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Die globale Krise und der Angriff auf die Demokratie
von Bonn Juego und Johannes Dragsbaek Schmidt

Die gegenwärtige globale Krise wirkt sich nicht nur auf „die Wirtschaft“ aus, sondern geht
verstärkt auch mit – offenen und versteckten – autoritären, antidemokratischen Tendenzen einher. Bonn Juego und Johannes Dragsbaek Schmidt zeigen dies anhand der wundersamen Wiederauferstehung von IWF und Weltbank sowie am Beispiel des „autoritären Liberalismus“ in Ost- und Südostasien.

Die Welt sieht sich derzeit mit dem ernüchternden Zustand des globalen kapitalistischen Systems konfrontiert – einer Ansammlung von miteinander verbundenen und voneinander abhängigen Krisen. Die gegenwärtige politischökonomische Konjunktur ist nichts anderes als das Ergebnis kumulativer Effekte gleichzeitiger Krisen in den Bereichen Finanz, Produktion, Nahrung, Ökologie, Energie und Politik, die seit der Nachkriegszeit die Strukturen des weltweiten Kapitalismus heimsuchen. AkteurInnen unterschiedlicher ideologischer Couleur nehmen diese aktuelle Situation als willkommene Gelegenheit wahr, um die Krise ihren jeweiligen Interessen entsprechend zu nützen.
Der altgriechische Ursprung des Wortes „Krise“ bezeichnet den „entscheidenden Wendepunkt im Verlauf einer Krankheit, an dem wichtige Veränderungen entweder zur Genesung oder zum Tod führen“. Ob die multiplen Krisen zur Wiederherstellung oder zum Ende des hegemonialen neoliberalen Systems führen werden, wird sich entscheiden durch die „Doppelbewegung“ der sich entfaltenden Kämpfe zwischen jenen, in deren ureigensten Interessen die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustands liegt, und jenen, die für eine Veränderung der grundlegenden gesellschaftlichen Strukturen einstehen. Forderungen nach einer anderen, demokratischen Zukunft werden zwar „von unten“ Ausdruck verliehen, die Krise hat jedoch bis jetzt keinerlei neue Strategien oder Visionen hervorgebracht, die den marktdominierten (d.h. neoliberalen) gesellschaftlichen Verhältnissen Einhalt gebieten könnten.
Wir wollen in diesem Artikel zeigen, dass die gegenwärtige, globale kapitalistische Krise mit einem Angriff auf die Ideale der Demokratie und auf Prozesse der Demokratisierung einhergeht. Analytisch konzentrieren wir uns auf die Politiken und Diskurse internationaler Institutionen, regionaler Organisationen und nationaler Regierungen.1 Eine Untersuchung der Reaktionen auf die Krise seitens dieser Institutionen und Staaten in Europa und Asien zeigt einen Anstieg anti-demokratischer Tendenzen, namentlich in Form von Neoliberalismus, autoritärem Liberalismus und Nationalismus. Wir konzentrieren uns dabei auf zwei Aspekte. Erstens wollen wir darstellen, wie Weltbank und IWF, sowie deren Verbündete in den G-20, versuchen, die Krise zu ihrem Vorteil zu nützen und ihre seit langem propagierten neoliberalen Programme erneut zu bekräftigen. Zweitens wollen wir am Beispiel Ost- und Südostasiens zeigen, wie schon im Zuge der Asienkrise von 1997 Institutionen des autoritären Liberalismus – d.h. einer in autoritäre politische Strukturen eingebetteten, liberalen Marktwirtschaft – in der Region zu neuem Leben erweckt wurden. Dies soll als Beispiel dafür dienen, dass Marktwirtschaft auch ohne Demokratie wachsen und gedeihen kann.2

Neoliberalismus und Krise
Wir verstehen Neoliberalismus als die Anwendung von Freihandels-Doktrinen auf nicht nur alle Bereiche wirtschaftlicher Aktivität, sondern auch auf die Funktionsweisen öffentlicher Institutionen. Der Neoliberalismus ist eine bestimmte institutionelle Spielart des Kapitalismus und gekennzeichnet durch: eine spezifische Konfiguration des Kapitalismus (Liberalismus plus neue Institutionen); eine spezifische Ideologie (Marktfundamentalismus); eine spezifische Phase kapitalistischer Nachkriegs-Entwicklung, in der das aufsteigende Finanzkapital zu produktivem Kapital wird; ein spezifisches Set von wirtschaftlichen Reformpolitiken, verankert in den Strukturanpassungsprogrammen (SAPs) des Washington Consensus; eine spezifische Form des Klassenverhältnisses (die reelle Subsumption der Arbeit unter das Kapital); und schließlich ein spezifischer Prozess der Kapitalakkumulation (der Einsatz von Geld, um mehr Geld zu machen). Der Neoliberalismus hebt, wie David Harvey gezeigt hat, den privaten Wirtschaftssektor, Privatbesitz und die damit verbundenen kulturellen Werte in eine gesellschaftlich dominante Position.3 Er widerspricht dem demokratischen Prinzip von gemeinsamer Erfahrung und kollektivem Wissen, also der Idee, dass Regierungen und Institutionen Menschen, nicht Profiten verpflichtet sind, und das Wohlergehen von Gesellschaften über jenes der Märkte zu stellen ist.
Wenn man die Geschichte des Kapitalismus als eine sich stets in Bewegung befindliche Gesamtstruktur betrachtet, erscheint sie als Kreislauf von Krisen und Aufschwüngen. In der fast vierzigjährigen Geschichte des Neoliberalismus waren Krisen funktional für dessen Aufrechterhaltung in Bezug auf gesellschaftliche Verhältnisse, marktorientierte Entwicklungsstrategien und neoliberale Umstrukturierungen des Staates. Die konstitutive Rolle und der funktionale Effekt von Krisen für seine Lebenszyklen zeigt sich daran, dass der Neoliberalismus aus den Krisen der 1970er geboren wurde, sich durch eine Reihe von Krisen im Laufe der letzten 35 Jahre entwickelt hat, und durch die multiplen Krisen, die in die gegenwärtige globale Krise kulminieren, zu sterben scheint.4 In den letzten 35 Jahren wurden mehr als einhundert Finanzkrisen in aller Welt verzeichnet (und abgesehen von diesen Statistiken ist offensichtlich, dass die Mehrheit der Bevölkerungen und Gesellschaften der Welt sich seit langem in einem Zustand der Krise befinden). Krisen waren dem Neoliberalismus also von Beginn an inhärent und haben im Laufe der Jahrzehnte zu einer Reihe von Transformationen beigetragen. Wie ihre altgriechische Bedeutung anzeigt, erzwingt die „krisis“ als „Wendepunkt“ Innovation und Transformation in der kapitalistischen Produktionsweise und trägt so zur Sicherung ihrer Hegemonie bei.

Phasen neoliberaler Entwicklung
Der Neoliberalismus wird oft in zwei unterscheidbare, aufeinander folgende Phasen eingeteilt: den Washington Consensus (die erste Generation von Reformen) und den post-Washington Consensus (die zweite Generation von Reformen). Der Unterschied zwischen den beiden Phasen wird oft unzulässigerweise auf eine einfache Staat-versus-Markt Debatte reduziert, in welcher der Washington Consensus von der Unterordnung der Staaten unter die Märkte gekennzeichnet ist, während der post-Washington Consensus ein Ergänzungsverhältnis zwischen beiden darstellt. Diese Debatte, in der ein Nullsummenspiel zwischen Staat und Markt angenommen wird, führt allerdings auf die falsche Fährte. Der Neoliberalismus ist, wie jede Form des Kapitalismus, ein politisches Projekt – d.h. er ist auf aktive Interventionen seitens des Staates angewiesen.5 So hätte der Abbau des Wohlfahrtsstaates nicht ohne die durch staatliche Politik betriebene Schwächung der Institutionen der ArbeiterInnenbewegung durchgesetzt werden können. Wenn wir die augenscheinlichen Veränderungen des Kapitalismus für bare Münze nehmen, verkennen wir die historische Realität aktiver Staatsinterventionen, die seit Beginn der kapitalistischen Entwicklung dafür sorgen, dass Märkte funktionieren. Der Unterschied zwischen den beiden Entwicklungsweisen liegt nicht in der Form, sondern im Inhalt, in den Motiven, Zielen und Strategien. Der Washington Consensus zielte darauf ab, einen offenen Weltmarkt durch Strukturanpassungsprogramme, Politiken der Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung sowie durch Reformen des Finanzsystems zu schaffen. Der post-Washington Consensus ist ein Projekt, das auf die Verwirklichung einer „universalen Vereinheitlichung von Wettbewerbsfähigkeit“ durch tiefgreifende institutionelle Reformen und Veränderungen von Verhaltensweisen, auf die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und letztlich auf Human- und Sozialkapital abzielt.6

Neoliberale Kriseninterventionen
Die AnhängerInnen des Neoliberalismus sind sich, als RepräsentantInnen der Dominanz des Privatkapitals, der Krisenanfälligkeit und Konfliktträchtigkeit des Kapitalismus völlig bewusst. Deshalb haben sie den Neoliberalismus immer zugleich als marktbasierte Entwicklungsstrategie und als Blaupause für Kriseninterventionen beworben. Sie betrachten Krisenmomente als perfekte Gelegenheiten zur Intervention, um neoliberale Institutionen und Praktiken tiefer zu verankern. Nehmen wir die aufeinander folgenden Krisen seit den 1980ern als Beispiel. Als Lateinamerika 1982 in eine Schuldenkrise geriet, knüpften der IWF und pro-kapitalistische politische Kräfte Strukturanpassungsprogramme als Bedingungen an die notwendigen Umschuldungen, was letztlich zu massiver Deindustrialisierung, steigender Arbeitslosigkeit, Armut und ungleicher Entwicklung in der gesamten Region führte. Seither hatten die Reaktionen auf eine Reihe von Finanzkrisen in den letzten zwanzig Jahren – namentlich Skandinavien (Anfang der 1990er), Mexiko (1994), Ost- und Südostasien (1997), Russland (1998), Argentinien (2001), Türkei (2001-2002), US-Hypothekenmarkt (2007), die Große Rezession (2008) – die Etablierung einer offenen „internationalen Finanzarchitektur“ zum übergeordneten Ziel, in der regulierende Institutionen die Rechte des privaten Kapitals global absichern. Obwohl in manchen Fällen (z.B. in Chile und Malaysia) der Nutzen mancher Kapitalverkehrskontrollen anerkannt wurde, trieben der IWF und die mit ihm verbundenen politischen Kräfte die Politik der neoliberalen Regulierung voran, um die Anpassung an die vorgebliche Offenheit des internationalen Finanzsystems (d.h. an die Überwachungsinstrumente des IWF) zu gewährleisten. In den Worten des früheren Chefökonomen der Weltbank, Michael Bruno: „Es existiert ein zunehmender Konsens darüber, dass der Schock einer Krise, so sie groß genug ist, widerwillige Politiker dazu bringen kann, produktivitätssteigernde Reformen anzugehen.“7

Von der Krise von Weltbank und IWF…
Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts sahen sich die wichtigsten Institutionen der neoliberalen Global Governance – Weltbank, IWF und WTO – mit einer tiefen Glaubwürdigkeits- und Legitimitätskrise konfrontiert. Diese ist auf eine Reihe polit-ökonomischer Krisen in Ländern zurückzuführen, die diese Institutionen selbst hätten managen, restrukturieren und entwickeln sollen. Zusätzlich zu ihrer eigenen Budgetkrise, der nur wenig mediale Aufmerksamkeit geschenkt wurde, und mehreren gescheiterten Projekten, verdeutlichen die dramatischen Ereignisse und Enthüllungen rund um die Rücktritte von Joseph Stiglitz und Ravi Kanbur Anfang der 2000er Jahre den harten neoklassischen und neoliberalen Kurs der Weltbank. Und auch die WTO stand am Rande des Kollaps, als die Doha-Runde nach fast fünf Jahren andauernder Verhandlungen im Sommer 2006 endgültig scheiterte. Doch im Zuge der aktuellen globalen Krise stellten sich die Voraussagen über den bevorstehenden Untergang dieser neoliberalen multilateralen Organisationen als voreilig heraus. Sie haben sich entgegen der Erwartungen als den Herausforderungen der Krise gewachsen erwiesen und im Rahmen einer konzertierten Anstrengung ihre vorgebliche Legitimität und Existenzberechtigung wieder hergestellt, statt die Fehler der Vergangenheit zuzugeben und zu korrigieren.
Noch im Juli 2007 – knapp ein Monat bevor die Hypotheken-Krise in den USA ausbrach – sprach der Wirtschaftswissenschafter und Aktivist Walden Bello anlässlich des zehnten Jahrestags der Asienkrise vom „Untergang des IWF“8. Er argumentierte, dass der IWF selbst ein Opfer der Asienkrise geworden wäre, da Staaten wie Thailand, Indonesien, Malaysia und die Philippinen öffentlich erklärt hatten, sich nie wieder den Bedingungen des Währungsfonds zu unterwerfen. Hinzu kam die schwere Legitimitäts- und Glaubwürdigkeitskrise, nachdem 2002 mit Argentinien der „Musterschüler“ des IWF den Staatsbankrott anmelden musste. Diese Entwicklung führte zudem zu tiefen Einschnitten in das Budget des IWF, da große lateinamerikanische Geberstaaten wie Brasilien, Argentinien und Venezuela ihre Beiträge zurück behielten.

…zu ihrer Wiederbelebung in der Krise
Doch weniger als zwei Jahre nachdem Bello dieses Untergangsszenario vorgestellt hatte, drehte sich der Wind komplett; die globale Krise hat den IWF wiederbelebt. Die vielleicht glücklichste Person weltweit in den Zeiten der Krise ist Dominique Strauss-Kahn, der geschäftsführende Direktor des IWF, der auf der Pressekonferenz während des G-20-Treffens am 2. April 2009 triumphierend verkündete:
„Der IWF ist zurück. […] Sie sehen den Beweis dafür, wenn sie das Kommuniqué lesen. Jeder Abschnitt, oder fast jeder Abschnitt – sagen wir, die wichtigen Teile – sind auf die eine oder andere Weise mit dem IWF verbunden.“
Ironischerweise sind es genau jene Staaten, die über Jahrzehnte am meisten unter seiner Politik gelitten haben – insbesondere Argentinien, Brasilien und Indonesien, die nach der Erweiterung der G-7 zu den G-20-Staaten gehören – die dem Währungsfonds nun neues Leben einhauchen, ihm Legitimität und Relevanz zurückgeben. Auf den Gipfeltreffen der G-20 in London (April 2009) und Pittsburgh (September 2009) wurde festgehalten, dass die internationalen Finanzinstitutionen „eine wichtige unterstützende Rolle für die Arbeit (der G-20), für nachhaltiges Wachstum, Stabilität, die Schaffung von Arbeitsplätzen, Entwicklung und Armutsbekämpfung spielen. Es ist daher entscheidend, dass diese weiterhin ihre Relevanz, ihre Reaktionsbereitschaft, ihre Effektivität und ihre Legitimität erhöhen.“9 Darüber hinaus wird das neue „G-20 Rahmenwerk für starkes, nachhaltiges und ausgewogenes Wachstum“, das verstärkte wirtschaftliche Kooperation ermöglichen soll, von IWF- und Weltbank-Analysen unterstützt. Damit werden die G-20, ungeachtet ihrer Selbststilisierung als bloßes „informelles Forum“, zu einer weiteren strategisch wichtigen Institution, durch die IWF und Weltbank ihre Ziele artikulieren und, was noch wichtiger ist, sich Legitimität verschaffen können. Doch während die VertreterInnen der G-20 behaupten, sie würden nicht nur wirtschaftliche Macht verkörpern, sondern auch Legitimität und Glaubwürdigkeit genießen, werden hunderte schwache und marginalisierte Länder und ihre Bevölkerungen nicht von dieser Gruppe repräsentiert und somit außer Acht gelassen. Die Krise, die den IWF und die Weltbank hätte umbringen können, hat diese Institutionen wieder auferstehen lassen. Und jene Länder, die guten Grund gehabt hätten, sie zugrunde gehen zu lassen, haben sie letztlich gerettet.

Neoliberale Antworten auf die Krise
Während die Welt im April 2009 gespannt nach London blickte und sich manche vom dortigen G-20-Treffen eine Veränderung der globalen Wirtschaftsordnung erhofften, war es nicht schwer, die Reaktionen auf die Krise seitens der G-20-Mitgliedsstaaten sowie von IWF und Weltbank voraus zu sehen. Eine aufmerksame Lektüre der Dokumente, die IWF und Weltbank im Vorfeld des Londoner Gipfels erstellt hatten, ließ bereits erahnen, welche Antworten auf die globale Krise vorgeschlagen werden würden. Die Krise sollte nicht als Möglichkeit zur Schwächung des neoliberalen Projekts wahrgenommen werden, sondern im Gegenteil als Gelegenheit, eine wirklich offene, weltweite Finanzarchitektur und wettbewerbsfähige Märkte zu schaffen, die auf globaler Ebene von IWF und Weltbank selbst eingesetzt, koordiniert und reguliert wird. Der Global Monitoring Report 2009 der Weltbank wiederholt das exakt selbe neoliberale Programm und Projekt, das seit den frühen 1990er Jahren verfolgt wurde.10 Konkret identifiziert die Weltbank sechs Prioritätsfelder11: (1.) fiskalpolitische Maßnahmen zur Sicherung makroökonomischer Stabilität; (2.) Stärkung des privaten Sektors in den Bereichen Kapitalanlage, Handel, Gewerbe und Finanzen, um die Stabilität des Finanzsystems zu erhöhen; (3.) „verstärkter Einsatz des privaten Sektors im Bereich der Finanzierung und Durchführung von Dienstleistungen“; (4.) Einwirken auf nationalstaatliche Regierungen, gegen verstärkten Druck in Richtung Protektionismus einzustehen und ein „offenes internationales Handels- und Finanzsystem aufrecht zu erhalten“; (5.) beschleunigter Abschluss der Doha-Verhandlungen; und (6.) Übernahme einer „Schlüsselposition“ durch Weltbank und IWF in der Überbrückung finanzieller Engpässe, die Entwicklungsländer durch den Rückgang privater Kapitalflüsse zu erleiden haben. Dies wird verbunden mit dem Aufruf, den beiden Institutionen „den Auftrag, die Ressourcen und die notwendigen Instrumente zu verleihen, um eine effektive Reaktion auf die globale Krise zu unterstützen“12. Einige Tage vor dem Gipfeltreffen in London wiederholte Robert Zoellick, Präsident der Weltbank, diese Ideen und schlug eine Strategie zur Wiederbelebung multilateraler Abkommen vor, konkret „ein WTO-basiertes Monitoring-System“, das die Doha-Verhandlungen komplettieren soll; eine Überwachungsrolle des IWF zur Bewertung von Konjunkturpaketen; und eine „Revision des Finanzregulierungs- und -aufsichtssystems“, in der nationalen Regierungen die Autorität im Rahmen eines erweiterten Finanzstabilitätsforums übertragen wird, wobei letzteres „mit dem IWF und der Weltbankgruppe“ zusammen arbeiten soll.13 Auch das vom IWF im Februar 2009 herausgegebene Papier Initial Lessons of the Crisis for the Global Architecture and the IMF sieht die Krise als „einmalige Gelegenheit […] Fortschritte in scheinbar unlösbaren Fragen zu erreichen.“ Diese Gelegenheit gilt es laut IWF zu nutzen. Zwar wird eingestanden, dass „die Krise Schwächen an zentralen Punkten der Finanzarchitektur offengelegt hat“, die Quintessenz lautet jedoch, die alten Prinzipien und Politikvorschläge wieder und wieder neu aufzuwärmen. Der IWF fordert (1.) Überwachungsmechanismen, die schon nach der Asienkrise 1997 und dem Platzen der dot-com-Blase 2001 Schwächen und Risiken frühzeitig aufspüren hätten sollen; (2.) eine Stärkung ihrer eigenen Institution und das Mandat, „Führung zu übernehmen, wo es um die systemischen Aspekte der Weltwirtschaft geht“; (3.) Regeln für grenzüberschreitende Finanztransaktionen und (4.) ausreichende und jederzeit verfügbare Ressourcen „zum Ausgleich von Liquiditätsengpässen und zur Abschwächung von Währungsschwankungen“14.
In Summe kann festgehalten werden, dass trotz der verheerenden Folgen und dem gewaltigen Ausmaß der Krise die Institutionen der Global Governance an den Grundpfeilern des Neoliberalismus festhalten. Ihr Ziel ist es nicht, die Doktrin des freien Marktes aufzugeben, sondern sie in stärkere und bessere Institutionen einzubetten und dadurch noch weiter zu treiben. Doch dies lässt die Frage offen: stärkere und bessere Institutionen für wen? Ihre Antwort ist eindeutig: für den Markt, nicht für die Menschen.

Autoritärer Liberalismus in Asien
Die Bestärkung des Neoliberalismus im Moment seiner eigenen Krise durch internationale Organisationen kennt man auch aus Asien. Anders, als es der beliebte Begriff der „Entwicklungsstaaten“ nahe legt, wurde in Ost- und Südostasien, seitdem die Region in die Kreisläufe der neoliberalen Globalisierung eingebunden ist, eine spezifische Staatsform institutionalisiert. Diese kann als „autoritärer Liberalismus“ bezeichnet werden: eine liberale Marktwirtschaft, die in ein autoritäres politisches Institutionengefüge eingebettet ist. Dieses Gefüge stellt den Rahmen dar, in dem die Region auf die globale Krise reagiert. Erfahrungen, die während der Asienkrise 1997 und nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gemacht wurden, und die Reaktionen auf die Krise seitens der Asiatischen Entwicklungsbank (AsEB) sowie der ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) können herangezogen werden, um mögliche – und wahrscheinliche – Auswirkungen der gegenwärtigen Krise besser zu verstehen.
Die zwei prominentesten Thesen des politik- und wirtschaftswissenschaftlichen Mainstreams können die gegenwärtige politische Ökonomie Ost- und Südostasiens nur unzureichend erklären. Das erste, modernisierungstheoretische Argument besagt, dass ökonomische Globalisierung notwendigerweise die Ausbreitung liberaler Demokratien mit sich bringt; die zweite These, jene des „Demokratischen Friedens“, behauptet, dass zwischen demokratischen Staaten keine Kriege stattfinden. Die Restrukturierung der Staaten in Ost- und Südostasien als Prozess in Richtung eines autoritären Liberalismus zu begreifen, kann dagegen eine tragfähigere „Lesart“ dieser Entwicklung anbieten. Ein Blick auf die beiden großen Krisen, die Asien in den letzten Jahrzehnten heimgesucht haben – die Asienkrise 1997 und die Anschläge vom 11. September 2001 – zeigt, dass und wie Krisen funktional für die Institutionalisierung des autoritären Liberalismus waren.

„Demokratische Momente“?
Der Umstürze zweier Militärdiktaturen – der von Ferdinand Marcos auf den Philippinen 1986 und jener Suhartos in Indonesien 1998 – wurden oft als „demokratische Momente“ wahrgenommen, die den Fortschritt des Demokratisierungsprozesses in der ganzen Region anzeigen sollten. Der dominante Diskurs sowohl in den Sozialwissenschaften als auch unter PolitikerInnen prophezeite zu jener Zeit, dass die Liberalisierung der Wirtschaft die Entwicklung liberaler und demokratischer Regierungsformen antreiben würde. Ebenso wurde behauptet, dass die Befreiung einer mit neuem Selbstvertrauen ausgestatteten, progressiven Mittelschicht von autoritären Regimen ein funktionales Erfordernis für florierende Märkte sei. Heute klingen solche Behauptungen hohl. In theoretischer Hinsicht waren die Modelle, die vom Mainstream der „Übergangsdebatte“ angeboten wurden, schon immer wenig überzeugend. Sie entleerten den Begriff der Demokratie von jeder gesellschaftlichen Bedeutung im Sinne popularer Macht und reduzierten ihn auf formale und prozedurale Kriterien, symbolisiert v.a. durch das Abhalten von Wahlen und die „Effektivität“ politischer Institutionen. Die Prinzipien und damit verbundenen Praktiken der Souveränität des Volkes, etwa die Verantwortung und Rechenschaftspflicht der Regierungen, die Möglichkeit der freien politischen Meinungsäußerung oder Partizipationsmöglichkeiten für BürgerInnen, kamen in den Forschungsprogrammen praktisch nicht vor. Der empirische Befund legt für Asien jedoch eine deutlich andere Diagnose nahe, als es der dominante Diskurs suggeriert. Er verweist auf die Begrenztheit der Rechenschaftspflicht der Regierungen, die Beschränkung politischer und ziviler Rechte, die Einschränkung der Vereinigungsfreiheit sowie auf unfreie und unfaire Wahlen. Tatsächlich bringen neoliberale Globalisierung und die damit verbundene krisenanfällige Wirtschaftsordnung nicht den Triumph der liberalen Demokratie mit sich, sondern ihren Untergang. Wenn die vergangenen zwei Jahrzehnte uns etwas über das Verhältnis von Demokratie und politökonomischer Ordnung gelehrt haben, dann dass die Marktwirtschaft auch ohne Demokratie wachsen und gedeihen kann.15 Die Eliten Asiens werden nicht notwendigerweise zu Kräften des politischen Liberalismus und der Demokratie; wenn es ihren Interessen dient, können sie auch offen antiliberale und antidemokratische Haltungen annehmen.16

Asienkrise 1997
Die Asienkrise von 1997 beschleunigte einen Prozess der Reorganisation staatlicher Autoritäten in Ost- und Südostasien, der schon lange zuvor in Gang gesetzt worden war. Zentral für diese neuen polit-ökonomischen Formen war „das Entstehen eines neuen regulierenden Staates, der direkt auf die Herstellung ökonomischer und gesellschaftlicher Ordnung innerhalb der globalisierten Wirtschaft abzielt“17. Das dahinterstehende Prinzip war klar: Durch die Einsetzung neuer Regelwerke versuchte der Staat, eine Reihe wichtiger ökonomischer Institutionen vom Einfluss demokratischer Willensbildung abzuschotten, um dadurch die Marktordnung zu schützen. Das Ergebnis ist die Verschmelzung autoritärer Politikformen mit regelbasierten Governance-Strukturen in unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Feldern.
Ein Blick zurück auf die Erfahrungen von 1997 zeigt, dass die politischen Strategien und Maßnahmen, die in Reaktion auf die Asienkrise durchgeführt wurden, auf Kosten der Demokratisierung, der Menschenrechte und letztlich der armen Bevölkerung gingen. Erstens bot die Krise den Eliten in Asien den politischen, wirtschaftlichen und intellektuellen Vorwand für autoritäre Maßnahmen – rhetorisch verpackt als „asiatische Werte“ – etwa in Malaysia, Singapur, China und Thailand. Diese Eliten waren die selben, die behauptet hatten, das System der europäischen Wohlfahrtsstaaten würde nicht zu den asiatischen Gegebenheiten passen. Zweitens wurden durch die Krise Menschenrechtsthemen an den Rand gedrängt, Bürgerrechte im Namen der inneren Sicherheit (z.B. in Malaysia und Singapur) und soziale Rechte zu Sparzwecken eingeschränkt (z.B. in Indonesien, Thailand und auf den Philippinen). Und drittens zielten die politischen Reaktionen auf die Krise darauf ab, Märkte und Unternehmen zu retten. So wurde am zweiten Asien-Europa-Treffen (ASEM-2), das 1998 in London stattfand, der ASEM Trust Fund eingerichtet, der aus Mangel an politischem Willen ohne angemessene institutionelle Mechanismen ausgestattet wurde und deshalb das Ziel, die Armen und ArbeiterInnen als die am stärksten von der Krise Betroffenen zu unterstützen, verfehlen musste. Kurz gesagt zeigte sich, dass in Zeiten der Krise die Möglichkeit besteht, Demokratisierungsprozesse hintan zu stellen, Menschenrechte zu ignorieren und die arme Bevölkerung zu vernachlässigen.

Der Sicherheitskomplex Asien nach 9/11
Auch die Krise in Folge der Anschläge vom 11. September 2001 konnte nicht am autoritären Liberalismus in Asien rütteln. Im Gegenteil bot der US-geführte „Krieg gegen den Terror“ asiatischen Regierungen die Gelegenheit, staatliche Überwachungs- und Internierungspolitiken auszubauen. Staaten in Asien mit semiautoritären Regimen wurden zu strategisch wichtigen Einsatzpunkten im Kampf gegen den Terrorismus. Die Menschenrechtssituation hat sich in der Region seit 9/11 drastisch verschlechtert, wobei eine Reihe von Fällen – von Morden an MenschenrechtsaktivistInnen und JournalistInnen auf den Philippinen bis zu Angriffen auf Mönche und deren SympathisantInnen in Burma – Schlagzeilen machte.
Das Post-9/11-Asien ist also eine Art Sicherheitskomplex, der aus verschiedenen autoritären Systemen zusammengesetzt ist.18 Die Stabilität der Region scheint eher auf einer „friedlichen Koexistenz der Autoritarismen“ und einer Politik der wechselseitigen Nichteinmischung zu beruhen statt auf einem „demokratischen Frieden“. Wir beobachten eine Wiederauferstehung oder Verschärfung des Autoritarismus: Semiautoritäre Regime in Malaysia und Singapur; eine Militärregierung in Burma/Myanmar; die prominente Rolle von Militär und Monarchie in Thailand; Ein-Parteien-Systeme in China, Laos, Kambodscha und Vietnam; eine Kultur der Straffreiheit und anhaltende Militarisierung in den indonesischen Regionen Aceh und Papua; und eine für
autoritäre Vorschläge zumindest empfängliche philippinische Regierung.

Die Asian Development Bank (ADB) und ASEAN
Die ADB reagierte auf die Krise und die damit verbundenen Fiskalprobleme ihrer Mitgliedsstaaten im Zeitraum 2009-2010 mit Hilfestellungen im Wert von 32 Milliarden USDollar.19 Für die ADB ist das banking as usual – es handelt sich um Kredite mit einer Laufzeit von zwischen fünf und 15 Jahren, vergeben an „bedürftige“ asiatische Staaten, mit fixen oder flexiblen Zinssätzen, die von der London Interbank Offered Rate (LIBOR) festgelegt werden.20 Das Vorgehen ist typisch für die Ziele und Prioritäten der ADB: 44 Prozent der Kredite fließen in Programme, die das Wirtschaftswachstum stimulieren und das Vertrauen des privatwirtschaftlichen Sektors wieder herstellen sollen; 35 Prozent sind für Strukturreformen im Rahmen der „Countercyclical Support Facility“ vorgesehen, die das Investmentklima verbessern sollen; 12 Prozent für Handelserleichterungen, um den Privatsektor zu entlasten; aber nur sechs Prozent für Infrastrukturmaßnahmen und mickrige 3 Prozent für soziale Sicherung.21 Selbstverständlich müssen die Schuldnerstaaten – sprich: die Bevölkerungen und SteuerzahlerInnen – für die Rückzahlung der Kredite einstehen, übernehmen alle damit verbundenen Risiken und können somit selbst dann haftbar gemacht werden, wenn die Privatwirtschaft gegen die Wand fährt und für die Krise verantwortlich ist.
Einen Monat vor dem G-20-Gipfel in London traten die Staats- und Regierungschefs der ASEAN in Chaam Hua Hin, Thailand, zu ihrem 14. Treffen zusammen und diskutierten, welche Punkte Indonesien (als einziges G-20-Mitglied) auf die Tagesordnung der G-20 setzen sollte. In ihrer Abschlusserklärung übernehmen sie die Argumente – und teilweise die wortwörtlichen Formulierungen – die zuvor von Weltbank, IWF und ADB in ihren jeweiligen Statements ausgearbeitet worden waren. Sie entspricht völlig dem bisherigen Bekenntnis der ASEAN zu den neoliberalen Idealen von Freihandel, Wettbewerbsfähigkeit und offenen Märkten, die während der letzten Dekade institutionalisiert worden waren und in den kommenden Jahren wohl weiter verfolgt werden. Mit der Annahme der ASEAN-Charter verpflichteten sich die Mitgliedsstaaten Ende 2008 zu einer verstärkten asiatischen Integration, die nach dem Vorbild der EU die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes und eines gemeinsamen Wirtschaftsraums bis 2015 vorsieht.22 Anstatt angesichts der gegenwärtigen Krise den Versprechen des Freihandels etwas mehr Misstrauen entgegen zu bringen, schloss die ASEAN darüber hinaus zwischen Februar und August 2009 fast jeden Monat ein Investitionsund Freihandelsabkommen im asiatisch-pazifischen Raum (Australien und Neuseeland), im Osten (Südkorea und China) und im Süden (Indien) Asiens ab.

Das Projekt ASEAN 2015
Die gegenwärtigen Reaktionen der ost- und südostasiatischen Staaten auf die globale Krise zeigen deutlich, dass es keine Zurücknahme des autoritären Liberalismus gibt. Sowohl die milliardenschweren Konjunkturpakete als auch die riesigen ADB-Kredite zielen eindeutig auf die Wiederherstellung von Wirtschaftswachstum, die Unterstützung der Privatwirtschaft und eine offene, freie Marktwirtschaft ab, und ignorieren weitgehend die soziale Absicherung der Armen.23 Hinzu kommt, dass in der gegenwärtigen, instabilen polit-ökonomischen Situation das Risiko besteht, dass die Dollar-Milliarden enorme Budgetdefizite nach sich ziehen und dadurch eine weitere Schuldenkrise ausgelöst wird.
Tatsächlich wurde erst im Kontext dreier aufeinander folgender ökonomischer Krisen während der letzten zehn Jahre das ehrgeizige Projekt eines gemeinsamen ASEAN-Marktes durchgesetzt. Mit diesem haben sich die zehn Mitgliedsländer kategorisch auf die Vertiefung von Freihandel, Wettbewerbsorientierung und eine offene Marktwirtschaft – also die Fortführung des neoliberalen Kurses – festgelegt. Jedoch existiert diese Festlegung zunächst nur auf dem Papier. Die Umsetzung geschieht auf Ebene der einzelnen Nationalstaaten, und die Durchführbarkeit der Vision eines gemeinsamen Marktes bis 2015 gerät durchaus mit der Realpolitik asiatischer Eliten in Konflikt – denn es sind deren Interessen, keine Ideologien, die letztlich zählen. Die Eliten Asiens können zutiefst anti-marktwirtschaftlich und wettbewerbshemmend agieren, wenn dies ihren Interessen entspricht.

Fazit
Die globale Krise ist nicht die einzige Ursache für die anti-demokratischen Tendenzen, die wir identifiziert haben, aber sie hat den schon länger existierenden diskursiven und institutionellen Angriff auf die Demokratie verschärft und beschleunigt. Die hegemonialen neoliberalen AkteurInnen haben die Krise als Chance wahrgenommen, diese zu ihrem Vorteil zu nutzen und neoliberale Politiken zu erneuern und zu stärken. Während Weltbank, IWF und ihre G-20-Verbündeten von Reformen sprechen, läuft ihre Strategie auf eine Restrukturierung der gesellschaftlichen Klassenverhältnisse hinaus, welche die Hegemonie des Kapitals und die Macht der Eliten sichern, Entwicklungsstrategien (von Staaten wie von internationalen Organisationen) in Richtung Marktorientierung festschreiben und das Institutionengefüge in Staat und Gesellschaft entsprechend der Logiken, Anforderungen und Imperative des Neoliberalismus umgestalten soll. Die grundlegenden Regeln und Werte der politischen Ökonomie sollen den Marktkräften unterworfen werden, nicht der Demokratie.
Die Staaten Ost- und Südostasiens reagieren auf die Krise im Rahmen eines polit-ökonomischen Regimes, das wir als autoritären Liberalismus bezeichnen. Die Erfahrungen aus den Krisen von 1997 und nach dem 11. September 2001 sind eindeutig; die banking as usual-Politik der ADB bevorzugt weiterhin den privatwirtschaftlichen Sektor; und das ASEAN-2015-Projekt eines gemeinsamen Binnenmarkts verweist auf die weitere Verankerung des autoritären Liberalismus als Staatsform im Prozess der neoliberalen Reproduktion der Räume des Kapitalismus in Zeiten der multiplen Krise.
Eine dritte Tendenz24 ist das Erstarken des Nationalismus in den USA und Europa. Das reicht von protektionistischer Wirtschaftspolitik bis zu Rassismus, Islamophobie, (neo-) kolonialistischen Entwicklungsstrategien und einer restriktiven, ausgrenzenden Migrationspolitik. Diese Praxen sind ausschließend und grundlegend undemokratisch.
Diese Krise zeigt deutlich die Schwachstellen des globalen Kapitalismus im Allgemeinen und des Neoliberalismus im Speziellen. Doch in einer Situation, in der die politische und ökonomische Machtkonstellation weiterhin die hegemonialen Akteure und Strukturen massiv bevorzugt, befördert der „zeit-räumliche fix“25 der gegenwärtigen globalen Krise die Reproduktion des Neoliberalismus und anti-demokratische Projekte. Die sich verschärfenden Angriffe auf die Demokratie zeigen, wo, warum und wie Widerstand geleistet und Kämpfe geführt werden können und sollen.

Bonn Juego hat Politikwissenschaft auf den Philippinen und in Malaysia studiert und ist aktuell PhD Fellow an der Universität Aalborg.

Johannes Dragsbaek Schmidt ist außerordentlicher Professor an der Universität Aalborg. Zuletzt hat er auf Deutsch veröffentlicht: Finanzkrise, Sozialkrise und ungleiche Entwicklung in Südkorea und Thailand, in: Küblböck, Karin/Staritz, Cornelia (Hg.): Asienkrise: Lektionen gelernt? Finanzmärkte und Entwicklung, Hamburg 2008, S. 143-158

Übersetzung: Benjamin Opratko

Anmerkungen
1 Wenn die Analyseebene „von unten“ gewählt – d. h. auf Zivilgesellschaft und soziale Bewegungen fokussiert – wird, lässt sich natürlich argumentieren, dass die bloße Tatsache, dass Oppositionspolitik und Widerstand existiert, als Anzeichen für Demokratisierung gewertet werden kann.
2 Anm. d. Red.:In einer längeren Version dieses Artikels gehen die Autoren auf eine dritte globale Tendenz ein, die sie in diesem Zusammenhang für wichtig halten: das Erstarken von Nationalismus, Rassismus und (neo-)kolonialen Entwicklungsstrategien in Europa und den USA. Aus Platzgründen kann dieser Aspekt hier nicht näher behandelt werden, eine ausführliche Auseinandersetzung damit lässt sich aber in der Originalversion nachlesen: Juego, Bonn/Schmidt, Johannes Dragsbaek: The Global Crisis and the Assault on Democracy. Paper presented at the Conference ‘After the Gold Rush: Economic Crisis and Consequences’, University of Iceland, Reykjavik, unter: http://vbn.aau.dk/files/32589147/Juego&Schmidt%20(2010),%20The%20Global%20Crisis%20and%20the%20Assault%20
on%20Democracy.pdf
3 Harvey, David: Kleine Geschichte des Neoliberalismus, Zürich 2007
4 Zwar ist die neoliberale Form des Kapitalismus gestorben (d.h. der Marktfundamentalismus oder das Fehlen direkter staatlicher Intervention in den Markt), aber nicht der Kapitalismus als Prozess der Kapitalakkumulation und als Verhältnis, in dem Arbeit unter Kapital subsumiert wird. (vgl. Juego, Bonn/Schmidt, Johannes Dragsbaek: Unpacking the Global Crisis: Neo-liberalism, Financial Crises, and Authoritarian Liberalism, Paper presented at the Sixth Historical Materialism Conference: ‚Another World is Necessary: Crisis, Struggle and Political Alternatives’, London, 2009).
5 Polanyi, Karl: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystem, Frankfurt/M. 1978; vgl. Bugra Ayse/Agartan, Kaan (Hg.): Market Economy as a Political Project: Reading Karl Polanyi for the 21st Century, Basingstoke 2007
6 Cammack, Paul: The Evolving Agenda of „Poverty Reduction“: from Structural Adjustment to Universal Competitiveness, Paper presented at the ISA Annual Convention, New York 2009, unter: http://www.allacademic.
com//meta/p_mla_apa_research_citation/3/1/0/3/7/pages310370/p310370-1.php
7 Bruno, Michael: Deep Crises and Reform: What Have We Learned?, Washington D.C. 1996, S. 4; vgl. auch Klein, Naomi: Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus, Frankfurt 2007
8 Bello, Walden: All Fall Down, unter: http://www.fpif.org/articles/all_fall_down
9 G-20: Communiqué, Meeting of Finance Ministers and Central Bank Governors, 7 (2009), Abschnitt 5
10 Cammack, Paul: The Governance of Global Capitalism, in: Historical Materialism 11(2) 2003, S. 37–59; ders.: „All Power to Global Capital!“, Papers in the Politics of Global Competitiveness 10, Institute for Global Studies, Manchester Metropolitan University, unter: http://e-space.openrepository.com/e-space/bitstream/2173/6190/3/The%20Politics%20of%20Global%20Competitiveness.pdf
11 vgl. World Bank: Global Monitoring Report 2009: A Development Emergency, Washington 2009
12 ebd., S. xii
13 Zoellick, Robert: Seizing Opportunity from Crisis; Making Multilateralism Work, The World Bank, 31 March 2009, unter: http://web.worldbank.org/WBSITE/EXTERNAL/NEWS/0,,contentMDK:22121476~pagePK:34370~piPK:42770~theSitePK:4607,00.html
14 IMF: Initial Lessons of the Crisis for the Global Architecture and the IMF, Washington 2009, S. 13
15 Juego, Bonn: Constitutionalizing „Authoritarian Liberalism“ in the Philippines: A Critique of the Political Economy of Charter Change, in: Global Development Studies Research Series, 1 (2008), unter: http://vbn.aau.dk/files/14000082/1_GDS_wp.pdf
16 Rodan, Gary/Hewiso, Kevin/Robison, Richard (Hg.): Political Economy of South-East Asia: Markets, Power and Contestation, Sydney 2006
17 Jayasuriya, Kanishka: Beyond Institutional Fetishism: From the Developmental to the Regulatory State, in: New Political Economy, 10(2005), S. 381–387; vgl. ders.: Authoritarian Liberalism, Governance
and the Emergence of the Regulatory State in Post-Crisis East Asia, in: Robison, Richard et al. (Hg.): Politics and Markets in the Wake of the Asian Crisis, London 2000, S. 315-329 sowie ders.: Governance, Post Washington Consensus and the New Anti Politics, in: Working Papers Series No. 2 Southeast Asia Research Centre, City University of Hong Kong 2001, unter: http://www6.cityu.edu.hk/searc/Data/FileUpload/189/WP2_01_Jayasuriya.pdf
18 Juego, Bonn: Securitization against Democratization: War on Terrorism, Authoritarian Liberalism, and Neoliberalism in Post-9/11 Southeast Asia, in: Brockmann, Katrin/Hauck, Hand Bastian/Reigeluth, Stuart (Hg.): From Conflict to Regional Stability: Linking Security and Development, Berlin 2008, S. 71–81
19 ADB: ADB’s Response to the Global Economic Crisis: An Update, 2009
20 vgl. ADB: ADB Financial Products, 2008
21 ADB 2009, a.a.O.
22 ebd.; ASEAN: Annual Report 2008-2009: Implementing the Roadmap for an ASEAN Community 2015, Jakarta 2009
23 vgl. ASEAN: Economic Stimulus: Thailand, Malaysia spend billions to boost economy, ASEANAffairs.com 2008; ADB 2009, a.a.O.
24 siehe Fußnote 2
25 Anm. d. Übers.: Der marxistische Wirtschaftsgeograph David Harvey bezeichnet als „raum-zeitlichen fix“ Strategien, in denen überakkumuliertes Kapital dem Kapitalkreislauf entzogen wird, indem es an bestimmten Orten investiert und dadurch auf bestimmte Zeit gebunden („fixiert“) wird. Solche „fixes“ können als temporäre Lösung von durch Überakkumulation verursachten Krisen dienen, (engl. „to fix“ kann auch „reparieren“ heißen), schieben diese aber zugleich immer nur zeitlich hinaus (vgl. Harvey, David: Der neue Imperialismus, Hamburg 2005; sowie die Einleitung der ÜbersetzerInnen in Silver, Beverly: Forces of Labor. Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870, Berlin 2005).





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