“We live in a society that teaches DON’T GET RAPED instead of DON’T RAPE” – Über victim blaming, sexualisierte Gewalt und die viel diskutierte Begriffsaneignung im Zuge der SlutWalk Bewegung schreibt Fanny Müller-Uri.
Ein Blick auf die Vergewaltigungs-Gerichtsprozesse à la Strauss-Kahn der letzten Monate verdeutlicht, wie aktuell diese Feststellung ist. Das gesellschaftliche Problem der Verharmlosung, Normalisierung und Akzeptanz von Gewalttaten an Frauen ist nun Zielscheibe einer neuen, lautstarken feministischen Bewegung: der weltweiten SlutWalks. In über fünfzig Städten haben sie bereits stattgefunden, in mindestens genauso vielen, darunter auch Wien, sind sie momentan in Planung. Die Debatten in und um die SlutWalk Bewegung sind vielfältig, einige werden auch hier zur Diskussion gestellt.
Victim blaming: Ein Mythos mit realen Auswirkungen
Minimalkonsens der Bewegung ist der Widerstand gegen einen alten Mythos, der im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Verharmlosung von Gewalt an Frauen, die juristisch legitimierte Täter-Opfer-Umkehr (engl. victim blaming), steht. Jener soll uns weismachen, dass Männer Opfer ihres Sexualtriebs wären und Gewalt legitimierbar sei, wenn sie einer Frau mit Minirock begegneten.
Dies war auch Zündstoff des ersten SlutWalks in Toronto am 3. April diesen Jahres. Auslöser war die Aussage eines Polizisten, Michael Sanguinetti, der eigentlich an einer Universität einen Präventionskurs zum Thema Sicherheit am Campus machen sollte. Mit dem Satz: “Women should avoid dressing like sluts in order not to be victimized” bediente er anhand von victim blaming einen Ausschnitt dessen, was in feministischen Traditionen als rape culture oder culture of violence bezeichnet wird.
Die Annahme, es handle sich bei Vergewaltigungen um sexuelle Handlungen ist noch immer mehrheitsfähig. Vergewaltigungen und sexualisierte Übergriffe müssen aber als “eine Form der Machtausübung mit dem Mittel der Sexualität [verstanden werden]. (…) Es geht dabei darum, Macht über jemanden auszuüben, jemanden zu erniedrigen – und das ist eine gesellschaftliche Sache…“ und Ausdruck von Gewalt und Unterdrückung – Gewalt hat System.
Sanquinettis Aussage spiegelt diese gesellschaftlichen Diskurse wider und spricht damit aus, was in den Köpfen vieler Menschen allzu oft auf Zustimmung trifft. Dies mag zwar immer noch breiter Konsens in der Gesellschaft sein, aber diesmal erzeugte es auch breiten Widerstand. Zu Recht und völlig empört gingen daraufhin tausende Menschen auf die Straße und formierten sich zu einer dynamischen, undogmatischen und kreativen Demonstration. Denn niemand hat das Recht, Gewalt an Frauen auszuüben, egal wie sie sich verhalten (etwa Trunkenheit, Herumgeflirte oder Alleine-am-Nachhauseweg-Sein) oder sich kleiden (ob bauchfrei, Minirock oder Kartoffelsack). Obwohl es keinen Dresscode gibt, spielen viele SlutWalk-TeilnehmerInnen mit der Kleidung und rufen unmissverständlich: „My clothes are not louder than my voice! Enough is enough!“
„Oh Bondage, Up Yours!” und der Mythos der dunklen Gassen
Die SlutWalk-Bewegung konzentriert sich hauptsächlich auf sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum. Dies ist auch überfällig und stellt sich dem Sicherheitswahn, der gerne in Form repressiver Mittel wie Videokameras, privater Securities und selbsternannter Bürgerwehren auftritt, entgegen. Denn der ausgelebte, machoide „Beschützerinstinkt“ ersetzt keine Freiräume, in denen sich Frauen unbeschwert bewegen können. Die SlutWalks fahren damit einen vielleicht neuen Diskurs: selbstbewusst ergreifen sie die Definitionshoheit und beziehen damit klare Position. Gleichzeitig wird ein Faktum bisher wenig beachtet. Tatsächlich finden die meisten sexualisierten Übergriffe und Vergewaltigungen nicht in den dunklen Gassen, am Campus oder in Parks statt, sondern in den eigenen vier Wänden bzw. im Bekannten- und Verwandtenkreis. 90% der Betroffenen kennen ihre Täter. Häusliche Gewalt wird bisher von den wenigsten SlutWalks thematisiert, Gewalt gegen Frauen auf den „öffentlichen Raum“ reduziert. Dies ist bis dato eine Schwäche der SlutWalk Bewegung und erklärt sich bis zu einem gewissen Grad aus der vermeintlichen Loslösung von einer breiteren anti-sexistischen Praxis und historischen Frauenbewegungen.
It‘s a new feminist movement, yay
Inzwischen kann nicht mehr von einem punktuellen anti-sexistischen Protest gesprochen werden. Weltweit finden seitdem SlutWalks statt, dadurch dringen anti-sexistische und feministische Themen in die breite Öffentlichkeit – in den Malestream. Auffällig scheint hierbei die Abwehr vieler TeilnehmerInnen, sich als feministisch zu bezeichnen. Dies mag an der negativen Konnotation des Begriffs liegen, welche in der Öffentlichkeit zelebriert wird. Zweifelsohne gibt es nicht bloß eine feministische Strömung, um es aber kurz und bündig mit den Worten der großen bell hooks auszudrücken: „Feminist struggle takes place anytime anywhere any female or male resists sexism, sexist exploitation, and oppression. Feminist movement happens when groups of people come together with an organized strategy to take action to eliminate patriarchy.” Fakt ist, dass die Zusammensetzung der TeilnehmerInnen eine vielfältige ist: ob jung oder alt, ob politisch schon länger aktiv oder nicht , aber vor allem all gender machen sich für SlutWalks stark und diese können nicht abseits der Tradition feministischer Kämpfe betrachtet werden. Egal ob sich die TeilnehmerInnen als feministisch definieren oder nicht – feststeht: „Yes means Yes! No means No! – Keine Gewalt an Frauen!“.
Slut – Strategie der Begriffsaneignung
Klarerweise entstehen in politischen Bewegungen unterschiedliche Strategien, wie man definierte Ziele benennt oder erreichen kann. Über die Begriffsaneignung Slut beispielsweise wird seit Monaten debattiert. Der Begriff Slut wurde zunächst ironisch von den OrganisatorInnen herangezogen, um auf den spezifischen Kontext des victim blamings zu reagieren. Auch wenn die (Rück-)Eroberung von herrschaftlicher Sprache seit jeher feministische Tradition hat, so stellt sich erneut beim Begriff Slut die Frage, inwieweit sie exkludierend wirkt bzw. welche Funktion dem Gebrauch zukommt. Ohne weiteres kann es als Eroberung des Begriffs für eine anti-sexistische Kampagne verstanden werden. Dennoch, Slut wirkt polarisierend, ist zutiefst vergeschlechtlicht und von Machtverhältnissen durchzogen.
Der Begriff exkludiert, denn viele Menschen wollen nicht unter einem Label aktiv werden, das Frauen als Ware, Objekt und Opfer tituliert. Denn der SlutWalk transportiert auch „Sex and the City“-Sexyness, die auf patriarchalen Frauenbildern basiert. Auch der große Zuspruch in den Malestream-Medien ist wohl nicht in einem breiten anti-sexistischen Konsens begründet, vielmehr gilt auch hier die mediale Logik des Sex sells. Die Bewegung profitiert vom medialen Interesse und erhöht dieses durch das bewusste Spiel mit dieser sexualisierten Begrifflichkeit. So lange die SlutWalks jedoch nicht auf „das Recht auf sexy Kleidung“ reduziert werden und die feministische Botschaft in den Mainstream durchsickert, bleibt wohl nur zu sagen: In your face! Aber mal ehrlich – wo ist denn auch schon die Insel der Glückseligen?
Dass der Begriff Slut Kontroversen mit sich bringt, liegt auf der Hand. Fest steht, auch wenn eine Frau als Slut bezeichnet wird, nackt durch die Straßen zieht oder betrunken in der Ecke liegt – Gewalt an Frauen ist omnipräsent und niemals gerechtfertigt! „Frauen, hört ihr Frauen schreien, lasst die anderen nicht allein!“ – Wir sehen uns bei dem nächsten SlutWalk-Treffen.