Pernicka, Susanne/Lasofsky-Blahut, Anja/Kofranek, Manfred/Reichel, Astrid: Wissensarbeiter organisieren. Perspektiven kollektiver Interessensvertretung, Wien: Edition Sigma 2010, 322 Seiten, € 25,60
Die Grundlage des Buches sind verschiedene Fallstudien, die von den AutorInnen in unterschiedlichen Betrieben und Institutionen aus dem Bereich der Wissensarbeit durchgeführt wurden. Im Zentrum der Forschung standen drei Teilbereiche: der staatsnahe Sektor (Forschung an Universitäten), der privatrechtliche Dienstleistungssektor (Unternehmensberatung, außeruniversitäre Forschung) und der industrielle Sektor (Forschung und Entwicklung in der Elektroindustrie). Es ist interessant zu erwähnen, dass nicht nur Interviews mit WissensarbeiterInnen, sondern auch mit BetriebsrätInnen geführt wurden,. Die Aufarbeitung der Untersuchungsfelder kann daher als empirisch gesättigt und dicht beschrieben werden.
Die unterschiedliche Strukturiertheit der drei Untersuchungsfelder bringt die AutorInnen gleich zum zentralen Problem in der Beschäftigung mit Wissensarbeit: der Begriff Wissensarbeit an sich. Laut den AutorInnen versperrt sich das Feld Wissensarbeit einem Zugriff über einen fordistisch geprägten Arbeitsbegriff. Zentral für ihre Definition von Wissensarbeit ist die Abgrenzung gegenüber routinisierten Arbeiten, die zwar ohne spezifische Kenntnisse nicht zu bewerkstelligen, aber nicht explizit auf die Generierung neuen Wissens ausgelegt sind. Wissensarbeit ist für sie daher eine Tätigkeit, die überwiegend und explizit auf die Generierung neuen Wissens ausgerichtet ist. Mit der Bedeutungszunahme von Wissen als „nicht-endlichem“ Rohstoff in der neuen wissensbasierten Ökonomie rückt laut den AutorInnen eine generalisierbare, explizite Form des Wissens gegenüber implizitem Wissen in den Vordergrund. Diese Prozesshaftigkeit versuchen sie mit organisationssoziologischen Konzepten zu erfassen. Entgegen anderslautender Argumente halten die AutorInnen fest, dass mit der Transformation zu einer wissensbasierten Ökonomie keinesfalls der Charakter einer Klassengesellschaft aufgehoben wird. Es verschieben sich lediglich die Konfliktlinien, sie werden bis zu einem gewissen Grad neu gezogen.
Gerade diese Annahme bringt die AutorInnen dazu, auf klassische Konzepte der Arbeits- und Industriesoziologie zurückzugreifen, um die Durchsetzungsfähigkeit von (Wissens-)ArbeiterInnen und Gewerkschaften näher bestimmen zu können: Zentral ist für sie das Machtressourcen-Konzept von Beverly J. Silver und Erik O. Wright, bei dem zwischen struktureller Macht (Produktionsmacht und Marktmacht) und Organisationsmacht unterschieden wird. Aufgegriffen wird auch das Konzept der institutionellen Machtressourcen, das von WissenschafterInnen der Universität Jena entwickelt wurde und darauf abzielt, der institutionellen Eingebundenheit von ArbeiterInnenorganisationen in staatlich-korporatistische Strukturen (insbesondere in Deutschland, Österreich und den skandinavischen Staaten) Rechnung zu tragen.
Mit Hilfe dieses hier nur grob skizzierten analytischen Handwerkszeugs werden von den AutorInnen die unterschiedlichen Untersuchungsfelder systematisch aufgearbeitet. Im weiteren Verlauf möchte ich mich insbesondere auf den Bereich der Universität beziehen, da – trotz der positiven Aspekte des Buches – auch einige Kritikpunkte angebracht sind, die anhand ihrer Untersuchungen und Schlussfolgerungen bezüglich der universitären Landschaft besonders deutlich herausgearbeitet werden können.
Die Analyse des universitären Feldes beginnt mit einer ausführlichen Darstellung der Verbetriebswirtschaftlichung der österreichischen Universitäten. Dabei werden sowohl die Aspekte des Universitätsorganisationsgesetzes (UOG) 1993 als auch die Veränderungen durch das Universitätsgesetz (UG) 2002 miteinbezogen. Besonders betont wird hierbei der inneruniversitäre Abbau von demokratischer Mitbestimmung und die Bürokratisierungstendenzen im Zuge des Bologna-Prozesses sowie der neuen Studienarchitektur. Ein weiterer Teil der Analyse widmet sich der Diversifizierung der Anstellungsverhältnisse an der Universität und dem Phänomen der Prekarisierung großer Teile der Universitätsangestellten, insbesondere der Drittmittelangestellten und der wachsenden Zahl sogenannter „externer“ LektorInnen.
Des Weiteren beleuchten die AutorInnen die verschiedenen, mehr oder weniger institutionalisierten Vertretungsstrukturen an den Universitäten (Betriebsratsorgane, Interessensvertretungen wie die IG Externe LektorInnen usw.) und deren fraktionelle Untergliederungen. Einen wichtigen Teil der Aufarbeitung der universitären Landschaft nimmt das Selbstverständnis der WissensarbeiterInnen ein. Wenig überraschend kommen die AutorInnen zum Schluss, dass die in unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen stehenden Beschäftigten sehr heterogene Interessen vertreten. Diese artikulieren sich meist auch eher auf einer individuellen Ebene, da Universitäten keinen einheitlichen Produktionszusammenhang darstellen, sondern eher einer Ansammlung vieler kleiner Wissenswerkstätten gleichen. Dementsprechend schwierig gestaltet sich auch die betriebsrätliche und gewerkschaftliche Arbeit an Universitäten. BetriebsrätInnen werden nur selten als wichtige AnsprechpartnerInnen gesehen; auch Gewerkschaften spielen nur eine marginale Rolle.
Mit dieser Analyse zeichnen die AutorInnen ein sehr düsteres Bild. Aufbauend auf ihren Erkenntnissen – WissensarbeiterInnen verweigern sich an den Universitäten einer klassischen Repräsentation durch die institutionalisierten Kanäle – kommen sie zu dem Schluss, dass Gewerkschaften oder andere Organe der Interessensvertretung ihre Serviceleistungen stärker individualisieren müssen.
Für mich war dies eine etwas überraschende Schlussfolgerung, heißt es doch im Titel des Buches Perspektiven einer kollektiven Interessensvertretung. Die Schlussfolgerung der AutorInnen hat meiner Meinung nach mehrere Ursachen: Erstens basiert ihre Analyse sehr stark auf der Individualisierungsthese, die sie durch die Ergebnisse ihrer Interviews zu stützen versuchen. In diesen wurde von den InterviewpartnerInnen immer wieder betont, dass Gewerkschaften und BetriebsrätInnen bei Problemen an der Universität nicht als AnsprechpartnerInnen gesehen werden. Die AutorInnen ziehen daher den Schluss, dass die kollektive Interessensartikulation aufgrund der Individualisierung im Bereich der universitären Wissensarbeit schlichtweg nicht möglich wäre. Man sollte sich hierbei allerdings fragen, was die Voraussetzungen für eine kollektive Interessensartikulation sind. Diese kommt doch nicht automatisch, quasi nur aufgrund des Vorhandenseins von Problemen, zustande. Vielmehr muss der kollektiven Artikulation ein Organisierungsprozess vorausgehen. Die bisherige Arbeitsweise von Gewerkschaften und BetriebsrätInnen an der Universität war nie auf einen derartigen Organisationsprozess ausgerichtet. Deshalb finde ich es fatal, wenn ein Organisierungsversuch erst gar nicht empfohlen, sondern als Schlussfolgerung vorgeschlagen wird, sich schlichtweg den desorganisierenden Tendenzen einer Individualisierung anzupassen.
Zweitens liegt diese pessimistische Perspektive auch in der theoretischen Herangehensweise begründet. Obwohl die AutorInnen sich auf den Machtressourcen-Ansatz von Beverly J. Silver und Erik O. Wright beziehen, bleiben sie in ihrer Untersuchung sehr stark an einer einzelnen Machtressource orientiert, nämlich der Marktmacht. Unter Marktmacht versteht man die Bedingung, unter der Lohnabhängige ihre Arbeitskraft verkaufen können. Die AutorInnen konzentrieren sich in ihrer Analyse auf die rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen, unter denen WissensarbeiterInnen ihre Arbeitskraft verkaufen. Diese ökonomistische und legalistische Sichtweise mündet meines Erachtens in ein Verständnis von passivierten ArbeiterInnen, die ihr Schicksal hinnehmen oder nur auf individueller Ebene versuchen, „es sich zu richten“. Dabei würde der Machtressourcen-Ansatz noch viele andere Perspektiven eröffnen: Gerade die Frage der Produktionsmacht von ArbeiterInnen, also ihrer Fähigkeit, den Produktionsprozess oder die Funktionslogik eines Unternehmens oder einer Institution zum Erliegen zu bringen, vernachlässigen die AutorInnen vollkommen. Sie reproduzieren damit einen paternalistischen Zugang zum Thema der Interessensvertretung und verbleiben dabei in den ausgetretenen und immer weniger durchsetzungsfähigen Pfaden einer serviceorientierten Gewerkschaftskultur. Zudem reproduziert diese Herangehensweise in Bezug auf WissensarbeiterInnen auch einen Opferdiskurs. Sie versperrt den Blick auf deren aktives, dissidentes oder offen widerständiges Handeln, insbesondere an der Universität.
Drittens erwähnen die AutorInnen zwar die bürokratisch-hierarchische Organisationsstruktur der Universitäten als Hindernis für gewerkschaftliche Organisierung, doch belassen sie es bei dieser Feststellung. Meine eigene Beschäftigung an der Universität und die Auseinandersetzung mit dem Thema „Organisierung von WissensarbeiterInnen“ zeigen aber, dass diese bürokratisch-herrschaftsförmige Zurichtung der Universität mannigfache Momente der Dissidenz und des Widerstandes hervorbringt. Von Institutsleitungen, die versuchen, die rigiden bürokratischen Vorgaben zu umgehen, von Lehrenden, die gewisse Reglements umschiffen bis hin zu „externen“ LektorInnen, welche die Betreuung von Diplomarbeiten bestreiken, gibt es ein kleines Multiversum von abweichenden, dissidenten und widerständigen Praxen. Nicht zuletzt die Universitätsproteste der letzten Monate haben gezeigt, dass auch WissensarbeiterInnen fähig sind, kollektiv aufzutreten.
Eine Perspektivenverschiebung in Richtung dieser tätigen Elemente im Machtressourcen-Ansatz hätte noch vollkommen andere Potentiale von Organisierung offen gelegt. Es gilt, genau diese Dissidenz und Widerständigkeit, die oft im Verborgenen existiert, zu verallgemeinern und einen Organisierungsprozess in Gang zu bringen.
Die Stärke dieses Buches besteht in der detaillierten, strukturellen Analyse der gegenwärtigen Arbeitsbedingungen von WissensarbeiterInnen. Doch genau diese Stärke der strukturellen Analyse ist auch die Schwäche des Buches. Die Überbetonung der strukturellen Momente lässt keinen Platz mehr für bereits vorhandene Formen des Widerstandes und der Dissidenz. Das verstellt auch den Blick auf alternative Methoden von Interessenvertretung, die eben nicht paternalistische Tendenzen einer Serviceorientierung reproduzieren, sondern die Selbsttätigkeit der Subjekte in den Vordergrund stellen.