Rezension: Flying Pickets (Hg.): …auf den Geschmack gekommen. Sechs Monate Streik bei Gate Gourmet. Berlin: Assoziation a 2006. 12,40 €
Im vorliegenden Buch wird der sechsmonatige Streik beim Flughafen-Caterer Gate Gourmet am Standort Düsseldorf vom Oktober 2005 bis April 2006 eindrucksvoll dokumentiert. Es basiert vor allem auf den Interviews, die die HerausgeberInnen mit den am Streik beteiligten KollegInnen führten. Gleichzeitig erschütternd und ermutigend sind die Aussagen. Diese wurden thematisch in verschiedenen Kapiteln zusammengefasst und stehen dadurch immer wieder im Mittelpunkt.
Als konkretes Streikziel wurde eine Lohnerhöhung von 4,5 Prozent bekannt gegeben, aber es geht um mehr.
„Menschenwürde“ ist das eigentliche Streikziel und über die Hintergründe, die zum Streik führten, wird in den Interviews ausführlich gesprochen. Es ist vor allem die extreme Intensivierung von Ausbeutung durch totale Rationalisierung und Flexibilisierung. Die Maßnahmen der berüchtigten Unternehmensberatung McKinsey, die den Standort Düsseldorf exemplarisch zurichten und effektivieren sollte, wurden von den ArbeiterInnen zunächst mitgetragen. Nicht aus Unwissen, sondern weil Beraterfirmen gut geschult sind, MitarbeiterInnen und Angestellte in die Rationalisierung der Arbeitsabläufe einzubeziehen. Dann stellte sich heraus, dass sie einer besonders raffinierten Methode aufgesessen sind, sich selbst bis zur Erschöpfung zur Arbeit anzutreiben und zu hetzen. Das wirkt sich katastrophal auf das Betriebsklima aus. Aus freundlichen hilfsbereiten KollegInnen wurden die härtesten KonkurrentInnen. „Dadurch, dass wir immer mehr unter Kontrolle standen und der Tagesablauf minutiös durchgeplant war, musste alles dein Feind sein, was dir die Zeit kaputt macht, weil du danach noch mehr rennen musstest…Die Mädels in der Produktion wurden nur angepfiffen: ‘Wo bleibt das Essen, ich muss raus fahren, du nimmst mir die Zeit weg‘. Wir haben uns nur noch angeblökt.“ Das wird ebenso deutlich an den Auswirkungen auf Gesundheit und Seele und auf das Familienleben, das praktisch nicht mehr stattfinden kann durch die gnadenlose Flexibilisierung. An bestimmten Arbeitstagen konnte die Arbeitszeit willkürlich durch das Management verlängert oder verkürzt werden. „Die haben uns das Leben ruiniert! Das ist nun mal so! Und die Zukunft noch dazu.“
Die anfängliche Vereinzelung und Konkurrenz unter den KollegInnen, dazu die neuen Kontrollmethoden des Managements lassen erst nicht vermuten, dass es zu einem Streik kommen kann. Trotzdem stimmten 93% schließlich für den Streik. Ein großer Teil von ihnen hält die 6 Monate durch. „Ich bin froh, dass ich gestreikt habe. Weil wir nicht das gemacht haben, was die immer wollten. Dass wir dagegen waren.“
Ein Teil des Buches ist der Zeit nach dem Streik gewidmet. Das Ergebnis des Streiks ist ernüchternd, da an materiellen Forderungen nicht viel für die Belegschaft erkämpft wurde. Zudem sieht man sich mit ähnlichen Arbeitsbedingungen konfrontiert und einige KollegInnen verfallen in alte Verhaltensweisen. Andere kehren gar nicht zurück und kündigen. Sie fehlen beim Aufbau eines Kerns von KollegInnen, die kollektiven Widerstand organisieren könnten.
Ein weiteres Problem ist das Verhältnis zu den LeiharbeiterInnen, die während des Streiks eingesetzt wurden und weiter in der Firma beschäftigt sind. Viele der Streikenden betrachten sie verständlicherweise als Streikbrecher. Die Spaltung ist perfekt. Der Betriebsrat bemüht sich vorbildlich und tut alles in seiner Macht stehende, dass die Belegschaften nicht gegeneinander ausgespielt werden können. Es gelingt ihm sogar, Kontakt zu einigen LeiharbeiterInnen aufzubauen. Das hat jedoch Grenzen. Dort müssen andere Maßnahmen ansetzen.
Den Streik selbst betreffend ist es den HerausgeberInnen sehr gut gelungen, die verschiedenen Strukturen des Protestes und ihre Zusammenarbeit und ihre Konflikte darzustellen. Im Betrieb gibt es einen engagierten Betriebsratsvorsitzenden und eine „unbequeme“ Tarifkommission sowie das „U-Boot“ (KollegInnen, die ein Netzwerk vor dem Streik aufgebaut haben und später eine informelle Streikleitung sind). Von außen wirkt die Gewerkschaft Nahrungs- und Genussmittel (NGG). Auf der einen Seite ist sie immer vor Ort und unterstützt den Streik auch finanziell. Das ist nicht zu unterschätzen – ganz ohne Gewerkschaft sind Streiks heute fast unmöglich. Auf der anderen Seite verunsichert sie, weil sie schlecht vorbereitet ist und keine Ahnung hat, wie gut die Firma auf den Streik vorbereitet ist und ihn unterlaufen kann. Innerhalb des Streiks gab es deshalb immer wieder Auseinandersetzungen, aber schlussendlich hat die Gewerkschaft den Streik bis zum Ende unterstützt.
Es wird jedoch ebenso offensichtlich, dass die Solidarität zwischen den Gewerkschaften selbst in einer solchen Situation nicht im notwendigen Ausmaß erwünscht ist. Zum Beispiel kommt ein Treffen der ausgesperrten ArbeiterInnen von Gate Gourmet in London-Heathrow nur durch Unterstützung durch andere linke AktivistInnen aus autonomen Kreisen zustande. Diese AktivistInnen unterstützten die Streikenden in vielfältiger Hinsicht, zum Beispiel blockierten sie die Zufahrten der Firma, was den Streikenden selbst verboten war und organisierten Veranstaltungen, um den Streik bekannt zu machen.
Das Buch ist ein Zeitfenster in der unmenschlichen Veränderung der Arbeitswelt und der darin enthaltenen Konflikte. Es hebt die Ereignisse bei Gate Gourmet exemplarisch hervor, ist jedoch mehr als ein Beispiel. Aus diesen Erfahrungen sollten wir lernen. Die Schlussfolgerungen werden den LeserInnen selbst überlassen und es ist auch nicht der Anspruch des Buches, allgemeingültige Ratschläge zu liefern. Indirekt wird vermittelt, dass Arbeitszeitflexibilisierung, die Gefahren von Privatisierung und Outsourcing, gemischte Belegschaften von LeiharbeiterInnen und Stammbelegschaft aber auch Strukturen und Ziele transnationaler Konzerne (Gate Gourmet ist schon durch viele Hände gegangen) praktische allgemeine Themen sind, mit denen sich Gewerkschaften, Betriebsräte und soziale Bewegungen nicht nur bei Gate Gourmet auseinandersetzen müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen.
Viele Fragen bleiben offen und müssen diskutiert werden. Zum Beispiel die Rolle der UnterstützerInnen von außen: Können sie ersetzen, dass es wenig gewerkschaftliche Solidarität gibt? Was tun, wenn die Grenzen der Unterstützung von außen erreicht sind? Mit welchen Argumenten können nicht direkt betroffene KollegInnen dafür gewonnen werden, den Protest aktiv zu unterstützen? Als bei Gate Gourmet in London gestreikt wurde, hat zum Beispiel das Bodenpersonal der British Airways mitgestreikt. Weiters bleibt offen, warum es eine „informelle“ Streikleitung gab. Ist das gut? Oder ist es besser, wenn die KollegInnen auch offiziell die Streikleitung in die Hand nehmen? Wo sind informelle Strukturen sinnvoll und wo nicht?
Bleibt am Ende den HerausgeberInnen zu danken, dass sie sich die Zeit genommen haben, die Erfahrungen des Streiks festzuhalten und zu veröffentlichen und somit einer größeren LeserInnenschaft zugänglich gemacht haben.