Artikel drucken Twitter Email Facebook

Gustostückerl
von Philipp

Man verliert ja leicht den Überblick: tausende polische Zeitschriften, Magazine, wissenschaftliche Journals und nicht zuletzt Webseiten und Blogs produzieren am laufenden Band mehr oder weniger spannende Artikel, und manche davon sehen wir als Beiträge zu dem Projekt, dem sich auch Perspektiven widmet: die (Weiter-)Entwicklung linker Theorie und Praxis. An dieser Stelle unseres Magazins wollen wir deshalb nun und in Zukunft einige Gustostückerl der internationalen Textproduktion vorstellen: Artikel, die wir spannend, interessant und lesenswert finden, besonders wenn sie sich auf Themen beziehen, die wir auch in Perspektiven behandeln. Unsere Vorschläge können also auch als Updates zu Artikeln verstanden werden, die wir euch in den letzten Ausgaben präsentiert haben.

Weil aber auch das Perspektiven-Team über eine begrenzte Zahl von Augen und Ohren verfügt, brauchen wir eure Hilfe: wenn ihr auf einen jüngst erschienen Text stößt, von dem ihr meint er passt hierher, schickt uns doch einfach eine kurze Mail an redaktion@perspektiven-online.at, mit den bibliographischen Daten und einem Satz, weshalb ihr den Beitrag für wichtig haltet.

Ein Thema, das uns wohl über längere Zeit begleiten wird, ist die globale Wirtschaftskrise, und nachdem die Erklärung solcher Krisen sozusagen zum Kerngeschäft linker Theorie und Analyse gehört (MarxistInnen haben bekanntlich zehn der letzten drei Wirtschaftskrisen vorhergesagt), gehen die spannenden Beiträge allein zu diesem Thema in die Hunderte. Eine Ressource von unschätzbarem Wert stellt deshalb die Webseite Radical Perspectives on the Crisis dar, die thematisch geordnet Beiträge zu allen Aspekten der Krise sammelt. Dort ist etwa ein besonders anregender Beitrag des marxistischen Ökonomen Costas Lapavitsas zum theoretischen Verständnis der Krise zu finden: Financialised Capitalism: Direct Exploitation and Periodic Bubbles argumentiert, dass eine Form der „direkten Enteignung“ charakteristisch für den finanzialisierten Kapitalismus der letzten dreißig Jahre ist, in der das Finanz- und Bankensystem direkt auf die Einkommen der Lohnabhängigen zugreift. Die aktuelle Wirtschaftskrise, die ihren Ausgangspunkt ja in „faulen“ Subprime-Krediten hatte, ist demnach auch auf diese Finanzialisierung der Einkommen zurückzuführen.

Als Nachtrag zu Robert Brenners Erklärung der Krise, die wir in Perspektiven Nr. 5 abgedruckt haben, können drei Beiträge in New Left Review Nr. 54 (Nov/Dez 2008) gelesen werden. Hier üben mit Nicholas Crafts, Michel Aglietta und Kozo Yamamura drei heterodoxe Ökonomen Kritik an Brenners zentraler These, dass sich die Weltwirtschaft seit Mitte der 1970er Jahre in einer langen Profitkrise befindet, die nur durch einen kurzen Mini-Aufschwung in den 1990er unterbrochen worden war. Eine Antwort Brenners auf seine Kritiker ist für eine der nächsten Ausgaben von NLR angekündigt – man darf gespannt sein.

Auch der thematische Schwerpunkt unserer letzten Ausgabe – „Brüche im US-Imperium“ – bedarf nach der Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten einiger Updates. Eine interessante Sammlung von Einschätzungen verschiedener linker AktivistInnen und Intellektueller aus den USA – darunter Noam Chomsky, Jonathan Neale, Gary Younge und der Black Panther David Hilliard – zu den Chancen für einen echten Change in den USA findet sich in Socialist Review (Dezember 2008).

Ebenfalls in Perspektiven Nr. 6 schrieb Philipp Probst über die Geschichte der Industrial Workers of the World. Wer seinen Artikel spannend fand, wird sich über den Beitrag von John Newsinger über die Kämpfe der Philadelphia Wobblies freuen, erschienen in International Socialism (Nr. 120).

Im insgesamt äußerst lesenswerten Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe der Prokla (Nr. 153) zu den „USA nach Bush“ möchten wir besonders auf den Aufsatz von Margit Mayer hinweisen, die am Beispiel Los Angeles die Armutspolitik in US-amerikanischen Städten analysiert. Sie zeigt, wie die auf soziale Kohäsion und sozialräumliche Revitalisierung zielenden Ansätze der Sozialund Stadt(teil)politik die Armen in den innerstädtischen „Problemzonen“ über welfare-to-work-Programme in prekäre Jobs zwingen, während diejenigen, die das nicht schaffen können oder wollen, dem Strafsystem überantwortet werden. Neu ist dabei vor allem der Einsatz von Non-Profit- und Community-Organisationen (auch der vieldiskutierten Worker Centers), die zunehmend in die Workfare-Verwaltung integriert worden sind und dadurch zur Schaffung und Stabilisierung von Nischenmärkten im Niedriglohnsektor beitragen. In der gleichen Prokla-Ausgabe fasst der Beitrag von Hae-Lin Choi die Debatten in der US-amerikanischen Organizing-Gewerkschaft SEIU um das Verhältnis von Mitgliedergewinnung und innergewerkschaftlicher Demokratie zusammen, und schließt damit an Maria Asenbaums Diskussion des Organizing-Ansatzes in Perspektiven Nr. 3 an.

Mit den Klassenkämpfen und Unruhen in China beschäftigt sich Perspektiven mittlerweile über mehrere Ausgaben – zuletzt konnten wir in Wien eine Diskussionsveranstaltung mit Pun Ngai aus Hong Kong mitorganisieren. Ihr Besuch ermöglichte es auch unseren FreundInnen von der Zeitschrift grundrisse, ein ausführliches Interview mit ihr zu den jüngeren Entwicklungen der Kämpfe der dagongmei, der Wanderarbeiterinnen im Süden Chinas, zu führen.
Eine zwar nicht ganz neue, aber dennoch äußerst anregende Perspektive auf das Spannungsverhältnis zwischen städtischen IndustriearbeiterInnen und dem KP-Regime in China werfen John Hassard, Jackie Sheehan und Xiao Yuxin in Capital & Class (Herbst 2008). Die Stärke des Artikels liegt in der Verknüpfung einer Ursachenanalyse für die steigende Zahl der ArbeiterInnenkämpfe im Verlauf der Restrukturierung chinesischer Staatsbetriebe mit einer Untersuchung staatlicher Gegen- bzw. Einhegungsstrategien. Die AutorInnen argumentieren überzeugend, dass die KPCh im Gegensatz zur Lockerung der staatlichen Kontrolle über die Wirtschaft nicht bereit ist, dem zunehmenden Druck nach unabhängiger gewerkschaftlicher Organisierung nachzugeben, sich unter den ArbeiterInnen jedoch neues Klassenbewusstsein entwickelt und somit eine Intensivierung der Auseinandersetzungen zu erwarten ist.

Eine Herausforderung, der wir uns ob der traurigen Aktualität noch länger stellen werden, ist die Auseinandersetzung mit Islamophobie und Kulturrassismus. Der Schwerpunkt von Perspektiven Nr. 4. drehte sich um diese Problematik. Wer zu dem Thema weiter lesen möchte, dem/der sei die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift der.wisch nahe gelegt. Dort beschreibt etwa der Beitrag von Liz Fekete, wie Islamfeindlichkeit europaweit in die Politik Einzug hält, wie der Verweis auf kulturelle Differenz an die Stelle offen rassistischer Rechtfertigungen getreten ist, was unter Aufklärungsfundamentalismus zu verstehen ist, wie mit vermeintlich feministischen Argumenten gegen „den Islam“ ins Feld gezogen wird und wie ein neuer, antirassistischer Feminismus aussehen müsste.

Zum Nachlesen:

Lapavitsas, Costas: “Financialised Capitalism. Direct Exploitation and Periodic Bubbles”, May 2008, online zu finden auf der Seite Radical Perspectives on the Crisis, http://sites.google.com/site/radicalperspectivesonthecrisis/

Crafts, Nicholas: “Profits of Doom?”; Aglietta, Michel: “Into a New Growth Regime”; Yamamura, Kozo: “More System, Please”, alle in: New Left Review, Nr. 54, Nov/Dez 2008, 49-85

Feature: After the Elections, in Socialist Review, December 2008, online unter http://www.socialistreview.org.uk/issue.php?issue=331

Mayer, Margit: Armutspolitik in US-amerikanischen Städten;
Choi, Hae-Lin: State of the Union. Die widersprüchliche Entwicklung der US-Gewerkschaften zwischen Verzweiflung und Hoffnung; beide in: Prokla 153 (2008), 569-593 und 595-612

Newsinger, John: Philadelphia Wobblies, in: International Socialism Journal Nr. 120, Herbst 2008, 167-180, online unter http://www.isj.org.uk/index.php4?id=488&issue=120

Pun Ngai: „Deshalb spreche ich immer von Arbeit und Körper, denn mit dem Körper kommt mehr Subjektivität ins Spiel…“, in: grundrisse Nr. 28, 4–12, online unter http://www.grundrisse.net/grundrisse28/dagongmei.htm

Hassard, John / Sheehan, Jackie / Xiao, Yuxin: „Chinese state-enterprise reform: Economic transition, labour unrest and worker representation“, in Capital & Class, Nr. 96, Herbst 2008, 31-52.

Fekete, Liz: Aufgeklärter Fundamentalismus? Einwanderung, Islam und andere Kulturdelikte; in: Kulturverein Kanafani (Hg.): der.wisch 05 – Kulturdelikt. Wenn die Aufklärung fundamentalistisch wird. Wien, September 2008 / Ramadan 1429, 4-28





Artikel drucken Twitter Email Facebook