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Aufruhr im Netz
von Behrooz Rahimi

Rezension: Nasrin Alavi: Wir sind der Iran. Aufstand gegen die Mullahs – die junge persische Weblog-Szene. Köln: Kiepenheuer & Wirtsch 2005.

Der Iran ist in der internationalen Medienlandschaft ein viel behandeltes Land. Der Atomkonflikt, Attacken gegen Israel, diktatorische Mullahs und Bilder von schwarz umhüllten Frauen prägen das Iranbild vieler Menschen im Westen. Nasrin Alavi zeigt in ihrem Buch über die iranische Weblogszene einen anderen Iran.
Das Internet hat sich aufgrund einer repressiven Pressezensur in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Medien für freie Meinungsäußerung und Protest gegen die Mullah-Diktatur entwickelt. Es gibt ca. 64.000 iranische Weglogs. Farsi (die offizielle iranische Landessprache) ist somit die vierthäufigste Sprache, in der Internettagebücher geschrieben werden. Die meist jungen Web-AutorInnen sprechen „mit viel Witz, Poesie und Zorn über ihre Konflikte mit dem Gesetz, die Situation der Frauen, diskutieren über Repression und Widerstand, Religion und Medien, über Musik und Partys, erzählen von der Liebe und der Trauer über verschwundene [politische] Helden.“
Durch viele Zitate aus Weblogs zeichnet Alavi ein dynamisches Bild der iranischen Gesellschaft im Wandel. Im Zentrum stehen dabei die Wünsche, Hoffnungen und Ängste junger IranerInnen die im alltäglichen Widerspruch zur offiziellen politischen und ideologischen Realität der Islamischen Republik leben. Die Brüchigkeit der Herrschaft der Mullahs kommt in diesem Spannungsfeld zum Vorschein. Oppositionelle Geistliche, JournalistInnen, politische AktivistInnen formulieren durch ihre Weblogs Kritik am Regime. Viele von ihnen werden in Alavis Buch vorgestellt und ihre Kommentare sowie Huldigungen an berühmte Oppositionelle abgedruckt.

Die Tradition des Widerstandes ist ein wichtiger Bestandteil der Diskussionen in den Weblogs und eine Anleitung für den Widerstand heute. So ist z.B. die Rolle der USA in der Unterdrückung der iranischen Bevölkerung noch lange nicht vergessen, ebenso wie die Erfahrungen früherer demokratischer Bewegungen und Kämpfe, die Menschen immer noch inspirieren. Zum Todestag des demokratisch gewählten Nationalisten Mohammad Mossadegh, der durch einen Putsch des Shahs und der CIA gestürzt wurde, erschienen zum Beispiel Weblogs, die an ihn erinnern:

5. März 2003
Heute ist der Todestag des einflussreichsten demokratischen Staatsoberhaupts der iranischen neueren Geschichte… Heute behauptet Amerika, es wolle dem gesamten Planeten die Demokratie bringen. Die Ära Mossadegh beweist, dass solche Behauptungen nur eine einzige große Lüge sind. In ehrenvollem Andenken an Dr. Mossadegh, einen Mann, der sein Volk nie verriet…

http://www.shabah.org

Ebenso ist die Erinnerung an die ungerechte Herrschaft des Shahs vor der Revolution 1979 als auch an die Revolution selbst nicht verblasst:

15. Februar 2004
Die islamische Herrschaft hat so viel Elend über uns gebracht, dass die Fürsprecher der Monarchie unsere gegenwärtige schlimme Lage schon als Argument heranziehen, wenn sie die Schahzeit als eine Ära der Zivilisation bezeichnen… Doch das Gedächtnis unseres Volkes ist nicht so schlecht, dass es jenen Sumpf vergessen hätte oder auch die Tatsache, dass die Islamische Revolution aus jenem Sumpf heraus erwachsen ist.
In unserem Land sind alle Arten repressiver Herrschaft ausprobiert worden… Doch diesmal wollen alle vorrangig Demokratie und Freiheit. Die Iranische Revolution lebt, sie ist ewig und geht immer weiter… Lang lebe die Iranische Revolution!

http://siprisk.blogspot.com

Dass die IranerInnen nicht sehnsüchtig auf die US-Panzer in Teherans Straßen warten um die Diktatur zu stürzen, zeigt sich in der abneigenden Haltung vieler Blogger gegenüber der aggressiven Politik der USA im Atomstreit:

1. Februar 2005
Ich hasse Krieg. Ich hasse die Soldaten, die uns befreien sollen und unseren Boden, unser Heim, Jung und Alt unter ihren Stiefeln zertrampeln. Glaubt mir, ich liebe die Freiheit. Aber ich glaube, dass man sich selbst befreien muss. Niemand sonst kann das tun.

http://shargi.blogspot.com

Während der StudentInnenunruhen spielte die Kommunikation über das Internet eine wichtige Rolle. Informationen und Erlebnisse konnten auf diesem Weg schnell und relativ ungefährlich ausgetauscht werden. Dies ist ein Erlebnisbericht eines Webloggers über die StudentInnenunruhen im Juni 2003:

13. Juni 2003
Viele Leute, viele „Bärte“ [Slang Ausdruck für die Basiji Milizen], viele Motorräder…
Und wo war ich? 17. Straße, Amir Abad, vor den Wohnheimen der Jungs!
Während der Revolution war bestimmt alles viel einfacher. Wenigstens konnte man einem Soldaten eine Blume in den Gewehrlauf stecken. Aber wie um alles in der Welt soll man eine Blume an einem elektrischen Schlagstock befestigen? Dreißig Minuten später… Kurdistan Allee! Stellt euch eine Rotte Neandertaler vor, die euch jagen wie eine Herde Esel mit Chilischoten im Arsch!
Dreißig Minuten später, Amir Abad Highway! Tausende feiern eine Party und hupen!
Zwei Uhr nachts: Kurdistan Allee… Stellt euch 40 oder 50 „Bärte“ auf Motorrädern vor. Jetzt sind auch die speziellen Sicherheitstruppen im Einsatz. Das merkt man an ihrem ranzigen Gestank, der die Luft verpestet!
Stellt euch folgendes vor: Die Basiji schlagen Leute zu Brei… Stellt euch vor: den Knüppel mit dem der Basiji auf die Leute einschlägt… Stellt euch vor: Ein Polizeibeamter haut einem Basiji eine runter und wird von ihm verflucht… Stellt euch vor: Eine Großmutter sucht nach ihrem Enkel, der von ihr getrennt wurde… Stellt euch vor: Die Basiji skandieren: „Oberster Führer, wir sind bereit, wir sind bereit!“… Stellt euch vor: Ein Junge und ein Mädchen lernen sich besser kennen… Den Gestank von Tränengas…. abgehörte Handys…
Stellt euch vor, wie die Tore der Universität von der Menge eingerissen werden, und wie die Basiji fluchen…

Nasrin Alavis Buch trägt dazu bei, die komplexen Vorgänge im Iran besser zu verstehen. Sie behandelt Ausschnitte der iranischen Gesellschaft, Geschichte und Politik und fügt zu diesen Themen Berichte und Kommentare aus der Bloggerszene hinzu. Dadurch werden Diskussionen und Standpunkte der IranerInnen aus erster Hand erfahrbar.
Eine Kritik, die trotz der großteils interessanten Lektüre nicht fehlen darf: Die in der Bloggerszene vertretenen Meinungen dürfen nicht 1:1 auf die gesamte Gesellschaft übertragen werden. Schließlich hat nur eine bestimmte Gesellschaftsschicht Zugang zum Internet als Kommunikationsplattform. Der Großteil der iranischen Armen und ArbeiterInnen kann in dem Sinn nicht gleichwertig zu Wort kommen. Im Internet haben die verschiedensten Meinungen Platz und so muss dieses Medium sowie auch die Inhalte der im Buch geschilderten Weblogs natürlich mit Vorsicht genossen werden. Gerade deshalb ist dieses Buch ein Zeugnis für die Vielfalt der im Iran präsenten Meinungen und Ideen und bricht ein statisches und konservatives Iran-Image auf, während gleichzeitig eine gnadenlose Abrechnung mit dem Iranischen Regime gemacht wird.





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