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Anti-unique
von Gruppe Perspektiven

Zur Verleumdung der unibrennt-Bewegung durch die Zeitung der Österreichischen HochschülerInnenschaft Wien
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In der aktuellen Ausgabe der Zeitung „unique“ (#08/09) lassen uns eine Reihe von Autorinnen wissen, was sie von den aktuellen Protesten gegen die herrschenden bildungspolitischen Zustände halten. Die unique, das macht die Sache interessant, ist die offizielle Zeitung der – ihrem Selbstverständnis nach „linken“ – Österreichischen HochschülerInnenschaft der Universität Wien, und geht nach eigenen Angaben an bis zu 60.000 Studierenden-Haushalte. Immerhin sechs Artikel, zwei Kommentare und ein halber Absatz im Editorial werden nun also der „unibrennt“-Bewegung gewidmet.

Wer die Publikationen der ÖH Uni Wien in den letzten Jahren verfolgt hat, weiß, dass die Themen, die durch diese Bewegung mit lange nicht gesehener Vehemenz auf die politische Tagesordnung gebracht wurden – freier Bildungszugang für alle, Demokratisierung der Hochschulen, Ausfinanzierung der Bildungseinrichtungen, Kampf gegen die Ökonomisierung der Bildung – schon seit langem zum politischen Kerngeschäft der StudierendenvertreterInnen gehören. Umso erstaunlicher scheint uns nun diese Reaktion auf eine Bewegung, die von der ÖH Uni Wien ja immer wieder eingefordert wurde.

Diffamierung einer Bewegung
Die unique-Redaktion hat sich in der Auseinandersetzung mit der unibrennt-Bewegung für eine klare Blattlinie entschieden, die bereits im Editorial deutlich gemacht wird. Dort heißt es, die sechs Sonderseiten zu den Protesten speisten sich aus der „Wut und Enttäuschung über den normalgesellschaftlichen Charakter von unibrennt, der wenig bis gar kein emanzipatorisches Potential für eine Bewegung in sich trägt“ (S. 2). Entsprechend wird in jedem einzelnen Beitrag auf diesen Sonderseiten mit der „– by the way: typisch österreichische(n) – Protestbewegung“ abgerechnet, auf die selbst „die KronenZeitung (…) stolz“ wäre (S. 3). Uns wird erklärt, dass „in diesem Protest voller bildungsaffiner Studis nichts Befreiendes zu finden ist“ (S. 4) und das besetzte Audimax ein Sammelbecken für Securities, Burschenschafter und einen „szenebekannten Gewalttäter und Antisemiten“ sei (S. 5). Auf den Punkt bringt die Positionierung der unique ein – wie fast alle unter Pseudonym verfasster – Artikel über den „gefährliche(n) Wahnsinn der Bewegung“, der mit folgenden Sätzen endet: „Revolution spielende Massen waren schon immer bedenklich, doch durch diese Audimax-Besetzung wurde eindrücklich demonstriert, wie gefährlich ein solch entpolitisiertes Bewegungsspektakel ist. Der Sexismus in dieser sogenannten Bewegung hat ein unerträgliches Maß erreicht. Es ist unverantwortlich, solche Proteste ausschließlich zu kritisieren – eigentlich sollte mensch diese Wahnsinnigen diffamieren und sabotieren!” (S. 6, eigene Hervorhebung).

Kritik von außen
Dies ist es auch genau, was die unique-Redaktion mit dieser Ausgabe geschafft hat. Jeder Artikel zur aktuellen Bildungs-Bewegung in Österreich hat ausschließlich denunziatorischen Charakter. Es findet sich keine Analyse der Entstehung und Zusammensetzung der Bewegung, keine Beschäftigung mit der Tatsache, dass „squatting teachers“, KindergärtnerInnen, solidarische KünstlerInnen oder kämpferische Gewerkschaften diese Bewegung zu weit mehr als einer „Studibewegung“ machen, keine Einordnung der Ereignisse in vergangene Protestzyklen, keine strategischen Vorschläge oder politischen Interventionen. Zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den im Zuge der Bewegung formulierten Forderungen und deren bildungs- und gesellschaftspolitischen Implikationen wollte man sich offenbar erst gar nicht herablassen. Statt dessen werden Halb- und Unwahrheiten verbreitet (etwa über den Umgang seitens der unibrennt-AktivistInnen mit Burschenschaftern), die selbst geschaffenen Strukturen der Bewegung lächerlich gemacht und einzelne Teile der Bewegung ohne jede inhaltliche Begründung verleumdet.1 Der gewählte Standpunkt ist jener der „unbeteiligten Kritik“, die von außen über jene tumben Massen richtet, die sich erdreisten sich in ihre eigenen Angelegenheiten einzumischen, ohne zuvor die Absolution durch die HohepriesterInnen der Österreichischen HochschülerInnenschaft zu erbitten. Die Bewegung wurde von der unique-Redaktion gewogen, für zu leicht befunden und muss sich fortan als „die Wahnsinnigen“ bezeichnen lassen.

Warum dieser Hass?
Das festzuhalten halten wir für politisch wichtig. Es erklärt jedoch noch nicht, weshalb Teile der ÖH Uni Wien sich für eine solch desaströse Haltung entschieden haben. In Diskussionen auf der Linken taucht dazu oft folgende Erklärung auf: Die ÖH wurde von der spontanen Dynamik der Bewegung überrascht und musste bald erkennen, dass sie weder die Kontrolle über sie erlangen, noch eine Repräsentationsrolle übernehmen kann. Nun wären die FunktionärInnen, die doch seit Jahren bildungspolitische Themen einer angeblich weitgehend uninteressierten Studierendenschaft näher zu bringen versuchte, beleidigt – und würden die Bewegung deshalb „anpissen“.
Wir halten diese Erklärung für nicht hinreichend. Zumindest zwei Faktoren sind unserer Einschätzung nach mindestens ebenso bedeutend:

Besetzung und Besetzung
Erstens: Manche der Angriffe auf die unibrennt-Bewegung in der unique sind auf ein grundlegendes Missverständnis zurück zu führen, dem Teile der ÖH Uni Wien aufsitzen. In den letzten Jahren hat es in Wien eine Reihe von politischen Initiativen gegeben, die mit den Mitteln der Besetzung Freiräume für linke Initiativen, solidarisch-ökonomische Projekte und alternative Lebensformen erkämpfen wollten. Über alle Unterschiede hinweg ging dabei immer darum, „befreite“ Räume zu schaffen, in denen Sexismus, Homophobie, Rassismus, Antisemitismus usw. keinen Platz haben und solidarische und emanzipatorische „Mindeststandards“ außer Diskussion gestellt werden können. Ohne hier näher auf diese Strategie eingehen zu können, kann festgehalten werden, dass das Bedürfnis nach „linken Freiräumen“ legitim und nachvollziehbar ist. Teile der ÖH-„Linken“ in Wien haben sich in diese Initiativen aktiv beteiligt. Jedoch: nicht überall, wo Besetzung drauf steht, ist auch diese Form der Besetzung drin. Mit der Besetzung des Audimax und anderer Hörsäle ist eben kein „linker Freiraum“ geschaffen worden, sondern in erster Linie ein administratives Zentrum für eine große, breite – und deshalb heterogene – Bildungs-Bewegung. Die Widersprüche und Auseinandersetzungen, denen wir als Linke überall sonst – auch auf den Universitäten – begegnen, lösen sich im besetzten Audimax nicht einfach in Wohlgefallen auf, sondern müssen auch da bearbeitet und konfrontiert werden. Wer das nicht kapiert, hat die unibrennt-Bewegung nicht in Ansätzen verstanden.

Geist der Niederlage
Zweitens: Die Haltung der ÖH Uni Wien hat auch etwas mit den zurückliegenden Protestzyklen an der Universität Wien zu tun. Kurz gefasst: die letzten großen Studierenden-Bewegungen in Wien haben sich rund um die Proteste gegen die Blau-Schwarze Regierung 2000, die Einführung von Studiengebühren und das Universitätsgesetz 2002 formiert. Sie endeten in einer veritablen Niederlage; kein Ziel konnte erreicht werden, die Regierung saß die Proteste aus und die zehntausenden Studierenden, die sich in der Bewegung engagiert hatten, wurden nachhaltig demoralisiert. Es ist kein Zufall, dass die aktuellen Proteste vor allem von jungen Studierenden getragen werden. Sie haben diese Erfahrung nicht gemacht – sind aber zugleich jene, die am meisten durch die damals nicht verhinderte neoliberale Transformation der Hochschulen zu leiden haben. Der „Geist der Niederlage“ aus dem Protestzyklus 2000 – 2002 hat sich jedoch in Teilen der ÖH-Strukturen konserviert und wird dort seit Jahren als Identität stiftende politische Charaktereigenschaft gehegt und gepflegt. Symptome dieses „Geists der Niederlage“ sind politischer Zynismus, Abkapselung von breiter geführten Debatten, die Entwicklung eines ausgrenzenden Jargons und eine verbale Pseudoradikalität, die bisweilen sektenhafte Züge annimmt. Die ganze destruktive Grundhaltung dieser Position findet sich nun im Hass auf „die Wahnsinnigen“ der unibrennt-Bewegung wieder.

Widersprüche der Bewegung und solidarische Kritik
Nun ist es zweifellos richtig, dass die politische Zusammensetzung der Proteste sehr widersprüchlich ist. Sie werden maßgeblich von einer Generation junger Studierender getragen, die mit linker Politik und Aktivismus bisher wenig zu tun hatte. Eine bedeutende Minderheit der Bewegung steht auf einem Standpunkt, den man als „bildungs-chauvinistisch“ bezeichnen könnte – für sie sollten die Proteste sich von jeder „politischen“ Position fernhalten, die eigenen Ziele werden auf die Schaffung ausreichender Sitzmöglichkeiten in Seminaren reduziert und jeder Versuch, die gesellschaftlichen Zusammenhänge, in denen Bildungspolitik zu verorten ist, in die Proteste zu integrieren, als „ideologische Vereinnahmung“ zurückgewiesen. Dies betrifft in besonderem Maße die Frage des Sexismus; feministische Forderungen wurden und werden von Teilen der Bewegung abgelehnt, und es kam im besetzten Audimax zu sexistischen Übergriffen. Die Initiative u.a. der Frauen*AG dies offensiv zu thematisieren und feministische Forderungen zu platzieren, stellt in diesem Zusammenhang eine wichtige und notwendige Intervention dar. Die Frage ist: wie verhält sich eine feministische, antirassistische, antikapitalistische Linke zu einer solch heterogenen Bewegung? Wir meinen: sie muss als Teil dieser BewegungKritik üben und sich auch mühsamen Diskussionen stellen. Sie muss geduldig und systematisch Argumente entwickeln, die es ermöglichen, weitere Teile der Bewegung von der Notwendigkeit einer Verallgemeinerung der bildungspolitischen Forderungen hin zu einer breiten anti-neoliberalen politischen Offensive zu überzeugen. Denn der „emanzipatorische Gehalt“, den die unique-Redaktion in den brennenden Unis zu messen versucht wie Phlogiston in brennender Materie, hängt eben von den sich stets verändernden Dynamiken der Bewegung ab – und diese wiederum nicht zuletzt davon, wie linke Kräfte innerhalb dieser Bewegung sich positionieren, Kritik üben, intervenieren und deren Richtung mitbestimmen können Die Haltung der unique-Redaktion trägt dazu keinen Deut bei. Im Gegenteil positioniert sie sich offen gegen die erste große soziale Bewegung in Österreich seit fast zehn Jahren.

Distanziert euch von unique!
Die Grenzen sind damit deutlich gezogen. Wir fordern die ÖH Uni Wien und die Fraktionen, aus denen sie zusammengesetzt ist (GRAS, VSSTÖ und KSV-LiLi), auf, sich unmissverständlich von den Diffamierungen der unibrennt-Bewegung durch die unique-Redaktion zu distanzieren, so sie sich nicht in die Front der reaktionären Besetzungs-GegnerInnen einreihen wollen.

Gruppe Perspektiven

Anmerkung
1 Wir wollen uns hier nicht auf das offenbar beliebte „meine Kapitalismuskritik ist länger als deine!“-Spiel einlassen. Offensichtlichen Blödsinn unkommentiert stehen zu lassen bringen wir dann aber doch nicht übers Herz. Sollte die unique-Redaktion tatsächlich der Meinung sein, dass „auf Grundlage von Marx’ Kapital (…) kurz gesagt, die Dinge über alle Menschen herrschen“, empfehlen wir die Lektüre eben jener Kritik der Politischen Ökonomie über die ersten beiden Kapitel hinaus.





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