Im Zuge der Union Renewal-Debatte in den USA werden auch alternative, community-bezogene Organisierungsansätze diskutiert. Maria Asenbaum fragt, ob die so genannten Worker Centers migrantischer ArbeiterInnen einen Beitrag zur Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung leisten können.
Die Gewerkschaften in den USA stehen unter immensen, durch Mitgliederschwund und Machtverlust indizierten, Druck. Derzeit sind nur 12,1% der Beschäftigten im öffentlichen und 7,5% im privaten Sektor gewerkschaftlich organisiert.1 Die Verluste wurden vor allem seit den 1980er Jahren größer2 und führten schließlich 2005 zu einer Spaltung des nationalen Dachverbandes der Gewerkschaften in AFL-CIO und Change to Win3. Dieser Spalt eröffnete den Raum und die Notwendigkeit für Diskussionen über neue Gewerkschaftsmodelle, bekannt unter „Union Renewal Debatte“, sowohl auf gewerkschaftlicher als auch akademischer Seite. Perspektiven hat sich bereits in Ausgabe Nr. 3 mit Aspekten dieser Debatte in Bezug auf die Organizing-Strategie auseinandergesetzt und dabei ein klassenbewusstes Social Movement Unionism (SMU) Konzept ins Zentrum gestellt.4
Ausgangspunkt sind drei Problemfelder, denen wir, neben der objektiven Situation, den zunehmenden Verlust gesellschaftlicher Relevanz traditioneller Gewerkschaften zuschreiben: (1) starre, undemokratische Strukturen, (2) unscharfer strategischer Fokus bzw. zu wenig Konfliktbereitschaft und (3) geringe Einbindung von weiblichen und migrantischen ArbeitnehmerInnen, was auf tradierte Machtstrukturen und einen zu eng gefassten Klassenbegriff zurückgeführt werden kann.
Einen Rahmen, innerhalb dessen Lösungsansätze für die oben beschlagworteten Probleme sinnvoll diskutiert werden können, bieten die Ansätze des Social Movement Unionism. Dieser entwickelte sich ursprünglich im Zuge der Arbeitskämpfe in Brasilien und Südafrika in den 1980ern und wurde dann von amerikanischen AutorInnen im Rahmen der antikapitalistischen Bewegung Ende der 1990er Jahre als Theoretisierung des Zusammenkommens von Sozialer Bewegung und Gewerkschaft mit unterschiedlicher Akzentuierung ausgebaut.5 Das heißt, dass auch SMU kein vollständig ausdiskutiertes Konzept darstellt. Wir beziehen uns im Folgenden auf eine Interpretation, wie sie z.B. von Kim Moody (US-amerikanischer Gewerkschaftsaktivist und ehemaliger Herausgeber der Labor Notes6) vertreten wird, der betont, dass SMU darauf abzielt, dass Gewerkschaften zur Sozialen Bewegung werden sollen, ohne sich darin aufzulösen. Dies resultiert aus einem klassentheoretischen Verständnis der Transformationsmöglichkeiten der Gesellschaft. Die Eckpfeiler eines solchen SMU können folgendermaßen zusammengefasst werden:7 (1) Die Rückbesinnung auf den Klassencharakter der Gewerkschaften als Interessensorganisationen, (2) Die Bemühungen, Bündnisse mit anderen gesellschaftlichen Initiativen, Gruppen und sozialen Bewegungen zu schließen, und (3) Die Demokratisierung der eigenen Organisationsstrukturen und die Aktivierung der Organisationsbasis. Vor allem der zweite Punkt wird mit diesem Artikel näher untersucht. Dabei wird besonders die Verbindung von klassenbasierter und Community-basierter Organisationen in Form der Worker Centers fokussiert.
Interessensorganisationen auf Basis so genannter Communities blicken in den USA auf eine lange Tradition zurück.8 Unter Community ist dabei nicht unbedingt die Gesamtheit der BewohnerInnen eines Ortes zu verstehen, genauso kann es sich beispielsweise um die black- oder die gay-community einer Region handeln. Der Organisierungsansatz setzt allerdings eine geographische Nähe voraus, da es meist um Verbesserungen der Bedingungen im unmittelbaren Lebensraum geht und Face-to-Face-Meetings der Betroffenen ein Kernelement des Aufbaus bilden. Abgesehen davon handelt es sich bei Community Organizing (CO) um einen sehr heterogenen Begriff.
Als Bezugs- und Abstoßpunkt der CO-Debatte im engeren Sinn ist die Alinsky-Schule zu nennen.9 Saul Alinsky (1909-1972) war kritischer Soziologe und begann Ende der 1930er Jahre, AfroamerikanerInnen in den Back Yard Quarters (Fleischverarbeitungsviertel) Chicagos zu organisieren. Alinsky arbeitete mit dem zeitgleich neugegründeten Gewerkschaftsbund CIO10 zusammen. In seinen Organisierungsaktivitäten war Alinsky bestrebt, Bündnisse von zivilgesellschaftlichen (auch religiösen) und gewerkschaftlichen Organisationen zu schmieden, um die Lebensbedingungen in den „Slums“ zu verbessern. Politisch wird er retrospektiv oft als Radikaler bezeichnet. Er betonte die Notwendigkeit der Selbstorganisation und Misstrauen in den Staat und dessen Institutionen; langfristig ging es ihm um eine radikale Veränderung der Machtverhältnisse in der Gesellschaft.11
Alinskys Ideen fanden dann vor allem Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre neue Resonanz. Die Nachbarschaftsorganisationen wurden als „revolution in a nutshell“ betrachtet und stellten vor allem während des Ausklingens der 68er Bewegung eine willkommene Alternative zu den großen Kämpfen dar. Nicht zuletzt die ökonomischen und politischen Spielräume dieser Zeit (Social Policy Offensive, War on Poverty) ließen zu, sich Illusionen einer postkapitalistischen Gesellschaft im Kleinen hinzugeben.12
In den 1980ern änderte sich mit der neoliberalen Wende, eingeleitet durch die Reagan-Ära, der Community-Diskurs. Nicht mehr soziale Verbesserungen sondern das Wirtschaftwachstum in den Gemeinden stand im Vordergrund. Community-Development-Organisations wurden eingeführt „[um] das Versagen des Marktes zu korrigieren, Arbeitsplätze und Sozialleistungen bereitzustellen.“13 Community-Strukturen sollen also ausgleichen, was sozialstaatlich gestrichen wurde. Im in den 1980ern populären Asset-Based-Development-CO-Ansatz wird propagiert, dass Alinsky bezüglich der Selbstorganisation recht behalten habe, nur ginge es jetzt nicht mehr um einen Kampf um die Macht in der Gesellschaft, sondern darum, sich auf die vorhandenen Ressourcen zu konzentrieren.14 So wurden Kinderbetreuungszirkel und Nachbarschaftswachen unter dem Label Communitiy Organizing aufgebaut, was mit der Ursprungsidee nur mehr wenig zu tun hat.
Ein starkes Community-System mit den dazugehörigen Organisationen (nach Religion, Ethnie, lokal oder Branchenbezogen) ist, anders als in Europa, schon sehr lange ein wichtiger Teil der US-amerikanischen Gesellschaft; eine bestimmte politisch-strategische Ausrichtung ist damit jedoch noch nicht notwendig verbunden.
Eine spezielle Form der Community-Organisation macht derzeit in gewerkschaftlichen und anderen, linken Zusammenhängen von sich reden, die so genannten Worker Centers. Diese sind „community-basierte Institutionen, die Niedriglohn-ArbeiterInnen unterstützen und sie organisieren.“15 Die ersten Worker Centers entstanden in den 1970er Jahren im Zuge der abklingenden 68er Bewegung. Die zweite und dritte Welle neu gegründeter Worker Centers standen in Zusammenhang mit den großen Einwanderungsbewegungen in die USA Anfang der 1990er und nach 2000.16 Vorerst dienten sie als Anlaufstelle für neue MigrantInnen vor allem in arbeitsrechtlichen Fragen. Heute gibt es etwa 130 bis 160 Worker Centers, die meisten sind in New York, Los Angeles und Chicago konzentriert, aber in den letzten Jahren wurden auch immer mehr in den ländlichen Gegenden des Südens gegründet, wo MigrantInnen in der Agrar- und Lebensmittelverarbeitungsindustrie tätig sind.17 Dabei sind Ideologie und Praxen vielfältig, meist geht es um Information, Service und Organisierung für von klassischen Gewerkschaften häufig vernachlässigte ArbeiterInnen-Communities. Diese relativ neue Organisationsform unter migrantischen ArbeiterInnen hat auch im gewerkschaftstheoretischen Feld vermehrt Aufmerksamkeit erregt. Janice Fine, die von 2003 bis 2005 eine nationale Studie zu migrantischen Worker Centers leitete, hat folgende gemeinsame Merkmale herausgearbeitet: (1) die meisten Worker Centers sind auf migrantische oder afroamerikanische Communities eines bestimmten Ortes (Stadtteil, Nachbarschaft) ausgerichtet; (2) Ethnizität spielt eine ebenso große Rolle wie Branche oder Arbeitsplatz, Unterdrückung und Ausbeutung wird häufig auf die „Migrationsproblematik“ zurückgeführt; (3) innerorganisatorische Demokratie und die Entwicklung von Leadership-Kompetenz sind zentrale Strategiemerkmale; (4) Bildung wird als integrativer Bestandteil von Aufbau und Organisierung gesehen; (5) Bewusstsein für internationale Zusammenhänge und Solidarität mit ArbeiterInnen aus den Herkunftsländern ist meist vorhanden; (6) Beratung dreht sich nicht nur um Probleme am Arbeitsplatz, sondern um Fragen der Migration (rechtlicher Status etc.); (7) Bündnisse mit anderen Community Organisationen werden gesucht; (8) meist gibt es wenige, aber dafür sehr aktive Mitglieder, intensive Mitgliederwerbung wird nicht betrieben. Die meisten Kampagnen der Worker Centers zielen eher darauf ab, über das Rechtssystem oder öffentlichen Druck Konzernleitungen Zugeständnisse abzuringen, als über eine Massenbasis etwas an den allgemeinen Machtverhältnissen zu ändern.
Da diese allgemeinen Beschreibungen der Worker Centers nur höchst vage bleiben können, soll hier im Detail auf eines der bekanntesten und erfolgreichsten von ihnen eingegangen werden. Das Garment Worker Center in Los Angeles (GWC) besteht bereits seit sieben Jahren und unterstützt Textilarbeiterinnen vor allem aus Süd- und Mittelamerika sowie aus Asien, bei ihrem Kampf um die Ausbezahlung von Löhnen und für humane Arbeitsbedingungen.18 Die Forderungen erscheinen auf den ersten Blick moderat, müssen aber in den Kontext der herrschenden Bedingungen in der US-Bekleidungsindustrie gesetzt werden. Die Textilbranche ist einer der stärksten Industriezweige der USA mit einem geschätzten Jahresumsatz von 24 Milliarden Dollar allein in Kalifornien. Etwa ein Viertel aller Produktionsstätten befindet sich in Los Angeles und Umgebung und beschäftigt großteils ostasiatische und mittelamerikanische Arbeiterinnen. Durch die vermehrten Standortverlagerungen der letzten Jahre steht die US-Produktion unter starkem Konkurrenzdruck, der auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird.19 Nach einer Studie des US Department of Labor zahlen 67 Prozent der Textilfabriken in Kalifornien weniger als den Mindestlohn, 98 Prozent überschreiten die Maximalarbeitszeit und 80 Mio US-Dollar an Lohn werden jährlich nicht ausbezahlt.20 Die Studie rechnet allerdings die nicht registrierten Fabriken, in denen echte Sweatshop-Bedingungen herrschen, noch gar nicht mit ein. Die Arbeitstage dauern hier meist zehn bis zwölf Stunden in heißer, schmutziger Umgebung, den ArbeiterInnen ist das Sprechen mit Kolleginnen verboten, regelmäßige Toilettenpausen gibt es nicht. Versprochen wird Bezahlung pro fertig gestelltem Stück, doch oft gibt es monatelang gar nichts, die Schecks sind nicht gedeckt oder die Fabriken werden ohne Vorwarnung geschlossen. Das sind die Hauptprobleme der Klientel des GWC. Dazu kommen Angst vor Abschiebung nach der Verschärfung der Einwanderungsgesetze nach 9/11 und Schwierigkeiten bei der Verständigung.
Das Garment Worker Center wurde 2001 mit der Unterstützung mehrerer NGOs (namentlich Sweatshop Watch, Asian Pacific American Legal Center, Coalition for Humane Immigrant Rights of Los Angeles und Korean Immigrant Workers Advocates) gegründet. Eigentlich ist es eine Nachfolgeorganisation des von den Textilgewerkschaften UNITE gegründeten Garment Workers Justice Center, das geschlossen wurde, nachdem die Gewerkschaften ihre Organisierungsbemühungen aus Mangel an Erfolgsaussichten in der Gegend aufgegeben hatten. Das GWC steht heute nur in loser Verbindung zu der Gewerkschaft, und zwar eher in ideeller als in materieller Hinsicht. Die Mitbegründerin und derzeitige Leiterin des GWC, Kimi Lee, die selbst aus einer EinwandererInnenfamilie kommt und die Bedingungen in den Textilfabriken von Kindheit an kennt, beschreibt die Ziele der Organisation folgendermaßen: „TextilarbeiterInnen im Großraum Los Angeles zu ermächtigen, mit anderen MigrantInnen im Niedriglohnsektor und den entrechteten Communities im Kampf für soziale, ökonomische und ökologische Gerechtigkeit solidarisch zusammenzuarbeiten.“21 Das GWC hat ein explizites Organisierungsmodell, wobei der Organizing-Aspekt nicht neben Service und Bildung steht, sondern als eine Art Überthema die einzelnen Aktivitäten beeinflusst. Die vier Aktivitätskomponenten sind dabei: Advocacy, Education, Campaigns und Coalitions. Advocacy, also die rechtliche Vertretung der Forderungen der ArbeiterInnen in individuellen Fällen, ist eine der wichtigsten Aktivitäten des GWC. Meistens geht es dabei darum, nicht ausbezahlte Löhne einzufordern, in selteneren Fällen auch um das illegale Verhalten von ArbeitgeberInnen, wenn diese gesetzliche Mindestlöhne und Maximalarbeitszeiten vollkommen ignorieren. Im Durchschnitt verdienen Menschen, die sich an das GWC wenden 3,28 US-Dollar pro Stunde und arbeiten wöchentlich 52 Stunden. Häufig ist der Wunsch nach rechtlichem Beistand der primäre Grund für den ersten Kontakt. In der Bildungsstrategie geht es dem GWC um nützliches Wissen und politisches Bewusstsein, es gibt Workshops zu Arbeitsrecht, Sprachkurse, Frauengruppen und Berichte von anderen Arbeitskämpfen. Aber es geht um mehr als praktische Hinweise, erklärt Kimi Lee in einem Interview: „Wenn die ArbeiterInnen etwas über den Krieg [im Irak] lernen, hilft ihnen das zwar nicht ihren Gehaltsscheck zu bekommen, aber es hilft ihnen… rauszugehen und andere Dinge zu tun, andere Orte zu sehen und neue Leute kennenzulernen… Es sind solche kleinen Sachen, die helfen Zusammenhalt aufzubauen.”22 Dieser Bildungsaspekt soll auch das Selbstbewusstsein der ArbeiterInnen stärken und damit zur Demokratisierung und Selbstorganisation des Centers selbst beitragen. Die Kampagnenarbeit ist meist auf ausgewählte Geschäftsketten konzentriert. Da in den Betrieben selbst wenig zu holen ist, wird Druck direkt auf die Verkaufsstätten ausgeübt, die einen Imageschaden viel mehr fürchten. Beispiele hierfür sind erfolgreiche Kampagnen gegen Bebe oder Forever 21. Eine Mischung aus Boykott-Aktionen, Medienarbeit und kleinen Pickets direkt vor den Geschäften konnten Druck auf die Firmen ausüben. In dieser Strategie spielt auch das Coalitionbuilding mit anderen Community-Organisationen, Gewerkschaften und einzelnen Prominenten eine wichtige Rolle. In welcher Form der Druck aber an die HerstellerInnen weitergegeben wird und wie diese darauf reagieren ist jedoch schwer zu beeinflussen.
Die Wirkmacht von Organisationen wie dem Garment Worker Center in Los Angeles soll weiter unten genauer analysiert werden. Festzuhalten ist, dass es sich hierbei um einen Ort für migrantische ArbeiterInnen handelt, an dem sie nicht von oben herab behandelt werden, sondern sich selbst organisieren können, wo sie voneinander lernen und politisch diskutieren und, vor allem, wo sie sich entlang ihrer Stellung im Produktionsprozess organisieren. Worker Centers sind nicht bloß MigrantInnennetzwerke, sondern können als eine spezifische, mit anderen Dimensionen verquickte, Form des Klassenkampfs begriffen werden.
Bei der Frage nach dem Beitrag von Worker Centers zu einer Revitalisierung der ArbeiterInnenbewegung in den USA muss auch auf das Verhältnis der Centers zu den Gewerkschaften eingegangen werden. So berechtigt der Einwand einiger AutorInnen ist, den gewerkschaftlichen Organisationsgrad nicht mit der Stärke der ArbeiterInnenbewegung gleichzusetzen (Density-Bias)23, so wichtig sind dennoch die Anknüpfungspunkte in Theorie und Praxis. Eine Vereinigung von Worker Centers und den fortschrittlicheren Gewerkschaftsteilen von Change to Win würde in vielerlei Hinsicht naheliegen. Einerseits ist in diesen Teilen der Gewerkschaft zumindest theoretisch die Einsicht durchgesickert, dass die ArbeiterInnenklasse ihr Gesicht verändert hat und dass die Organisierung migrantischer ArbeitnehmerInnen des Niedriglohnsektors ein lange vernachlässigter Bereich ist. Vor allem nach den großen Demonstrationen und Streiks migrantischer ArbeiterInnen am 1. Mai 2006 können die quantitativen und qualitativen Stärken dieser Bewegung nicht mehr von der Hand gewiesen werden.24 Aber auch für die Worker Centers selbst wäre eine organisatorische Anbindung an kämpferische Teile der Gewerkschaftsbewegung vorteilhaft, stoßen doch die meisten von ihnen mit ihrer Strategie der Konfliktaustragung vor Gericht auf Grenzen, da das Kapital fast immer am längeren Hebel sitzt. So wurde z.B. in vom GWC angestrengten Prozessen KlägerInnen insgesamt eine Million Dollar an unbezahltem Lohn zugesprochen, während jedoch insgesamt 80 Millionen jährlich nicht bezahlt werden. Selbst von dem offiziell gewonnenen Geld wird nur ein Bruchteil ausbezahlt, da sich die Firmen durch Konkurse, Umbenennung, Standortwechsel etc. häufig aus der Affäre ziehen können. Und ohne die Gewerkschaft im Rücken ist auch der Aufbau von Kampagnen eine sehr fordernde Aufgabe und das Fundraising vereinnahmt oft viel zu viele der ohnehin schmalen Kräfte. Auch die größeren Worker Centers haben fast immer weniger als zehn bezahlte MitarbeiterInnen.
Dementsprechend wurden in der gewerkschaftstheoretischen Debatte auch schon verschiedene Modelle der Union-Community-Coalition angedacht.25 In der Praxis allerdings meinen zwar zwei Drittel der Gewerkschaften, mit Community-Organisationen zusammenzuarbeiten, auf Seiten der Worker Centers geben aber nur etwa 14 Prozent an, in engem Kontakt mit Gewerkschaften zu stehen.26 Janice Fine macht hier drei Ebenen aus, die die Probleme in der Zusammenarbeit erklären: Struktur, Kultur und Ideologie.27 Die Strukturen der Gewerkschaft sind rigide und formalisiert, während sie bei den Worker Centers flexibel sind und die Mitgliedschaft nicht auf finanziellen, sondern aktivistischen Beiträgen beruht. Innerhalb der Gewerkschaften herrscht eine Kultur festgefahrener Rituale mit einem Fokus auf weiße, männliche Arbeiter, welche potentielle Mitglieder mit Migrationshintergrund abschreckt. Und schließlich ist die unterschiedliche ideologische Ausrichtung das größte Hindernis: Fine sieht hier die Gewerkschaften stärker im Staat- und Marktsystem eingebunden, während sie Worker Centers eher zu den Community- bzw. Social Movement-Organisationen zählt.
Dass dieser Spalt aber nicht unüberbrückbar ist, zeigen zwei jüngere Entwicklungen: Ende 2006 trat die New York City Taxi Workers Alliance als erstes Worker Center offiziell der Gewerkschaft bei und im selben Jahr macht die AFL-CIO dem National Day Laborer Organizing Network ein Kooperationsangebot. Dies zeigt „eine neue Richtung, wie zumindest ein Teil der organisierten ArbeiterInnenbewegung in den USA sich selbst sieht.“28
Für die Social Movement Unionism-Debatte wird deutlich, dass man bei den drei häufig genannten Eckpfeilern, Demokratie, Klassenstandpunkt und Öffnung zu anderen Organisationen, nicht einfach an einer Ecke anfangen und hoffen kann, dass der Rest von selbst passiert. Eine so genannte Öffnung erfordert nicht nur eine theoretische Redefinition des Klassenbegriffs, sondern muss sich auch in Strategien und Praxen der Gewerkschaften niederschlagen. Der unter dem Schlagwort ‚Kultur‘ angesprochene Aspekt eines gewissen Habitus und einer Fokussierung des weißen, männlichen Teils der ArbeiterInnenklasse kann nur bearbeitet werden, wenn auch Forderungen zu MigrantInnenrechten auf die Agenda der Gewerkschaften gesetzt werden und die Zusammenarbeit auf allen Ebenen forciert wird. Gerade wenn progressive Gewerkschaften Bündnisse mit Organisationen sozialer Bewegungen anstreben, oder wie im SMU-Konzept formuliert selbst zur Sozialen Bewegung werden wollen, dürfen sie sich nicht nur mit der Verbesserung der ökonomischen Situation ihrer Mitglieder auseinandersetzen, sondern müssen politische Forderungen, gerade vor dem Hintergrund der Veränderungen der Zusammensetzung der ArbeiterInnenklasse, aufnehmen.
1 Stand 2007, Quelle „Bureau of Labor Statistics“ http://www.bls.gov/news.release/union2.nr0.htm
2 Kim Moody, Autor und ehemaliger Herausgeber der Labor Notes, meint den turning point 1980-81 mit dem verlorenen Fluglotsen-Streik (PATCO) auszumachen.
3 AFL-CIO = American Federation of Labor and Congress of Industrial Organizations und CTW = Change to Win Federation.
4 Asenbaum, Maria/ Hädicke Karin: Gewerkschaft bewegen. Perspektiven Nr. 3 (2007).
5 Vgl. z. B. Waterman, Peter: The New Social Unionism: A New Union model for a New World Order, in: Munck, Ronaldo/ Wateman, Peter (Hg.): Labour Worldwide in the Era of Globalisation. Alternative Union Models in the New World Order, London 1999.
6 www.labornotes.org
7 Nach Kim, Susanne: Gewerkschaften zwischen Organisation und Bewegung im Zeitalter der Globalisierung. Zur Konzeption des „Social Movement Unionism“. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Hamburg 2004.
8 Fisher, Robert: Let the People Decide: Neighborhood Organizing in America, New York 1994
9 Honey, Cheryll: Community Organizing past present an future. Commorg Papers 2006.
10 Zur Gründung der CIO siehe auch Philipp Probsts Artikel in dieser Ausgabe.
11 Alinsky, Saul: Reveille for Radicals. Vintage Books 1991. (Erstausgabe 1946)
12 Fisher, Robert: Community Organizing – the importance of the historical context. In: Dennis Keating, Norman Krumholz, Phil Star (eds.): Revitalizing urban neighbourhoods. University Press of Kansas 1996.
13 “[to] correct the market’s failure to provide jobs and services to the community”. Marquez, Benjamin: Mexican American Community Development Corporations and the Limits of Directed Capitalism. Economic Development Quaterly 7, 3 (1996). Nach Fisher, a.a.O.
14 Honey, a.a.O.
15 Fine, Janice: Worker Center – Organizing communities on the edge of a dream. Ithaca, NY and Washington, DC (2006).
16 Wildcat, 78, Winter 2006/07
17 Die Zahlen variieren hier beträchtlich; nicht alle der als „Worker Centres“ untersuchten Einrichtungen bezeichnen sich selbst als solche. Vgl. Fine, a.a.O.
18 Lee, Kimi: Six Years of Workers Organizing in the Fight for Social & Economic Justice. Bericht zum 6-jährigen Bestehen des GWC. December 6, 2007.
19 Sullivan, Richard: Organizing Immigrants in America‘s Sweatshops: The Los Angeles Garment Worker Center. Paper Presented at American Sociological Association Annual Meeting August 14, 2007.
20 ebd.
21 “to empower garment workers in the greater Los Angeles area and to work in solidarity with other low-wage immigrant workers and disenfranchised communities in the struggle for social, economic and environmental justice”
22 “I mean, you saw last night we had these workers who were learning about the war and [while] it’s not helping them get a paycheck, it’s helping them…go to other things and see other places and meet new people….So there [are] some little things like that that just help to build a relationship”. Sullivan, a.a.O., S. 20
23 ebd.
24 US-weit demonstrierten am 1. Mai 2006 über eine Millionen Menschen gegen den die strikten Einwanderungsgesetzte, im ganzen Land wurden Betriebe und Geschäfte bestreikt.
25 Tattersall, Amanda: From union-community coalitions to community unionism? A look at the pattern of recent union relationships with community organisations. In: NSW Community and Unions 2004. Trades Hall, Victoria 2004.
26 Fine, Janice: A Marriage Made in Heaven? Mismatches and Misunderstandings between Worker Centres and Unions. British Journal of Industrial Relations 45 (2007), 337-364.
27 ebd.
28 Moody, a.a.O.