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Editorial
von Perspektiven-Redaktion

Die liebe Familie: Sitzplätze und Blumenhüte für die Damen, Autorität und weltgeschichtlicher Ruhm für die Herren. Als Jenny Marx ihren Vater bat, Fragen in ihrem Poesiealbum zu beantworten, schrieb dieser, seine Lieblingstugend beim Mann wäre „Kraft“; bei der Frau: „Schwäche“. Wir sehen: die feministische Sache hatte es von Anfang an nicht leicht, in ein Verhältnis zum Marxismus zu treten.

Die heutige Linke geht mit der Frage der Geschlechterverhältnisse da schon etwas sensibler um. Zumindest zu einem Lippenbekenntnis reicht es allemal. Nach dem Motto „Wir sind eh auch FeministInnen“ wird individuelle Gewissenberuhigung betrieben, systematische Auseinandersetzung mit Geschlechterverhältnissen im Kapitalismus bleibt jedoch eher die Ausnahme. Und wie schon Antonio Gramsci wusste: Eine Wüste mit einer Gruppe hoher Palmen bleibt immer eine Wüste.

Gleichzeitig erleben wir in der bürgerlichen Presse eine Wüste ohne Palmen. Plötzlich werden die Geschlechter als Krisenerklärungsmodell entdeckt und längst totgeglaubte Biologismen wieder ausgegraben, um die Wirtschaftskrise als „Testosteronkrise“ auch „Die Presse“-LeserInnen verständlich zu machen. Gerade jetzt sei die „Stunde der Frauen“ als „moderne Trümmerfrauen“ gekommen, denn die „ticken anders, auch biologisch“ (Die Presse, am 27.09.09) und scheinen damit berufen, das von jungen risikofreudigen Männern angerichtete Chaos wieder in Ordnung zu bringen. Ein Schwerpunkt zum Thema „Ge_schlechte_r_verhältnisse im Kapitalismus“ ist also doppelt geboten. Einerseits, weil feministische Themen in der Linken trotz gegenteiliger Beteuerungen weiterhin nicht die nötige analytische und politische Aufmerksamkeit erfahren. Gerade als undogmatische MarxistInnen halten wir diese Auseinandersetzung für notwendig, weil Geschlechterverhältnisse „fundamentale Regelungsverhältnisse in allen Gesellschaftsformationen, die wir kennen“ sind (Frigga Haug), und nicht ein in Fußnoten abzuhandelndes „Eh-auch-wichtig“. Andererseits, weil die aktuelle Krise besonders zu Lasten von Frauen und deren Umsonstarbeit im Reproduktionsbereich geht. Und während unmittelbar einleuchtend ist, dass die Linke sich zur globalen Krise politisch verhalten muss, wollen wir die Zentralität ihrer Geschlechterdimension herausstreichen.

Der Satz, dass die Linke feministisch ist, oder nicht links, ist richtig; dennoch fallen Marxismus und Feminismus keineswegs automatisch zusammen. Darum widmen sich Maria Asenbaum und Katherina Kinzel im Eröffnungsartikel der vorliegenden Ausgabe diesem schwierigen Verhältnis, ausgehend von der „Hausarbeitsdebatte“, und argumentieren, dass es bewusster politischer Anstrengung bedarf, um eine dialogische Beziehung von Marxismus und Feminismus zu schaffen.
Dass die Geschlechter eine Geschichte haben, zeigen Tobias Boos und Veronika Duma. Sie zeichnen die Entstehung des modernen Zwei-Geschlechter-Modells im Zusammenhang mit der Selbstkonstituierung des Bürgertums nach.

Eine Analyse der globalen Wirtschaftskrise aus geschlechterpolitischer Perspektive liefern Katharina Hajek und Benjamin Opratko. Sie argumentieren, dass trotz gegenwärtiger Umbrüche das neoliberale Geschlechterregime weitgehend aufrechterhalten wird.

Zum Abschluss des Schwerpunkts sprechen Katherina Kinzel und Felix Wiegand mit Petra Steiner von der Frauensolidarität über Arbeitsbedingungen und Kämpfe von Frauen im globalen Süden.

Illustriert wird der Schwerpunkt von Reinhard Lang, dessen Fotoserie unseren Umgang mit vergeschlechtlichten Konnotationen von Produktionsmitteln herausfordert.

Auf kurzfristige politische Ereignisse einzugehen, fällt einem Magazin, das dreimal im Jahr erscheint, naturgemäß schwer. Mit etwas zeitlichem Abstand reflektiert Behrooz Rahimi die Protestbewegungen im Iran nach der Wieder-„Wahl“ Mahmud Ahmadinedjads und analysiert die Widersprüche innerhalb des Regimes der Islamischen Republik.

Nikolaus Perneczky trägt zur Fortführung unserer ebenso unregelmäßigen wie inoffiziellen Kinoserie bei. Nach österreichischen Polit-Dokus (Nr. 0) und russischem Revolutionsfilm (Nr. 7) geht es nun um das „Dritte Kino“, das sich in den Dienst der Befreiungsbewegungen und Dekolonisationskämpfen in Lateinamerika, Afrika und Asien stellte.

Zuletzt unser Beitrag zum Darwin-Jahr: Ian Angus über die „Entstehung der Arten“ und was sie mit dem Historischen Materialismus zu tun hat. Ein auch in der Redaktion nicht unumstrittener Artikel – wir freuen uns über Kommentare, Zuspruch und Kritik!

Ein paar Rezensionen, damit ihr wisst, wie ihr die langen, einsamen und dunklen Herbstabende übersteht: Feminismus und Multikulturalismus, Grenzen des Wachstums, der revolutionäre Atlantik und Aliens im Apartheid-District 9. Und die Gustostückerl heißen jetzt Rosinenpicken.

Für die klassen- und geschlechterlose Gesellschaft oder: schafft drei, vier, viele Geschlechter!

Eure Perspektiven-Redaktion





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