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Sanfte Verdrängung: Gentrifizierung in Wien
von Jakob Weingartner, Katharina Hajek und Felix Wiegand

Gentrifizierung gibt es in Wien nicht, meint die sozialdemokratische Stadtverwaltung. Über diese Realitätsverweigerung sprachen Katharina Hajek und Felix Wiegand mit Jakob Weingartner, der sich intensiv mit dieser Frage auseinander gesetzt hat. Er erklärt, was das Wiener Brunnenviertel mit der New Yorker Lower East Side zu tun haben könnte, inwiefern sich ImmobilieninvestorInnen und die Sanfte Stadterneuerung perfekt ergänzen und welche Rolle dabei KünstlerInnen, Dachterrassen und Fußballkäfige einnehmen.

Das Thema Gentrifizierung hat es mittlerweile bis in die Mainstream-Medien geschafft. Weitläufig wird damit der Prozess der ökonomischen und symbolischen Aufwertung eines Grätzels, der Zuzug neuer, kaufkräftigerer BewohnerInnen und die Verdrängung der bestehenden, sozial schwächeren Bevölkerung bezeichnet. Kannst Du uns ein bisschen mehr über den theoretischen Background des Gentrifzierungs-Begriffs erzählen?

Den Begriff der Gentrifizierung haben sich kritische UrbanistInnen im Zuge der 1970er und -80er Jahre auf die Fahnen geschrieben, um einen Kontrapunkt zum bis dahin im urbanistischen Diskurs dominierenden neoklassischen Axiom zu setzen. In den 1970er Jahren wurde von vielen UrbanistInnen der Marxismus entdeckt. Die Koryphäe war Henri Lefebvre. Er hat die Erfahrungen der Aufstände von 1968 – gerade auch in Paris – genutzt, und darauf aufbauend versucht, die marxistische Analyse in den Raum zu übersetzen. Das war lange ein blinder Fleck im Marxismus. Es gibt die berühmte Analyse von Engels über die Armenquartiere in Manchester, wo er von Kapital- und Arbeitskraftkonzentration spricht und einer schlimmen Verslumung, die sich daraus ergibt; aber viel mehr…? Lefebvre hat die marxistischen Axiome und die Unterscheidung von Gebrauchs- und Tauschwert genutzt, um zu fragen: Welche Interessen hat das Kapital am Raum, welche die ArbeiterInnen? Für ArbeiterInnen hat der Raum v. a. einen Gebrauchswert: da wo ich wohne, da möchte ich mich wohlfühlen, da möchte ich mich ausruhen von der Arbeit usw. Die Kapitalseite sieht im Raum ganz etwas Anderes. Der geht es darum, Mehrwert zu erwirtschaften. Dazu muss man Raum abstrahieren und mit Nummern versehen, damit man ihn dann verkaufen oder vermieten kann. Diesen primären Widerspruch hat Lefebvre sehr schön beschrieben. Darauf haben dann andere marxistisch geprägte UrbanistInnen aufgebaut, David Harvey war unter anderem sehr wichtig. In den 1980er Jahren, als an den Universitäten heftige ideologische Grabenkämpfe herrschten, wie Raum überhaupt zu diskutieren sei, hat Neil Smith, anknüpfend an Harvey, das erste Mal eine wirklich umfassende und schlüssige Gentrifizierungs-Theorie aufgestellt.

Worin besteht der Kern des Zugangs von Smith? Kannst Du Beispiele nennen, die das illustrieren?

Zentral ist der Blick auf die zyklische Entwicklung des Kapitalismus. In der Stadt existieren die Rahmenbedingungen für die Produktionsbedürfnisse des Kapitalismus in physisch-materieller, räumlicher Form. Wegen der permanenten Umwälzung der Produktion werden die Produktionsstätten, die Infrastruktur etc. immer wieder unproduktiv, sie verlieren ihre Aktualität. Es kommt zu Desinvestition. Die Container-Technologie hat z. B. dazu geführt, dass extrem viele Hafenstrukturen, die vorher im Zusammenhang mit Massenproduktion und Warenhandel wichtig waren, plötzlich nicht mehr genutzt wurden, brach lagen und dem Verfall anheim fielen. Die Docklands in London oder in Brooklyn sind gute Beispiele. Wo vorher noch viel Kapital investiert wurde, damit der Hafen gut funktioniert, geriet plötzlich der räumliche Produktionszyklus in die Krise. Das Kapital wurde im großen Stil abgezogen, weil es dort Nichts mehr zu holen gab. Heute sind die Docklands aber genau wegen dieser Desinvestition so interessant: Es gibt diese Räumlichkeiten, Lagerhallen usw., die man umbauen kann, aber das Gebiet ist völlig unterbewertet. Das ist natürlich der feuchte Traum jedes Developers. Weil der Raum extrem niedrig bewertet ist, kann er oder sie über ein Kapitalinvestment eine riesige Gewinnspanne herausholen, d. h. der so genannte rent-gap ist extrem breit. Nicht umsonst sind diese Docklands heute ein sehr wichtiger Anziehungspunkt für Kapital und Gentrifizierung. Das nennt sich dann Waterfront-Development und ist z. B. in der Hafencity in Hamburg gut zu beobachten. Dabei spielt auch der symbolische Aspekt eine große Rolle: Es gibt heute nichts Heißeres für ein Architekturbüro, als in einer ehemaligen Lagerhalle mit Klinkersteinen sein Büro zu haben, mit Blick übers Wasser. Es ist faszinierend, wie eine Struktur, die in einem bestimmten kapitalistischen Zykus eine spezifische Funktion hatte, heutzutage plötzlich eine völlige andere Benutzung erfährt, während gleichzeitig noch die Identitäten und die proletarische Authentizität – das Schaffen, das Wirken aus der Vergangenheit – in die Gegenwart hineinwabert.
Wenn man sich nicht Hafengebiete, sondern normale Stadtviertel anschaut – Neil Smith hat das für die Lower East Side in New York gemacht – dann sind hier ganz ähnliche Prozesse zu beobachten. Die Lower East Side hat ebenso über viele Jahrzehnte eine starke Desinvestition erfahren. Es war eine heruntergekommene Gegend mit hoher Kriminalität, aber man konnte dort billig wohnen, was vor allem für MigrantInnen interessant war. Gleichzeitig war es auch ein Viertel, wo Dinge möglich waren, die woanders nicht möglich waren. Der Punkrock ist beispielsweise dort entstanden, es wurde mit neuen Geschlechterkonstruktionen gespielt usw., d. h. es war ein Stück weit auch ein Labor für spätere gesellschaftliche Entwicklungen. Gerade aufgrund der Desinvestiton konnte Gentrifizierung in der Lower East Side so einen Triumphzug erleben. Gentrifizierung versteht man nur, wenn man es in einem breiteren historischen Kontext verortet: Dass in Städten immer wieder Viertel eine Kapitalflucht erleben, ist notwendig, damit das Kapital danach unter möglichst großem Triumph wieder einziehen kann.

Was verrät eine solche Perspektive denn über Wien? Es heißt ja oft, hier würden besondere Bedingungen herrschen und es gäbe deshalb gar keine Gentrifizierung.

Zunächst darf man nicht den Fehler machen, in der Gentrifizierungs-Theorie ein Werkzeug zu sehen, das man auf alle möglichen Städte einfach anwenden kann. Man muss sich die historischen und sozialräumlichen Kontexte genau anschauen. Also: Das Besondere an Wien ist der soziale Wohnbau – Wien hat neben den so genannten realsozialistischen Staaten das weltweit höchste Budget für sozialen Wohnbau. Warum der Stadt das so wichtig ist und sie in diesen Sektor so viel Geld hineinpumpt, kann historisch aus dem Roten Wien erklärt werden. Bis Mitte der 1970er Jahre hat Wien im Wohnbau wirklich einen beispiellosen Aufwand betrieben. Wie auch an vielen anderen Orten in Europa wurden zu dieser Zeit in Wien v. a. riesige, fordistisch-standardisierte Wohnsilos am Stadtrand gebaut, z. B. die Per-Albin-Hansson-Siedlung. Dadurch war es möglich, dass die klientilistisch an die SPÖ gebundene ArbeiterInnenschaft aus dem miesen innerstädtischen Wohnraum heraus gekommen ist, aus den zum Teil noch zerbombten Häusern, aus den Substandardwohnungen. Das war das sozialdemokratische Entwicklungsmodell der Nachkriegszeit für Wien, das natürlich auch nur unter der sozialdemokratischen Hegemonie durchsetzbar war. Das Problem, das sich für die Stadt Wien gestellt hat, war jedoch: Was passiert mit dem Wohnraum, der brach liegt, wenn Leute wegziehen und ihre alten Wohnungen zurücklassen? Es gab in Wien bis Mitte der 1970er Jahre tatsächlich einen sehr hohen Leerstand. Das öffentliche Geld wurde in die Großprojekte am Stadtrand gesteckt und die Innenstädte stagnierten. Weil der Trend in Richtung Stadtrandsiedlung ging, kamen auch Privatinvestitionen völlig zum Erliegen, d. h. privates Kapital floss nicht mehr in die Innenbezirke. Der Stadtverwaltung wurde schnell klar: Da muss man gegensteuern. Deswegen haben sie dann die Werkzeuge der berühmten Sanften Stadterneuerung geschaffen.

Kannst Du erklären, in welchem Kontext das Konzept der Sanften Stadterneuerung in Wien das erste Mal zu Anwendung kam und was genau dieses Instrument beinhaltet?

In den 1970er Jahren sollten die historischen Gebäude am Spittelberg im 7. Bezirk geschliffen und stattdessen riesige Wohnbauten errichtet werden. Dieser Form der technokratischen Stadtplanung hat sich eine Viertel-Bewegung von unten entgegengesetzt. Die Bewegung war eine Koalition aus durchaus linken Amerlinghaus-BesetzerInnen und bürgerlichen ÖVP-WählerInnen, welche sich die Planung von oben nicht mehr gefallen lassen und die historischen Strukturen retten wollten. Dieses Bündnis hat es geschafft, die Bagger zu stoppen: Der Spittelberg wurde nicht abgerissen, stattdessen wurde seine Renovierung von den damals neu geschaffenen Instrumenten der Sanften Stadterneuerung staatlich gefördert. Das Faszinierende an diesem ganzen Prozess war, dass es der sozialdemokratischen Stadtverwaltung gelungen ist, den Widerstand dieser post-68er Bewegung aufzugreifen und etwas Neues daraus zu machen. Das ist wie stadtplanerisches Aikido: die Kraft dieser Bewegung wurde aufgenommen und daraus die Sanfte Stadterneuerung gebastelt. Ich habe das Gefühl, dass das auch eine neue soziale Formation war, die sich da gewehrt hat. Genau diese soziale Formation, die sich aus den 68ern heraus entwickelt hat und ihre Vorstellungen der Stadt-Nutzung in die Stadtplanung rein getragen haben, gehört heute zur neuen Elite der Stadt Wien: akademisch gebildete, ursprünglich aktivistische Leute, die später dann verbürgerlicht sind und den Spittelberg heute zu dem gemacht haben, was er ist: ein Freilicht-Museum, dass sich wirklich nur die reichsten Leute leisten können. Diese „Spittelbergisierung“ kann als Folge der Sanften Stadterneuerung gesehen werden, es geht um eine Art „sanfte“ Gentrifizierung.
Im Endeffekt ist die Idee der Sanften Stadterneuerung, dass die öffentliche Hand Anreize für private InvestorInnen schafft, wieder in den innerstädtischen Wohnbereich, in Gründerzeithäuser zu investieren und den Wohnstandard zu erhalten bzw. zu verbessern. Das beinhaltet allerdings die Möglichkeit einer nachfolgenden Erhöhung des Mietzinses. Konkret funktioniert das so: Du hast ein Haus, in dem es sehr viele Substandardwohnungen gibt. Jetzt kann ein privater Investor, beispielsweise eine Renovierungsgesellschaft, einen Antrag auf Förderung bei der Stadt Wien stellen. Jeder Antrag wird nach einem Punktesystem bewertet. Verschiedene Faktoren wirken sich positiv auf das Fördervolumen aus: Maßnahmen, die den Allgemeinzustand des Hauses verbessern, ökologische Kriterien, das Installieren eines Aufzugs etc. Allerdings kann nur saniert werden, wenn in dem Haus Kategorie C oder D Wohnungen überwiegen. Wenn das alles gegeben ist, schießt die Stadt Wien während eines Zeitraums von zehn Jahren 50 Prozent der Renovierungskosten zu. Über diesen Zeitraum hinweg wird das Ansteigen des Mietniveaus limitiert, aber nicht verhindert. Was danach passiert, ist wieder eine ganz andere Frage. Sobald privates Investitionskapital in ein ArbeiterInnenviertel gelockt wird und es zu Aufwertungen kommt, wirst du es mit einem Verdrängungsphänomen zu tun haben. Wo soll denn das Geld herkommen für die aufgewerteten Wohnungen? Außerdem ist Sanfte Stadterneuerung immer auch Wohnungsbau: Es werden Zimmer zusammengelegt und größere Wohneinheiten geschaffen. Der Anteil an Wohnungen unter 35m2 ist zwischen 1971 und 2001 von 18,7 auf 7,8 Prozent gesunken. Das Problem ist aber: Kannst du dir die größere Wohnung dann auch leisten? Du musst ja plötzlich zwei Wohnungen bezahlen, dafür musst du dann aber viel mehr verdienen. Damit stoßen wir dann schon wieder an die Grenzen der Sanften Stadterneuerung, oft geht es einfach auch um die Quadratmeter. Insgesamt wird den negativen Konsequenzen der Bestandserhaltung bzw. -verbesserung einfach zu wenig Beachtung geschenkt.

Worin bestanden denn die Auswirkungen dieses Instruments der Sanften Stadterneuerung für den gesamten Wiener Raum?

Mit der Sanften Stadterneuerung hat es die Stadt Wien wirklich geschafft, den Negativtrend, von dem ich gesprochen habe, herumzureißen: Es begann wieder – auch privates – Investitionskapital in den Altbausektor zu fließen. Der Anteil von Substandardwohnungen mit WC und Wasser am Gang hat zwischen 1971 und 2001 von 33 auf 7,6 Prozent abgenommen. Gleichzeitig gewannen aber natürlich auch die Widersprüche des kapitalistischen Wohnungsmarktes wieder an Bedeutung, und das ist genau die Krux der Sanften Stadterneuerung: Einerseits wird der Wohnraum mit Hilfe von Privatkapital aufgewertet. Andererseits entstehen dann auch wirklich negative Konsequenzen, denn das Privatkapital möchte aus der Aufwertung natürlich Profit schlagen, durch höhere Mieten. Gewisse Bevölkerungsschichten können sich die Wohnungen einfach nicht mehr leisten und müssen dann in andere Stadtteile ziehen.
Einer dieser anderen Stadtteile war in den 1980er Jahren Ottakring und insbesondere das Brunnenviertel. Dazu muss man wissen: Österreich und Wien haben zu der Zeit eine starke Migration erfahren, d. h. es wurden sehr viele Arbeitskräfte angeworben. Man hat angenommen, dass sie nur für einen kurzen Zeitraum in Wien bleiben und dann wieder „nach Hause“ geschickt werden. Nur, diese Leute sind geblieben, ihre Arbeitskraft wurde gebraucht. Und sie mussten irgendwo wohnen. Weil im innerstädtischen Bereich durch die Sanierungsaktivitäten der Stadt Wien immer mehr Substandardwohnungen verloren gingen und die Gemeindebauten ihnen verschlossen waren, haben diese Leute dann eben andere Räume gesucht. Ottakring und hier insbesondere das Brunnenviertel waren so ein Auffangbecken. Da konnte man auch als MigrantIn einen Vertrag für eine Wohnung bekommen. Gleichzeitig war es so, dass die mehrheitsösterreichische ArbeiterInnenschaft aus dem Brunnenviertel in die großen Siedlungen gezogen ist, weil sie die Schnauze voll hatte von Altbau-Wohnungen mit Klo auf dem Gang, keinem fließenden Wasser in der Wohnung, etc.. Es hat sich hier im Raum etwas niedergeschlagen, was auf einer breiten gesellschaftlichen Ebene passiert ist: der mehrheitsösterreichischen ArbeiterInnenschaft gelang der Aufstieg mit Hilfe der Sozialdemokratie und der Sozialpartnerschaft. Die Räume und das Vakuum, das sich unten aufgetan hat, wurden von migrantischen Arbeitskräften aufgefüllt. Das kann man im Produktionsprozess sehen, wo die MigrantInnen die miesen Jobs übernommen haben, aber man sieht das eben auch im urbanen Prozess. Im Endeffekt haben die MigrantInnen im Brunnenviertel aber doch nicht so billig gewohnt, weil es sich schnell rumgesprochen hat, dass eine sozial verletzliche Bevölkerungsformation in diese Gebiete zieht. HausbesitzerInnen und Miethaie haben die Schwäche der MigrantInen ausgenutzt, um denen für schlechten Wohnraum hohe Mieten abzuziehen, ohne dafür irgendetwas in die Häuser zu investieren. Die Gegend war insofern von starker Desinvestition und Kapitalexodus geprägt. Es kam zu einer gewissen „Verslumung“ im Brunnenviertel.
Trotzdem haben es türkische oder jugoslawische ÖsterreicherInnen geschafft, aus dem Brunnenviertel das zu machen, was es heute ist. Es ist eben kein Ghetto: Es gibt Grätzel, es gibt soziale Kohäsion, es gibt Kommunikation. Es nervt mich wahnsinnig, wenn man das Brunnenviertel als verbrannte Erde darstellt, wo sich eh nur die „Tschuschen“ den „Schädel einschlagen“. Das ist Quatsch. Es ist ein Viertel, das über viele Jahrzehnte in einer Krise war, aber trotz dieser Krise haben es die Leute dort geschafft, ein lebendiges Viertel zu schaffen, von dem ZuzüglerInnen heute profitieren!

Wie wurde aus dem Brunnenviertel der 1970er und -80er Jahre das, was man heute sieht, wenn man den Yppenplatz betritt?

Das ist eine sehr gute Frage. Ich glaube, man muss das im Kontext der berühmten Gürtelsanierung sehen. Es gibt in Wien einen Stadtentwicklungsplan, in dem die Stadt ihre primären Entwicklungsgebiete definiert und festlegt, was mit der Stadt in Zukunft passieren soll. Ende der 1990er Jahre war das Gürtelgebiet eine ganz wichtige Zone dieses Plans, ein sogenannter Fokus-Point. Der Gürtel war und ist ja immer noch ein bisschen ein Rotlichtgebiet. Bis hinein in die 1990er Jahre war das die No-Go-Area von Wien. Eine Gegend, wo man mit dem Auto durchfährt, aber nicht spazieren geht; wo die Mutter der Tochter beim Vorbeifahren die Augen zuhält; Das war der Gürtel, eine Gegend, wo der „g’schupfte Ferdl“ am Wochenende mit dem Feitl im Sack Tanzen geht.
Die Stadt Wien ist angetreten, das zu ändern. Es war aber klar, dass gerade bei dieser Fama das private Kapital nie in irgendwelche Projekte am Gürtel investieren würde. Wien hat aber die neoliberalen Zeichen der Zeit erkannt: statt die soziale Situation in der Stadt durch viertelübergreifende, öffentliche Investitionen zu ändern, versucht man, Public-Private-Partnerships (PPP) zu schaffen. Dabei geht es darum, das öffentliche Subventionen einen privaten Kapitalzufluss vereinfachen oder ermöglichen sollen. Letztlich wird versucht, den Standortwettbewerb über öffentliche Mittel für sich zu entscheiden. Und genau das ist am Gürtel passiert. Man hat dort versucht, einen kreativen Cluster anzusiedeln, indem man z. B. Clubs die Gürtellokale zur Verfügung gestellt hat, gratis oder sehr billig. Dann gab es dieses IP2-Projekt [futuristisches Bürogebäude am Gürtel, Anm. d. Red.], wofür Kapital von der Sparkasse angeworben wurde. Teilweise haben diese Projekte funktioniert, teilweise auch nicht: die Lokale innerhalb des Gürtelbogens sind erfolgreich, das IP2-Gebäude steht auch da, wobei niemand weiß, was man damit anfangen soll. In jedem Fall wurde als Nebeneffekt dieses Prozesses auch das Brunnenviertel wieder neu entdeckt. Der „MigrantInnenslum“ von Wien hat sich zu einem Fokus für PPP und die Sanfte Stadterneuerung entwickelt. Die Gentrifizierung ist zwar noch in einem relativ frühen Stadium, aber man kann sehr schön beobachten, wie Kunst und Kultur eine Pionierrolle für eine Kapitalrückkehr übernehmen. Interessanterweise haben im Brunnenviertel historisch immer auch MehrheitsösterreicherInnen gewohnt, die sich das Wohnen in anderen Teilen der Stadt nicht leisten konnten oder die gerne dort gewohnt haben. Ein Beispiel ist Ulla Schneider, die Initiatorin des Kunst- und Kulturfestivals Soho in Ottakring. Die wohnt schon ewig in dem Viertel und hatte die Idee, aus den ganzen Leerständen, die sich im Viertel ergeben haben, etwas zu machen. Mit Unterstützung der Stadt Wien, des Grätzel- bzw. Quartiermanagements hat sie dann SoHo in Ottakring aufgebaut. Was nun passierte, war faszinierend zu beobachten: Plötzlich strömten diese Kunst-PionierInnen in das Viertel und was davor noch ein „Problem“ war, was „hässlich“ war, ein leerer oder verklebter Laden, Wettbüros usw., war plötzlich aufregend und interessant, also kulturelles Kapital. Á la „KünstlerInnen gehen jetzt ins Ghetto und machen was draus“.
Dabei wurde den SoHo in Ottakring-Leuten schnell klar, dass sie vielleicht auch instrumentalisiert werden, dass sie sich mit den Geistern auseinandersetzen müssen, die sie riefen. Sie haben dann versucht, mit einer klar antirassistischen Ausrichtung gegenzusteuern. Das haben viele Leute begrüßt, dass SoHo versucht, sich zu politisieren und sagt: „Wir sind hier keine Vermittlungsagentur für leere Ladenräume“. Es gab dann viele Projekte und antirassistische Initiativen, die versucht haben, bei der Geschichte des Viertels anzusetzen und sich damit zu beschäftigen. Das ist auf relativ positiven Respons gestoßen. Dabei ist aber eines der zentralen Dilemmata in Gentrifizierungsprozessen sichtbar geworden: Diese positiven, kleinräumlichen, antirassistischen, durchaus links oder links-liberal geprägten Initiativen laufen natürlich Gefahr, dass sie von jenen Makrokräften überrollt werden, die sie eigentlich kritisieren. Ich glaube, um die Verquickung von Kunst und Gentrifizierung zu erkennen, muss man auch mal den Standpunkt eines/r Immobilieninvestors/in einnehmen.
Conwert ist dafür ein gutes Beispiel, das ist ein wichtiger Player in der Altbaukapitalisierung in Europa. Ich habe mich im Zuge meiner Diplomarbeit mit denen beschäftigt, sie interviewt. Die haben das OSEI-Gebäude, wo das traditionelle Kaufhaus der jüdischen Familie Seidenglanz drinnen war, gekauft und über zwei Jahre für temporäre Nutzung zur Verfügung gestellt, damit sich dort Künstler austoben können. Danach wurde das Gebäude abgerissen. Aus der Perspektive von Conwert – und das wurde mir im Interview ganz offen gesagt – ist die Kunst nur ein selling-point, so kommen sie in das Viertel rein. Die Kunst hat einfach einen besseren Ruf als das Kapital und sie wurde genutzt, um das Conwert-Projekt an die Leute zu verkaufen. Das kostet sie nichts, der Raum wird sowieso nicht genutzt. Also setzen sie da Kunst rein, um Plus-Punkte bei der Bevölkerung zu sammeln. Weil: Irgendwann kommt der Punkt, wo die Abrissbirne da reinkracht. Und dann würden einige Leute wahrscheinlich Probleme machen. Das ist ein potentieller Konfliktpunkt, an dem klar werden könnte, was die mit ihrem Viertel machen wollen. Dann ist die entscheidende Frage, ob die Investmentfirma geschickt war, ob sie es geschafft hat, über einen langen Vorlaufprozess ihr Risikokapital abzusichern. Und ob es ihr gelungen ist, sich über die Kunst ein Gesicht zu verleihen. An und für sich hat so eine Firma ja kein Gesicht, sie ist eine kühl kalkulierende Maschine und vor allem ihren InvestorInnen verpflichtet.
Als KulturschaffendeR muss man sich schon fragen, ob man nicht vielleicht etwas gesät hat, das dann von einem/einer InvestorIn geerntet werden kann.

Warum ist es denn für ImmobilieninvestorInnen wie Conwert überhaupt derart ökonomisch interessant, gerade in Wien und in Orte wie das Brunnenviertel zu investieren?

Conwert ist eigentlich berühmt dafür, in Osteuropa Zonen aufzuwerten, in denen während des so genannten Realsozialismus Desinvestment stattfand, und dadurch eine riesige rent-gap zu erwirtschaften. Heute wenden sie ihre Taktik aber nicht mehr nur an der [ehemaligen] osteuropäischen Peripherie, also in Städten wie Warschau, Krakau oder Budapest an, sondern eben auch in der Peripherie von Wien, und dort in einem traditionellen, migrantischen ArbeiterInnenbezirk wie dem Brunnenviertel. Sie verfügen über sehr viel Risikokapital und versuchen jetzt neue Zonen zu erschließen. Im Brunnenviertel war die Situation besonders interessant. Zunächst kam es nicht zu einem großen Kapitalzufluss, weil klar war, dass man aus den aufgewerteten Substandardwohnungen verhältnismäßig wenig herausholen kann. Die rent-gap wird durch die Sanfte Stadterneuerung ein Stück weit reduziert. Wo sie aber voll aufklafft und wo sagenhafte Renditen erzielt werden können, das ist in den Dachböden der Häuser. Die sind nicht wirklich eingeschätzt, da können von Eliten-KundInnen hohe Mieten lukriert werden. Deshalb ist der Dachausbau im Brunnenviertel und auch in allen anderen ehemaligen ArbeiterInnenvierteln in Wien für InvestorInnen extrem attraktiv. Manche BauträgerInnen lassen es sich gefallen, ein paar Wohnungen darunter zu renovieren, nur damit sie an das Dachgeschoss heran kommen, wo sie dann ein großes Penthouse errichten.
Oder du machst es gleich so wie es z. B. Conwert beim OSEI gemacht hat, du lässt die Abrissbirne auffahren, reißt das ganze Gebäude nieder und ziehst ohne staatliche Vorgaben vom Reißbrett aus ein neues „Loft-Living-Paradies“ auf. Das sind dann natürlich die krassesten Einschnitte, weil es optisch heraussticht und massiv in Tradition und Stadtbild des Viertels eingreift. Und es kommt eben auch zu einem 100%igen Bevölkerungsaustausch, denn in dem Gebäude ist unten ein Supermarkt und eine Polizeistation und oben wohnen keine Leute, die schon davor im Viertel gewohnt haben.

Sind solche Eingriffe in Wien nicht schwieriger umzusetzen, wegen des starken Einflusses des lokalen Staats?

Die Stadtverwaltung proklamiert bei jeder Gelegenheit „Wien ist anders“ und dass sie Wert darauf legt, dass sich Gentrifizierung bei uns nicht entfalten kann. Wir haben ein starkes MieterInnenschutzgesetz, das noch aus der ersten Republik stammt und welches das Kommodifizierungspotential massiv einschränkt. Das stimmt auch, es gibt dieses MieterInnenschutzgesetz mit Richtzinsen usw. tatsächlich und es ist auch wirklich immer noch eines der progressivsten der Welt. Das ist eine wichtige Errungenschaft aus der ersten Republik, aus dem Roten Wien, die es zu verteidigen gilt. Aber: Dieses Gesetz senkt das Kommodifizierungspotential von Raum in der Stadt. Die Innenbezirke waren durch das MieterInnenschutzgesetz streng reguliert und das Kapital hatte kein Interesse, da groß zu investieren. Das ist die Krux für eine neoliberalisierte Sozialdemokratie, dass sie noch mit den Gesetzen aus dem Roten Wien zu kämpfen hat. Die Sanfte Stadterneuerung war auch eine Antwort auf diese Widersprüchlichkeit. Aus der Perspektive der Stadt Wien sollte sie dem Einfall von internationalem Investitionskapital, wie er für Gentrifizierungsprozesse typisch ist, in die traditionellen und krisenhaft destabilisierten ArbeiterInnenviertel von Wien von vorne herein klare Grenzen setzen. Die Hoffnungen ruhten auf den lokalen Gebietsbetreuungen, die in diesen gründerzeitlichen Zonen eben dafür sorgen sollten, dass es zu einem Zuzug einer mittelständischen sozialen Formation kommt, aber nicht zu einer Vertreibung der alten EinwohnerInnenschaft. Den Spagat, den die Stadt und die Gebietsbetreuung dort täglich versucht, ist einerseits die Rahmenbedingungen für Kapitalzufluss zu schaffen, gleichzeitig aber auch dafür zu sorgen, dass die Leute nicht verdrängt werden.

Was erhofft sich die sozialdemokratische Stadtregierung denn von dieser Aufwertung, warum ist sie politisch gewollt?

Wenn Du mit einem/r Repräsentanten/in der Stadtverwaltung oder so einem/r Quartiers-„ManagerIn“ im Brunnenviertel sprichst, dann werden die sagen: Dieses Viertel ist in einer Krise, wir müssen es retten. Wir wollen, dass die besser verdienende urbane Mittelschicht, eine aufstiegsorientierte soziale Formation, in das Viertel zieht. Die Angehörigen dieser Schicht mit ihren postfordistischen Wirtschaftsformen und ihren alternativen Lebensstilen geben auf dem Markt mehr Geld für teurere Produkte aus. Sie gehen davon aus, das Viertel könne ja nur besser und schöner werden, wenn kaufkräftiges Publikum reinkommt. Insgesamt würde die migrantisch geprägte, lokale Bevölkerung davon profitieren. Man könne die „Ghettoisierung“ des Brunnenviertels – und noch mal, ich glaube nicht, dass es ein Ghetto ist, aber dieses moralische Argument wird bewusst eingesetzt – aufbrechen, indem man da eine Mittelschicht reintransplantiert. Dass soll dann über einen trickle-down-Effekt auch positive Folgen für die dort ansässige Bevölkerung haben. Im Endeffekt sind das reagonomics: Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut. Das sehe ich sehr kritisch.
Auch das Argument, der „Ghettoisierung“ müsse soziale Durchmischung entgegen gesetzt werden, geht meiner Ansicht nach nicht auf: Nur die Nachbarschaft alleine garantiert noch keine soziale Durchmischung. Das ist ja auch das Faszinierende am Brunnenviertel, dass sich dort eine neue soziale Formation ihren Platz nimmt und ganz andere Repräsentationsmodi einbringt. Damit kann die bestehende Bevölkerung oft nicht so viel anfangen. Es kommt zu Parallelphänomenen wie z.B. am Yppenplatz, wo der westliche Teil, wo die Fußballkäfige stehen, stark in türkischer Hand ist, während der andere Teil, der Latte-Machiato- und Bioteil, in der Hand der Zuzügler ist. Wo passiert da die Durchmischung? Die passiert höchstens mal im Konsum, wenn sich einE Falter-LeserIn einen Kebab holt, aber sonst? Die Durchmischung, die von der Stadt Wien versprochen wird, die sich aber dann nur selten erfüllt, die müsste eigentlich von den neuen BewohnerInnen unter politischen Vorzeichen forciert werden. Das ist für mich die Herausforderung, in einem Viertel zu wohnen, das die Stadtväter für die Gentrifizierung auserkoren haben.

Sind Argumente wie Trickle-down-Effekt oder soziale Durchmischung in Zeiten, in denen die Mehrheit der Bevölkerung mit ökonomischer und sozialer Prekarisierung konfrontiert ist, nicht ohnehin absurd? Müssten Aufwertungsprozesse nicht grade jetzt gestoppt und politisch eine De-Kommodifizierung von Wohnraum durchgesetzt werden?

Dass die Einkommensschere auseinandergeht, ist unter kritischen SozialwissenschaftlerInnen ein Allgemeinplatz. Wir sind mit dem Phänomen konfrontiert, dass der Verdienst der meisten Menschen stagniert, während die Mieten steigen. Sie müssen deshalb relativ gesehen immer mehr Geld für ihren Wohnraum aufwenden. Gerade der steigende Anteil derer, die unter prekären Arbeitsbedingungen beschäftigt sind, die nur mehr über wenig Lohn verfügen, ist eigentlich auf ein Angebot von Substandardwohnungen angewiesen. Dagegen argumentiert z. B. Wolfgang Förster, der Leiter des Referats Wohnbauforschung der Stadt Wien, es sei zynisch zu sagen: Wir müssen den miesen Substandard erhalten, damit die Leute eine billige Wohnmöglichkeit haben. Ich verstehe das Argument, aber das Problem ist: Förster ist Protagonist einer Stadtplanung, die den Substandard aufwertet, ohne die negativen Folgen dieser Aufwertung verhindern zu können.
Ich bin der Meinung, dass der Wohnraum eine Umverteilungsfunktion übernehmen muss, dass Wohnraum überhaupt aus der Kommodifizierung rausgenommen werden sollte, wie es das Rote Wien auch immer propagiert hat. Stattdessen hat gerade der öffentliche Wohnsektor seit 2000 einen Neoliberalisierungs- und Kommodifizierungsschub erhalten. 2000 gab es eine Revision der staatlichen Gesetzgebung, bei der die Möglichkeit geschaffen wurde, dass Wohnbaugenossenschaften Wohnraum im Gemeindeeigentum auf dem freien Markt verkaufen können. Es entstanden neue PPP-Konstellationen. Damit kehrte endgültig die Logik des freien Marktes in den Sektor des öffentlichen Wohnbaus zurück. Das führte zu einer Reduktion der öffentlichen Wohnbautätigkeit, auch um die Mietpreise hoch zu treiben, weil das natürlich im Interesse des Privatkapitals ist. Gleichzeitig investiert die öffentlichen Hand seit 2000 sehr viel Geld in repräsentative Großprojekte, die v. a. auf die urbane Mittelklasse ausgerichtet sind, wie z. B. der Bau von Zaha Hadid neben der Wirtschaftsuniversität oder diese Gartenstadt in Ottakring. Die ist ein Partnership zwischen der Stadt Wien und der Ottakringer Brauerei und berücksichtigt ökologische und intrasoziale Faktoren. Die Wohnatmosphäre ist dort sicher auch ganz toll, aber es stellt sich die Frage: Für wen wird gebaut? Sicher nicht mehr für die Leute, die von den Gemeindebauten der 1960er, -70er und auch noch -80er Jahren profitiert hätten. Da wohnen eher kreative Leute aus dem gehobenen Dienstleistungssektor und der Mittelklasse. Dieselbe neue, urbane, grün-rote Elite, die stark international verknüpft und sozial höchst mobil ist und über ein hohes soziales und kulturelles Kapital verfügt, die sich mit Unterstützung der Stadt Wien etwa auch in den sanierten Altbauten im Innergürtel-Bereich niedergelassen hat.

Warum wehrt sich hier eigentlich niemand, wenn kaum mehr neuer Wohnraum für untere Einkommensschichten geschaffen und gleichzeitig im Zuge von Gentrifizierungsprozessen der letzte günstige Wohnraum zu Tode saniert wird?

Man muss sich tatsächlich wundern, wieso in Wien sowenig passiert. In Berlin brennen in den Gentrifizierungs-Hotspots seit fünf Jahren die Autos. Ich finde das nicht besonders progressiv, aber es ist doch Ausdruck der Wut über Gentrifizierung. Dass es so etwas in Wien nicht gibt, liegt glaube ich auch daran, dass es hier eine spezifische, extrem effektive Form der Governance gibt: Das Grätzel-Management. Stadterneuerungsmaßnahmen werden hier immer von gouvernementalen Kontrollmechanismen begleitet. Dort, wo Reibereien entstehen könnten, steht das Grätzel-Management bereit, um den sozialdemokratischen Schiedsrichter zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Kapital und BewohnerInnen zu spielen. Dass z. B. das Conwert-Projekt so friedlich ablief, wäre ohne ein intensives Grätzel-Mangagement nie möglich gewesen.

Abschließend noch eine Frage, die man sich immer stellt, wenn man selbst in einem Viertel wohnt, das aufgewertet wird, und als StudentIn oder KulturschaffendeR dabei eine potentielle Pionierrolle einnimmt: Trägt man individuelle Verantwortung für Gentrifizierung-Prozesse?

Es ist faszinierend, dass Anti-Gentrifizierungs-Bewegungen immer von Leuten getragen werden, die selbst potentielle Pionierleistungen übernehmen. Historisch war es immer schon so, dass die KünstlerInnen oder ärmere StudentInnen in der Nachbarschaft von ArbeiterInnen gewohnt haben. Die Frage ist nur: Schaust Du dich um, wo Du lebst, setzt Du dich damit auseinander, versucht du was dagegen zu tun? Weist du deine Pionier-Rolle vielleicht auch zurück und sagst: Nein, ich möchte eigentlich kein Kartograph für den Kapitalzufluss sein, sondern ich möchte dafür kämpfen, dass so etwas in diesem Viertel nicht passiert – und vor allem nicht wegen mir. Vielleicht kann das auch ein Stück weit eine moralische Verpflichtung sein. Ich glaube nicht, dass allein die Anwesenheit von KünstlerInnen oder StudentInnen in traditionellen ArbeiterInnenvierteln einen Sündenfall darstellt. Ich glaube, dass man sich ansehen muss, wo man lebt, und dann muss man seinen Widerstand genauso lokal leisten wie alle anderen auch.

Danke für das Interview.

Jakob Weingartner studierte Soziologie in Wien, Paris und New York und lebt heute in Berlin. Er verfasste seine Diplomarbeit zum Phänomen der Gentrifizierung am Beispiel des Brunnenviertels in Wien. Anschließend absolvierte er einen Postgraduierten-Studiengang an der Universidad del Cine in Buenos Aires. Aktuell arbeitet er an einem Dokumentarfilm über jugendliche BoxerInnen aus den Armenvierteln von Buenos Aires.





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