückzahl und das Arbeitstempo mitbestimmen konnte. Die „wissenschaftliche Betriebsführung“ des Taylorismus zielte darauf ab, die Kontrolle über den Arbeitsprozess beim Management zu konzentrieren. Ziel war es die Zeit herauszufinden, die tatsächlich für die Produktion gebraucht wird und damit gegen das „systematische Bremsen“17 vorzugehen.
Ein Gewerkschaftsführer beschrieb 1887 die Auswirkungen: „Die Glocke, die den müden, unterbezahlten Arbeiter aus seiner bitter nötigen Ruhe reißt, verhöhnt ihn mit jedem Schlag. Die Maschinerie, die seine Fähigkeiten und seine Zeit für ihn selbst wertloser macht, wertvoller aber für seinen Herrn, wird zum verhassten Folterinstrument; ihr monotones Geräusch summt im Takt mit seinem Stöhnen und Fluchen. Die Fabrik, das Bergwerk, die Gießerei und der Lokomotivschuppen stehen da wie Giganten, bereit, sein Innerstes zu verschlingen.“18 Die erworbenen Fähigkeiten und das Wissen der Facharbeiter wurden in der mechanisierten Massenproduktion auf die Ebene des Managements verlagert. Arbeit wurde damit zur rein ausführenden Tätigkeit ohne Einsicht in die Zusammenhänge des Arbeitsprozesses. Das Ergebnis war eine radikale Trennung von Denken und Tun, Hand- und Kopfarbeit, Kontrolle und Ausführung. Zusätzlich höhlte die Entwertung der Facharbeit die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften gegenüber den Unternehmern weitgehend aus. Hatten diese bis dahin Ausbildungswege reguliert und damit das Angebot an Facharbeitskräften monopolisiert, reduzierte die tayloristische Betriebsorganisation die Nachfrage nach Facharbeitern auf ein Mindestmaß. Das Projekt der wissenschaftlichen Betriebsführung zielte damit auf drei Punkte ab: „die Brechung der Macht und faktischen Kontrolle der organisierten Facharbeiter über den Produktionsprozess, die Enteignung ihrer Kenntnisse und deren Einverleibung in neue Planungs- und Kontrollinstanzen des Management, und schließlich die Atomisierung der Arbeitsverrichtungen in kalkulierbare Segmente“, die die „Poren der Arbeitszeit“ eliminieren sollte.19
In Folge ihres Machtverlustes konzentrierte sich die AFL auf die Bedrohung des Lohn- und Leistungsniveaus und die Forderung eines gerechten Lohns für eine gerechte Arbeit. Die Ursache der Lohnsenkungen wurde aber nicht in den Umstrukturierungen der Produktionsprozesse verortet, sondern im vermeintlichen Lohndruck durch eingewanderte billige Arbeitskräfte. Damit war der Weg geebnet für eine rassistische Politik der AFL.20 Tatsächlich dienten ImmigrantInnen aus vielen Teilen der Welt den Unternehmen als ungelernte Arbeitskräfte21; das Vorhandensein eines „doppelten Arbeitsmarktes“ ließ sie jedoch erst gar nicht in Konkurrenz zu gelernten Facharbeitern treten. Die Konzentration der AFL auf die Facharbeiter und der Versuch, deren privilegierte Position innerhalb der ArbeiterInnenklasse zu schützen, verstellte ihnen nicht nur den Blick auf die Veränderungen der Zusammensetzung der ArbeiterInnenklasse, sondern führte auch dazu, dass die wachsende Gruppe ungelernter, migrantischer ArbeiterInnen als Bedrohung ihrer eigenen Stellung betrachtet wurde. Die Aussagen des AFL-Führers Samuel Gompers über die IWW als „Schimmelpilz auf der Arbeiterbewegung“ und die ungelernten und angelernten ArbeiterInnen als „Pöbel“ zeugten von der Verachtung für diese neuen Schichten.

Neuzusammensetzung der ArbeiterInnenklasse

Die Politik des Industrial Unionism und der One Big Union waren Antwortversuche der IWW auf die Auswirkungen des Taylorismus. Die IWW sah ihre Aufgabe darin, aus der veränderten Zusammensetzung der ArbeiterInnenklasse und den neuen Bedingungen für Widerstand Schlüsse zu ziehen, sowohl die Art der Organisierung als auch der Kampfformen betreffend. Denn die ArbeiterInnenklasse bestand nicht nur aus weißen, gelernten Arbeitern, sondern auch aus ungelernten ArbeiterInnen, Frauen, WanderarbeiterInnen, Schwarzen, ImmigrantInnen aus Irland, Polen, Schweden und vielen weiteren Ländern Europas. Die Wobblies erkannten dies: „Das Industriesystem bezieht alle Faktoren ein: die Arbeiterin, der Ungelernte, der Wanderarbeiter, der Handlanger sind alle integraler Bestandteil der Industrie, in der sie jeweils beschäftigt sind. Sie sind keineswegs lumpenproletarische Wracks, sondern sie sind reale und notwendige Elemente in der Zusammensetzung der Arbeiterklasse“.22 Der steigende Anteil ungelernter Arbeitskräfte führte nicht nur zur Entwertung der Facharbeit, sondern ermöglichte es den Unternehmern auch, Arbeitssuchende, die in Massen in die Industrien drängten, gegeneinander auszuspielen und Streikbrecher gegen streikende ArbeiterInnen einzusetzen. Durch unterschiedliche Lohnniveaus und interne Disziplinierung konnte die Konkurrenz zwischen den ArbeiterInnen ausgenutzt werden, die zusätzlich entlang geschlechtsspezifischer Trennlinien als auch nach Hautfarbe oder Herkunft gespalten waren. Die Einbeziehung eines Teils der gelernten Facharbeiter als Vorarbeiter oder in Managementstrukturen spaltete diese wiederum untereinander.
Demgegenüber strebten die Unternehmer eine koordinierte Politik gegenüber den ArbeiterInnen an. Seien es offene Konfrontation oder subtilere Methoden, ihr Erfolg hing „von der Blindheit und den inneren Zwistigkeiten der Arbeiterklasse“ ab.23 Gerade wegen ihres Ziels der One Big Union war es für die Wobblies essentiell, „das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit aus der Perspektive einer gespaltenen in sich selbst konkurrierenden und ständig neu zusammengesetzten Arbeiterschaft zu sehen“ und die Kampf- und Organisationsformen der spezifischen Situation anzupassen. Es ging dabei nicht darum dem „Arbeiter [zu] sagen was richtig und was falsch [ist], sondern die aktuellen Bedingungen zu analysieren.“24
Der Streik in McKees Rock verdeutlicht die Strategie der IWW, nicht nur auf die Kernbelegschaft zu setzen, sondern, Frauen, Arbeitslose und ArbeiterInnen anderer Industriezweige in die Streiks mit einzubeziehen. Über den Massenstreik sollten die inneren Spaltungen überwunden werden. Zugleich zeigt das Beispiel, wie von Unternehmern versucht wurde, die Spaltungen auszunutzen, und die privilegierten Facharbeiter erfolgreich auf deren Seite gezogen werden konnten.

McKees Rock

Der Streik begann, als am 12. Juli 1909 ausländische ArbeiterInnen aus Protest gegen Lohnkürzungen im Konzern Pressed Steel die Arbeit niederlegten und daraufhin entlassen wurden.25 Drei Tage später hatten alle ausländischen ArbeiterInnen die Arbeit niedergelegt und sich einige der einheimischen ArbeiterInnen angeschlossen, sodass die gesamte Fabrik geschlossen werden musste. Ein Streikkomitee amerikanischer Facharbeiter, genannt die Big Six, setzte sich an die Spitze des Streiks, organisierte Spenden und Lebensmittel, setzte sich aber nicht aktiv für den Streik ein. Von den Unternehmern wurden alle Mittel aufgeboten. Nach Polizei und Nationalgarde wurden die „Pennsylvania Cossacks“ geholt, eine berüchtigte Spezialtruppe, die die Aufgabe hatte, Streikbrecher (scabs) einzuschleusen und die Fabrikwohnungen zu räumen. Mit der Konfrontation wurde auch die Frage von gewaltsamen Gegenmaßnahmen akut. Sowohl der Widerstand gegen die Wohnungsräumungen, der hauptsächlich von Frauen getragen wurde, als auch dringender Handlungsbedarf gegen scabs, machten schnelle und militante Entscheidungen notwenig. Die Big Six jedoch setzten auf Geduld. Sie sprachen sich strikt gegen alle Widerstandsmaßnahmen und für freiwillige Räumungen und Verhandlungen mit dem Management aus. Die Passivität der Big Six veranlasste die Streikenden, sich neu zu organisieren, und Kontakt zu den IWW aufzunehmen. Unter der Führung der IWW wurde ein neues Komitee gegründet und regelmäßig Versammlungen organisiert, auf denen Forderungen formuliert, Streiktaktiken beschlossen und Übersetzungen besorgt wurden. Die Gefahr durch scabs wurde durch Truppen von ArbeiterInnen, die Streikbrecher aufspürten und aus den Fabriken warfen, abzuwehren versucht. Als viel wichtiger erwies sich aber die Solidaritätsarbeit und der Versuch der IWW, Frauen, Kinder und Arbeitslose in die Streikaktivitäten mit einzubeziehen. Die Solidaritätsarbeit zeigte bald Wirkung und Eisenbahner weigerten sich, Streikbrecher nach McKees Rock zu transportieren. Während sich 2.000 bis 3.000 Arbeitslose dem Streik anschlossen und damit den Druck der „industriellen Reservearmee“ minderten, verteidigten Frauen die Werkwohnungen.
Nach gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Streikenden versuchten die Big Six und die Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen. Ein Kompromiss wurde verhandelt, die Zugeständnisse aber nie eingelöst. Die militante Stimmung blieb aufrecht und am nächsten Tag streikten 2.500 ArbeiterInnen, ohne den Arbeitsplatz zu verlassen. Mit dieser neuen Methode des sit in wurden substantielle Lohnerhöhungen erkämpft. Ein weiterer Streikversuch von 4.500 ArbeiterInnen wurde jedoch durch die Facharbeitergewerkschaft, mit der das Unternehmen bereitwillig in Verhandlungen trat, verhindert, indem sie unter Polizeischutz mit tausend Streikbrechern in die Fabrik einzog.26
Die Unternehmen reagierten mit Vorbeugungsmaßnahmen gegen erneute „Ausländeraufstände“. Eine „Amerikanisierungskampagne“ mit einem Abendschulprogramm für Unterricht in englischer Sprache und in amerikanischer Staatsbürgerkunde wurde eingerichtet. „Was hier unterrichtet wurde, erfährt man aus einem zeitgenössischen Textbuch: ‚Ich höre die Fünf-Minuten Sirene. Es ist Zeit, in die Fabrik zu gehen. Ich nehme am Eingang meine Stempelkarte und stecke sie in meiner Abteilung ein. Ich ziehe mich um und mache mich zum Arbeiten fertig. Die Startsirene bläst. Ich esse mein Mittagessen. Es ist verboten, vorher zu essen. Die Sirene bläst fünf Minuten vor Arbeitsbeginn. Ich mache mich für die Arbeit fertig. Ich arbeite, bis die Sirene wieder bläst. Ich lasse meinen Arbeitsplatz sauber zurück. Ich lege alle meine Sachen in mein Schließfach. Ich gehe nach Hause.’“27
Da die Strategie der Unternehmer auf die Integration von Facharbeitern in Managementstrukturen abzielte, war für die IWW klar, dass es vergeblich war, auf eine selbstverständliche oder durch moralische Appelle bewirkte Klasseneinheit im Sinne einer One Big Union zu hoffen. Sie konzentrierte sich deshalb noch stärker auf die ungelernten ArbeiterInnen. Das bedeutete nicht, dass das Projekt der One Big Union aufgegeben wurde; durch die Organisierung der Masse der ungelernten ArbeiterInnen sollten die Facharbeiter in Massenbewegungen und Massenstreiks mitgerissen werden.

Kämpfende und singende ArbeiterInnen

Trotz der Niederlage war der Streik bei McKees Rock der Startschuss für eine Phase von Kämpfen, die „zu den gewaltsamsten der nordamerikanischen Arbeitergeschichte gehört.“28 Dem Streik von McKees Rock folgten Aufstände in der Waffenfabrik Bethlehem Steel 1910, bei dem 7.000 hauptsächlich ungarische und polnische ArbeiterInnen für den acht-Stunden-Tag kämpften. Trotz des Versuchs der AFL die herbeigerufene IWW fernzuhalten, breitete sich der Streik auf die angrenzenden Kohleabbaugebiete aus. In Philadelphia kam es 1909 zu gewaltsamen Aktionen gegen Streikbrecher und 1910 zu einem Generalstreik von über 146.000 ArbeiterInnen, ausgelöst durch einen Streik von Textilarbeiterinnen. Inspiriert vom Internationalen Frauentag brachen 1909 zehntausende Näherinnen in New York einen Aufstand los, der sich gegen „sweatshop“-Bedingungen und die regelmäßigen sexuellen Belästigungen durch Vorarbeiter richtete. „Wo immer Arbeiter sich versammelten, wurde heftig über den Generalstreik diskutiert“. Streiks slawischer Stahlarbeiter in Hammond, jüdischer und italienischer Näherinnen in New York und slawischer Bergarbeiter in Avelia waren alle Teil der Streikwelle, getragen hauptsächlich von unorganisierten und ungelernten, häufig weiblichen ArbeiterInnen in und außerhalb der Fabrik. „[Ihre] Militanz, der unmittelbare Angriff auf die neue Organisation der Arbeit und die ‚direkte Aktion’ – Widerstands- und Organisationsformen ohne oder gegen die Gewerkschaften – wurden zu Charakteristika der Kämpfe in den Jahren seit 1909 bis hin zu ihrem Höhepunkt in der Nachkriegszeit.“29 Die etablierten AFL-Teilgewerkschaften konnten den Massen an ungelernten ArbeiterInnen keine Perspektive bieten. Ein alter AFL-Gewerkschafter schreibt über die Ungelernten verächtlich, dass sie „heute in die Gewerkschaft eintreten und morgen schon streiken wollen“.330 Tatsächlich entsprach die kompromisslerische Politik der AFL nicht der Lebensrealität und den Interessen dieses Teils der ArbeiterInnenklasse. Durch den ständigen Wechsel von Arbeitsplätzen war es für die Ungelernten und WanderarbeiterInnen wenig verlockend, auf lange Verhandlungen zu setzen. In manchen Branchen bewegten sich MigrantInnen durch die Unternehmen „wie durch Drehtüren.“31
Die Konzentration auf die Masse der un- oder angelernten ArbeiterInnen ließ die IWW auch auf neue Widerstands- und Organisationsformen setzen. So entsprangen die free speech fights dem Protest der ArbeiterInnen gegen die Praxis des „Jobkaufs“, bei dem sie sich die Arbeitsplätze um ca. fünf Dollar kaufen mussten. Die free speech fights fingen dort an, wo sich die Massen versammelten: nicht am Arbeitsplatz, sondern in den Städten. Die IWW organisierten Straßenversammlungen, um die ArbeiterInnen aufzurufen das Betteln um Arbeit zu verweigern. „Don’t buy Jobs! Read the Industrial Worker!“ Die soapboxer, Menschen die sich auf Seifenkisten stellten um Reden zu halten, versuchten die WanderarbeiterInnen davon zu überzeugen, sich zu organisieren. Dabei hatten die Wobblies die Heilsarmee und andere religiöse Sekten gegen sich, die den ArbeiterInnen Geduld und die Verheißungen des Paradieses predigten, wenn sie nur brav wären. Die Wobblies nutzten die Melodien der Heilsarmeekapellen und sangen ihre eigenen Texte darüber. So heißt es in einem Lied des berühmten Wobbly und Sänger Joe Hill, dass sie den versprochenen „pie in the sky“ schon auf Erden haben wollen.
Nachdem die Unternehmer 1909 ein Rede- und Versammlungsverbot durchgesetzt hatten, ging die Polizei hart gegen die soapboxer vor. Dem Verbot folgten Aufrufe in den Zeitungen der IWW, die tausende Menschen mobilisierten, bis die Behörden gezwungen waren, das Verbot aufzuheben. Als Kommunikationsnetz zwischen den MigrantInnen wurden die free speech fights zu einem wichtigen Widerstandsmittel. So konnte die Rezession von 1910-12 zwar die erste Streikwelle dämpfen aber nicht die free speech fights, da diese zur Kampfform der Arbeitslosen, zum Widerstandsmittel der WanderarbeiterInnen und zum Mittel der Solidarisierung zwischen Arbeitslosen und ArbeiterInnen wurden. Die Slogans und Lieder der Wobblies waren weithin bekannt und Tausende nannten das rote IWW-Liederbuch ihr Eigen.32
Ein weiterer Versuch, die WanderabeiterInnen zu organisieren, waren die job delegates, mobile WanderarbeiterInnen-Wobblies, die MigrantInnen am Arbeitsplatz organisierten. Der Kern der mächtigen Agricultural Workers Organizaion der IWW entstand aus diesen Bemühungen.
Die free speech fights zeigen besonders deutlich, wie die IWW ihre Organisierungsmethoden an die spezifische Situation unterschiedlicher Gruppen von ArbeiterInnen anzupassen vermochte. WanderarbeiterInnen, die ohne festen Wohnsitz und längeres Beschäftigungsverhältnis schwer organisierbar waren, wurden dort angesprochen, wo sie sich versammelten. Mit Hilfe der job delegates gelang es der IWW, die besonderen Probleme der WanderarbeiterInnen – etwa Polizeikontrollen, Diebe in den von ihnen benützten Zügen oder die Willkür der Arbeitgeber – nicht nur anzusprechen, sondern Lösungen zu finden, wie die militante, kollektive Abwehr von Dieben und Polizei.
Die Taktiken der IWW wurden immer vielfältiger: Neben Generalstreiks wurde der quickie eingeführt, bei dem direkt am Arbeitsplatz für kurze Zeit gestreikt wurde. Ein Wobbly erklärte: „Die Arbeit niederlegen und hungern ist verrückt, wenn man am Arbeitsplatz streiken kann und essen.“33 Das Kampfmittel der Sabotage richtete sich gegen die Rationalisierungs- und Effizienzwelle im Zuge der „wissenschaftlichen Betriebsführung“ und wurde ein immer wichtigerer Teil der IWW-Strategie. Dabei ging es um „den bewussten Entzug von Effizienz“, den Versuch, zumindest teilweise die Kontrolle über das Arbeitstempo zurückzugewinnen. So pries „Big Bill“ Haywood die Sabotage in Betrieben: „Ich kenne nichts was euch so viel Befriedigung bringen wird und dem Boss so viel Ärger wie ein bisschen Sabotage am richtigen Ort und zur richtigen Zeit. Findet heraus, was es bedeutet. Es wird euch nicht schaden, aber sehr wohl dem Boss.“34
Die IWW zeigte, „dass die Wanderarbeiter, Frauen, Schwarzen und Ausländer keineswegs unorganisierbar und unterwürfig, passiv oder zurückgeblieben waren, was vielfach als Rechfertigung ihrer Diskriminierung innerhalb der offiziellen Arbeiterbewegung behauptet wurde, und dass im Gegenteil der Zusammenhalt und Massencharakter ihrer Kämpfe die entscheidende Bedrohung für das kapitalistische Projekt darstellte“.35

Bread and Roses

Die Solidarisierung zwischen ArbeiterInnen und Arbeitslosen war bedeutend für einen erneuten Aufschwung von Arbeitskämpfen, der 1912 begann. Die Arbeiterinnen in den Textilfabriken in den USA waren derselben Umstrukturierung unterworfen, wie in anderen Industriezweigen. Die Arbeiterinnen mussten mehrere Webstühle – auch devils genannt – gleichzeitig bedienen, viele waren entlassen und die Löhne gesenkt worden.
Schon 1909 war es deshalb in New York zum „Aufstand der 20.000“ gekommen. Die Stimmung brachte eine junge Arbeiterin auf einer Versammlung auf den Punkt: „Ich bin eine Arbeiterin, eine von denen, die gegen unerträgliche Bedingungen streiken. Ich bin es müde, Sprechern zuzuhören, die allgemeine Reden halten. Wir sind hier, um zu entscheiden, ob wir streiken sollen oder nicht. Ich beantrage, dass ein Generalstreik erklärt wird – sofort.“36
Im Jahr 1912 kam es schließlich in Lawrence zum Generalstreik. Die IWW hatte in den Monaten davor „Organizers“ in die Textilfabriken geschickt, um die Arbeiterinnen gegen die „speed ups“ und untragbaren Arbeitsbedingungen zu organisieren. Ein Organizer meinte: „Wir sprachen Marxismus, wie wir ihn verstanden – Klassenkampf, Ausbeutung der ArbeiterInnen, der Staat und die Streitkräfte der Regierung, die gegen die ArbeiterInnen waren.“37 An einem Zahltag im Jänner kam es dann zum Aufstand. Polnische Arbeiterinnen hatten nach Lohnkürzungen die Arbeit niedergelegt. Gruppen italienischer ArbeiterInnen verbreiteten die Aktion in anderen Abteilungen und Betrieben, und am nächsten Tag waren die wichtigsten Textilfabriken in der Stadt stillgelegt.
Die Basisarbeit der IWW hatte ihnen das Vertrauen der Streikenden gesichert und OrganisatorInnen des McKees-Streiks wurden zusätzlich herbeigerufen. Man hatte aus dessen partieller Niederlage gelernt und so wurde von Beginn an ein eigenes Streikkomitee der Wobblies eingesetzt und die AFL herausgehalten. Am Höhepunkt des Streiks hatten 250.000 ArbeiterInnen aus 24 unterschiedlichen Nationen die Arbeit niedergelegt. Frauen nahmen eine führende Rolle in den Streiks ein. Gurley Finn, Streikführerin und Wobbly, erklärte, dass „der IWW vorgeworfen wird, dass sie Frauen an die Front schickt. Die Wahrheit ist, die IWW hält die Frauen nicht zurück, und sie kommen von selbst nach vorn.“38 Das getragene Banner „We want bread and roses too“ gab dem Streik seinen Namen. Der Slogan stand für eine Radikalisierung der Forderungen, die sich nicht mehr nur auf ein Subsistenzminimum beschränkten, sondern ein Leben in Würde beanspruchten. „Der Streik war berühmt für die Anwendung erprobter und neuer Taktiken: Streikpostenketten, massenhafte und mobile Streikposten, die den gesamten Wohnbezirk um die Fabrik erfassten.“39 Von der United Textile Workers Gewerkschaft, die der Führung der AFL angehörte, wurde der Streik als „anarchistisch“ und „revolutionär“ bezeichnet, doch wie ein Reporter die Situation beschrieb, war es „der Geist der ArbeiterInnen, der gefährlich war. Sie marschierten und sangen immer.“40 Es war kein gewöhnlicher Streik, schrieb ein Zeitgenosse sieben Jahre später, „sondern eine soziale Revolution im Kleinen.“41
Die Unternehmer gaben den meisten Forderungen der Streikenden nach und die „Lawrence Revolution“ war Ausgangspunkt einer großen Streikwelle. Von der „1000 Meilen langen Streikkette“, die von der Agricultural Workers Organization (AWO) der IWW organisiert wurde, und den erfolgreichen Abwehrschlachten der AWO gegen Schläger und Polizei, über die Streiks 1915 in den Raffinerien Rockefellers und den Aufständen schwarzer ArbeiterInnen im Süden, bis zum großen Streik der Holzfäller und Sägewerkarbeiter, der die Einführung des Acht-Stunden-Tags erzwang, war die IWW in einer führenden Rolle. Der Arbeitskräftemängel auf Grund des Wirtschaftsaufschwungs im Ersten Weltkrieg stärkte die Position der ArbeiterInnen gegenüber den Unternehmern zusätzlich. Das veranlasste Unternehmen und Regierung, ihre bis dahin gewerkschaftsfeindliche Politik zu ändern. Sie versuchten, company unions einzuführen, oder mit Hilfe von kleinen Zugeständnissen an die AFL und die Anerkennung von schon existierenden Teilgewerkschaften ArbeiterInnen von Streiks abzuhalten.

Streikjahr 1919

Die hohe Inflation und die seit 1914 massiv angestiegenen Lebenserhaltungskosten bei halbierten Reallöhnen sorgten für Unruhe unter den ArbeiterInnen, die bald in Wut und Militanz umschlug. In Seattle löste ein Aufstand von Hafenarbeitern einen Generalstreik von 60.000 ArbeiterInnen aus, als über 116 lokale Gewerkschaften in Solidaritätsstreiks traten. Ganz Seattle war in der Hand der ArbeiterInnen. Die IWW organisierte zusammen mit dem Metal Trades Council (Metallarbeiterverein, der formal der AFL angeschlossen war) nach dem Modell der russischen Revolution einen Soldaten-, Matrosen-, und ArbeiterInnenrat, der dafür verantwortlich sein sollte, dass unverzichtbare Dienstleistungen aufrecht erhalten werden. So organisierten die MüllarbeiterInnen die Reinigung der Stadt, während sich Brot- und MilchlieferantInnen um die Lebensmittelversorgung kümmerten. Polizei und Armee gingen gegen die Streikenden vor. Dabei konnten sie auf die Rückendeckung der nationalen AFL-Führung zählen, die Druck auf die lokalen Verbände ausübte – gerade zu der Zeit, als die Dauer des Streiks und die Abgeschnittenheit der Stadt enorm auf den ArbeiterInnen lastete. Schließlich musste der Streik abgebrochen werden. Trotzdem war die Stimmung im Land kämpferisch, nicht zuletzt aufgrund der internationalen Ereignisse: The Nation schrieb im Oktober 1919, dass „[d]ie bedeutendste Tatsache der Gegenwart die beispiellose Revolte der Massen [ist]. Ihre Folgen sind unberechenbar und für den Augenblick bedrohlich; doch gleichzeitig hat sie eine ungeheure Hoffnung in die Welt gesetzt. Es ist eine weltweite Bewegung, die durch den Krieg beschleunigt wurde. In Russland wurde der Zar entthront. Seit zwei Jahren steht Lenin an der Spitze des Volkes. Korea, Indien, Ägypten und Irland befinden sich in entschlossenem Widerstand gegen die politische Tyrannei. England erlebt einen Eisenbahnerstreik, der gegen den Widerstand der Gewerkschaftsführung durchgesetzt wurde. In Seattle und San Francisco weigern sich die Schauerleute [Hafenarbeiter], Waffen oder Nachschub zu befördern, die gegen die sowjetische Regierung eingesetzt werden sollen. Streikende Kumpels in Illinois haben in einer einstimmig verabschiedeten Resolution ihre Staatsregierung dazu aufgefordert, ‚zur Hölle zu gehen‘“.42
Der Höhepunkt und gleichzeitige Wendepunkt war ein Streik der StahlarbeiterInnen im September 1919. Nachdem das Unternehmen US Steel die Anerkennung der Gewerkschaft verweigerte, legten 400.000 ArbeiterInnen in 50 Städten die Arbeit nieder und hielten drei Monate den Angriffen stand. Die Niederlage dieses Streiks war ein Schlag gegen die gesamte ArbeiterInnenbewegung. Die noch immer stattfindenden wilden Streiks wurden mit immer härteren Mitteln bekämpft und die Repression richtete sich besonders gegen Radikale, wie IWW-Mitglieder. Im Kampf gegen die „rote Gefahr“ (red scare) wurden RevolutionärInnen aller Gruppierungen verfolgt, in den Untergrund getrieben und hingerichtet. Die Repressionswelle war gekoppelt an die politische Integration etablierter Gewerkschaften. Der Wirtschaftsaufschwung in den 1920ern ermöglichte im Zuge des American Plan Wohlfahrts- und Sozialprogramme, die mit patriotischer Propaganda einhergingen. So gelang es der Regierung, sich die Loyalität der ArbeiterInnenklasse zu sichern. Die Einführung von employee representation (ArbeitnehmerInnenrepräsentation), welche die Form „gelber Gewerkschaften“ oder betriebsratsähnliche Formen annehmen konnte, sollte selbstständige Organisierung und Radikalität innerhalb der ArbeiterInnenklasse verhindern.
Sowohl die Niederlagen der großen Streiks als auch die „Sozialstaatspolitik“ waren also dafür verantwortlich, dass nur mehr Kämpfe von isolierten Gruppen von ArbeiterInnen stattfanden. „Über eine Dekade“, so Mike Davis, „mussten die Unternehmen keine militante Gewerkschaftsarbeit fürchten“.43

Die endgültige Wende

Erst in den dreißiger Jahren kam es wieder zu einem Aufschwung der Kämpfe. Der Höhepunkt der IWW war zu diesem Zeitpunkt schon vorbei. Der Verlust vieler AktivistInnen während der Repressionswelle und eine Spaltung zwischen AnarchistInnen und KommunistInnen schwächte die Organisation zusätzlich. Ein großer Teil der Wobblies ging zur Communist Party und bildete den Kern der ArbeiterInnenkämpfe der 1930er. Der neu gegründete Congress of Industrial Organizations (CIO) übernahm einige inhaltliche Forderungen der IWW. So propagierte der CIO das Programm des Industrial Unionism und war in seiner Gründungsphase an zahlreichen „wilden Sitzstreiks“ beteiligt. Doch im Gegensatz zur revolutionären IWW war die Politik des CIO von Beginn an auf Klassenkooperation ausgerichtet und von dem Widerspruch gekennzeichnet, einerseits unter Druck der streikwilligen ArbeiterInnen und militanten BasisgewerkschafterInnen Streiks zu initiieren, andererseits „wurden die ArbeiterInnen vieler möglicher Errungenschaften beraubt, weil die Regierung der Demokraten unter Rückendeckung der CIO-Führung intervenierte.“ Die meisten Streiks endeten in der Anerkennung der Gewerkschaften, die meistens im Paket mit einer Streikverbotsklausel kam. So betonte ein CIO-Gewerkschaftsführer, dass zum Erreichen der gewerkschaftlichen Anerkennung Streiks nützlich sind; sobald diese aber erreicht wäre, sollte die Konzentration des CIO auf Verhandlungen liegen, um so das Beste für den/die ArbeiterIn herauszuholen. „Ein Kontrakt mit der C.I.O.“ ist dann, laut CIO-Gründer John L. Lewis, „ein adäquater Schutz vor Sitzstreiks oder jeder anderen Streikaktion.“44
Die Niederlagen der Streikbewegung und die Integration der Gewerkschaftsbürokratie in Klassenkooperation müssen als Wendepunkt in der US-amerikanischen Gewerkschaftsgeschichte gesehen werden. Obwohl „wilde“ Streiks noch einige Jahre lang üblich waren, war das Projekt einer die Kämpfe verbindenden Gewerkschaft langfristig gescheitert.45
Niedergang
Die Gründe für den Niedergang der IWW sind vielfältig: Einerseits hatte die brutale Repression im Zuge der Kampagne gegen die „rote Gefahr“ und zusätzlich Spaltungen im Laufe ihrer Geschichte die Organisation geschwächt und die IWW viele ihrer wichtigsten AktivistInnen verloren. Doch es war nicht die Repression alleine. Der Versuch beides zu sein, Gewerkschaft für alle ArbeiterInnen und revolutionäre Organisation, scheiterte am Widerspruch, als Gewerkschaft rein ökonomische Verbesserung für alle ArbeiterInnen innerhalb des Systems zu erkämpfen und gleichzeitig als revolutionäre Organisation einen politischen Kampf um weitreichende gesellschaftliche Veränderungen zu führen.46 Dies bedingte, dass es die IWW selten schaffte, längerfristige Strukturen aufzubauen und ihre Mitgliederzahl zu erhöhen, obwohl sie so eine wichtige Rolle im Vorwärtstreiben vieler Streikaktionen und Bewegungen gespielt hatte.
Die Integration der etablierten Gewerkschaften, die Bindung von ArbeiterInnen an Unternehmen durch bessere Gesundheitsversorgung, niedrigere Lebensmittelpreise, Erholungszentren, Urlaub etc., und die im Zuge des Wirtschaftsaufschwungs möglichen Zugeständnisse der Regierungsparteien, schafften es letztlich, die ArbeiterInnenklasse in das kapitalistische Projekt der Effizienzsteigerung und „wissenschaftlichen Betriebsführung“ einzubinden. Die Konzentration der IWW auf ökonomische Kämpfe und ihre Ablehnung politischer Kämpfe, der Auseinandersetzung mit politischen Ideologien oder Wahlen, hatten sie übersehen lassen, wie Teile der ArbeiterInnenklasse zumindest bis zur Krise der dreißiger Jahre ins Boot geholt wurden.

Inspiration

Trotzdem, die Politik und Geschichte der IWW ist heute noch Inspiration für militante AktivistInnen. Ihr Blick auf die Heterogenität der ArbeiterInnenklasse, auf jene Teile der Klasse, die nicht Kernbelegschaft und Facharbeiter waren, hatte es ihr ermöglicht, jene zu organisieren, die als unorganisierbar galten. Zentral war dabei immer, die besondere Situation und die Bedingungen, unter denen die ArbeiterInnen streikten oder Widerstand leisten mussten, zu analysieren und angemessene Kampf- und Organisationsformen daraus abzuleiten: über die free speech fights und das soapboxing, bis zu neuen Streikmethoden, wie den sit ins und dem quickie. Durch die genaue Analyse der Klassenzusammensetzung, der inneren Spaltungen und unterschiedlichen Interessen, schafften sie es, Strategien zu entwickeln, die diese Spaltungen aufhoben. Heutige Entwicklungen, wie Prekarisierung und unsichere Beschäftigungsverhältnisse, machen es notwendig, an diesem Punkt an die Politik und Widerstandskultur der IWW anzuschließen.

Anmerkungen

1 Zitiert in Davis, Mike: Happy Birthday Bill, in Socialist Review 2006
2 Cannon, James P.: The IWW, 1955. Online: http://www.marxists.org/archive/cannon/works/1955/iww.htm
3 Cannon, James P.: a.a.O.
4 , William: One Big Union. 1911 online: http://www.marxists.org/history/usa/unions/iww/1911/trautmannobu.htm
5 Ebd.
6 Brecher, Jeremy: Streiks und Arbeiterrevolten. Amerikanische Arbeiterbewegung 1877-1970, Frankkfurt/M. 1975: 65.
7 Mit Jim Crow bezeichnet man in der Umgangssprache die Gesetze, auf denen zwischen 1876 und 1964 das System der „Rassentrennung“ in den USA beruhte.
8 Brecher, Jeremy: a.a.O.
9 Die Teilgewerkschaften sollten in ihrer jeweiligen “Zunft” ein Arbeitsmonopol aufrechterhalten und damit das Angebot an Facharbeitskräften niedrig halten. Dadurch konnten sie eine Verhandlungsmacht gegenüber den Unternehmern aufbauen. Mit Entstehung der Massenproduktion ging diese aber verloren (siehe später)
10 Brecher, Jeremy: a.a.O: 83-93
11 Debs hatte die Streikenden aufgefordert die Gesetze nicht zu brechen, um der Repression zu entgehen.
12 Brecher, Jeremy: a.a.O.
13 Ebd.: 92.
15 Debs, Eugene: Revolutionary Unionism. Speech at Chicago, November 25, 1905 online: http://www.marxists.org/archive/debs/works/1905/revunion.htm
16 Vgl. Bock, Gisela: Die andere Arbeiterbewegung in den USA von 1909 – 1922. Die I.W.W. The Industrial Workers of the World, München, 1976.
17 Taylor zitiert in Bock, Gisela, a.a.O.
18 Bock, Gisela: a.a.O.: 18.
19 Bock, Gisela: a.a.O.:18-23.
20 Es muss gesagt werden, dass sich die Politik der AFL nicht automatisch in eine konservative Richtung entwickelte. Innerhalb der AFL kämpften Teile für radikalere Politik, wie die Forderung nach „collective ownership“ der Produktionsmittel. Die Heterogenität innerhalb der AFL zeigte sich auch in einigen kämpferischen Teilgewerkschafte, wie zum Beispiel den United Mine Workers of Armerica, die sich gegen die rassistische Politik der AFL stellte und viele Tendenzen in Richtung „industrial unionism“ aufwiesen. Schlussendlich setzte sich aber der konservative Flügel rund um Samuel Gompers durch.
21 Zwischen 1840 und 1924 kamen 35 Millionen ImmigrantInnen nach Amerika und veränderten damit auch das Gesicht der ArbeiterInnenklasse in Amerika
22 Bock, Gisela: a.a.O.
23 Ebd.
24 Ebd.
25 „Die Mehrzahl der Arbeiter, deren Anlernzeit bei Pressed Steel im Durchschnitt unter einem Monat lag, musste nicht nur ihre Arbeitskraft gegen einen elenden Lohn von 8-12 Dollar pro Woche verkaufen, sondern der Arbeitsplatz selbst und das Recht ihn zu behalten, mussten ständig durch Zahlungen an Vermittlungsagenten und Aufseher erkauft werden – eine Praxis, die in vielen Wirtschaftsbereichen der U.S.A üblich war.“ Bock, Gisela, a.a.O.: 8.
26 Bock, Gisela: 7- 17.
27 Ebd.: 13.
28 Ebd.: 7.
29 Ebd.: 13-14.
30 Ebd.
31 Ebd.
32 Ebd.
33 Bock, Gisela: a.a.O.
34 Ebd.
35 Ebd.
36 Ebd.: 42
37 Sharon: Subterranean Fire. A History of Working-Class Radicalism in the United States. Chicago, 2006.
38 Ebd.
39 Bock, Gisela: a.a.O.: 53
40 Cannon, James P.: a.a.O
41 Bock, Gisela: a.a.O., 52
42 Brecher, Jeremy: a.a.O.: 95
43 Zit. in Trudell, Megan: The Hidden History of US radicalism. In International Socialist Journal 111, 2006
44 Brecher, Jeremy: 183
45 Es kann in diesem Artikel nicht genauer auf die Situation in den 1930ern eingegangen werden, aber siehe Sharon, Smith: a.a.O. und über die Streikbewegungen bis in die 70er Jahre Brenner, Jeremy, a.a.O.
46 Smith, Sharon: a.a.O.





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