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Die Beauty Queen der Finanzmärkte
von Fabio de Masi

Fabio De Masi

Wer ist schuld an der Krise in Griechenland? Um diese Frage findet eine heiße öffentliche Debatte statt. Fabio De Masi benennt wesentliche Ursachen der griechischen Tragödie und formuliert Ideen für eine solidarisch-demokratische Form der Krisenbearbeitung.[1]

Wie begannen die Probleme in Griechenland? Das lässt sich relativ schnell erzählen. Nach der Wirtschaftskrise haben zwei der drei führenden Rating-Agenturen die Ratings für griechische Staatsanleihen herabgestuft. Griechische Staatsanleihen sind Papiere, die der griechische Staat verkauft und die – im Prinzip – wir alle kaufen können; meistens machen das aber Banken, Hedgefonds und andere große InvestorInnen Diese leihen dem griechischen Staat Geld und bekommen dafür dann vom griechischen Staat Zinsen. Wenn die Rating-Agenturen diese Anleihen herabstufen, dann muss der griechische Staat den Banken, die diese Anleihen halten, höhere Zinsen zahlen. Es wird also teurer für ihn, sich neue Kredite zu besorgen. Warum haben die Rating-Agenturen nun diese Anleihen herabgestuft? Meine These ist, dass die Rating-Agenturen, wie schon während der Wirtschaftskrise, nur nachvollzogen haben, was die SpekulantInnen ihnen diktiert haben. Diese haben schon vor mehreren Monaten begonnen, massiv auf einen Zahlungsausfall Griechenlands zu wetten. Sie haben mit so genannten Credit Default Swaps (CDS), das sind Kreditausfallversicherungen, darauf gewettet, dass Griechenland Pleite geht und seine Schulden nicht bedienen kann. Das heißt, sie haben sich gegen den Fall, dass Griechenland Pleite geht, versichert, und diese Versicherungen dann weiterverkauft. Wenn viele der Meinung sind, dass Griechenland Pleite geht, dann werden diese CDS wertvoller. Und dann kann man alleine damit, dass man so eine Versicherung kauft und wieder verkauft, sehr viel Geld machen. Und schon dadurch geraten diese griechischen Staatsanleihen immer stärker unter Druck – und genau das ist passiert. Irgendwann haben das auch die schlauen Rating-Agenturen mitbekommen, dieses Signal weitergegeben und es damit noch verstärkt. Das ist sehr bedeutend, denn Griechenland muss momentan etwa 30 Milliarden Euro an neuen Krediten aufnehmen, und jeder Prozentpunkt, der mehr bezahlt werden muss, kostet 300 Millionen Euro. Der Maßstab ist hier Deutschland. Der deutsche Staat zahlt für deutsche Staatsanleihen drei Prozent Zinsen an InvestorInnen; die griechischen Anleihen lagen zwischenzeitlich bei sieben Prozent. Wenn jeder Prozentpunkt 300 Millionen Euro ausmacht, dann kann man sich ausrechnen, was dies den griechischen Staat im Jahr kostet: Rund 1,2 Milliarden Euro, nur aufgrund der Entscheidung von InvestorInnen gegen oder für griechische Staatsanleihen. Nun sagen manche: „Aber diese Kreditausfallversicherungen sind ja okay, weil die Besitzer griechischer Anleihen sollen ja auch dagegen abgesichert sein, dass die ihm abschmieren.“ Aber der Witz an der Sache ist, dass ein Großteil des Handels mit diesen CDS von Leuten betrieben wird, die überhaupt keine griechischen Anleihen haben. Das bedeutet, dass nur ein ganz kleiner Bruchteil der an diesen Geschäften Beteiligten tatsächlich ein Interesse daran hat, sich gegen einen Zahlungsausfall Griechenlands zu versichern. Die meisten zocken einfach. Das ist vergleichbar mit jemandem, der eine Brandschutzversicherung auf das Haus seines Nachbarn abschließt und es danach anzündet. Denn im Prinzip wollen sich diese EigentümerInnen von CDS nicht versichern, sondern sie wollen diese Papiere kaufen und wieder weiterverkaufen. Und je wahrscheinlicher der Staatsbankrott von Griechenland ist, desto wertvoller werden diese Papiere für sie.

Finanzmärkte als Preisausschreiben

Es stellt sich aber die Frage, warum SpekulantInnen auf einmal gegen Griechenland wetten. Warum nicht gegen Deutschland, Simbabwe, Frankreich oder irgendein anderes Land? Oder Spanien, genau. Gegen Spanien wetten sie, gegen Portugal, gegen viele andere Länder. Das hat mehrere Gründe. Erstens war die griechische Staatsverschuldung tatsächlich immer relativ hoch, auch im Vergleich zu anderen Ländern der Europäischen Union. Aktuell liegt sie bei 115 Prozent des BIP. Allerdings gibt es Länder wie Spanien oder Irland, die ihre Schuldenquote während des Booms vor der Krise massiv reduzieren konnten und jetzt trotzdem Probleme haben. Und es gibt Länder mit einer viel höheren Schuldenstandsquote – etwa Japan mit 198 Prozent des BIP –, die keinen Stress mit den Finanzmärkten haben und wo die Zinsen noch sehr niedrig sind. Es muss also spezielle Gründe dafür geben, dass InvestorInnen und SpekulantInnen gegen Griechenland wetten. Dazu gehören sicherlich auch die Nachrichten über Korruption und Bilanzfälschungen. Der griechische Staat wird ja – zu Recht – beschuldigt, seine Statistiken gefälscht zu haben. Solche schlechten Nachrichten sind das Beste, was SpekulantInnen passieren kann. Griechenland war die Beauty Queen an den Finanzmärkten, wo es abläuft wie bei einem Schönheitswettbewerb in der Zeitung. Stellt euch vor, ihr macht bei einem Preisausschreiben mit und sollt entscheiden, wer der oder die Hübscheste in der Zeitungsbeilage ist, gewinnt aber nur dann etwas, wenn ihr voraussagt, wen alle anderen LeserInnen im Durchschnitt am hübschesten finden. So ähnlich arbeiten Finanzmärkte. Alle SpekulantInnen wussten, dass es schlechte Nachrichten über Griechenland gibt und es daher ein todsicheres Geschäft ist, gegen Griechenland zu zocken, also auf dessen Zahlungsausfall zu wetten. Dafür gibt es auch andere Beispiele. So wird aus ähnlichen Gründen momentan massiv gegen das britische Pfund spekuliert, seit eine Wahlumfrage ergeben hat, dass die Konservativen schlechter positioniert sind als gedacht. Dann überlegen sich SpekulantInnen, dass, wenn die Konservativen doch nicht so stark sind, es vielleicht weniger Sozialkürzungen geben wird, die Löhne weniger gedrückt werden, und es deswegen ganz gut ist, gegen das britische Pfund zu spekulieren. Das heißt SpekulantInnen überlegen sich immer, welche Stories es gibt, die anderen SpekulantInnen Gründe geben könnten, jetzt auch gegen dieses Land wetten.

Steuerdumping

Der zweite Punkt ist: Woher kommt diese hohe griechische Staatsverschuldung? Dafür haben die Bild-Zeitung, Angela Merkel und andere eine einfache Erklärung: Sie sagen, der griechische Staat wäre „zu fett“, er hätte über seine Verhältnisse gelebt, die Leute im öffentlichen Dienst würden in Saus und Braus leben und so weiter. Dieses Argument lässt sich sehr einfach widerlegen: Die griechische Staatsquote, also der Anteil der Wirtschaftsleistung, den der Staat ausgibt, ist seit dem Jahr 2000 bis zur Krise radikal gesunken und war bis dahin niedriger als die deutsche. Sollte es also der Fall sein, dass der griechische Staat zu fett ist, dann müssten wir im Vergleich dazu schon platzen. Tatsächlich hat der griechische Staat eigentlich alles gemacht, was die EU und andere immer von ihm gefordert haben: Staatsausgaben runter, sparen bis es kracht! Woher kommen also diese Schulden? Der griechische Staat hat vor allem Probleme mit den Staatseinnahmen, und auch das lässt sich sehr leicht veranschaulichen. Die durchschnittlichen Steuern auf Gewinne und Vermögen in Griechenland entsprechen etwa der Hälfte von jenen des Durchschnitts in der Euro-Zone. In diesem Durchschnitt sind auch schon Länder wie die Slowakei dabei, die massives Steuerdumping betreiben. Dazu kommt, dass Griechenland eine extrem geringe „Steuermoral“ hat; es werden jährlich alleine an Mehrwertsteuern 30 Milliarden Euro hinterzogen. Griechenland fehlt eine effektive Steuerverwaltung, und deswegen ist es geradezu ein Witz, zu verlangen, dass Griechenland Leute im öffentlichen Dienst entlässt, um seine Schulden zu senken – denn dann gibt es dort noch weniger SteuerprüferInnen. Daher ist meine Grundthese, dass der griechische Staat nicht zu fett ist, sondern zu schwach. Das bedeutet nicht, dass es nicht auch unsinnige Staatsausgaben gibt. So hat Griechenland mit vier Prozent des BIP einen der größten Rüstungshaushalte in der Europäischen Union, und Deutschland ist Hauptexporteur von Rüstungsmaterial nach Griechenland. Niemand in der deutschen Bundesregierung verlangte bisher, dass Griechenland seine Rüstungsausgaben reduzieren sollte, sondern sie forderten alle sehr schnell: „Streicht den Leuten im öffentlichen Dienst die Löhne! Erhöht die Mehrwertsteuern für die Bevölkerung!“ und so weiter und so fort. Daher meine zweite These: Der griechische Staat hat ein Problem bei den Steuereinnahmen. Er hat kein Problem bei den Ausgaben, mit Ausnahme der Rüstung. Natürlich gab es auch Korruption und Privilegien, etwa für hohe Beamte oder Millitärs. Die Eliten haben den schwachen Staat gehyjackt. Aber die höchste Form der Korruption ist das Steuerdumping der Reichen und Konzerne.

Ein weiterer Aspekt ist, dass sich in einem Staat, wenn er spart und die privaten Haushalte und Unternehmen verschuldet sind, die Schulden sogar erhöhen können. Das nennt man in der Ökonomie das „Sparparadoxon“: Wenn den privaten Haushalten und Unternehmen das Wasser bis zum Hals steht, Banken in der Krise sind, Kredite faul werden und die Leute verschuldet sind, gibt niemand Geld aus, Unternehmen können keine Waren verkaufen, das Wachstum bricht ein und das Land treibt in die Rezession. Dann können auch die Staatsschulden steigen, denn die Schuldenquote misst ja, wie hoch die Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung sind. Und wenn die Wirtschaftsleistung einbricht, dann steigt die Schuldenstandsquote. Daher wäre eine weitere These von mir, dass wenn, wie die EU das fordert, Griechenland jetzt – in der schwersten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren – auch noch spart, die Staatsverschuldung in Griechenland sogar noch höher wird. Daher behaupte ich, dass es der deutschen Bundesregierung und den anderen Ländern in der Europäischen Union auch gar nicht darum geht, das Schuldenproblem in Griechenland in den Griff zu bekommen. Im Gegenteil geht es ihnen darum, ein Sparprogramm zu verordnen, das dazu führen würde, dass die Löhne und die Sozialleistungen in Griechenland weiter sinken und ein Wettbewerb um die niedrigsten Löhne in Europa eingeleitet wird, wovon in erheblichem Maße die deutsche Exportindustrie profitieren würde. Denn die deutsche Exportindustrie kann dann billigere Vorleistungen für ihre Exportgüter einkaufen und die Beschäftigten in Deutschland weiter zu niedrigen Löhnen zwingen. Eine Lohnsenkung in Griechenland ist daher die Lohnsenkung von morgen in Deutschland.

Standortwettbewerb

Damit komme ich zum dritten Aspekt: Das deutsche Lohndumping hat massiv zu den Problemen in Griechenland beigetragen. Auch das lässt sich anhand einiger Zahlen illustrieren. Seit dem Jahr 2000 sind die Lohnstückkosten in Deutschland um sieben Prozent gestiegen, im Durchschnitt der Euro-Zone ohne Deutschland um 27 Prozent und in Griechenland um 28 Prozent. Das heißt, dass Griechenland viel mehr im normalen Trend lag als Deutschland. Deutschland ist bei den Löhnen massiv nach unten abgewichen. Was sind nun die Lohnstückkosten? Sie messen die Löhne im Verhältnis zur Produktivität. Die Produktivität steigt bei normaler wirtschaftlicher Entwicklung jedes Jahr um etwa zwei Prozent, das heißt, dass einE ArbeitnehmerIn in der selben Zeit zwei Prozent mehr Waren und Dienstleistungen produziert – durch neue Maschinen, effizientere Verfahren und ähnliches. EinE ArbeitnehmerIn wird daher aus Sicht des/der UnternehmerIn auch billiger. Die Lohnstückkosten erklären nun nicht alles, aber einiges, denn Löhne sind der entscheidende Schlüssel, mit dem Unternehmen auf den Märkten konkurrieren. Materialkosten sind für alle relativ gleich, aber die Löhne sind die Schraube, an der Unternehmen drehen können, um ihre Waren billiger zu machen. Wenn in einem Unternehmen also die Produktivität um zwei Prozent steigt und die Löhne auch um zwei Prozent, dann ändert sich für das Unternehmen überhaupt nichts. Denn die Kostensituation ist genau gleich geblieben. Wenn die ArbeitnehmerInnen vier Prozent mehr Lohn durchsetzen, und die Produktivität nur um zwei Prozent gestiegen ist, dann steigen die Lohnstückkosten um zwei Prozent. Und diese Lohnstückkosten sind in Deutschland seit 1999 nur um sieben Prozent gestiegen, während sie im Rest der Euro-Zone sehr viel stärker zugelegt haben.

Die deutsche Wirtschaft hat sich in dieser Zeit relativ schwach entwickelt. Denn wenn die Löhne hinter der Entwicklung der Produktivität zurück bleiben, können die Unternehmen ihre zusätzlich produzierten Waren und Dientsleistungen nicht absetzen. Wenn den Leuten das Geld in der Tasche fehlt, tragen die Unternehmer ihre Gewinne eben auf die Finanzmärkte statt mehr zu investieren. Die andere Möglichkeit, und auch die wurde extrem genutzt, ist, dass die Waren und Dienstleistungen verstärkt in andere Länder verkaufen. Das nennt man dann: Deutschland hat einen Exportüberschuss, das heißt es exportiert mehr Waren, als es aus dem Ausland einkauft, eben weil es einen Wettbewerbsvorteil hat. Genau das ist seit 1999 massiv passiert. Früher gab es noch eine weitere Möglichkeit: Da konnte etwa Italien, wenn es Wettbewerbsprobleme hatte, einfach die Lira abwerten, um den Vorteil der günstigen deutschen Löhne wieder auszugleichen. Denn damit wurden die eigenen Waren und Dienstleistungen billiger gemacht, und für eineN DeutscheN war es auf einmal billiger, sich einen Fiat zu kaufen, weil die italienische Lira weniger wert war. Das wurde in der Geschichte des europäischen Währungssystems häufig gemacht, seit dem Euro ist das aber nicht mehr möglich. Eine völlig unterschiedliche Lohnentwicklung führt dann zu massiven Ungleichgewichten im Handel. Und genau das ist passiert: Deutschland hat seit dem Jahr 2000 einen Exportüberschuss im Wert von einer Billion Euro akkumuliert, während andere Länder sich immer stärker verschulden mussten.

Was hat das nun mit der griechischen Staatsverschuldung zu tun? Länder wie Spanien und Irland hatten, wie zuvor erwähnt, ihre Staatsverschuldung massiv reduziert. Trotzdem werden sie von den Finanzmärkten jetzt massiv bestraft, müssen höhere Zinsen auf ihre Staatsanleihen zahlen, und ihre Staatsverschuldung ist seit der Finanzkrise wieder nach oben geschnellt. Das hat mit einem Phänomen zu tun, das nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist. Der spanische Staat etwa hat zwar massiv gespart, aber durch die Exportüberschüsse Deutschlands haben sich die spanischen Unternehmen und die spanischen Privathaushalte immer mehr verschuldet. Sie mussten ja die deutschen Waren und Dienstleistungen bezahlen, ohne dass sie selbst Waren und Dienstleistungen im selben Umfang ins Ausland verkauft haben. Sie mussten sich gegenüber der deutschen Volkswirtschaft also verschulden und genau das geschah auch in Irland und Griechenland. In der Krise muss der Staat dann für diese Schulden haften. Denn wenn die privaten Haushalte verschuldet sind, dann kann der Staat ihnen weniger Steuern abverlangen, das heißt die Steuereinnahmen brechen ein; er muss in der Krise selbst mehr Geld ausgeben, um die Konjunktur zu stimulieren; er muss Banken retten, weil die Leute in der Krise ihren Job verlieren und Kredite nicht zurück zahlen können. Das erklärt, warum selbst Länder wie Spanien oder Irland, die ihre öffentlichen Schulden massiv reduziert haben, auf einmal im selben Schlamassel stecken wie Griechenland.

Finanzmärkte und Demokratie

Diese großen Außenhandelsdefizite, die durch das deutsche Lohndumping verursacht wurden, sind ein ganz wichtiger Faktor in der Erklärung der Probleme Griechenlands. Die InvestorInnen und SpekulantInnen schauen auf die Lohnstückkosten, sie schauen sich an, wie wettbewerbsfähig ein Land ist. Eine sinnvolle Reaktion der EU wäre nun etwa zu versuchen, die Spekulationen zu bremsen, etwa indem man den Handel mit den CDS verbietet: Wer griechische Staatsanleihen besitzt, könnte sich dann weiter gegen einen Zahlungsausfall Griechenlands versichern, aber wer keine solchen Anleihen besitzt, dürfte auch keine Versicherung darauf abschließen. Diese Vorschläge liegen seit langer Zeit auf dem Tisch, und sie werden nicht nur unter Linken diskutiert. Der bekannte amerikanische Investor Warren Buffett hat CDS als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ bezeichnet, und Wolfgang Munchau, der konservative Kolumnist der Financial Times sagt seit Jahren, dass das gefährliche Spielzeuge für SpekulantInnen sind, mit denen sie ganze Staaten in die Knie zwingen können, und dass der Handel damit verboten werden sollte. Das ist aber nicht passiert, im Gegenteil, nun wird geschrieben, die SpekulantInnen seien die wahren DemokratInnen, weil sie jetzt die korrupten, versoffenen griechischen PolitikerInnen dafür bestrafen würden, dass sie den griechischen Staatshaushalt gegen die Wand gefahren hätten. Das berührt einen Konflikt, der weit über das Thema Griechenland hinausgeht: jener zwischen der Macht der Finanzmärkte und der Demokratie. Denn es entscheiden nicht gewählte Regierungen über Politik, sondern einzelne SpekulantInnen über die Lebensbedingungen der griechischen Bevölkerung. Das Verbot der CDS wäre also eine kurzfristige Maßnahme gewesen.

Die andere Maßnahme, über die gestritten wurde, sind Hilfen für Griechenland. Das Problem ist, dass die Regierungen der EU-Staaten wissen, dass der griechische Staat Steuerdumping betrieben hat, dass sie aber auch wissen, dass, wenn sie Griechenland nicht helfen, der Staat früher oder später den Euro-Raum verlassen muss, um die Währung abzuwerten. Eine andere Frage ist, wer die Hilfen für Griechenland zahlen soll. Und klar ist, dass der Großteil der Steuerlast von den ArbeitnehmerInnen getragen wird, dass also die ArbeitnehmerInnen in Deutschland doppelt bezahlen: Sie wurden erst von den deutschen Unternehmen wegen der niedrigen Löhne abkassiert, und müssen wegen des deutschen Lohndumpings nun selbst dem griechischen Staat helfen. Zumindest bürgen sie mit Steuergeldern für die Kredite. Darüber gibt es einen gewissen Unmut in der Bevölkerung, der nachvollziehbar ist. Ich denke, dass man jetzt fordern muss, dass auch deutsche Banken, die griechische Staatsanleihen halten, auf einen Teil dieser Forderung verzichten, wenn Griechenland Pleite geht. Das ist dann ein klassisches Insolvenzverfahren, wie es das in der Privatwirtschaft auch gibt. Das Problem ist nur, dass viele Banken die Forderungen gegen Griechenland halten Schrottbanken wie die Hypo Real Estate (HRE) sind. Die Schrottbank HRE gehört uns ja schon längst, sie wurde ja verstaatlich. Die HRE kann ihre Verluste also einfach abschreiben. Die Deutsche Bank hat auch von der Bankenrettung profitiert. Sie hatte ja Forderungen von 10 Mrd. Euro gegenüber der HRE, die ohne Bankenrettung futsch wären. Und die Deutsche Bank hat im letzten Jahr sehr viel an der Staatsverschuldung verdient. Sie machte 5 Mrd. Euro Gewinn nach Steuern, überwiegend mit Staatsanleihen. Sie hat aber relativ wenig griechische Staatsanleihen. Dafür hat sie sich massiv mit CDS eingedeckt und wird also kassieren, wenn Griechenland einen Teil seiner Schulden nicht mehr bedient. Deswegen wäre es noch besser man würde den privaten Bankensektor zwingen eine Zwangsanleihe zur Finanzierung Griechenlands zu halten. Diese Zwangsanleihe müsste geringer verzinst sein als der Zins, zu dem sich die Deutsche bank bei der Zentralbank Geld leihen kann. Das ist echtlich möglich und ein gutes Instrument, um die privaten Banken an den Kosten der Eurorettung zu beteiligen.Und dann muss es natürlich Hilfen für Griechenland geben. Man sollte aber auch dafür sorgen, dass diese Ungleichgewichte, welche die Ursache für diese Probleme sind, erst gar nicht entstehen. Es gibt ÖkonomInnen, die fordern, dass sich alle Länder auf ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht verpflichten. Wenn also Deutschland so viel exportiert, dann müsste der deutsche Staat gezwungen werden, selbst mehr zu investieren. Wenn er mehr Geld für Universitäten, für die Energiewende, für Straßen, für Kindergärten etc. ausgibt, dann wird dadurch die Wirtschaft belebt; es werden mehr Leute eingestellt, die dann auch in Konflikten mit den ArbeitgeberInnen höhere Löhne durchsetzen können. Ein anderes Beispiel wären Mindestlöhne in Deutschland, um dieses massive Lohndumping zu stoppen. Ein weiteres Instrument wären sogenannte Euro-Anleihen, dass also die Euro-Zone im Namen aller Mitgliedsstaaten eine Anleihe ausgibt. Das sind einige Bausteine, mit denen man die griechische Krise in den Griff bekommen könnte, aber der entscheidende Faktor ist das deutsche Lohndumping.

Solidarität organisieren

Meine These zum Schluss ist, dass Griechenland nicht die letzte Kandidatin war, sondern wir in den nächsten Wochen und Monaten erleben werden, dass die Finanzmärkte weiterziehen und gegen Spanien, Portugal, Italien und andere Länder wetten, die vor ähnlichen Problemen stehen, was sogar einen Zerfall der Euro-Zone verursachen könnte. Und es wird zu massiven sozialen Konflikten führen. In Griechenland soll die Mehrwertsteuer erhöht und Menschen entlassen werden. Es werden also nicht die Steuern etwa auf Gewinne und Vermögen angehoben, sondern die Bevölkerung in Griechenland wird für diese Krise zahlen. Unsere Perspektive sollte natürlich sein, die Proteste in diesen Ländern zu unterstützen und Solidarität zu organisieren. Auch, weil wenn den griechischen ArbeitnehmerInnen und Studierenden das Genick gebrochen wird, das auch den Arbeitenden in anderen Ländern das Genick brechen wird. Denn die werden dann wiederum gezwungen sein, ihre Löhne zu senken, weil sie zueinander in Konkurrenz gesetzt werden. Um das zu verhindern ist es wichtig, die Proteste in diesen Ländern zu unterstützen.

Fabio De Masi ist Volkswirt und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten und Chefvolkswirts der Fraktion DIE LINKE, Michael Schlecht.

Transkription: Daniel Fuchs und Bella Schlehaider

[1] Der Artikel ist die Transkription eines Vortrags, den Fabio De Masi am 21. April 2001 an der Humboldt Universität für den SDS-Berlin gehalten hat. Wir danken Jens Fischer für die Aufnahme.





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