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Die Neoliberalisierung Österreichs
von Mario Becksteiner

In den letzten sechs Jahren haben die von Schüssel geführten schwarzblauorangen Koalitionsregierungen die neoliberale Restrukturierung der österreichischen Gesellschaft in qualitativ neuer Form vorangetrieben. Mario Becksteiner analysiert, wie sich in Österreich in den 1990er Jahren ein neoliberaler Grundkonsens herausbilden konnte, und wie unter den Schüssel-Regierungen der Umbau des österreichischen Wohlfahrts- hin zum Wettbewerbsstaat durchgesetzt wurde.

Der marktkonforme Umbau von Wirtschaft und Staat ist natürlich kein auf Österreich beschränktes Phänomen, sondern kann nur im Zusammenhang der wirtschaftlichen Umwälzungen im Europa der letzten 30 Jahre verstanden werden. Die neoliberale Wende hat ihren Ausgangspunkt in der Stagnationskrise des kapitalistischen Systems seit Anfang der 70er Jahre. Während in den USA und in Großbritannien schon sehr früh mit der wirtschaftlichen Umstrukturierung begonnen wurde, setzte sich in Kontinentaleuropa die Ideologie des Neoliberalismus langsamer durch. Institutionell abgesicherte Sozialpartnerschaftsmodelle erwiesen sich als „träge“ gegenüber den Versuchen, neoliberale Reformen durchzuboxen. Die VerfechterInnen einer neoliberalen Politik mussten nach anderen Wegen suchen, wie sie diese umsetzen konnten. Der europäische Einigungsprozess setzte dafür den geeigneten Rahmen.

Die EU als Rammbock

Auf der einen Seite war das Projekt EG und später EU immer nach den Bedürfnissen der Wirtschaft ausgerichtet. Die Kapitalfraktionen, die am vehementesten für eine europäische Einigung plädierten, versprachen sich von einem neoliberal umgestalteten Wirtschaftsblock einen Ausweg aus der Stagnationskrise und eine Stärkung ihrer Position im internationalen Wettbewerb. Des Weiteren war die europäische Ebene der Politik von jeher von einem starken Demokratiedefizit geprägt. Die Europäische Kommission unterliegt beinahe keiner demokratischen Kontrolle durch das Volk. Sie wurde so zur idealen Adressatin, um neoliberale Umstrukturierungsprojekte, vorbei an zähen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen, einzuleiten.
Außerdem war das einhellige Bekenntnis aller großen politischen Parteien zu Europa der Angelpunkt für eine ideologisch Offensive. Der Glanz, den die Idee eines vereinigten Europas ausstrahlte, verdeckte für eine lange Zeit, was hinter den Kulissen geschah. Die Europäische Union entwickelte sich immer mehr zu einem Rammbock, mit dessen Hilfe neoliberale Konzepte durchgesetzt wurden. Dies erfolgte allerdings nicht nur von Außen. Auch innerhalb der einzelnen Nationalstaaten formierten sich gesellschaftliche Blöcke, die sich dem Neoliberalismus verschrieben. Die politischen Konstellationen, die sich hier ergaben, waren in den Ländern höchst unterschiedlich, doch fast alle großen Parteien waren bald auf Pro-EU-Kurs und trugen die neoliberalen Implikationen der EU Politik mit oder förderten diese aktiv.

Österreich war dafür ein leuchtendes Beispiel. SPÖ und ÖVP führten im Verbund mit den Sozialpartnern eine Allianz an, die eine regelrechte Propagandawelle lostrat. Durch eine Mischung aus Katastrophenszenarien bei einem Nichtbeitritt und dem Versprechen großer materieller Gewinne für die Bevölkerung bei einem Beitritt, erhielt diese Allianz bei der Volksabstimmung 1994 breite Unterstützung.

Die rechtskonservative Wende

Die durch den EU-Beitritt veränderten Rahmenbedingungen erhöhten den Druck die bereits in den 80ern begonnen Umstrukturierungen harsch durchzusetzen. Das Wort Reform wurde zu einer Floskel für weiteren Sozialabbau, für Sparpakete und Privatisierung. Als Regierungspartei trug die SPÖ diesen Reformkurs mit, unter dem in erster Linie ArbeitnehmerInnen zu leiden hatten. An der Basis verloren sie damit zusehends an Vertrauen. Bei der Nationalratswahl 1999 zeigte sich, dass viele der ArbeiterInnen dieser Partei nicht mehr zutrauten, der Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen etwas entgegenzusetzen. Enttäuscht wandten sie sich ab und wechselten ins Lager der FPÖ.
Die ÖVP ergriff die Chance und ging als drittstärkste Kraft daran, eine rechte Koalition zu schmieden. Die SPÖ, die unter dem Druck der Forderungen ihrer StammwählerInnenschaft stand, war für die Partei des Großkapitals immer mehr zu einem Klotz am Bein geworden. Die neue Regierung, gekennzeichnet durch die explosive Kombination von konservativer Gesellschaftspolitik, einer an neoliberalen Leitbildern ausgerichteten Wirtschaftspolitik und extrem rechter Migrationspolitik, stellte einen qualitativen Bruch in der politischen Landschaft Österreichs dar.
Die Neoliberalisierung Österreichs ist seither gekennzeichnet durch die Ersetzung des sozialpartnerschaftlich geprägten Wohlfahrtsstaates durch eine am internationalen Wettbewerb orientierten staatlichen, ökonomischen wie ideologischen Strukturierung. Diese wird über drei zentrale Mechanismen umgesetzt: Die Privatisierung von öffentlichen Eigentum, die Privatisierung sozialer Risiken über Sozialabbau und Deregulierung des Arbeitsmarkts und eine Umverteilungspolitik von unten nach oben.

Privat statt Staat

Schon unter den Großen Koalitionen der 90er wurden etliche Betriebe aus öffentlichem Besitz teil- oder vollprivatisiert. Die Liste beginnt bei Semperit 1985, führt über Teilprivatisierungen im Energiebereich (OMV) bis hin zu Privatisierungen renommierter österreichischer Unternehmen wie AMAG oder Mobilkom. Kennzeichnend für die Privatisierungen in den 90iger Jahren war eine starke Beteiligung der Gewerkschaften im Veräußerungsprozess. Zum einen wurden diese dadurch eingebunden und zum anderen konnten so teilweise die schlimmsten Folgen für die ArbeitnehmerInnen etwas gemildert werden. Dass dies bei weitem nicht immer der Fall war, zeigt zum Beispiel der Verkauf von Semperit an den deutschen Continental Konzern, der die komplette Schließung des österreichischen Produktionsstandortes mit sich brachte. Diese Einbindung der Gewerkschaften bei den Privatisierungen war zum großen Teil der politischen Konstellation geschuldet. Die SPÖ war stark an die mächtige sozialdemokratische Gewerkschaftsfraktion gebunden. Mit dem Regierungswechsel 2000 verloren die Gewerkschaften jeglichen Einfluss auf die Gestaltung der Regierungspolitik. Nun wurden auch gewerkschaftliche Hochburgen ins Visier genommen. Gegen den Willen des ÖGB konnten so Betriebe wie Telekom Austria, VA Tech, VOEST oder Böhler Uddeholm privatisiert werden.

Die Privatisierungspolitik der letzten sechs Jahre macht aber nicht beim Verkauf öffentlichen Eigentums halt. Darüber hinaus zielte die Schüssel-Regierung auf die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und sozialer Risiken ab. Damit soll die Eigenverantwortung der Einzelnen gegenüber der gesellschaftlichen Absicherung aufgewertet werden. Am augenscheinlichsten geschah dies im Bereich der Altersvorsorge.

Pensionsreform

2003 holte die Regierung zu einem großen Schlag gegen ein Kernkonzept des Wohlfahrtsstaates aus. Die heilige Kuh der Pensionsleistung der gesetzlichen Sozialversicherung sollte geschlachtet werden. Als Ersatz für die umfassende staatliche Pensionsleistung wurde ein Drei-Säulen-Modell vorgestellt. Während eine der drei Säulen weiterhin durch die gesetzliche Sozialversicherung finanziert wird, rücken zwei weitere tragende Säulen ins Zentrum: Die individuelle und die betriebliche Vorsorge. Leistungen die über eine minimale Grundsicherung hinausgehen müssen in Zukunft über den Markt zugekauft werden. Diese Strategie erfüllt langjährigen Forderungen des European Round Table of Industrialists zur Schaffung eines Risikokapitalmarktes nach US-amerikanischem Vorbild, der maßgeblich von den privaten Pensionsfonds gespeist wird. Diese Privatvorsorge wird in Österreich auch noch gefördert, nämlich in Form einer staatlichen Prämie von 9%. Dies läuft auf eine Entsolidarisierung und eine staatlich geförderte Privatisierung hinaus. Damit werden im Sinne der Neoliberalen gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Das Zurückdrängen der sozialen Verantwortung des Staates und die Erschließung einer beinahe unerschöpflichen Quelle an Risikokapital, dies alles staatlich gefördert. Die „individuelle Zukunftsplanung“ entpuppt sich als Unterwerfung breiter Bevölkerungsschichten unter das Diktat des Marktes. Die Menschen unterliegen verstärkt der Disziplinierung durch die direkte Koppelung ihres zukünftigen Einkommens oder der Pension an die Entwicklung der Finanzmärkte (Fonds) oder der Firma (Betriebsvorsorge).

Umbau des Bildungssektors

Auch die Bildungspolitik Österreichs wurde von der Schüsselregierung den privatwirtschaftlichen Verwertungsprämissen unterworfen. Besonders deutlich wurde das im Hochschulbereich, mit dem Universitätsgesetz 2002. Dessen Kernstück war dabei die Entlassung der Universitäten in die Schein-Autonomie, die es den Unis direkt ermöglicht ihre Binnenstrukturen den Bedürfnissen des Marktes anzupassen. Verbunden damit ist das Prinzip des „Globalbudgets“, ein Finanzierungsprinzip, das sich nach einem reinen Input-Output-Modell richtet. Außerdem wurden Entscheidungsfindungsgremien in undemokratische Managementstrukturen umgewandelt, (siehe Organisationsplan der Uni Wien). Die Universitäten wurden finanziell augehungert und von privatwirtschaftlicher Finanzierung abhängig gemacht. Mit Studiengebühren, Zugangsbeschränkungen und der bevorstehenden Anpassung an die Bologna-Studienarchitektur wird Hochschulbildung insgesamt elitisiert. Ein Großteil der Studienwilligen soll hierbei möglichst bald am Arbeitsmarkt als Humankapital zur Verfügung stehen, nur eine kleine Elite den wissenschaftlichen Fortschritt im Sinne der Marktverwertbarkeit vorantreiben und auch die herrschende Ideologie des Neoliberalismus weitergeben.

Deregulierung des Arbeitsmarkts

Das Konzept der Privatisierung geht mit der Aushöhlung von regulierten Arbeitsmärkten einher: Die Anerkennung von Gewerkschaften als maßgeblichen Verhandlungspartnerinnen für Kollektivverträge, der Staat als Organisator von Umverteilung und die arbeitsrechtlichen Bestimmungen werden radikal in Frage gestellt.
Schon seit Mitte der 90er Jahre können wir in Österreich einen Trend beobachten, der als Ausfransen der Normalarbeitsverhältnisse und des geregelten Arbeitsmarktes bezeichnet werden kann. Schritt für Schritt wurden in immer mehr Bereichen der Arbeitswelt so genannte atypische Beschäftigungsverhältnisse eingeführt. Dazu zählen geringfügige Beschäftigung, Teilzeitarbeit, Scheinselbstständigkeit und Leiharbeit. Das führt zu einer Segmentierung des Arbeitsmarktes, die ArbeiterInnen in zwei Klassen unterteilt. Beschäftigte die in Schlüsselsektoren der österreichischen Wirtschaft arbeiten (Metallindustrie, Hochtechnologiesektoren und mittlere Verwaltungsebenen im Bereich der Finanzdienstleistungen), behalten einen relativ sicheren Status, d.h. geregelte Arbeitsverhältnisse, gewerkschaftliche Vertretung, Kollektivverträge usf. Der Rest wird in prekäre Beschäftigungsverhältnisse abgedrängt. Von UnternehmerInnenseite wird immer stärkerer Flexibilisierungsdruck ausgeübt. Auch der Einstieg in die Arbeitswelt wird an privaten Aufopferungswillen, mit Aussicht auf ein fixes Dienstverhältnis in unbestimmter Zukunft, gekoppelt. Damit verschärft sich der Trend, gesellschaftliche Problemstellungen wie Arbeitslosigkeit oder Einkommensfragen in den Bereich des Privaten abzuschieben.

Die Auswirkungen einer derartigen Flexibilisierung oder Privatisierung liegen auf der Hand.
• Spaltung der Lohnabhängigen in zwei Lager. Jene, die noch in besseren Arbeitsverhältnissen stehen, sind ständig bedroht durch Verlust ihres Arbeitsplatzes in prekäre Beschäftigungsverhältnisse abzusteigen. Dieser disziplinierende Effekt wirkt sich auch negativ auf die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften aus und ermöglicht es den UnternehmerInnen verstärkt Druck auf Löhne und Sozialleistungen auszuüben.
• Gleichzeitig muss sich der Rest der ArbeiterInnenklasse prekären Beschäftigungsverhältnisse unterwerfen. In den Augen Vieler erscheint die so geschaffene Masse an billigen Arbeitskräften als Bedrohung.
• Auch die Möglichkeiten einer gesamtgesellschaftlichen Opposition zur neoliberalen Politik werden so eingeschränkt. So wird die Gestaltung des Arbeitsmarktes zu einer wichtigen Bastion der Herrschaftssicherung neoliberaler Eliten in Österreich.

Internationalisierungsstrategien

In den Wirtschaftsberichten des Finanzministeriums und des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit wird die Internationalisierung des österreichischen Standorts gelobt. Die Segmentierung am heimischen Arbeitsmarkt und der Strategie der Expansion österreichischen Kapitals sind eng verzahnt.
Vier Säulen sind hier ausschlaggebend:
1. Etablierung von Schlüsselindustrien. Durch die gezielte Förderung von technologieintensiven Wirtschaftsbereichen soll die Positionierung der österreichischen Ökonomie gestärkt werden. Zentral hierbei ist die Förderung der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit von Seiten der Unternehmen durch die Bundesregierung. Von insgesamt 6,24 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung wurden 2006 45,8% von der privaten Wirtschaft in Österreich bereitgestellt. Dieser Trend steigt seit 2000 kontinuierlich an. Flankiert werden diese Maßnahmen durch den Umbau des österreichischen Hochschulwesens hin zu einer verstärkten Orientierung an wirtschaftlicher Verwertbarkeit der Forschung.
2. Ausbau der Humanressourcen. Der Mensch muss mit der technologischen Entwicklung mithalten. Nicht mehr die gesellschaftliche Lenkung der Ökonomie garantiert einen Arbeitsplatz, sondern nur noch die individuelle Anpassungsfähigkeit an die veränderten Produktionsbedingungen. Der Staat kann in dieser Sichtweise nur noch ein Förderer der Humanressourcen sein, die Verantwortlichkeit für den Arbeitsplatz liegt aber rein beim Individuum. Lebenslanges Lernen und Aneignung von Schlüsselkompetenzen sind die Imperative neoliberaler Arbeitsmarktpolitik.
3. Strategische Förderung von Auslandsinvestitionen. Arbeitsintensive Bereiche der österreichischen Wirtschaft werden von der Bundesregierung in ihrem Ansinnen, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern, unterstützt. Im Gegenzug sollen Auslandsdirektinvestitionen getätigt werden, die strategische Beteiligungen österreichischen Kapitals in Hoffnungsmärkten unterstützen.
4. Head-Quater-Strategie. Durch finanzielle und infrastrukturelle Anreize wird versucht Hauptquartiere international agierender Konzerne nach Österreich zu locken. Diese sollen als Brückenköpfe in mittel- und osteuropäische Märkte genutzt werden.

Steuerpolitik

Die Ausrichtung der Politik am Standortwettbewerb zeigt sich besonders deutlich in der Ausgestaltung der Steuerpolitik. Die Schüsselregierung setzte dabei auf zwei miteinander verbundene Strategien. Auf der einen Seite wurde die Steuerlast sukzessive auf Massensteuern umgewälzt. Gleichzeitig wurden Unternehmen massiv entlastet. Die Gewinne von Konzernen in Österreich stiegen zwischen 2000 und 2005 enorm. Schrieben die 33 an der Wiener Börse notierten Kapitalgesellschaften 2001 noch einen Gewinn von 1,9 Milliarden Euro, stieg dieser Wert bis 2005 auf 8,5 Milliarden Euro vor Steuern. Die Dividenden der AktionärInnen verdoppelten sich von einer halben auf 1,1 Milliarden Euro. Dieser massive Anstieg bei den Gewinnen der Unternehmen spiegelt sich allerdings nicht in einem adäquaten Anstieg des Steueraufkommens von Unternehmensseite wider. Die Senkung der Körperschaftssteuer auf 25% (der zweitniedrigste KöSt-Steuersatz der 15 alten EU-Mitgliedsstaaten) kann als besonders deutliches Beispiel herangezogen werden. Die Einnahmen sanken von 3,9 im Jahr 2000 auf 3,6 Milliarden Euro im Jahr 2005. Die Lohnsteuer dagegen erhöhte sich im selben Zeitraum von 14,8 auf 17 Milliarden Euro.
Die unternehmerInnenfreundliche Steuerpolitik der schwarzblauorangen Regierung zeigt auch die im Rahmen der Steuerreform 2005 eingeführte Gruppenbesteuerung – ein Liebkind der österreichischen Industriellenvereinigung. Zweck der Gruppenbesteuerung ist es, das österreichische Kapital für die Internationalisierung fit zu machen. Verluste, die im Ausland gemacht wurden, können nun in Österreich steuerlich abgeschrieben werden. Das bedeutet, dass Investitionsrisiken von UnternehmerInnen im Ausland auf alle SteuerzahlerInnen in Österreich abgewälzt werden können.

Umbau der Sozialversicherungsträger

Ein weiterer massiver Einschnitt wurde von Seiten der rechtskonservativen Regierung bei den Sozialversicherungsträgern vorgenommen. Formell standen sie immer unter der Kontrolle der BeitragszahlerInnen. Schon bald nach dem Entstehen der Sozialversicherungsträger in der 2. Republik wurde die demokratische Kontrolle allerdings beschnitten. Mandatare wurden nicht mehr direkt gewählt, sondern von Wirtschaftskammer und Arbeiterkammer in die Gremien bestellt. Diese erste Aushöhlung einer demokratischen Grundstruktur war schon schlimm genug. Trotzdem behielten die Sozialversicherungsträger in Österreich ihre Autonomie gegenüber der jeweiligen Bundesregierung.

Vorm Hintergrund der Aushöhlung des Systems der solidarischen Beitragszahlungen setzte Schüssel auch hier zu einem großen Schlag an. Die föderalistisch oder berufsständisch organisierten Sozialversicherungen sind zusammengeschlossen in einem Dachverband, der relativ große sozialpolitische und organisatorische Handlungsspielräume hatte. Die vormals weitgehende Autonomie wurde nun deutlich eingeschränkt. Schüssel & Co mischten sich massiv in die Besetzung des Vorstandes dieses Dachverbandes ein. Hans Sallmutter, als Vertreter der ArbeitnehmerInnenseite, war das erste Opfer dieses schwarzblauen Postenschachers. Die Tragweite dieses Angriffs auf die Autonomie der Sozialversicherungsträger wird besonders deutlich angesichts der Tatsache, dass diese rund die Hälfte des
österreichischen Budgets verwalten.

Koalition mit der extremen Rechten

Die Politik der Schüssel-Regierung ist integraler Bestandteil einer Strategie zur Erhöhung der „Wettbewerbsfähigkeit“ im europäischen Rahmen. Eine Besonderheit der neoliberalen Offensive in Österreich war jedoch die Beteiligung rechtsextremer Parteien. Noch in den 90iger Jahren war es politischer Konsens, keine Zusammenarbeit mit einer Partei zu betreiben, die Ausländerfeindlichkeit schürt und ein mehr als gestörtes Verhältnis zur NS-Zeit hat. Diese Isolationspolitik gegenüber der Rechten wurde von Schüssel aufgebrochen.
Viele österreichische KommentatorInnen lobten Schüssel für sein mutiges Vorgehen. Für sie war es der erste Schritt zur Zähmung der extremen Rechten. Doch diese Zähmung blieb aus. Die FPÖ und später das BZÖ reihten sich zwar in die neoliberale Umstrukturierungspolitik ein, doch versetzten sie diese mit rechtspopulistischen Parolen. Das Ergebnis war letztlich, dass die reaktionären Konzeptionen von FPÖ und BZÖ salonfähig gemacht wurden. In der Migrationspolitik, in der Definition von Frauenpolitik als Familienpolitik und im Bereich der „inneren Sicherheit“ unterstützte die ÖVP nicht nur die sexistischen und rassistischen Positionen von Blau und Orange, sondern versuchte sogar, diese noch rechts zu überholen. Insgesamt verschob sich unter Schüssel das politische Klima nach rechts. Der traurige Höhepunkt war sicherlich die Zustimmung der SPÖ im Nationalrat zu einem „Fremdenpaket“, das zu den restriktivsten in Europa zählt. Keine der Parteien im Nationalrat konnte eine konsequente Antwort auf die rassistische Hetze formulieren.
Die katastrophale Niederlage der Schüssel-ÖVP bei den Nationalratswahlen am 1. Oktober hat gezeigt, dass die Menschen in diesem Land einen politischen Kurswechsel wollen. Dennoch konnte die Sozialdemokratie von dieser Stimmung nicht wirklich profitieren. Vielmehr gewann die extreme Rechte weiter an Boden.
Die Notwendigkeit einer glaubwürdigen antineoliberalen politischen Alternative ist heute offensichtlicher denn je.

Anmerkungen

1 Vgl. dazu Joachim Hirsch: Vom Sicherheitsstaat zum nationalen Wettbewerbsstaat. Berlin 1998.
2 ERT: Lobby- und Elitenzirkel, der die Politik der EU-Kommission stark beeinflusst.
3 Helmut Friessner: Demokratie im Fadenkreuz. Wien 2006. p288.
4 Vgl. Maria Asenbaum, Barbara Brehmer: Reclaim the Brain!; in: Perspektiven Nr. 0.
5 Vgl. die „Lissabon-Strategie“, die Europa bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten auf Wissensökonomie basierenden Wirtschaftsraum der Welt machen soll.





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