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Aufstand ist (k)ein Kinderspiel!
von Elisabeth Steinklammer, Kristina Botka, Barbara Tinhofer und Gloria Fleischmann

Elisabeth Steinklammer und Kristina Botka analysieren mit Barbara Tinhofer und Gloria Fleischmann (alle vom Kollektiv Kindergartenaufstand) die gesellschaftliche Bedeutung der Institution Kindergarten und berichten von der aktuellen Situation der KindergartenpädagogInnen in Wien und ihrem Arbeitskampf.

Seit März 2009 haben wir als eine anfangs kleine, doch ständig wachsende Gruppe1 von Kin-dergartenpädagogInnen und BetreuerInnen durch öffentlichen Protest, Publikationen und Interviews auf unsere prekäre Arbeitssituation hingewiesen – nicht zuletzt auch durch die Soli-darisierung mit den BesetzerInnen an den Universitäten. Wir agieren und politisieren unter dem Namen „Kollektiv Kindergartenaufstand“2. Wir setzen uns für grundlegende Verände-rungen im Elementarbildungsbereich ein und haben damit einen Arbeitskampf begonnen, der nicht nur die Rahmenbedingungen in österreichischen Kindergärten verändern will, sondern gleichzeitig das Image der „Kindergartentante“ auf den Kopf stellt.

Kindergartenpädagogik und Hegemonie
Die Kindergartenpädagogik und die Organisation des Kindergartens in Österreich muss im Kontext des gesamten Bildungssystems und als Teil eines Staates anerkannt werden, in dem Bildung ein machtvolles Instrument ist. Die oft zitierte „Gesellschaft von Morgen“ wird hier (aus)gebildet, um je nach Form der Bildung dazu beizutragen, sich entweder in ein System einzuordnen oder selbstbestimmt und kreativ zu handeln. In diesem Sinne ist Bildung immer politisch, da sie entweder dazu beiträgt, die bestehende gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten, oder Kinder in ihrer Subjektwerdung unterstützt, die zu einer Veränderung der Verhältnisse beitragen kann. Wir beziehen uns hierbei vor allem auf Antonio Gramsci, in dessen Hegemonieverständnis3 die erzieherische Dimension eine zentrale Rolle spielt. Für ihn ist „jedes Verhältnis von ‚Hegemonie’ […] notwendigerweise ein pädagogisches Verhältnis [...]“4, das auch als Umkehrung nachvollziehbar bleibt: Jedes pädagogische Verhältnis ist ein von Hegemonie geprägtes Verhältnis; die „erziehende“ Person reproduziert hegemoniale Vorstellungen durch erzieherische Maßnahmen.
Insofern sind die gesellschaftlichen Institutionen der Erziehung und Bildung, zu denen auch der Kindergarten gehört, „ideologisches Terrain“5, auf welchem sich Individuen ihr Bewusst-sein erarbeiten, sich Weltdeutungen aneignen und diese ausgestaltet werden, bestehende Herr-schaftsstrukturen auch hinterfragt und zurückgewiesen werden könn(t)en.6
Dabei wird ein Verständnis des Menschen deutlich, in dem dieser nur im Kontext des gesell-schaftlichen Ganzen zu analysieren ist. Gramsci fasst den Menschen als einen „geschichtlichen Block“.7 Hier findet Gramscis Verständnis von Persönlichkeitsentwicklung ihren Ausdruck: „Die Außenwelt, die allgemeinen Verhältnisse zu verändern, heißt sich selbst zu potenzieren, sich selbst zu entwickeln.“8
Damit ist einerseits gemeint, dass das Individuum in der Persönlichkeitsentwicklung von den sozialen Umständen und deren historischer Gewachsenheit geprägt ist, es aber gleichzeitig auf diese aktiv zurückwirkt.9 Das bedeutet, dass durch die Beteiligung an progressiven Bewegun-gen oder durch das Mitwirken von Kindern an der Entwicklung alternativer Weltanschau-ungskonzepte wiederum ihr Selbst- und Weltverständnis verändert werden kann. Die Forde-rung, Kinder ganzheitlich zu erziehen und eine Persönlichkeitsbasis zu fördern, die eine indi-viduelle Weiterentwicklung ermöglicht, bedeutet auch eine geschlechterunspezifische, stereo-typenfreie Erziehung. Dazu muss Kindern aber erst einmal die Möglichkeit gegeben werden und PädagogInnen brauchen eine entsprechende Ausbildung.
Andererseits steckt in dem Zitat ein pädagogisches Verständnis, dessen Bildungsziel die Ver-wirklichung einer umfassenden und nicht unmittelbar zweckgebundenen Bildung für Kinder (der ArbeiterInnenklasse), als erzieherische Selbstermächtigung (der revolutionären Klasse) ist. Der Bildungsprozess soll also die Bedingungen sowie Möglichkeiten der Freiheit und der Entwicklung der Menschen aufzeigen und ein Bewusstsein von menschlichen Entwicklungs- und Lebensperspektiven schaffen.10 Gramsci vertritt eine Pädagogik vom Standpunkt der Ler-nenden aus. Hierbei sind freiwillige und spontane Lernprozesse, die unmittelbar an kollektive politische Praxis und Erfahrungen der sozialen Bewegungen angebunden sind, essenziell.11 Daraus leitet sich für die PädagogInnen eine zentrale Aufgabe ab: die Kinder in ihren sozialen Erfahrungen innerhalb der Gruppe zu beobachten, darauf aufbauend an ihren Erfahrungen anzusetzen und Unterstützung bei der selbstständigen Bewältigung von sich stellenden Lernaufgaben zu bieten.
Dieses Aufgabenverständnis wird auch in der Ausbildung von KindergartenpädagogInnen vermittelt, wo das Spiel als zentrale Lernform von jungen Kindern im Mittelpunkt aller päda-gogischen und didaktischen Überlegungen steht.12 Die Funktion der Kindergartenpädago-gin/des Kindergartenpädagogen ist mit Gramsci als die einer freundschaftlichen Anleite-rin/eines freundschaftlichen Anleiters13 zu sehen. Das Bild der/des „Erzieherin/Erziehers“ hingegen ist abzulehnen. Zwar gibt es auch nach seiner Vorstellung die Notwendigkeit von erzieherischem Eingreifen, um auf die Entfaltung individueller Mündigkeit hinzuführen.14 Die Betonung liegt hierbei jedoch auf der Entfaltung individueller Mündigkeit im Gegensatz zu einer Erziehung, die um die Anpassung an die bestehenden Verhältnisse bemüht ist.
Dabei ist ein zweiter Aspekt mit Blick auf die Funktion der PädagogInnen zentral: Mit Gramsci kommt der Intellektuellengruppe der „Lehrkräfte vom Volksschulalter bis zu den Universitätsprofessoren“15 – wobei KindergartenpädagogInnen wohl ebenso zu den „pädago-gischen Fachintellektuellen“16 gezählt werden können – eine zentrale Rolle als VermittlerInnen hegemonialer Verhältnisse zu.17 Daraus ergibt sich eine direkte Verantwortung der Päda-gogInnen, nicht nur für die Lernprozesse der Kinder, sondern für die Gestaltung der Gesell-schaft an sich. Denn die Rolle und Funktion die einE PädagogIn im Lernprozess der Kinder einnimmt, das Gesellschaftsverständnis das sie dabei vermittelt und ihr eigenes Handeln im Alltag reproduziert entweder herrschende Verhältnisse oder unterstützt Kinder dabei, eine Auffassung der Wirklichkeit zu erlangen, die sich aus Erfahrungen und sozialen Kämpfen ihrer Zeit entwickelt. Aus Sicht der PädagogIn beinhaltet dies nicht zuletzt eine Zurückwei-sung hegemonialer Wissens- und Lernpraxen18 und die Entwicklung eigener Lernziele.

Der Kindergarten als Schule der Zweigeschlechtlichkeit19
Dieses Verständnis der Bedeutung frühkindlicher Pädagogik steht in krassem Widerspruch zum gängigen Bild des Kindergartens als Ort der einfachen Versorgung. Oft müssen sich Pä-dagogInnen Aussagen gefallen lassen, wie „Sei doch froh, dass du fürs Spielen bezahlt wirst!“ oder „Was machst du denn schon? So ein paar Kinder hüten kann doch nicht so schwer sein!“
Hier kann auf die vorherrschenden Geschlechterverhältnisse rückgeschlossen werden. Nancy Fraser betont, dass „selbstverständlich […] die Rolle des/der Kinderbetreuers/betreuerin im klassischen Kapitalismus – wie anderswo auch – eine ganz offenkundig weibliche Rolle [ist].“20 Dies lässt sich anhand von Statistiken zur Kinderbetreuungssituation in Österreich schnell belegen: In Österreich sind Kinder bis zum dritten Lebensjahr hauptsächlich zu Hause und werden dort von der Mutter21 betreut. Im Jahr 2006 waren nur 10,8 Prozent der Kinder im Alter unter drei Jahren in institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen untergebracht.22
Kinderbetreuung erfährt im Allgemeinen keine hohe gesellschaftliche Achtung. Belegt wird die gesellschaftliche Geringschätzung von Erziehungsarbeit in erster Linie dadurch, dass sie großteils unbezahlt verrichtet wird. Werden Kinder außerhäuslich betreut, ist die Entlohnung für die PädagogInnen stets gering und Kinderbetreuung in Österreich wird als ein „typischer Frauenberuf“ angesehen. Von der Geburt an über die ersten Lebensjahre zu Hause und weiter über die pädagogische Betreuung in Kinderkrippen, Kindergärten und bis zur Volksschule werden Kinder – von wenigen Ausnahmefällen abgesehen – von weiblichen Personen betreut. Im Kindergartenjahr 2006/2007 arbeiten in ganz Österreich 26.014 weibliche und 283 männ-liche Personen in den Kindergärten – das macht einen Anteil weiblicher Arbeitskräfte von 98,92% aus.23 Aus der oben diskutierten hegemonietheoretischen Sicht auf Bildung bedeutet diese „Vergeschlechtlichung“ des Kindergartens für Kinder, in geschlechtsstereotypen Le-bensrealitäten aufgezogen zu werden. Die Institution fügt sich damit in die gesamtgesell-schaftliche Ordnung der Sphärentrennung von männlich/weiblich ein, da selbst in der außer-häuslichen Betreuung von Kindern die Betreuungsarbeit weibliche Arbeit bleibt.
Demgegenüber würde ein Bildungsverständnis, dass der individuellen, selbstbestimmten Freiheit im Lernprozess durch eigenes Handeln und Erkennen Rechnung trägt, auch ein Re-flektieren von Verhalten möglich machen und damit dazu beitragen, die herrschenden Ge-schlechterverhältnisse in Frage zu stellen. So könnten etwa die eigenen Erfahrungen von Mädchen und Buben jenen der hegemonialen Vorstellungen über Geschlechter gegenüberstehen24. Wenn nun eine kritische Verallgemeinerung gefördert wird, so könnte dies bedeuten, dass Kinder feststellen, dass gesellschaftliche zweigeschlechtliche Sphärenteilung zu hinter-fragen und zu verändern ist. Die dafür notwendigen Identifikationsmöglichkeiten mit möglichst vielfältigen und unterschiedlichen Frauen- und Männerbildern sind in der derzeitigen Situation allerdings nicht gegeben. Dies drückt sich eben auch im gesellschaftlichen Stellenwert dieses „Frauenberufs“ aus. Insofern ergibt sich als zentrale Forderung, dass Kleinkinder-erziehung nicht länger als vorrangig unbezahlte, folglich wenig wertvolle, privatisierte, nicht als Arbeit angesehene Tätigkeit gesellschaftlich (un-)behandelt bleiben darf, sondern den Status eines gesamtgesellschaftlichen Verantwortungsbereichs erhalten muss.

Neoliberale Bildungsansprüche
Das gesellschaftlich nach wie vor dominante Verständnis von PädagogInnen als „Spieltanten“ und das Verständnis von Kindergärten als bloße Bewahrungsanstalten ist eng verknüpft mit einem verschulten Lernbegriff. Soziale Prozesse zu begleiten, Kinder dabei zu unterstützen, die eigene Reflexions- und Kritikfähigkeit zu entfalten und sich darin zu üben, in Alternativen zu denken, sind Arbeitsformen bzw. Lernprozesse, die nicht an Bastelarbeiten oder Arbeits-blättern zu messen sind. Sie haben daher oftmals geringen gesellschaftlichen Stellenwert und werden nicht als „gewünschtes“ Lernen wertgeschätzt.
Gleichzeitig ist das Bild vom Kindergarten als Verwahrungsanstalt in Veränderung begriffen. Dabei gibt es eine widersprüchliche Entwicklung, die einerseits dazu beiträgt, dass der Kin-dergarten von immer mehr Menschen (vor allem Eltern) als Bildungseinrichtung anerkannt wird. Andererseits folgt diese Entwicklung den Tendenzen einer Ökonomisierung von Bil-dung, die auch vor dem Kindergarten nicht halt macht. Der neue Bildungsanspruch, der mit den Erwartungen an den Kindergarten oft einher geht, ist nämlich eben kein ermächtigender, sondern entspricht der neoliberalen Vorgabe, dass Kinder möglichst früh „Verwertbares“ ler-nen sollen, um ihr potenzielles Humankapital zu steigern und so Startvorteile gegenüber den AlterskollegInnen in der weiteren Bildungslaufbahn und dann ultimativ am Arbeitsmarkt zu haben. Das Spiel als wichtigste Lernform junger Kinder wird ersetzt durch Forderungen nach verschultem, messbarem Ausbildungs-Lernen, bei dem sich die Kinder möglichst früh, mög-lichst viel vorgefertigtes Wissen aneignen. Krassestes Beispiel dafür sind Englischkurse nach Schema (in den USA ist es eben dann Mandarin) ab dem zweiten Lebensjahr, die von immer mehr Kindergärten angeboten werden um „am Markt bestehen zu können“. Aber auch Schreibübungen, die Einführung von Stundenplänen und Sitztraining sind Teil der neolibera-len Zurichtung. Sie befördert ein Konkurrenzdenken, das nicht die Selbstpotenzierung der Kinder in den Mittelpunkt rückt sondern deren bestmögliche Verwertung in einer neoliberalen Gesellschaftsordnung.25
Zwar ist über diese Entwicklung der Ökonomisierung die Bedeutung des Kindergartens ge-sellschaftlich gestiegen, auf der Strecke bleiben bei einer derartigen Ausrichtung aber die freie Persönlichkeits- und die emotionale Entwicklung der Kinder. Wir befinden uns also nicht nur in einer Auseinandersetzung um die Arbeits- und Rahmenbedingungen im Kindergarten, son-dern auch über dessen inhaltliche, ideologische Ausrichtung, sprich dem Lernverständnis und der Lernkultur.

Kindergärten in Österreich
Die politische Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für die gesellschaftliche Institution des Kindergartens spielt eine zentrale Rolle für die Art der Bildung, die darin stattfinden kann. Auffälligstes Charakteristikum in diesem Zusammenhang ist, dass es in Österreich so gut wie keine einheitlichen Rahmenbedingungen gibt. Dies resultiert daraus, dass die gesetzliche Re-gelung von Kindergärten, Horten und Kinderkrippen in Österreich seit 1962 unter die Zustän-digkeit der Landesregierungen fällt, weshalb neun verschiedene Landeskindergartengesetze existieren, anstatt eines Bundesrahmengesetzes. Dennoch sind die „Eckpfeiler“ ähnlich; es gibt kein Bundesland, wo der Beruf tatsächlich gut bezahlt wird oder die Gruppengrößen stark variieren. Die föderale Regulierung des Kindergartenwesens hat auch dazu geführt, dass es trotz einheitlicher Ausbildungs- und Qualifizierungsstrukturen viele unterschiedliche Träge-rInnenorganisationen und damit ArbeitgeberInnen für die PädagogInnen gibt. Das bedeutet in weiterer Folge, dass je nach ArbeitgeberIn auch die gewerkschaftliche Vertretung der Päda-gogInnen variiert. Da es weder ein einheitliches Bundesrahmengesetzt gibt, noch einen Kol-lektivvertrag für KindergartenpädagogInnen, unterscheiden sich mitunter auch die Arbeitsbe-dingungen. Wir werfen hier einen exemplarischen Blick nach Wien, wo ca. die Hälfte aller PädagogInnen bei der Gemeinde Wien angestellt ist und daher von der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten (GDG) vertreten werden. Für sie gilt das Gehaltsschema der Gemeinde Wien, das Signalwirkung für die anderen ArbeitgeberInnen hat, aber nicht zwingend übernommen wird. Die andere Hälfte der PädagogInnen arbeitet bei privaten TrägerInnen und wird daher von der Gewerkschaft der Privatangestellten- Druck, Papier, Journalismus (GPA-djp) vertreten. So entsteht das Problem, dass es kein einheitliches Dienstrecht oder einen ge-meinsamen Kollektivvertrag gibt.
In der Regel ist einE PädagogIn in Wien alleine für die Erziehung und Bildung von 25 Kin-dern in einer Gruppe zuständig, wobei grundsätzlich eine unausgebildete Hilfskraft als Unterstützung, meist aber für organisatorische Tätigkeiten, zur Verfügung steht.26 Außerdem stehen PädagogInnen in Wien zumeist vier von 40 Stunden für Vorbereitungen zur Verfügung. Je nach ArbeitgeberIn müssen in dieser Zeit aber auch Elternarbeit, Teamsitzungen und ähnliches stattfinden, wodurch die Zeit für tatsächliche Planung und Vorbereitung der Bildungsarbeit, deren verpflichtende schriftliche Reflexion sowie für Einzelförderung minimal ist und viele PädagogInnen diese unbezahlt in ihrer Freizeit erledigen, um ihrem eigenen pädagogischen Anspruch auch nur halbwegs gerecht werden zu können. Die momentane Arbeitssituation ist für immer mehr KindergartenpädagogInnen derart belastend27, dass die einzige Möglichkeit, den Beruf so gut wie möglich auszuüben darin liegt, von Vollzeit- auf Teilzeitarbeit umzusteigen. Allgemein herrscht in Wien Personalmangel, denn jede dritte Abgängerin einer BAKIP28 ergreift ein Studium, weil die Arbeitsbedingungen die sie in den Kindergärten er-warten unattraktiv sind. Dadurch wird es in Wiens Kindergärten immer schwieriger, die schon aufgrund der bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen schlechte Kindergartenstruktur mit ausreichend qualifiziertem Personal aufrecht zu erhalten, geschweige denn auszubauen. Dies macht es wiederum den PädagogInnen immer schwieriger, den eigenen Standards, aber auch den Rahmengesetzen gerecht zu werden. Der Personalmangel führt dazu, dass Zeit zur knappen Ressource wird, die benötigt wird um auf Kinder individuell einzugehen, Konflikte aufzugreifen und gemeinsam zu lösen, Kinder zu beobachten und dann darauf abgestimmte Bildungsangebote zu setzen. Es braucht aber auch Zeit eine anregende und herausfordernde Umgebung zu schaffen, in der Kinder vielfältige Lernmöglichkeiten vorfinden und sich dem eigenen Tempo entsprechend darin zu Recht finden können. Ein Beispiel: Die Zeit, bei Strei-tigkeiten auf selbst gewählte Lösungsstrategien der Kinder zu setzten (Handlungsalternativen durchdenken, Einfühlungsvermögen trainieren etc.) gibt es nicht, statt dessen werden die Kin-der oftmals schnell gemaßregelt und so daran gehindert, Fähigkeiten zur Konfliktlösung zu entwickeln. Dies entspricht zumeist aber nicht dem Verständnis der PädagogInnen von der eigenen Arbeit und dem Stellenwert dieser wichtigen sozialen Lernprozesse.
Statt dem Personalmangel in Wiens Kindergärten durch Verbesserung der Arbeitsbedingun-gen Abhilfe zu schaffen, um ausgebildete PädagogInnen in den Beruf zu locken, wurde einer-seits versucht, das Problem möglichst von der Öffentlichkeit fern zu halten, was sich in ge-steigertem Arbeitsdruck für die PädagogInnen ausdrückt. Andererseits mussten AssistentIn-nen, die in vielen Einrichtungen PädagogInnen als Unterstützung zur Seite gestellt werden, aber selbst über keine pädagogische Ausbildung verfügen (daher auch weniger verdienen), in den letzten Jahren vermehrt Zeit alleine in der Gruppe verbringen und diese beaufsichtigen. Sie übernehmen dabei immer mehr Aufgaben von KindergartenpädagogInnen, ohne über de-ren Qualifizierung zu verfügen, oder für diese Mehrarbeit entsprechend entlohnt zu werden. Die verpflichtete Besetzung der Gruppen von zumindest einer PädagogIn und einer Assisten-tIn konnte nicht mehr aufrecht erhalten werden.29 Bei KindergartenpädagogInnen, aber auch bei AssistentInnen mehrt sich nun die Überbelastung, bis hin zum Burnout-Syndrom. Für die Kinder heißt dies oft, von Erwachsenen betreut zu werden, die überarbeitet sind und keine Zeit haben, auf ihre individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten einzugehen. Die Rahmenbe-dingungen lassen oftmals nicht mehr als ein bloßes Beaufsichtigen und das Verhindern von Verletzungen zu. Ganz abgesehen von dem Lärmpegel, dem Kinder und Erwachsene ausge-setzt sind, wenn am Nachmittag Gruppen zusammen gelegt werden müssen, weil nicht genü-gend Personal vorhanden ist, wodurch in manchen Berichten von bis zu 50 Kindern pro Gruppe die Rede ist.

Schwierige Voraussetzungen für Widerstand
Angesichts dieser Situation steigt der Frust unter den PädagogInnen laufend, und hinter vor-gehaltener Hand fragen sich Viele schon länger, „warum denn niemand etwas tut“ und sich das alle gefallen lassen. Einzelpersonen haben zwar immer wieder versucht sich zu wehren, sind mit ihrem individuellen Widerstand aber meist an den betriebsinternen Strukturen und Hierarchien gescheitert. In Wien sind die Beschäftigten nun mit einer besonders schwierigen Situation konfrontiert, denn es besteht eine enge Verbindung der verschiedenen öffentlichen wie privaten Trägerorganisationen mit politischen Parteien. So gibt es seit Jahren eine SPÖ-Alleinregierung in der Stadt, wodurch die Zuständigkeit für die Kindergärten der Gemeinde Wien seit langem in Händen der SPÖ liegt und die zuständigen StadträtInnen ArbeitgeberIn-nenfunktionen wahrnehmen. Im privaten Bereich gibt es drei große ArbeitgeberInnen: Die Erzdiözese Wien, Kinderfreunde und Kinder in Wien (KIWI). Die Kinderfreunde verorten ihre Herkunft nicht nur in der ArbeiterInnenbewegung und berufen sich in ihrem Leitbild auf sozialdemokratische Werte, sondern sind auch personell eng mit der SPÖ verbunden.30 KIWI entstand aus dem ehemaligen, ÖVP-nahen Wiener Kinderrettungswerk und ist nach wie vor personell eng mit der ÖVP verbunden. So hat etwa die aktuelle Geschäftsführerin von KIWI auch für die ÖVP einen Sitz im Wiener Gemeinderat.31 Daneben gibt es natürlich noch andere ArbeitgeberInnen, wie selbstorganisierte Elterngruppen und ähnliches, die Mehrheit der Pä-dagogInnen arbeitet aber bei einem der vier Trägervereine Gemeinde Wien, Erzdiözese, Kinderfreunde und KIWI.
Damit ist jede Auseinandersetzung in und um Kindergarten in mehrfacher Weise (partei-) politisch. So nützte etwa die FPÖ die Kritik an der Situation der Wiener Kindergärten für ihre rassistische Propaganda gegen die SPÖ im Rahmen des Gemeinderatswahlkampfes 2010.32
Hinzu kommt, dass innerhalb der österreichischen Gewerkschaften Parteifraktionen eine große Bedeutung einnehmen. Oftmals gibt es enge personelle Verbindungen zwischen Gewerk-schaftsfunktionärInnen und Parteien. So sitzt der derzeitige Vorsitzende der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten zugleich für die SPÖ im Wiener Gemeinderat.33 Dass es dabei zu Interessenskonflikten zwischen den verschiedenen Funktionen kommen muss, liegt nahe. Neben den Gewerkschaften gibt es noch die Berufsgruppe der Kindergarten- und HortpädagogInnen, die sich als Interessensvertretung sieht. Allerdings steht auch ArbeitgeberInnen die Mitgliedschaft offen und im Vorstand sitzen diese mittlerweile zahlreich vertreten – Interessenskonflikte sind also auch hier absehbar.
Bisher gab es daher keine einheitliche Vertretung bzw. einen Rahmen, innerhalb dessen sich alle PädagogInnen organisieren konnten. Dies führte zu einer Vereinzelung der PädagogInnen in den Kindergärten. Zwischen letzteren gibt es kaum Kommunikation, was Trägerorganisati-onen insofern zugute kommt, als hier Konkurrenz zu anderen Einrichtungen aufgebaut wird bzw. die PädagogInnen verunsichert und gegeneinander ausgespielt werden („denen geht es ja noch schlechter als uns…“).
Obwohl zurzeit eine prinzipielle „Marktmacht“34 der PädagogInnen gegeben ist, da sie eine Qualifizierung besitzen, die dringend nachgefragt wird, konnte diese bisher nicht als Macht-potential aktiviert werden – auch weil durch die Vereinzelung die kollektive Macht von den Betroffenen nur schwer wahrgenommen werden kann.

Well behaved women rarely make history!
Im Jahr 2009 kam Bewegung in die öffentliche Debatte um Kindergärten, als die Bundesre-gierung die Einführung des Gratiskindergartens überlegte. Die Aussicht auf die nun bevorste-hende noch höhere Belastung durch die totalen Gruppenauffüllungen brachte in den Kinder-gärten das Fass zum überlaufen. Viele PädagogInnen befürchteten, dass diese, von ihnen unter gesellschaftspolitischen und feministischen Gesichtspunkten an sich positiv gesehenen Maßnahme, zu einer Verschärfung der bereits untragbar gewordenen Situation führen würde, wenn nicht zeitgleich eine umfassende Verbesserung der Rahmenbedingungen erfolgt. Auf-grund des Personalmangels in Wien war dies jedoch kaum zu erwarten.
Bereits im Frühling 2009 hatte eine anfangs kleine Gruppe von PädagogInnen, die nicht mehr bereit war, die untragbaren Arbeitsbedingungen hinzunehmen, begonnen, sich zu treffen um Strategien für eine Verbesserung im Kindergartenbereich zu diskutieren. Die Streiks der Er-zieherInnen in Deutschland in den vergangen Jahren – und die Erfolge im Sommer 2009 – dienten als Vorbild. Kaum eine Pädagogin/ein Pädagoge hat den Arbeitskampf der KollegIn-nen im Nachbarland nicht gespannt verfolgt.
So wurde das Kollektiv Kindergartenaufstand gegründet. Nachdem am 28. März die von sehr vielen Organisationen getragenen Proteste unter dem Titel Wir zahlen nicht für eure Krise35 bevorstanden, wurde für die Demonstration in Wien ein Kindergarten-Block geplant.
Auch die Debatte um das Missverhältnis von milliardenschweren Rettungspaketen für die Banken und gleichzeitiger Unterbezahlung im Sozialbereich trug dazu bei, dass innerhalb von etwa zwei Wochen ein Block mit etwa 70 Leuten für den Kindergartenaufstand mobilisiert werden konnte. Auf der Demonstration wurden E-Mail-Adressen gesammelt, Kontakte ge-knüpft, Erfahrungen ausgetauscht und neue MitstreiterInnen gefunden. Am Beginn standen dabei vor allem zwei Aspekte im Mittelpunkt der Bemühungen: die Öffentlichkeit auf die untragbare Situation aufmerksam zu machen und der Zersplitterung etwas entgegenzusetzen. In diesem Sinne wurde nach den positiven Erfahrungen der Demonstration vom 28. März ein Wienweites Vernetzungstreffen geplant. Denn, so waren sich alle im Kollektiv einig, „nur wenn wir uns alle vernetzen, als Betroffene gemeinsam auftreten und uns auch in manchen Punkten, die uns vielleicht nicht so stark betreffen, mit anderen solidarisieren anstatt nichts zu unternehmen, können wir etwas verändern.“36
An diesem ersten Vernetzungstreffen der PädagogInnen und BetreuerInnen nahmen an die 70 Arbeitende aus verschiedensten Kindergärten Wiens, und auch einige aus Niederösterreich teil, um in angeregten Diskussionen festzustellen, dass die Rahmenbedingungen der Arbeit überall gleich schlecht sind und gleichzeitig in der Auseinandersetzung den ersten Schritt aus der Vereinzelung heraus zu machen. Dabei wurde klar, dass die meisten sich keine Hoffnun-gen auf eine baldige Verbesserung machten, weil weder kollektive gewerkschaftliche Vertre-tung noch andere kämpferische Strukturen im Kindergartenbereich bestanden. Zahlreiche KindergartenpädagogInnen stellten zum ersten Mal fest, dass es doch sehr viel Unmut nicht nur im eigenen Betrieb, sondern flächendeckend gibt, und andererseits die Gruppe derer, die Handlungsbedarf und -willen hat, größer ist, als gedacht. Das „Ergebnis“ des ersten großen Vernetzungstreffens war neben der gemeinsamen Erstellung von Forderungen (wie Reduzie-rung der Kinderanzahl pro Gruppe, Erhöhung der Vorbereitungszeit und des Personalschlüs-sels, höhere Gehälter, ein Kollektivvertrag und damit eine einheitliche gewerkschaftliche Ver-tretung und ein Bundesrahmengesetzt), eine „Flashmobgruppe“, eine „Elterninfogruppe“ so-wie viele neue Kontakte und Ideen. Auf den folgenden regelmäßigen Vernetzungstreffen besprachen PädagogInnen, von denen viele vorher noch nie politisch aktiv waren, das weitere gemeinsame Vorgehen, die strategischen Positionierungen, verfassten politische Texte und planten erste Aktionen.
Es gab innerhalb der ersten Monate eine ständige Mailflut von begeisterten KollegInnen zu bewältigen, die sich engagieren wollten, Mütter und Väter schrieben Solidarisierungen und die Interviewanfragen von diversen aufmerksam gewordenen Medien zeigten, dass hier ein heikles Thema in der österreichischen Politik angegriffen wurde – und das im „roten Wien“!
Im Juni gab es im Museumsquartier den ersten „Flashmob“, an dem sich etwa 200 Menschen beteiligten und der bereits in vielen Medien publik gemacht wurde. Wie bei den Treffen zu-vor, stand auch bei dieser Aktion die Vernetzung der Basis und der Betroffenen sowie die Stärkung nach Innen im Vordergrund. Der Vereinzelung wurde durch solche Aktionen ein eindrucksvolles Bild der Solidarität entgegengesetzt. Das hat viele PädagogInnen ermutigt, weiter für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Aufgrund der engen Ver-knüpfung von ArbeitgeberInnen und politischen Parteien, aber auch durch die gesellschafts-politische Bedeutung von Kindergärten, richteten sich die Proteste und Aktionen vor allem an die Öffentlichkeit, die Bundes- und Landesregierung und vorerst weniger gegen die Arbeitge-berInnen im Einzelnen. Dennoch folgten auf die Proteste auch Auflagen von ArbeitgeberIn-nenseite, nicht mit der Presse zu sprechen und das Kollektiv wurde von besorgten KollegIn-nen kontaktiert, welche sich aufgrund der Reaktionen des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin nur „anonymisiert“ an Aktionen beteiligen wollten. Selbst die Angstmache von Oben konnte die Wut, die durch die nun neu erfahrene Stärke in Engagement umschlug, nicht mehr unterdrü-cken. Die AktivistInnen wurden mehr und wurden offensiver. LeiterInnen solidarisierten sich, Lehrende an BAKIPs verteilten Informationen an ihre SchülerInnen…
An den zwei Demonstrationen, die vom Kindergartenaufstand teils initiiert, teils im Rahmen des Bündnis „SOS Kindergarten – Aktion Aufschrei“37 mitgetragen wurden, haben in den letzten Monaten insgesamt etwa 6000 PädagogInnen, BetreuerInnen, KindergartenleiterInnen, Eltern und Solidarische teilgenommen. Auch die Vernetzung mit anderen Protesten – wie mit der Uni brennt-Bewegung – war ein wichtiger Schritt in Richtung einer breiten Bildungsbe-wegung: kaum ein Bericht über die Unibesetzung kam ohne eine Nennung der Proteste im Kindergartenbereich aus. Gleich am ersten Tag der Studierendenproteste entschloss sich das Kollektiv, sich zu solidarisieren. So wurde klargemacht, dass das Bildungssystem in Öster-reich bereits an der Wurzel fault.
Abseits der öffentlichen Aktionen des Kollektivs wurde am Aufbau von längerfristigen Struk-turen gearbeitet. Der Anspruch des Kollektivs war es, keine internen Hierarchien aufzubauen und daher auch auf SprecherInnen, VertreterInnen ect. zu verzichten. Stattdessen wurde nach Möglichkeiten gesucht, auf breiter Basis Entscheidungen zu treffen und trotzdem handlungs-fähig zu bleiben. Die PädagogInnen organisierten sich den Anforderungen entsprechend in Arbeitsgruppen. Diese kollektive Organisationsform sorgte bei den anderen AkteurInnen in diesem Feld (wie der Berufsgruppe oder manchen Gewerkschaftsteilen sowie VertreterInnen der Presse) für große Unruhe. Für die PädagogInnen des Kollektivs stand aber im Vordergrund, dass alle selbst ExpertInnen ihres Arbeitslebens sind und dementsprechend jedeR für ihre/seine Anliegen sprechen kann. So gab es auch im Kollektiv immer wieder strategische Debatten: Wie sollte mit politischen Parteien umgegangen werden? Wer ist Zielgruppe für welche Art von Protest? Wie sollte im eigenen Betrieb mit der politischen Aktivität umgegangen werden? Und nicht zuletzt: Was haben wir von den GewerkschaftsvertreterInnen zu erwarten?

Kindergartenaufstand und gewerkschaftliche Reaktionen
Durch den regen Zuspruch der Basis wurde die Kontaktaufnahme zu den anderen AkteurInnen im Kindergartenbereich wichtiger. Dies betraf vor allem einzelne, in den verschiedenen Gewerkschaften tätige Menschen und Gruppen, wie KIV38, die innerhalb der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten (GDG) arbeitet, oder work@social39 der GPA-djp. Dort wurde unsere Initiative freudig aufgenommen und bei gemeinsamen Diskussionen auf den Vernet-zungstreffen des Kollektivs eine Zusammenarbeit vor allem für eine erste große Demonstration im Herbst 2009 in Aussicht gestellt.
Andererseits, und für KennerInnen der österreichischen Gewerkschaftslandschaft vielleicht wenig überraschend, mussten die im Kindergartenaufstand organisierten PädagogInnen erfahren, dass die dominierenden Gruppen innerhalb der österreichischen Gewerkschaften wenig vom selbst organisierten „wilden“ Aktionismus der Basis halten40 und entgegen den Erwartungen vieler engagierten PädagogInnen/BetreuerInnen, die teilweise schon jahrelang Gewerkschaftsmitglieder waren, wurde auch bis zuletzt nicht von der Gewerkschaft auf die AktivistInnen zugegangen oder aktive Unterstützung im vermeintlichen gemeinsamen Kampf angeboten.
Zugleich gelang es den dominanten Teilen der Gewerkschaften nicht, die Basisorganisierung der PädagogInnen zu ignorieren. Dazu beigetragen haben etwa die oben genannten Gewerkschaftsgruppen, aber auch Einzelpersonen, die mit unermüdlichen Engagement und Courage innerhalb der Gewerkschaftshierarchien für die Zusammenarbeit mit der Basis kämpften.
Obwohl bisher nicht viel Veränderung in der Kommunikation zueinander bewirkt werden konnte, wurde im Herbst 2009 offensichtlich, wie sehr die Basis Druck auf die Gewerkschaft ausgeübt hat: Nach anfangs zögerlichen Unterstützungsbeteuerungen von Seiten der Gewerkschaft, übernahm schließlich sogar die GPA-djp unsere Forderungen und sicherte uns Unterstützung für eine große Demonstration zu. Und spätestens bei der zweiten großen Demonstration sah sich auch die GDG gezwungen, die Proteste der PädagogInnen in den Medien zu unterstützen. Diese Unterstützung hat sich aber nicht in einer tatsächlichen Zusammenarbeit ausgewirkt. Dass aber gewerkschaftliche Unterstützung in Arbeitskämpfen wichtig ist, davon sind auch die AktivistInnen des Kindergartenaufstands überzeugt und kann nicht zuletzt durch die Erfahrungen bei den Streiks der ErzieherInnen in Deutschland belegt werden.41

Wie weiter?
Kurz vor dem Jahreswechsel gab der GdG-Vorsitzender Meidlinger42 bekannt, eine Lohnerhöhung und mehr Vorbereitungszeit für alle PädagogInnen der Gemeinde Wien verhandelt zu haben. Die Verhandlungsergebnisse der GdG streifen nur einen kleinen Teil der vielen Forde-rungen des Kollektivs, aber sie sind ein Anfang. Sie zeigen vor allem, dass die AktivistInnen damit Recht behalten, den schlechten Zustand des Kindergartens nicht mehr mitzutragen, sondern sich zu wehren.
Die Ergebnisse der Gehaltsverhandlungen der GdG, die mit Jänner 2010 in Kraft treten, setzen nun die privaten ArbeitgeberInnen unter Druck, vergleichbare Verbesserungen mit der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA-djp) auszuverhandeln. Doch insgesamt ändert dies wenig an den Arbeitsbedingungen österreichweit.

Heute ist nicht alle Tage…
Ein dreiviertel Jahr Aktivität des Kollektivs Kindergartenaufstand hat nicht nur die österrei-chische Gewerkschaftslandschaft wie oben beschrieben durcheinander gewirbelt. Wir haben viel über politische Organisierung gelernt. Die Zusammenarbeit mit verschiedensten Organisationen hat zur Bildung eines Netzwerks innerhalb des Sozialarbeitsbereiches geführt. Diskussionen über den Umgang mit Parteien43 und Gewerkschaften, Beschäftigung mit Arbeits-kämpfen von KollegInnen in anderen Ländern sowie die Auseinandersetzung mit deren gewerkschaftlicher Vertretung fanden statt, und nicht zuletzt wurde die eigene Sicht auf den ausgeübten Beruf ständig reflektiert. Die Aktivitäten haben sich schon nach den ersten Monaten für alle Beteiligten als riesengroßer Pool von Lernmöglichkeiten erwiesen. Das ist – neben den real erkämpften Verbesserungen – schon ein echter Sieg.
Ein großes Ziel haben wir auf jeden Fall schon erreicht, nämlich, das Image der lieben, stets freundlichen und alles hinnehmenden Kindergärtnerin anzugreifen. Bilder von kämpferischen PädagogInnen/BetreuerInnen wurden veröffentlicht, und durch die geführten Kämpfe hat sich das Selbstbild verändert.44 Die Veränderung des Blicks auf einen Frauenberuf ist in Gange und damit wurde auch eine neue Identifikationsmöglichkeit für die Mädchen und Buben in den Kindergärten geschaffen.
Klar ist aber auch, dass mit einer Lohnerhöhung oder einer Verkleinerung der Gruppengrößen um einige Kinder nicht das Ideal einer Elementarbildungseinrichtung erreicht sein wird, auch wenn dadurch ein Arbeitskampf gewonnen wäre. Die Ansprüche an die Institution Kindergarten im heutigen neoliberalen Bildungsverständnis, demzufolge die Entwicklung der Kleinkinder bereits als Möglichkeit gesehen wird, sie für den Markt konform zu trainieren, werden damit nicht von alleine aufgelöst.
Nur Kinder, die nicht alle Antworten schon wissen müssen, bevor sie sich Fragen stellen, werden selbst neugierig und entwickeln Interesse an ihrer Welt. Kinder, für deren Gedanken und ihr Weltbild Platz, Zeit und Interesse da ist, lernen, sich in die Gesellschaft einzubringen und sich die Welt selbst anzueignen.

Kontaktadresse: kindergartenaufstand@gmx.at

Anmerkungen
1 Derzeit zählen etwas über 200 in diesem Bereich in Wien tätige PädagogInnen und BetreuerInnen zum Kollek-tiv.

2 www.kindergartenaufstand.at

3 „Als Hegemonie bezeichnet Gramsci einen Herrschaftstyp, „…der im Wesentlichen auf der Fähigkeit basiert, eigene Interessen als gesellschaftliche Allgemeininteressen zu definieren und durchzusetzen.“ Brand/ Scherer 2003:3.

4 Gramsci, Antonio: Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe, Band 6, Philosophie der Praxis, Herausgegeben von Haug, Wolfgang Fritz unter Mitwirkung von Klaus Bochmann, Peter Jehle, Gerhard Kuck. Hamburg/Berlin 1994, S. 1335.

5 Vgl. Ebd, S. 1264.

6 Vgl. Merkens, Andreas 2004 (Hg.): Antonio Gramsci. Erziehung und Bildung. Gramsci-Reader. Hamburg 2004, S. 29.

7 Gramsci 1994, a.a.O.,S. 1341.

8 Ebd, S. 1341f.

9 Vgl. Merkens 2004, a.a.O., S. 31.

10 Vgl. Gramsci, Antonio: Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe, Band 2, Herausgegeben von Haug, Wolfgang Fritz, Hamburg, Berlin 1991, S. 32.

11 Vgl Ebd., S. 22.

12 Insofern besteht auch ein Widerspruch zwischen dem vermittelten Wissen in der Ausbildung und den Rah-menbedingungen, die im Arbeitsalltag vorgefunden werden und die eine solche Bildung erschweren.

13 Gramsci, Antonio: Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe, Band 7, Herausgegeben von Klaus Bochmann, Wolfgang Fritz Haug, Peter Jehle, unter Mitwirkung von Ruedi Graf, Gerhard Kuck, Hamburg/Berlin 1996, S. 1519.

14 Vgl. Merkens 2004, a.a.O., S. 43.

15 Gramsci, Antonio: Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe, Band 8, Herausgegeben von Klaus Bochmann, Wolfgang Fritz Haug, Peter Jehle, unter Mitwirkung von Ruedi Graf, Gerhard Kuck, Hamburg/Berlin 1998, S. 1980.

16 Merkens 2004, a.a.O., S. 39.

17 Vgl. Ebd., S. 7.

18 Vgl. Ebd, S. 34.

19 Vgl. Botka, Kristina: Staat und Geschlechterverhältnisse. Eine theoriegeleitete Untersuchung des österreichischen Kindergartens. Univ. Wien, 2009. Unveröffentlichte Diplomarbeit.

20 Fraser, Nancy: Widerspenstige Praktiken. Macht, Diskurs, Geschlecht. Frankfurt am Main 1994, S. 192.

21 Siehe dazu Statsitik Austria 2006: Kinderbetreuungsgeldbezieherinnen und -bezieher nach Erwerbsstatus und Geschlecht 2006. Siehe: http://www.statistik.at/web_de/statistiken/soziales/sozialleistungen_auf_bundesebene/familienleistungen/020121.html, abgerufen am 13. 03. 2008: Die Betreuungsperson während des Tages ist hier, gemessen am Bezug des Kinderbetreuungsgeldes, in rund 98% der Fälle die Mutter, wenn das Kind bis zu zwei Jahre alt ist. Später steigt der Anteil an Betreuung durch Väter geringfügig. Im Jahr 2006 Jahr waren 98,8% der Kinderbetreuungsgeldbe-ziehenden bei Kindern im ersten Lebensjahr die Mütter, bei Kindern im zweiten Lebensjahr waren es zu 97,9% die Mütter. Der Väteranteil unter den Karenzgeldbeziehenden war somit bei bis zu Einjährigen 1,2% und bei bis zu Zweijährigen 2,1%. Bei den Kindern zwischen zwei und drei Jahren waren im Beobachtungszeitraum 90,6% der Betreuungsgeldbeziehenden die Mütter und 9,4% die Väter.

22 Vgl. Statistik Austria 2007: Kinderbetreuungsquoten nach Altersgruppen 1995 bis 2006. Siehe:
http://www.statistik.at/web_de/static/kinderbetreuungsquoten_nach_altersgruppen_1995_bis_2006_021659.pdf abgerufen am 07.04.2008

23 Siehe dazu Ebd., S. 71ff. Zahlen zu anderen Kinderbetreuungseinrichtungen finden sich im Bericht ebenso.

24 Wenn Mädchen etwa gut im Bauen sind und Jungen gerne Verkleiden spielen oder Ähnliches.

25 Es gibt durchwegs positive Erfahrungen damit, Kindern in der entsprechenden „sensiblen Phase“ ihrer Ent-wicklung die Möglichkeit des Spracherwerbs zusätzlich zur Erstsprache anzubieten, etwa durch zweisprachig geführte Gruppen. Dies widerspricht aber der Idee vom verschulten Lernen abprüfbarer Inhalte.

26 Passend daher der Spruch auf einem Schild bei den Demonstrationen: „1:25 – wie viel individuelle Förderung bleibt da für ein Kind?“

27 Diese Belastung ist sowohl psychisch als auch physisch. Zahlreiche PädagogInnen klagen über körperliche Beschwerden, es gibt in Österreich allerdings keine Erhebung zu den tatsächlichen körperlichen Auswirkungen der Arbeitsbedingungen. Von manchen Betriebsratsgruppen wird nun eine solche Erhebung angedacht.

28 BAKIP: Bundesanstalt für Kindergartenpädagogik. Die Ausbildung zum/r KindergartenpädagogIn dauert fünf Jahre und schließt mit der Matura ab. Sie zählt in Österreich, wie die Ausbildung an einer HTL, zur Schulform der berufsbildenden höheren Schule, der BHS.

29 In anderen Ländern würde eine solche Situation zu immensen Protesten von Seiten der Eltern führen, siehe Dä-nemark: Wenn in Dänemark Eltern auf die Strasse gehen , Kindergärten blockieren, KindergartenleiterInnen den Schlüssel zum Kindertagesheim abgeben, um auf die verhärenden Einsparungsmaßnahmen aufmerksam zu machen, die sich im Kindergartenwesen in Dänemark abzeichnen – es wird eine von drei PädagogInnen pro 15 köpfiger Kindergruppe eingespart – dann zeigt das, dass Verantwortlichkeit dem eigenen Arbeitsanspruch und dem Förderbedarf der Kinder gegenüber also keine Utopie, sondern Alltag ist. Siehe http://www.berlingske.dk/koebenhavn/det-er-svaert-faa-oeje-paa-boernenes-koebenhavn oder

http://www.facebook.com/pages/Kobenhavns-Foraeldreorganisation/134122139911?ref=mf

30 Vgl.: http://kinderfreunde.at/index.php?action=Lesen&Article_ID=2265 am 03.01.2010

31 Vgl: http://klub.wien.oevp.at/10021/ , http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20000310_OTS0084 und http://www.kinderinwien.at/team.php?cat=GF alle am 03.01.2010

32 Eine Reaktion/Distanzierung des Kollektiv Kindergartenaufstands findet sich unter http://kindergartenaufstand.at/index.php?option=com_content&view=category&layout=blog&id=6&Itemid=7

33 Vgl.: http://www.wien.spoe.at/christian-meidlinger am 03.01.2010

34 Für eine ausführliche Diskussion von Machtpotentialen der ArbeitnehmerInnen siehe Brinkmann, Ulrich et. al. (Hg.): Strategic Unionism: Aus der Krise zur Erneuerung. Umrisse eines Forschungsprogramms, Wiesbaden 2008; sowie Silver, Beverly J.: Forces of labor. Arbeiterbewegung und Globalisierung seit 1870, Berlin/Hamburg 2005; Wright, Eric Olin: Working class power. Capitalised class interests and class compromize, in: American Journal of Sociology, 105 (4), 957-1002. 2000; Becksteiner, Mario/Boos, Tobias/ Pire, Ako (2009): Doppelkrise der Gewerkschaft, in: Perspektiven Nr. 8, http://www.perspektiven-online.at/?p=483 am 22.10.2009.

35 http://www.28maerz.at/

36 Kollektiv Kindergartenaufstand: Flyer zum Vernetzungstreffen am 28.05.2009

37 Für weitere Informationen zu den Demo und den Bündnispartnern siehe http://kindergartenaufstand.at/index.php?option=com_content&view=category&layout=blog&id=8&Itemid=9

38 KIV: Konsequente Interessensvertretung, http://kivblog.blogspot.com/

39 www.gpa-djp.at/social

40 „Die Demonstration des Kollektivs bezeichnete der Chef der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten, Christian Meidlinger (Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter, FSG), gegenüber der Tageszeitung Österreich als „nicht von uns gedeckt“. Für ihn ist die Vorgehensweise des Kollektivs „falsch“. Meidlinger klingt verärgert, wenn er über den Kindergartenaufstand spricht. „Uns über die Medien auszurichten, dass sie jetzt streiken, ist nicht sinnvoll“, sagt er. Auch wenn die Kindergärtnerinnen bislang freilich nur demonstriert und nicht gestreikt haben. Die Gewerkschaft bemühe sich sehr wohl, Verbesserungen zu erreichen, aber „mit Verhandlungen, nicht mit Streiks“. Siehe http://www.datum.at/0909/stories/auf-zum-letzten-gefecht/

41 http://www.focus.de/panorama/vermischtes/kita-streik-massenhafte-kita-streiks-in-sechs-bundeslaendern_aid_410336.html

42 http://www.gdg.at/servlet/ContentServer?pagename=C01/Page/Index&n=C01_0.a&cid=1260990022818 am 31.12.09

43 Siehe Kommentar zur FPÖ-Kindergartenmisere: http://www.kindergartenaufstand.at/index.php?option=com_content&view=category&layout=blog&id=6&Itemid=7

44 „Die Außenwelt, die allgemeinen Verhältnisse zu verändern, heißt sich selbst zu potenzieren, sich selbst zu entwickeln.“ Gramsci 1994, a.a.O., S. 1341f.





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