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Die Krise durchdenken – in Memoriam Chris Harman
von Philipp Probst

Am 7. November starb Chris Harman, revolutionärer Sozialist, marxistischer Theoretiker und führender Aktivist der englischen Socialist Workers Party. Philipp Probst widmet sich seiner kurz zuvor erschienenen Analyse der aktuellen Wirtschaftskrise.

Angesichts der Banken- und Finanzkrise, die 2007 ausbrach, sprachen immer mehr ÖkonomInnen von „Zombie-Banken“ – Banken, die an sich wertlos sind und nur noch mit Hilfe staatlicher Kredite am Leben gehalten werden. Derart „untot“, erfüllen sie „keine positive Funktion, stellen aber eine Gefahr für alles andere dar“(12). Chris Harman spinnt diese Metapher weiter. Anlehnend an Marx, der den frühen Kapitalismus mit einem Vampir verglich, der „sich nur vampyrmäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit und um so mehr lebt, je mehr [er] davon einsaugt“1, bezeichnet er das ganze System als Zombie-Kapitalismus. Ein System, in dem das Tote über das Lebende herrscht, die Produkte menschlicher Arbeit das Leben der Menschen und folgender Generationen beherrschen. Ein hirnlos wankender, zerstörerischer Zombie, „der scheinbar tot ist, wenn es darum geht, menschliche Ziele zu erreichen und auf menschliche Gefühle anzusprechen, aber fähig zu spontanen Ausbrüchen von Aktivität, die rundherum Chaos verbreiten“ (12).
Zombie Capitalism ist Harmans letztes Buch. Er starb im November 2009, während der Socialist Days Conference in Kairo an einem Herzinfarkt. Mit ihm ging der sozialistischen Bewegung nicht nur ein großer Theoretiker, sondern auch ein langjähriger Aktivist verloren. Aktiv seit seiner Schulzeit, war es die Besetzung der London School of Economics 1967, in deren Rahmen er als Mitglied der International Socialists (IS) – die spätere Socialist Workers Party (SWP) – und Organisator der Besetzung zu einer wichtigen Persönlichkeit in der britischen 68er-Bewegung wurde. Er verstand es, Theorie und Praxis geschickt zu verbinden und formte er das theoretische Fundament der IS-Tradition maßgeblich mit. Es war, wie sein Genosse Kevin Ovenden es formulierte, seine „seltene Fähigkeit, eine politische Position und ein komplexes Konzept in wenigen klaren Worten zu formulieren“2, die es ihm ermöglichte, marxistische Theorie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Neben seiner Tätigkeit als Herausgeber des Socialist Worker (der Wochenzeitung der SWP), der Monatszeitschrift Socialist Review und, in seinen letzten Lebensjahren, des International Socialism Journal (einem vierteljährlich erscheinenden Theoriemagazin), verfasste Harman eine Reihe von Publikationen, die sein Interesse an einer Fülle von Themen – Ökonomie, Soziologie, Geschichte, Politikwissenschaft, Philosophie – widerspiegeln. So analysierte er 1988 in Class struggle in Easter Europe die Staatskapitalismen der Ostblockstaaten oder ging im 1997 erschienenen Die verlorene Revolution dem Scheitern der Revolution in Deutschland 1918–1923 auf den Grund. In The prophet and the proletariat präsentierte er bereits 1999 – zwei Jahre vor „9/11“ – eine Analyse des Politischen Islam und dessen sozialer Kontexte. Und im 700 Seiten starken, erst jüngst vom Verlag Verso neu aufgelegten A people’s history of the world zeichnet Harman die Menschheitsgeschichte vom Entstehen erster Klassengesellschaften bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus Perspektive sowohl der unterdrückten als auch der herrschenden Klassen nach.
In Zombie Capitalism widmet sich Harman marxistischer Ökonomietheorie. Anders als von ihm zunächst geplant, rückte der Fokus des Buches vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftskrise von der Prognose zur Erklärung ebendieser Krise. Sowohl neoklassische ÖkonomInnen und WirtschaftsberaterInnen als auch einige marxistische TheoretikerInnen hatten zuvor die These vertreten, der Kapitalismus hätte zu langandauernder Stabilität gefunden und würde einen neuen langen Aufschwung erleben. Harmans Ziel, gegen diesen Irrglauben zu argumentieren und die inhärente Krisenhaftigkeit des Kapitalismus aufzuzeigen, aktualisiert Fragestellungen, denen sich Harman bereits in seinem in den 1970ern erschienenen Buch Explaining the crisis widmete: Warum brechen Krisen aus, und welche krisenhaften Tendenzen werden sich in Zukunft durchsetzen? Die Beantwortung dieser Fragen, an denen Mainstream-KommentatorInnen regelmäßig scheitern, ermöglicht es auch, die gegenwärtige Krise im weiteren Kontext allgemeiner Entwicklungen der kapitalistischen Produktionsweise zu analysieren.
Zombie Capitalism ist in vier Abschnitte unterteilt: Der erste Abschnitt ist eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen ökonomischen Theorien und neueren marxistischen Ansätzen im Anschluss an Marxens Kritik der politischen Ökonomie. Teil zwei und drei behandeln die Entwicklungen des Kapitalismus im 20. Jahrhundert bis zum Ende des Nachkriegsbooms sowie Veränderungen infolge der Globalisierung und der gestärkten Rolle des Finanzsystems. Der letzte und kürzeste Abschnitt stellt die Frage nach den ökologischen Grenzen des kapitalistischen Systems, wie sie sich in der Bedrohung durch Klimawandel und Nahrungsmittelkrisen äußern. Daran anschließend wird im letzten Kapitel die Frage aufgeworfen, wie dieses System überwunden werden kann – und durch wen.
Zunächst stellt Harman grundlegende marxistische Konzepte
dar. Während die Einführung in marxistische Begriffe im ersten Kapitel zentrale Termini verständlich erläutert, sind die nächsten Kapitel besonders wertvoll, weil Harman hier neoklassische Theorie entkräftet und kapitalistische Krisenhaftigkeit in klarer und einfacher Sprache erklärt.
Neoklassische Ökonomik analysiert die kapitalistische Wirtschaftsweise als ein sich im Gleichgewicht befindliches – oder zumindest auf ein Gleichgewicht zustrebendes – System. Laut dem von Jean Baptiste Say postulierten Gesetz gleichen sich Angebot und Nachfrage automatisch aus. Märkte regulieren sich selbst und forcieren Wachstum. Die Realität sah freilich von jeher anders aus: Periodische Krisen erschütterten in regelmäßigen Abständen kapitalistisches Wachstum und brachten neoklassische ÖkonomInnen in Erklärungsnotstand. Trotzdem wurde und wird an der Idee eines selbstregulierenden, auf ein Gleichgewicht zustrebenden Marktsystems festgehalten. Kleinere Störungen sind demnach Teil eines „Geschäftszyklus“, während größere Krisen lediglich auf externe Faktoren, wie z. B. falsche institutionelle Regelungen und staatliche Eingriffe oder gar, wie von Jevons3 zu Beginn des 20. Jahrhunderts behauptet, auf den Einfluss von Sonnenflecken, zurück zu führen sind. Marxistische Analysen gehen demgegenüber von der durch die Konkurrenz zwischen einzelnen Kapitalien angetriebenen zeitlichen Dynamik und Brüchigkeit kapitalistischer Prozesse aus: „Marx’ eigener Ansatz war es, … die individuellen Elemente des Systems zu analysieren und dann zu zeigen, wie sie dynamisch interagieren und sich gegenseitig in diesem Prozess verändern. Sobald diese Verbindungen übersehen werden, wird die ganze Dynamik des Systems übersehen. Für Marx waren die Kategorien, die er entwickelte, bedeutend, weil sie es ermöglichen, das System als in sich widersprüchliche Totalität zu sehen, die sich in einem ständigen Transformationsprozess befindet – eine Transformation, die die Kategorien der Analyse selbst beeinflusst.“4 Die ungeplante Produktion der miteinander konkurrierenden Kapitalien ist eben kein reibungslos verlaufender Prozess, wie neoklassische Ökonomen behaupten.
Harman führt zwei marxistische Erklärungsmuster für Krisenprozesse detaillierter aus: (1) die generelle Tendenz zu Überproduktionskrisen und (2) den tendenziellen Fall der Profitrate.
Die Möglichkeit von Krisen ist demnach in der generellen Tendenz zur Überproduktion angelegt. KapitalistInnen versuchen unter dem Druck der Konkurrenz sowohl ihren Output als auch ihre Profite zu erhöhen, indem sie Löhne drücken. Weil ein essentieller Bestandteil der Waren aber von Löhnen gekauft wird, kommt es zu einem Ungleichgewicht zwischen dem produzierten Output und den tatsächlich gekauften Gütern. In der modernen Industrie sind Produktion und Endverbrauch durch lange, ineinander verwobene Wertschöpfungsketten verbunden. Zwei Bedingungen müssen dabei erfüllt werden: Erstens hat der Produktionsprozess eine physische Dimension: Die Produktionsmittel müssen den physikalischen, chemischen und biologischen Anforderungen der zu verarbeitenden Produkte gerecht werden. Gleichzeitig muss jeder Produktionsprozess die Wertmenge auf Seiten der EigentümerInnen des jeweiligen Beitriebs erhöhen. Die physische Organisation der Produktion von Gebrauchswerten muss daher irgendwie mit der kapitalistischen Bestimmung von Preisen (durch ihre Werte) korrespondieren. Diskrepanzen zwischen diesen beiden Anforderungen bedeuten, dass Produktionsprozesse unweigerlich auf Engpässe in der Rohstoffversorgung stoßen, was zu Preissteigerungen führt, was wiederum eine Verringerung der Profite bei manchen Kapitalien und eine Umverteilung des produzierten Mehrwerts zur Folge hat. Die individuellen KapitalistInnen werden ihre Investitionsentscheidungen daran ausrichten, ob sie in der Konkurrenz zu anderen bestehen und zumindest die durchschnittliche Profitrate erzielen können. Deshalb müssen ständige technologische Weiterentwicklungen und Umstrukturierungen im physischen Produktionsprozess getätigt werden, um einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen. Durch den Produktivitätszuwachs erhöht sich auch die Quantität an produzierten Gütern, während deren Wert sinkt. Der fortlaufende Wechsel in der Produktivität schlägt sich damit auf den Wert früher getätigter Investitionen in konstantes Kapital (Maschinen, Ausrüstung, etc.) und damit letztlich auch auf die Profiterwartungen nieder. Investitionen bleiben aus und die Nachfrage nach Gütern anderer Sektoren sinkt. Die erzielten Profite fallen, ArbeiterInnen werden entlassen oder Löhne gekürzt und eine Phase der Kontraktion setzt ein. Diese dauert solange an, bis Investitionen wieder rentabel werden, weil Produktionsmittel günstig – unter ihrem Wert – einzukaufen sind. Neue Investitionen sind wieder lohnend und eine neue Akkumulationswelle setzt ein.
Der „Geschäftszyklus“ ist also kein Gleichgewichtsprozess, sondern ein ständiges „oszillieren“ der Preise unter oder über ihrem Wert. Der Punkt ist, dass Krisen nicht das Resultat schlechter Managemententscheidungen, sondern momentane, zerstörerische Antworten auf bestehende Widersprüche darstellen. Kredit und Finanzmechanismen können diese Tendenz zur Überproduktionskrise noch verschärfen.
Für Harman sind Überproduktionskrisen fixer Bestandteil kapitalistischer Produktionsprozesse. Um langfristige Dynamiken zu analysieren, legt er sein Augenmerk jedoch vor allem auf Marxens „Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate“ (TFPR), das jener als das „in jeder Beziehung wichtigste Gesetz moderner politischer Ökonomie“ bezeichnete. Marx versucht in diesem sogenannten „Gesetz“ die grundlegenden Widersprüche der Kapitalakkumulation auf abstrakter Ebene zu fassen und deren immanente Krisenanfälligkeit zu zeigen. Kurz gesagt geht es dabei um die organische Zusammensetzung des Kapitals, d. h. um das Verhältnis von konstantem (Produktionsmittel) zu variablem (Arbeitskraft) Kapital. Produktivitätssteigernde Technologien benötigen meist eine geringere Anzahl von Arbeitskräften. Die organische Zusammensetzung des Kapitals steigt tendentiell an. Da aber nur menschliche Arbeit Wert schafft (Maschinen geben ihren Wert im Zeitraum ihres Einsatzes lediglich an die Produkte weiter), ist die Folge der Produktivitätsentwicklung ein Fallen der Profitrate. Denn diese ist ja gerade bestimmt als das Verhältnis von Mehrwert zur Summe aus konstantem und variablem Kapital. Dieses „Gesetz“ gilt allerdings nur, solange wir von einer Reihe von Faktoren abstrahieren. Sobald wir den Akkumulationsprozess in seiner Einheit von Produktion und Zirkulation betrachten, müssen wir auch „entgegenwirkende Tendenzen“ berücksichtigen. Zusammengenommen drücken TFPR und die entgegenwirkenden Tendenzen die (widersprüchlichen) Effekte des Akkumulationsprozesses aus.
In diesem Zusammenhang sind ökonomische Krisen von großer Bedeutung. Sie ermöglichen es, dass die Preise von konstantem Kapital infolge von Firmenbankrotten und der Zerstörung von Gütern sinken und die Profitraten in Folge wieder steigen können, da die überlebenden KapitalistInnen in der Lage sind, ihre Investitionen billiger zu tätigen. Der TFPR und seine gegenläufigen Tendenzen drücken die Profitrate also nicht reibungslos rauf und runter. Die Tendenzen sind in ständigem Widerspruch zueinander: Ein Widerspruch, der sich explosionsartig in Krisen ausdrückt.
Harman bleibt in der Folge nicht bei den von Marx entwickelten Konzepten stehen, sondern widmet sich in den nächsten Kapiteln den theoretischen Weiterentwicklungen nach dessen Tod. Rudolf Hilferdings 1910 erschienenes „Das Finanzkapital“ zeigt die Entstehung von Monopolen aufgrund der Konzentration und Zentralisation von Kapital nach Krisen auf. Diese Überlegungen wurden in Bukharins und Lenins Imperialismustheorien vertieft: Die größere Interdependenz zwischen Unternehmen und Staaten führt demnach zu einer weiteren Ebene der Konkurrenz: militärische Konkurrenz. Diese besteht nicht mehr nur zwischen einzelnen Firmen, sondern auf geopolitischer Ebene zwischen Staaten um den Zugang zu und die Kontrolle über Ressourcen.
Eine Analyse der Verbindung zwischen Staaten und Unternehmen und der Rolle, die Staaten durch Staatsausgaben und geopolitische Durchsetzung von Interessen in der kapitalistischen Entwicklung spielen und spielten, ist für ein Verständnis der (ökonomischen) Dynamiken des letzten Jahrhunderts entscheidend – nicht nur in Bezug auf „westliche“ Staaten, sondern auch auf Staatskapitalismen im Osten.5
Nach den theoretischen Ausführungen des ersten Teils werden diese Konzepte in den nächsten zwei Abschnitten auf konkreter Ebene in unterschiedlichen historischen Kontexten angewandt. Je nach den institutionellen Spezifika der historisch sich entwickelnden kapitalistischen Gesellschaftsformationen ändern sich sowohl die Art, in der sich der tendenzielle Fall der Profitrate und die gegenläufigen Tendenzen auswirken, als auch die Rolle von Staaten, Finanzinstituten etc.
Nach einer Analyse der Ursachen für die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre – dem heiligen Gral der Ökonomie – ist vor allem die Auseinandersetzung mit dem Nachkriegsboom, den „Goldenen Jahren“ des Kapitalismus, spannend. Das Jahrzehnte andauernde Wirtschaftswachstum war lange Zeit das entscheidende Argument dafür, dass der Kapitalismus seine Krisen überwinden könne, wenn staatliche Institutionen durch regulierende Politik eingriffen. Harman zeigt, dass die nachfrageseitigen Maßnahmen, die dem Keynsianismus zugeschrieben wurden, in den 1950er und 1960er Jahren nie so stark zum Tragen gekommen sind, wie das retrospektiv dargestellt wurde. Andererseits versagte genau diese Politik, als in den 1970ern versuchte wurde, solche Maßnahmen zur Krisenbewältigung ins Feld zu führen. Um sowohl den langen Boom als auch dessen Ende verstehen zu können, müssen Erklärungsmodelle jenseits institutioneller Regulierungsmechanismen gesucht werden. Harman führt hier die von Mike Kidron entwickelte Theorie der permanenten Rüstungswirtschaft weiter. Angetrieben durch militärische Konkurrenz zwischen UdSSR und den USA wurden enorme Summen an Staatsausgaben in die Rüstungswirtschaft gepumpt. Diese Umleitung von ansonsten produktiv wirkenden Investitionen in – im Marxschen Sinne – unproduktive Wirtschaftszweige wirkte als gegenläufige Tendenz und konnte den tendenzielle Fall der Profitrate verlangsamen und so Krisen bis in die 1970er Jahre aufschieben.
Die folgenden Krisen der 1980er, 1990er und 2000er Jahre hatten nicht den reinigenden Effekt, der Krisen in der Frühphase des Kapitalismus zukam. Die Profitabilitätskrise, in der die Wirtschaft seit den 1970er Jahren steckt, konnte bis jetzt nicht überwunden werden. Obwohl es in diesen Jahren zu großen Umstrukturierungen der Industrien kam, ließ die Größe gewisser Firmen, die „too big to fail“ (zu groß zum Scheitern) sind, eine kreative Zerstörung durch Krisen nicht mehr zu. Denn das Scheitern solcher Firmen würde das ganze System bedrohen. Regierungen sind daher gezwungen, große Konzerne in Krisen finanziell zu unterstützen, um Schlimmeres zu verhindern. Neue Absatzmärkte in Zeiten der Globalisierung, die Angriffe auf ArbeiterInnen im Zuge neoliberaler Umstrukturierungen und die Erweiterung und Entwicklung neuer Finanzinnovationen konnten die versteckten Probleme der Realwirtschaft, die in einer tendenziell fallenden Profitrate liegen, jedoch nicht auflösen. Harman zeigt, sich auf eigene Berechnungen sowie empirisches Material von Robert Brenner, Fred Moseley und Gerard Duménil stützend, dass sich die Profitraten zwar seit den 1980er Jahren etwas erholt haben, sie aber weit von dem Niveau entfernt sind, welches sie in den ersten Nachkriegsjahrzehnten aufwiesen. Die Asienkrise und die Japankrise in den 1990ern und das Platzen der New Economy-Blase zeigen, dass kurzfristige Booms immer wieder in sich zusammenfielen.
Die Entwicklungen im Finanzsystem prägen den Kapitalismus gegenwärtig entscheidend. Harman widmet sich diesen Veränderungen im letzten Kapitel des dritten Abschnitts. Durch einen sogenannten „privatisierten Keynsianismus“ und durch die freizügige Vergabe von Krediten konnte sowohl der Konsum aufrecht, als auch Löhne niedrig gehalten werden. Überakkumulationskrisen wurden so hinausgezögert. Gleichzeitig ermöglichten riskante Finanzinnovationen KapitalistInnen, Investitionen mit hohen kurzfristigen Gewinnaussichten zu tätigen, ohne in produktive Bereiche investieren zu müssen. Diese Mechanismen bleiben sehr instabil und können nur auf kurze Dauer wirken. Sobald die Blase platzt, schlagen die Probleme auch in der so genannten Realwirtschaft wieder durch.
Während viele ÖkonomInnen falsches Management, mangelhafte Regulierungen oder individuelles Fehlverhalten für Krisen verantwortlich machen, schafft es Chris Harman durch theoretische Auseinandersetzung mit marxistischer Ökonomie sowie viel empirischem Material, zu zeigen, dass die Krisen im letzten Jahrhundert in Prozessen und Tendenzen im kapitalistischen System selbst wurzeln. Um die grundlegenden Dynamiken des Kapitalismus zu verstehen und die Konsequenzen der jetzigen Wirtschaftskrise einschätzen zu können, ist das Buch Zombie Capitalism daher Gold wert.

Harman, Chris: Zombie Capitalism, London: Bookmarls 2009, 400 Seiten, € 19,99, in englischer Sprache.

Anmerkungen
1 Marx, Karl: Das Kapital, Bd. 1, MEW 23, S. 247.
2 Birchall, Ian: Chris Harman: a life in the struggle, in: International Socialism 125, 2010, http://www.isj.org.uk/index.php4?id=610&issue=125 am 25.01.2010.
3 William Stanley Jevons (1853–1882) ist einer der wichtigsten frühen neoklassischen Ökonomen.
4 Harman, Chris: Mandel’s ‘Late Capitalism’, in: International Socialism 1, 1978, S. 80f.
5 Zur Theorie des bürokratischen Staatskapitalismus siehe Duma, Veronika/Probst, Stefan: Kapitalismus nach Plan, in: Perspektiven Nr. 8, S.50–60.





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