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Zwei Logiken der Macht
von Stefan Probst

Spätestens seit Bushs War Against Terrorism erleben wir ein Revival marxistischer Imperialismustheorien, die versuchen, die neuen Kriege, die Instabilitäten und Widersprüche im globalen Kapitalismus zu Beginn des neuen Jahrtausends zu erklären. Mit Der neue Imperialismus hat David Harvey, marxistischer Geograph und führender Vertreter eines „historisch-geographischen Materialismus“, einen wichtigen Beitrag zu dieser Debatte geleistet.
Harvey definiert den kapitalistischen Imperialismus als widersprüchliche Verschmelzung von zwei Logiken der Macht: einer territorialen (geopolitischen) und einer kapitalistischen (ökonomischen). Das Verhältnis zwischen beiden ist weder funktionell noch einseitig. Weder operieren Staaten und Imperien immer aus kapitalistischen Motiven, noch werden die ökonomischen Prozesse von Staaten und Imperien gelenkt. Kapitalistische und territoriale Machtlogik sind als voneinander verschieden zu begreifen, aber gleichzeitig „auf komplexe und widersprüchliche Weise miteinander verwoben“. (36)

Aus Perspektive der kapitalistischen Logik geht es bei imperialistischen Praktiken darum, die ungleichen geographischen Bedingungen, die notwendig aus kapitalistischen Tauschbeziehungen entstehen, auszunutzen, während es Hauptaufgabe des Staates ist, „die asymmetrische Struktur des räumlichen Tauschs, die sich zu seinem Vorteil auswirkt, zu erhalten.“ (38)

Staatliche Aktivität ist auch zentral bei der Lösung der regelmäßigen Überakkumulationskrisen im Kapitalismus, entweder durch massive Entwertung oder Erschließung neuer Verwertungsmöglichkeiten im Inneren, oder durch geographische Expansion nach außen und die Umstrukturierung räumlicher Beziehungen. Hier kommt das ins Spiel was Harvey „Akkumulation durch Enteignung“ nennt. Der Kapitalismus benötigt stets einen Vorrat an Vermögenswerten außerhalb seiner selbst, um dem Druck der Überakkumulation zu entgehen. Der Prozess der „ursprünglichen Akkumulation“ bei Marx – „die Kommodifizierung und Privatisierung des Bodens…, Umwandlung verschiedener Formen von Eigentumsrechten (öffentlich, kollektiv, staatlich usw.) in exklusive Eigentumsrechte; Kommodifizierung der Arbeitskraft und die Unterdrückung alternativer (traditioneller) Formen der Produktion und des Konsums; koloniale, neokoloniale und imperialistische Prozesse der Aneignung von Vermögenswerten…“ (143) – ist für Harvey deshalb nicht nur ein Phänomen in der Entstehungsgeschichte des Kapitalismus, sondern „eine wichtige und anhaltende Kraft in der historischen Geographie der Kapitalakkumulation durch Imperialismus“. (141)

Insbesondere seit der Welt-wirtschaftskrise 1973 wurde die „Akkumulation durch Enteignung“, als Kompensation für die chronischen Probleme der Überakkumulation, immer wichtiger. Hauptvehikel dieser Entwicklung war die Finanzialisierung und die effektive Abstimmung eines internationalen Finanzsystems, das bestimmten Gebieten oder auch ganzen Ländern – gestützt auf internationale Institutionen – brutale Entwertungsrunden auferlegen konnte. (154) Dies ist nach Harvey das zentrale Kennzeichen des neuen, „neoliberalen Imperialismus“; die Hegemonie der USA in dieser Konstellation spiegelte sich in ihrer Führungsrolle in den internationalen Finanzinstitutionen („Wall-Street-US-Finanzministerium-IWF-Komplex“).

Die Bush-Administration führt diese Politik fort. Jedoch zeichnet den „neokonservativen Imperialismus“ im Unterschied zum neoliberalen aus, dass er verstärkt mit Zwang statt mit Konsens operiert. Die Ursachen dafür sieht Harvey in der schwindenden Dominanz des US-Kapitals nicht nur in der Produktion sondern auch im Finanzsektor. Der neokonservative Imperialismus versucht, die Schwächen der wirtschaftlichen Grundlagen seiner geopolitischen Macht zu kompensieren, indem er sich auf den einzigen Bereich stützt, in dem die USA noch absolut dominieren: den militärischen. Die Sicherung der Ölreserven im Mittleren Osten soll ihnen die Mittel in die Hand geben, „um auf jede innerhalb der Weltwirtschaft drohende – wirtschaftliche oder militärische – Machtverschiebung zu antworten“ und die US-Dominanz in den nächsten 50 Jahren sichern. (80)

Harvey betont jedoch die Widersprüche in dieser Strategie: die Unvereinbarkeit der heute vorherrschenden wirtschaftlichen Bedingungen, der kapitalistischen Machtlogik, mit der spezifischen durch den neokonservativen Imperialismus angestrebten territorialen Logik. Bspw. treiben die Kosten des Irakkriegs das Haushaltsdefizit der USA weiter in die Höhe. Hinzu kommt die prekäre internationale Lage der US-Ökonomie: die private und staatliche Auslandsverschuldung macht die US-Wirtschaft außerordentlich verwundbar für Kapitalflucht, je mehr das Vertrauen in die US-Regierung sinkt. Die Gefahr der „imperialen Überdehnung“ ist ständig präsent; „die kapitalistische Logik der Macht“ könnte „die territoriale Logik, der man jetzt folgt, in Stücke reißen“. (84)

Harvey gelingt es, komplexe Theorien und Sachverhalte klar und in einfacher Sprache zu erklären. Die deutliche Unterscheidung zwischen neoliberalem und neokonservativem Imperialismus hat sich zwar in den letzten Monaten relativiert und Harveys politisches Plädoyer für einen „neuen New Deal“ als „einzig mögliche, wenn auch befristete Antwort“ (202) auf die Probleme wird kaum jemand überzeugen können. Dennoch: Mit Der neue Imperialismus ist Harvey ein Buch gelungen, das Wert ist, gelesen und diskutiert zu werden. Empfehlung.





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