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Editorial
von Perspektiven-Redaktion

Wer hätte gedacht, dass dieselbe Person innerhalb eines Jahres sowohl Friedensnobelpreisträger als auch Oscar®-Gewinner werden kann? Spätestens als Al Gore dank herzerweichendem Eisbärenpathos und Energiesparlampen-Propaganda diese unwahrscheinliche Titelakkumulation gelang, und Angela Merkel sich am G8-Gipfel von Heiligendamm zur Retterin des Weltklimas aufschwang, nahm die Berichterstattung
über die ökologische Krise und den kurz bevor stehenden Weltuntergang Züge einer Dauerwerbesendung an. Doch heute, wenige Monate, aber hunderte verschwundene Euro-Milliarden später, scheinen die vollmundigen Versprechen der ökologisch bekehrten Eliten sich in heiße Luft aufgelöst zu haben. Das zeigt zweierlei: Erstens, dass gesellschaftliche „Probleme“ sich nicht einfach selbst auf die politische Tagesordnung setzen, sondern herrschaftlich konstituiert werden. Und zweitens, dass Probleme nicht einfach verschwinden, wenn im Fernsehen niemand mehr darüber spricht.

Die ökologische Krise ist Realität, und sie ist kein „Umweltproblem“, dem mit gezielten, technokratischen Maßnahmen beizukommen wäre, sondern artikuliert sich als Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse. Mit unserem Schwerpunkt wollen wir zwei Argumente stärken. Erstens weisen wir auf die sozialen Kämpfe hin, die sich an ökologischen Krisen und deren Bearbeitung entzünden; und zweitens halten wir dem dominanten Öko-Diskurs entgegen, dass konsequent ökologische Politik die kapitalistische Produktionsweise grundsätzlich in Frage stellen muss.

Philipp Probst verdeutlicht, dass die theoretische Debatte um ökologische Grenzen des Wachstums nicht um den Marxschen Begriff des gesellschaftlichen Stoffwechsels mit der Natur herum kommt. Warum die Verknappung fossiler Energieträger die Bedingungen globaler Klassenkämpfe nachhaltig verändert, ist Gegenstand von Kolya Abramskys Artikel. Die prominenteste Debatte des letzten Jahres greifen Franziskus Forster und Michael Botka auf. Sie identifizieren die Defizite der dominanten Klimadiskussion und entwickeln Vorschläge für eine klimapolitische Offensive von links unten. Der Beitrag von Carlo Morelli argumentiert, dass die globale Ernährungskrise wesentlich auf Marktmechanismen, Spekulation auf Warenbörsen und die großindustrielle Organisation der Landwirtschaft zurück zu führen ist. Zum Abschluss des Schwerpunkts berichtet die brasilianische Aktivistin Camila Moreno im Interview von den Folgen einer entstehenden „Geopolitik der Agrartreibstoffe“ für die brasilianische Landbevölkerung und deren Widerstand.

Illustriert wird der Schwerpunkt der Ausgabe von den „Kunstformen der Natur“: Diese wurden um die Wende zum 20. Jahrhundert von dem reaktionären Sozialdarwinisten Ernst Haeckel veröffentlicht und von uns in subversiver Absicht enteignet. Die symmetrische Ästhetik der organischen Formen repräsentiert in diesem Kontext nicht mehr die Durchsetzung einer gereinigten Natur, sondern die Auflösung derselben in die Gesellschaftlichkeit ihrer kulturellen Repräsentation. Wir sind uns auch nicht sicher, was dieser Satz genau bedeuten soll, finden die Bilder aber sehr schön.

Perspektiven bietet also diesmal dasselbe in grün (keine Angst, die Farbe am Cover ändert sich mit der nächsten Ausgabe – zum Schwerpunkt „Rechtsextremismus“ – wieder). Außerdem präsentieren wir euch in dieser Nummer, als Teil vier unserer Serie „Zum politischen Erbe der Oktoberrevolution“, einen Beitrag von Owen Hatherley. Er entführt uns in die cineastische Traumwelt des Avantgarde- und Slapstick-Kinos der frühen Sowjetunion.

Ein Albtraum war die jüngste Militäroffensive der israelischen Regierung für die Bevölkerung von Gaza. Wir sprachen darüber mit dem Historiker und Experten für die Geschichte der palästinensischen Nationalbewegung Roger Heacock.

In der Rezensionsabteilung haben wir Debatten zu Antisemitismus und Islamophobie, sophistische Philosophie, Kämpfe der Migration, Theorien der Geopolitik und Globalisierungskritik für EinsteigerInnen im Angebot. Und zu guter Letzt bereiten wir zum ersten – aber nicht letzten – Mal Gustostückerl für euch zu: Interesssantes und Lesenswertes aus den Großküchen der kritischen Textproduktion.

Prost, Mahlzeit,
eure Perspektiven-Redaktion

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