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Bolívar in Bogotá: Die „neue Linke“ in Kolumbien
von Sebastian Muhr, Julia Hofmann, Tobias Zortea und Tobias Boos

Die Guerillataktik der letzten Jahrzehnte in Kolumbien scheint gescheitert. Die unglaubliche staatliche und parastaatliche Repression aber auch eigene Fehler zwingen die gesamte Linke zu neuen Strategien. Dass diese neuen Formierungsversuche nur vor dem spezifischen historischen Hintergrund verständlich werden, argumentieren Sebastian Muhr, Julia Hofmann, Tobias Zortea und Tobias Boos.

Die Diskussionen rund um die „Neue Linke“ in Lateinamerika sind in den letzten Jahren zu einem wichtigen Bezugspunkt der europäischen Linken geworden. Dabei drehten sich die Debatten vor allem um die beiden Paradebeispiele linker Regierungsprojekte in Venezuela und Bolivien. Während in den bürgerlichen Medien die Projekte und vor allem deren líder Morales und Chavez häufig verteufelt wurden, zeigte sich bei Teilen der Linken eine Tendenz zur Überromantisierung.1 Länder wie Kolumbien, in denen die Rechte seit Jahren stark autoritär regiert, werden hingegen selten beachtet. Ebenso wenig wird die Vorgehensweise, mit der die Rechte diese Politik durchsetzt, außerhalb von Lateinamerika thematisiert.
Dabei stellt sich der Fall Kolumbien aus zwei Gründen als besonders spannend dar: Einerseits gab es zu Hochzeiten der kolumbianischen Linken vor ca. 20 Jahren reale Hoffnungen auf positive Veränderungen. Andererseits existieren, trotz der starken Repression, noch immer progressive Kämpfe und Projekte im Land. Aus diesem aktuellen Beispiel autoritärer Politiken lässt sich daher auch für die hiesigen Verhältnisse viel lernen.
Der Artikel wird sich zunächst mit dem Niedergang der kolumbianischen Linken im Verlauf des 20. Jahrhunderts beschäftigen, um in einem weiteren Schritt ihre neuen Strategien zu beleuchten. Hierbei wird sich zeigen, dass diese – vor allem auf politische Institutionen abzielende – Strategien, nur durch die Einbeziehung des spezifisch-historischen Hintergrunds verstanden und analysiert werden können. Abschließend werden die skizzierten gesellschaftspolitischen Entwicklungen anhand der Region Apartadó konkretisiert.

Historische Entwicklung und Krise
Anfang des 20. Jahrhunderts kam es, ausgelöst durch einen Wirtschaftsboom, zu einer zunehmenden Industrialisierung Kolumbiens. Im Zuge dieser formierten sich neben den traditionellen Parteien (in Kolumbien v.a. die Konservativen und Liberalen), neue (und/oder) antagonistische soziale Kräfte, die sich zum Großteil unter dem Schirm der Partido Socialista Revolucionario (PSR) versammelten. Diese begriff sich explizit – in Abgrenzung zu den KPs – als Bewegungspartei und bündelte somit die unterschiedlichen aufkommenden sozialen Bewegungen. Gerade am Land organisierten sich große Teile der Bevölkerung. Es kam zur Gründung zahlreicher Kommunen. Ihr trauriges Ende erreichten diese Entwicklungen jedoch 1928, als die Armee zahlreiche streikende ArbeiterInnen der United Fruit Company massakrierte. Interessant sind hierbei die personellen Kontinuitäten: Viele Verwandte der ermordeten KommunenanführerInnen spielten später eine gewichtige Rolle bei den Gründungen von Guerillas.2
Nach diesen Vorkommnissen kam es zu einer massiven Repressionswelle, durch die progressive außerparlamentarische Kräfte für lange Zeit fast gänzlich von der Bildfläche verschwanden. Erst 1948 traten linke Kräfte wieder in Erscheinung: Zur Präsidentschaftswahl kandidierte der aus der liberalen Partei kommende Linkspopulist Jorge Eliecer Gaitán für die von ihm gegründete Unión Nacional Izquierdista Revolucionaria (UNIR). Als jedoch deutlich wurde, dass sein bevorstehender Wahlsieg den herrschenden Eliten gefährlich werden würde, ließen diese ihn kurzerhand erschießen. Die aufgebrachte Bevölkerung zog daraufhin wutentbrannt durch Bogotá und überfiel staatliche Einrichtungen. Auf den Bogotazó – wie dieser spontane Aufstand in Kolumbien genannt wird – folgten bürgerkriegsartige Zustände. In der Episode, die als la violencia (die Gewalt) in die kolumbianische Geschichte eingegangen ist, bekämpften sich vor allem der kolumbianischen Staat und die Konservativen auf der einen und die soziale Basis der Liberalen auf der anderen Seite.3 1964–66 entstanden schließlich die Fuerzas Armadas Revolucionarias de ColombiaEjército del Pueblo (FARC-EP) sowie die guevaristische Ejército de Liberación Nacional (ELN). Wie bereits erwähnt, gab es zwischen den aufständischen Bauern der 1920er Jahre und der FARC personelle Verbindungen, so dass sich viele der Guerilla anschlossen. Zudem begriff diese sich explizit als Selbstverteidigungsorganisation, womit sie an die Tradition der Autodefensas Campesinas (Bauernselbstverteidigungsorganisationen) anknüpfte.4 In den folgenden Jahren entstanden zahlreiche andere Guerillagruppen, die unterschiedliche territoriale Verankerungen besaßen und verschiedene politische Strategien vertraten. Es kann hier nicht im einzelnen auf die unterschiedlichen Gruppen eingegangen werden, jedoch stellte deren Uneinigkeit sicherlich einen Grund dafür dar, dass es nicht gelang, breitere Allianzen zu bilden. So konnte auch in der Krise der frente nacional, dem seit 1958 institutionalisierten Bündnis zwischen der liberalen und konservativen Partei, und nach deren endgültigem Zusammenbruch 1974 wenig erreicht werden.
Hoffnung keimte erst wieder zu Beginn der Präsidentschaft Betancours Anfang der 80er Jahre auf. Dieser hatte vielversprechende Reformen angekündigt. Es kam zu Gesprächen zwischen der Regierung, der FARC und weiteren Guerillaorganisation, so dass 1984 ein Waffenstillstand ausgehandelt werden konnte. Dieser wurde allerdings bereits 1985 wieder aufgekündigt, nachdem die Regierung den aufkommenden sozialen Bewegungen (die zunehmend Verbindungen zu der guerilla aufbauten) erneut mit einer Welle der Repression entgegentrat. Im selben Jahr gründete ein Bündnis von GewerkschafterInnen, sozialen Bewegungen, sozialistischen und kommunistischen Parteien und Teilen der FARC Guerilla die Unión Patriótica (UP).

Das Massaker an der UP
Die UP konnten 1986 bei ihrer erstmaligen Teilnahme an den Wahlen enorme Erfolge verzeichnen und erhielt so viele Stimmen wie nie zuvor eine linke Partei in Kolumbien. Landesweit konnte sich die UP als drittstärkste politische Kraft etablierten. 1986 stellte sie 14 Kongressabgeordnete und 335 Abgeordnete in 187 Gemeinderäten.5 Ihre Verankerung besaß sie vor allem auf lokaler Ebene. Die Partei wurde zum Anziehungspunkt für zahlreiche Bewegungen und Initiativen. Es bestand die Hoffnung, dass im Rahmen des angestoßenen nationalen Dialogs ernsthafte Veränderungen in die Wege geleitet würden. Die Wahlerfolge der UP und die immer breiter werdende Zustimmung der Bevölkerung rief allerdings erneut die Eliten auf den Plan.6 Es begann die systematische Auslöschung der UP-Mitglieder. Die interamerikanische Kommission für Menschenrechte (Comisión Interamericana de Derechos Humanos) spricht in ihrem Bericht aus dem Jahre 1993 von 630 Morden in den Jahren 1985–88 und bezeichnet dies als politischen Genozid.7 Andere gehen von über 3500 Morden im Zeitraum zwischen 1985 und 1993 aus.8 Unter den Toten waren auch die UP-Präsidentschaftskandidaten aus den Jahren 1986 und 1990, Jaime Pardo Leal und Bernando Jaramillo.9
Die Vorkommnisse sorgten dafür, dass die FARC endgültig von der Strategie der combinación de todas formas de luchas (Kombination aller Kampfformen) zu einer rein militärischen Strategie überging. Um diese zu finanzieren, führt die FARC bis heute zahlreiche Entführungen durch. Dieses Vorgehen, aber vor allem auch ihre Involvierung in den Coca-Anbau und Drogenhandel waren jedoch ein Grund dafür, dass der gesellschaftliche Rückhalt der FARC schwand und sie zunehmend isoliert wurde.10

Parastaatliche Repression
Neben der staatlichen Armee waren die zentralen Akteure bei der Ermordung der UP-Mitglieder die Paramilitärs.11 Der Ursprung dieser in den 1980ern aufkommenden Gruppen kann in der MAS-Kampagne (Muerte a Secuestradores/Tod den Entführern) gesehen werden: Im Dezember 1981 verkündeten führende Personen der Drogenkartelle, dass UnterstützerInnen der Guerillas ab sofort von einer durch sie aufgestellten Privatarmee hingerichtet würden. Auch wenn der Initiator der Aktion, Fabio Ochoa, ein Mitglied des Medellín-Kartells war, gab es von Beginn an eine enge Kooperation mit staatlichen Stellen.12 Die MAS-Kampagne muss dabei im Kontext eines systematischen, staatlich gestützten Aufbaus der Paramilitärs gesehen werden. Zu Beginn der 1980er unterstützte der kolumbianische Staat den Aufbau sogenannter autodefensas (Selbstverteidigungsgruppen), die – so die Argumentation – dem Schutz der Bevölkerung vor der Guerilla dienen sollten. Dabei wurden viele der Strukturen sogar staatlich legalisiert. In der Realität beschränkten diese sich aber nicht auf die Auseinandersetzungen mit der Guerilla, sondern bekämpften auch die legale politische Linke sowie die Gewerkschaften.13
Auch wenn die Paramilitärs ein wichtiges Instrument des kolumbianischen Staates waren und sind, um unliebsame Gegner zu beseitigen, muss davor gewarnt werden, sie auf diese Rolle zu reduzieren. Deutlich wird dies am Beispiel der Castaño-Brüder und der Geschichte der Autodefensas Unidas de Colombia (AUC). In den 1980er Jahren arbeiteten diese eng mit Pablo Escobar und dem Medellín-Kartell zusammen. 1989 wurden die autodefensas jedoch staatlich verboten. Zudem verrieten die Castaño-Brüder Escobar an den Staat. Dadurch kam es zu einer grundlegenden Neuformierung der Paramilitärs.
Nur fünf Jahre nach dem Verbot erließ der neue Präsident Cesar Gaviria jedoch das berühmte Dekret 354, das den Aufbau paramilitärischer Strukturen erneut legalisierte. Der daraufhin vorangetriebenen Sicherheitskooperative CONVIVIR14 kam hierbei laut Raul Zelik eine Art „Scharnierfunktion zwischen Militärs und illegalen Paramilitärs“15 zu. 1997 gründete Carlos Castaño dann die bereits erwähnten AUC, welche die verschiedenen paramilitärischen Blöcke koordinieren sollte. Hierbei wurden viele der CONVIVIR-„Selbstverteidigungsmilizen“ direkt eingegliedert. In den Folgejahren bemühte sich die AUC um die Etablierung und Selbstdarstellung als eigenständiger politischer Akteur.

Uribes Politik der „demokratischen Sicherheit“
Nach Álvaro Uribes Wahlsieg im Jahr 2002 startete dieser unter dem Namen Seguridad Democrática (demokratische Sicherheit) eine neue Sicherheitsdoktrin. Deren Eckpfeiler waren die Aufstockung des Militärbudgets (bei gleichzeitigen Kürzungen öffentlicher Ausgaben im Bereich Bildung und Gesundheit), die staatliche Kontrolle des gesamten kolumbianischen Territoriums, die militärische Zerschlagung der Guerilla, die Demobilisierung der Paramilitärs sowie eine Intensivierung des War on Drugs. Der Zeitpunkt für solch eine Sicherheitspolitik konnte wohl nicht vorteilhafter sein. Uribes Vorgänger Andrés Pastrana (1998–2002) erklärte am Ende seiner Amtsperiode die Friedensverhandlungen mit der Guerilla-Organisation FARC-EP für gescheitert. Zuvor verabschiedete die US-amerikanische Regierung unter Clinton im Jahr 2000 den Plan Colombia zur militärischen Unterstützung Kolumbiens im Kampf gegen den Drogenhandel. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 stand die ganze Welt im Schatten des „Kriegs gegen den Terror“. Unter diesen Bedingungen konnte Uribe erfolgreich eine enorme Militarisierung des Landes vorantreiben. Zwischen 2000 und 2009 verdoppelte sich die Schlagkraft des kolumbianischen Militärs auf ca. 500.000 Streitkräfte und die militärischen Ausgaben verdreifachten sich auf rund 12 Milliarden US-Dollar.16 Die militärischen Erfolge der kommenden Jahre sollten Uribe schließlich die Wiederwahl im Jahr 2006 bescheren. Doch der Preis dafür war hoch: Die Zivilbevölkerung wurde mit Hilfe von InformantInnen-Systemen in den „Krieg gegen den Terror“ eingebunden. Zwischen 2002 und 2009 flüchteten etwa 2,4 Millionen Menschen in Kolumbien vor der Gewalt. Laut dem Forschungsinstitut CODHES wurden im Zuge der Kriegshandlungen über 900 ZivilistInnen von der kolumbianischen Armee ermordet und als Guerilla-KämpferInnen präsentiert (so genannte falsos positivos).17
Im Jahr 2003 trat die kolumbianische Regierung unter Alvaro Uribe dann in Verhandlungen mit der AUC. Es war der Beginn eines Demobilisierungsprozesses, der 2006 für beendet erklärt wurde und bei dem – nach offiziellen Zahlen – 31.671 Paramilitärs ihre Waffen aushändigten. Für die Regierung war das Kapitel Paramilitarismus in Kolumbien damit abgeschlossen. Oder, wie Alvaro Uribe es 2009 formulierte „En Colombia se acabaron los grupos paramilitares.“ (frei: „Die paramilitärischen Gruppen sind in Kolumbien gegessen.“)
Trotzdem mordeten bestimmte Gruppen, teilweise unter neuen Namen wie z.B. Aguilas Negras, weiter. Von nun an war in der Öffentlichkeit nicht mehr von paramilitärischer Gewalt die Rede, sondern es trieben plötzlich „kriminelle Banden“ ihr Unwesen. Zu einer Zeit, als zahlreiche Regierungsmitglieder wegen Verbindungen zu Paramilitärs vor Gericht standen, kam diese Neuinterpretation paramilitärischer Gewalt der Regierung Uribe nicht ungelegen. Zum einen ist der Begriff „kriminelle Banden“ eine entpolitisierte Worthülse, die davon ablenken will, dass paramilitärische Gewalt politisch selektiv in eine Richtung zielt – nicht umsonst nennt sich eine der neuen „kriminellen Banden“ Ejercito Revolucionario Popular Anticomunista de Colombia. Die Opfer sind fast immer líderes comunitarios (GemeindeführerInnen), GewerkschafterInnen, Mitglieder linker Parteien, MenschenrechtsaktivistInnen oder kritische JournalistInnen. Zum anderen unterschlägt der Diskurs der „kriminellen Banden“ die Verbindung zwischen Staat und Paramilitärs.
Noch einmal sei daher die Frage gestellt, welche Funktion den Paramilitärs zukam und bis heute zukommt? Zelik hebt in diesem Zusammenhang zwei Punkte hervor: Einerseits handle es sich bei ihnen um eine Art outsourcing staatlicher Gewalt.18 Andererseits ermöglichten diese eine Re-Symmetrierung des Konfliktes. Dessen soziale und ökonomische Dimension trat in den Hintergrund, stattdessen erschient er als sicherheitspolitische Frage: Der Staat konnte hierdurch als Opfer und neutraler Vermittler zwischen zwei Extremen – der Guerilla und den Paramilitärs – positioniert werden.19 Trotz dieser Zusammenhänge dürfen die Eigeninteressen der Paramilitärs nicht vergessen werden. So eigneten sie sich bspw. zahlreiche Ländereien durch systematische Vertreibungen an.

Strategien der Linken
Mitte der 1990er Jahre war also aufgrund der systematischen Auslöschung von der kolumbianischen Linken nicht mehr viel übrig. Rodríguez-Garavito zufolge wurde jedoch Ende der 1990er Jahre durch ökonomische, politische und soziale Faktoren das Fenster für linke Politik wieder zunehmend geöffnet. Linke Ideen konnten insbesondere durch den Niedergang der traditionellen politischen Parteien (also der Liberalen und der Konservativen Partei), das Wiederaufleben sozialer Bewegungen sowie die ökonomische Krise (1999-2002) an Einfluss gewinnen.20
Vor dem Hintergrund des Paramilitarismus, des starken autoritären Regimes, des politisch-strategischen Wandels Uribes sowie der gescheiterten Strategie der Guerilla, mussten die linken Kräfte allerdings ihre Strategien massiv ändern, um wieder an Einfluss in der Bevölkerung zu gewinnen. Dieser Wandel vollzog sich konkret auf vier Ebenen: (1) Eine soziale Revolution von unten als langfristiges Ziel linker Politik wurde (vorerst) aufgegeben. Stattdessen konzentrieren sich linke Kräfte in Kolumbien nun vermehrt darauf, entweder auf institutionellem Weg oder über außerinstitutionelle Mobilisierung Reformen zu fordern und in Gang zu setzen. (2) Damit teilweise einhergehend gewann der Diskurs um Gewaltfreiheit – im Sinne einer Abgrenzung gegenüber den Strategien der Guerilla – innerhalb der Linken zunehmend an Bedeutung.21 (3) Anstelle von Klassenwidersprüchen werden gegenwärtig vermehrt andere Diskriminierungsformen – wie jene von Frauen oder Indigenen – hervorgehoben. (4) Es wird versucht, gegen Uribes autoritäres Projekt den Demokratiebegriff zu stärken. Damit einhergehend wurde der (Menschen-)Rechtsdiskurs innerhalb der Linken gestärkt.22
Dieser Wandel der Strategien eröffnet der Linken in Kolumbien neue Möglichkeiten, bringt aber auch Probleme mit sich. Wie der Strategiewechsel sich konkret auswirkt, soll im Folgenden anhand von drei Beispielen gezeigt werden: dem Linksparteibündnis Polo Democrático (PDA), dem Niedergang der verfolgten Gewerkschaften sowie dem Aufstieg der sozialen Bewegungen.

Ein wackliges Linksbündnis
Das PDA ist ein Bündnis von radikalen und reformistischen Parteien, Personen, Gewerkschaften und Bewegungen, das im Dezember 2005 anlässlich der Präsidentschaftswahlen 2006 gebildet wurde. Bei diesen Wahlen gewann zwar Uribe um Längen (62% der Stimmen) – der PDA-Kandidat Gaviria war mit 22% der Stimmen aber sein schärfster Gegner.23 Noch nie zuvor erhielt ein linksorientierter Kandidat bei Präsidentschaftswahlen im Kolumbien so viel Unterstützung.24 Das PDA kann als linksreformistisches Parteiprojekt verstanden werden. Um sich von der Guerilla abzugrenzen, betont es immer wieder die Wichtigkeit gewaltfreien politischen Handelns.25
Schon seit seiner Gründung ist das Bündnis jedoch im Inneren mit großen politischen Problemen konfrontiert, die auch den aktuellen Zustand des PDA erklären: Das Polo Democrático entstand nämlich vor allem aus der Zusammenarbeit des zentralistischen, an der Portal do Partido dos Trabalhadores (PT) des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Lula orientierten Polo Demócratico Independiente (PDI) mit dem linken Bündnis Alternativa Demócratica (AD). Während PDI-AnhängerInnen sich klar für eine Regierungsbeteiligung aussprachen, betonte die Alternativa Demócratica vor allem ihre Kritik am herrschenden System und ihren Kampf gegen Korruption und für die Durchsetzung von Menschenrechten.26 Schaffte es das PDA, diese Unterschiede hinsichtlich strategischer Einschätzungen und politischer Positionierungen für die Präsidentschaftswahlen 2006 noch hinten anzustellen, so brechen die Widersprüche seither immer wieder auf und schwächen das Bündnis. Indigene und VertreterInnen anderer sozialer Bewegungen haben sich mittlerweile eigenen Projekten wie der Minga (siehe unten) zugewendet. Seit der „pragmatischen Neuausrichtung“ des PDA – ein Versuch, die Heterogenität der politischen Ansichten innerhalb des Bündnisses einzudämmen – wenden sich auch die Gewerkschaften und linke Einzelpersonen vermehrt vom PDA ab: „Das PDA jedenfalls hat an Glaubwürdigkeit verloren und es scheint nicht einmal sicher, ob sich die Differenzen zwischen den verschiedenen Strömungen überhaupt überwinden lassen. Konnte man in den letzten Jahren noch feststellen, dass die kolumbianische Linke erstmals gemeinsam auftrat und damit als Alternative zur Rechtsregierung Uribes Erfolg hatte, ist dies jetzt ganz offensichtlich nicht mehr der Fall.“27 Trotzdem eröffnet das PDA bis heute neue Möglichkeiten für linke Politik in Kolumbien, kann es doch als Versuch gesehen werden, in dem autoritär regierten Land eine handlungsfähige Linke zu formieren.

Die verfolgten Gewerkschaften
Gewerkschaften haben es in Kolumbien besonders schwer. Gegen sie wird, wie bereits erwähnt, seit Ende der 1980er Jahre ein „Vernichtungsfeldzug“28 geführt. Der International Labour Organisation (ILO) zufolge gehört Kolumbien zu jenen 20 Ländern, in denen Arbeitsrechte weltweit am meisten verletzt werden.29 Laut Rodolfo Vecino Acevedo, einem Mitarbeiter der Gewerkschaft der Erdölarbeiter [sic!], wurden „seit der Wahl Uribes 462 Gewerkschafter und soziale Aktivisten ermordet. Im Schnitt wird jeden dritten Tag ein politischer Mord begangen.“30 Die Logik, die hinter diesen konsequenten Eliminierungsversuchen steht, ist, anders als die bürgerliche Medien gerne glauben machen wollen, jedoch nicht in der allgemeinen Gewaltsituation im Land, sondern in der Durchsetzung neoliberaler Politiken zu suchen. Politisierte GewerkschafterInnen, die sich gegen Privatisierungsmaßnahmen zur Wehr setzen, werden mit Hilfe staatlicher Kriminalisierungsmaßnahmen und durch die Paramilitärs verfolgt.31 Ein kolumbianisches Sprichwort bringt es treffend auf den Punkt: „Du willst zur Gewerkschaft? Tritt lieber der Guerilla bei, das ist ungefährlicher!“ Trotz dieser massiven Repression existieren die zentralen Gewerkschaften in Kolumbien bis heute und führen den Kampf um Arbeitsrechte und weitergehende soziale Rechte fort.

Der Kampf sozialer Bewegungen
Seit den 1990er Jahren gewinnen soziale Bewegungen in Kolumbien zunehmend an Sichtbarkeit und Stärke. Im Gegensatz zu den indigenas-Bewegungen in Ecuador und Bolivien oder den piqueteros in Argentinien sind die sozialen Bewegungen in Kolumbien allerdings weit weniger offensiv. Das zentrale Ziel aller sozialen Bewegungen in Kolumbien ist die Einhaltung der (progressiven) Verfassung von 1991 sowie die Durchsetzung von BürgerInnen- und Menschenrechten. Damit wird versucht, dem „liberal-demokratisch“ angehauchten Diskurs von Uribe ein wahrheitsgetreues Bild der realen gesellschaftlichen Verhältnisse entgegenzuhalten. Menschenrechte sind keineswegs durchgesetzt; unter dem Deckmantel der Demokratie wird die autoritäre Herrschaft Uribes nur weiter stabilisiert. Neben menschenrechts- und demokratiepolitischen Fragen stellen viele soziale Bewegungen insbesondere Forderungen auf, die sich auf materielle Ansprüche der Zivilbevölkerung beziehen, insbesondere das Recht auf Land.32 Weitergehende Forderungen werden meist eher zögerlich formuliert. Zwar lässt sich, laut Rodríguez-Garavito, ein Wandel in den Forderungen hin zu genuin politischen Fragen – wie der Ablehnung des neoliberalen Systems – erkennen. Ein weiterführender politischer Kampf steht jedoch eher nicht auf ihrer Tagesordnung.
Generell haben es (unter allen linken Initiativen) die sozialen Bewegungen trotz der widrigen Umstände am besten geschafft, im Land eine Art Gegenmacht aufzubauen. Während sie einerseits mithilfe von selbstverwalteten Kooperativen versuchen, in der Gesundheits- und Trinkwasserversorgung sowie im Transport- und Schulwesen eine Infrastruktur für die Zivilbevölkerung zu erhalten33, schaffen es vor allem die indigenen Bewegungen, durch eine Kombination von Protesten, direkten Aktionen und Teilnahme an Wahlen – mit ethnischen Parteien – an Einfluss zu gewinnen.

Minga de Resistencia und San José de Apartadó
Eine wichtige Initiative ist die Minga de Resistencia Social y Comunitaria. Sie hatte ihren Ausgangspunkt im Gebiet Cauca und wird derzeit von den beiden Indígena-Dachverbänden ACIN (Asociación de Cabildos Indígenas del Norte del Cauca) und CRIC (Consejo Regional Indígena del Cauca) koordiniert. Anfangs als ein lokales Widerstandsprojekt der indigenen Gemeinden Caucas gedacht, weitete sie sich rasch aus und dient heute vor allem als landesweite Koordinationsstelle unterschiedlichster sozialer Kämpfe. Das Wort „Minga“ bedeutet so viel wie „gemeinschaftliche Arbeit“. Im Mittelpunkt der politischen Forderungen stehen daher die Gründung gemeinschaftlicher Arbeitskooperativen nach dem Modell einer „solidarischen Ökonomie“, eine Autonomie der Gemeinden vom Staat sowie der Informationsaustausch und die Koordination mit anderen sozialen Kämpfen. Die Minga war insbesondere 2003 gegen das von der Regierung geförderte Referendum zur Durchsetzung neoliberaler Reformen sowie des Freihandelsabkommens mit den USA erfolgreich aktiv.34
Ein konkretes Widerstandsprojekt, das über die Grenzen Kolumbiens hinaus für großes Aufsehen gesorgt hat, war die Gründung der Friedensgemeinde San José de Apartadó. Im Jahr 2007 wurde die Gemeinde unter anderem mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet und internationale Menschenrechtsorganisationen aus Europa und den USA organisieren regelmäßig Solidaritäts- oder Menschenrechtsbeobachtungsreisen in die Gemeinde. Oft überwiegen Interpretationen, die das Projekt aus dem historischen Entstehungskontext herausreißen und als neutrale und depolitisierte Friedensmission darstellen. Deshalb lohnt sich ein kurzer Blick auf die Geschichte der Linken in der Region Apartadó, welche sich als ein Brennglas der kolumbianischen Geschichte darstellt.

Die politische Geschichte Apartadós
Die Region Apartadó wurde im Zuge des bereits erwähnten Bürgerkriegs la violencia im Jahr 1949 besiedelt, aber erst 1968 offiziell anerkannt. Es befindet sich im nördlichen Departamento Antioquia in der Region Urabá. Letztere ist seit jeher von den riesigen Bananenplantagen geprägt und wird in Kolumbien als „zona bananera“ bezeichnet. Mit dem Aufstreben der Bananenwirtschaft stieg gleichzeitig die Kapitalkonzentration. In den 1960er Jahren war es insbesondere die lokale Bourgeoisie, wie die Brüder Henríquez Gallo, die riesige Ländereien akkumulierte, um sie später an Unternehmen aus den Großstädten Bogotá und Medellín oder an transnationale Konzerne zu verkaufen. Für Schlagzeilen sorgte in den letzten Jahren die Firma Chiquita Brands International, die mit ihrem Tochterkonzern Banadex S.A. vor Ort angesiedelt ist. Zwischen 1997 und 2004 hatte der Konzern paramilitärische Gruppen bezahlt, um Privateigentum von Chiquita zu schützen.35 Neben diesen „legalen“ Kapitalfraktionen spielen auch die „illegalen“ Kapitalinteressen der Drogenökonomie eine gewichtige Rolle. Schließlich befindet sich Apartadó genau in jener Region, in der einst Pablo Escobar mit dem Medellín-Kartell zum meist gesuchten Drogenboss der Welt aufstieg.
Gleichzeitig galt die Region schon in den 1980er und 1990er Jahren als „linke Bastion“ für soziale Bewegungen und Gewerkschaften. Insbesondere der Ort San José de Apartadó konnte als „kommunistische Hochburg“ gesehen werden. So entfielen in San José de Apartadó bei den Wahlen 1980 fast alle Stimmen auf die kommunistische Partei, in den 1990er Jahren feierte dann die UP große Erfolge.36 Historisch nahmen jedoch nicht nur die parteipolitischen Organisationsstrukturen, sondern auch die ersten bewaffneten Selbstverteidigungsgruppen der kommunistischen Partei ihren Ausgang in Apartadó. Das ländliche Leben war von einer eng verflochtenen Gesellschaftsstruktur geprägt. Großfamilien lebten auf Basis von Subsistenzwirtschaft, mit Hilfe von Kooperativen entstand ein System solidarischer Gemeinschaftsarbeit. Somit waren viele Programmpunkte der kommunistischen Partei anschlussfähig an die alltägliche Lebensrealität der Bevölkerung. Die politische Stärke der kommunistischen Partei war allerdings auch zu dieser Zeit insofern keineswegs grenzenlos, als den prokommunistischen Provinzregierungen die mächtigen Großgrundbesitzer der Bananenindustrie (sog. „bananeros“) und deren politische Repräsentantin, die liberale Partei, gegenüberstanden. Konflikte zwischen der Lokalregierung und ökonomischen Eliten blieben somit natürlich nicht aus. So setzten die Bananen-Großgrundbesitzer bspw. für einige Jahre ihre Steuerzahlungen an die Gemeinden aus, was den öffentlichen Finanzhaushalt schwer belastete.
In den ersten Jahren der Bananenwirtschaft in Apartadó war die gewerkschaftliche Organisation der PlantagenarbeiterInnen sehr schwach. Ein Großteil der BananenarbeiterInnen blieb in der liberalen Gewerkschaft organisiert. Dies führte dazu, dass die kommunistische Partei zwar die politische Mehrheit der Region stellte, in der gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnenschaft aber nur eine untergeordnete Rolle spielte.
Das lag zum einen an den repressiven Strategien der Unternehmen, die Gewerkschaftsgründungen niederschlugen, und zum anderen an den Migrationsströmen der ArbeiterInnen selbst, welche eine längerfristige Organisierung erschwerten. So agierten die ersten Gewerkschaften in Apartadó im Untergrund oder waren stark marginalisiert. Erst Mitte der 1980er Jahre veränderte sich die Situation. Die Gewerkschaften SINTAGRO und SINTRABANANO erhielten einen so starken Zustrom, dass nach einer Studie von Fernando Botero im Jahr 1987 85% aller PlantagenarbeiterInnen in der Bananenregion Urabás gewerkschaftlich organisiert waren.37 Nach der Gründung der UP im Jahr 1985 entwickelten sich besonders in Apartadó flächendeckende UP-Strukturen wie Arbeitskooperativen oder Rechtsbeistand für GewerkschafterInnen. Die späten 1980er Jahre waren von Arbeitskämpfen und Generalstreiks geprägt, innerhalb derer die Guerilla erbittert um politischen Einfluss in der Gewerkschaftsbewegung kämpfte. Während SINTAGRO sich an der maoistischen EPL Guerilla orientierte, erlangte die FARC zunehmend Einfluss in der Gewerkschaft SINTRABANANO. Der Konflikt zwischen den Guerilla-Organisationen um die Kontrolle von Territorien und Gewerkschaften spitzte sich immer mehr zu und mündete schließlich 1987 in einem Massaker, bei dem FARC Kämpfer eine Gruppe von Mitgliedern der EPLnahen Gewerkschaft auf ihrer Vollversammlung ermordete. Ab 1987 tauchten verstärkt paramilitärische Gruppen in der Region auf und verübten Massaker an organisierten ArbeiterInnen und BäuerInnen. Bereits 1988 attackierten Paramilitärs Gewerkschaftsversammlungen in den Orten Fincas Honduras, La Negra und Punta Coquitos, bei denen etwa 55 Personen ermordet wurden. Die Reaktion der Linken war ein mehrtägiger Generalstreik und die verschiedenen Bananengewerkschaften schlossen sich zur Organisation SINTRAINAGRO zusammen.38 Im Jahr 1995 erklärte Carlos Castaño offiziell, die Region Urabá mit dem paramilitärischen Block ACCU (Autodefensas Campesinas de Córdoba y Urabá) zu kontrollieren. Dafür konnte er von Anfang an auf die Unterstützung der kolumbianischen Armee zurückgreifen. Der General Rito Alejo del Río der Brigade XVII wurde beispielsweise „Papa der Autodefensas“ genannt, weil er Paramilitärs uniformierte und ihnen logistische und militärische Unterstützung zukommen ließ.39 1995 wurde Alváro Uribe, der sieben Jahre später Präsident von Kolumbien werden sollte, zum Gouverneur von Antioquia gewählt. Während seiner Amtszeit unterstützte er rigoros die Gründung der CONVIVIR-Sicherheitskooperativen.40 Die paramilitärische Gewalt stieg ins unermessliche. Die Gewerkschaft SINTRAINAGRO wurde, wie die UP, systematisch ausgelöscht.

Die Friedensgemeinde San José de Apartadó
Vor dem Hintergrund der steigenden Gewalt wurde die Forderung nach Frieden und Gewaltfreiheit zu einem zentralen Bezugspunkt der Linken in der Region und mündete schließlich in die Gründung der Friedensgemeinde San José de Apartadó. Im März 1997 erklärte sich die Gemeinde von allen bewaffneten Akteuren des Konflikts – d.h. Guerilla, Paramilitärs sowie kolumbianische Armee und Polizei – unabhängig und verweigerte jegliche Kooperation mit diesen Gruppen. Im Gründungsprozess spielten sowohl Teile der Linken aus dem Umfeld der UP, als auch kirchliche Organisationen und humanitäre NGOs eine wichtige Rolle. So zum Beispiel die ehemalige UP-Bürgermeisterin von Apartadó, Gloria Cuartas, oder der jesuitische Pfarrer Padre Javier Giraldo, welche die Gemeinde noch heute begleiten. Die Bevölkerung organisiert sich auf Basis gemeinschaftlicher, solidarischer Arbeitskooperativen, die noch auf Zeiten der UP zurückgehen. Die Strukturen der Entscheidungsfindung gleichen einem Rätesystem, ebenfalls aufbauend auf der UP-Vergangenheit. Gleichzeitig haben internationale NGOs wie die Brigadas de Paz ein System permanenter Menschenrechtsbeobachtung aufgebaut, um die Bevölkerung vor Übergriffen zu schützen. Diese Neuzusammensetzung von Akteuren und Strategien hat einiges für sich: Massaker an der Zivilbevölkerung können nicht mehr still und heimlich durchgeführt werden und die Lebenssituation vieler wurde durch den Schutz von Menschenrechten real verbessert. Allerdings bringt die neue Allianz zwischen linken, kirchlichen und Menschenrechtsorganisationen auch politische Probleme mit sich. So sieht die Basis der Friedensgemeinde, derzeit repräsentiert durch den gewählten Vertreter Jesus Emilio, die Gefahr einer Entpolitisierung des Projekts durch manche internationale Organisationen. Eine klare politische Positionierung werde zudem durch die Regierung Uribe dadurch erschwert, dass Mitglieder der Friedensgemeinde in öffentlichen Stellungnahmen regelmäßig als FARC SympathisantInnen verunglimpft wurden.41

Ausblick
Kolumbiens neuer Präsident Juan Manuel Santos, der im Juni 2010 die Wahlen gewann, ist kein unbeschriebenes Blatt. Sein Großonkel Eduardo Santos war von 1938 bis 1942 Präsident, die Familie Santos besitzt Kolumbiens größte Tageszeitung ElTiempo, sein Cousin Francisco Santos war in der Regierung Uribe Vize-Präsident und er selbst hatte unter Uribe das Amt des Verteidigungsministers inne. Santos trat bei den Wahlen für Uribes Partei Partido de la U an und versprach den Weg der Seguridad Democrática weiter zu führen. All jene, die in Santos eine Art „kolumbianischen Medwedew“ sahen, wurden nach den Wahlen jedoch zunächst überrascht. Santos präsentierte sich als „Präsident der nationalen Einheit“ und ernannte Angelino Garzón als Vizepräsidenten. Garzón war in den 1980er Jahren kommunistischer Gewerkschafter, Mitglied der Unión Patriótica und später Parteiangehöriger der Alianza Democrática-M-19. Außenpolitisch beendete Santos den Konflikt mit Venezuela und setzte sich für die Rückgabe von .paramilitärisch enteignetem Land ein. Doch der rhetorische Schwenk von Santos ist mit Vorsicht zu genießen. Durch das Bündnis der „nationalen Einheit“ übersteigt Santos‘ Einfluss im Kongress sogar die absolute Mehrheit seines Amtsvorgängers Uribe. Zusätzlich verfügt er über beste Verbindungen zu Medien, Großkonzernen und dem Militär.42 Neben der versprochenen Intensivierung des „Kriegs gegen den Terror“ wird er die von seinem Vorgänger vorangetriebene neoliberale Politik fortsetzen. Welche neuen Herausforderungen sich für die Linke in Kolumbien dadurch ergeben bleibt abzuwarten. Doch es sieht ganz danach aus als müsse die Linke sich nicht mehr von Uribe mit Füßen treten lassen, sondern vielmehr Santos‘ rhetorischer Umarmung entkommen. Letztendlich überwiegt die Kontinuität nach dem Motto „más de lo mismo“.

Anmerkungen:
1 Vgl. Opratko, Benjamin/ Probst, Philipp: Alle(s) für den Hugo?
Perspektiven der Bolivarianischen Revolution in Venezuela, in: PERSPEKTIVEN
Nr. 0 (2007), unter: http://www.perspektiven-online.
at/2007/09/01/alles-fuer-den-hugo-perspektiven-der-bolivarianischenrevolution-
in-venezuela/
2 Zelik, Raul: Kolumbien. Große Geschäfte, staatlicher Terror und
Aufstandsbewegung. Karlsruhe: Neuer ISP Verlag 2000, S. 50ff.
3 Zelik: Kolumbien, a.a.O., S. 53f.
4 Wichtig für die heutige Einordnung der verschiedenen Konfliktakteure
erscheint der Hinweis Zeliks auf den Unterschied der frühen Tradition
der Bauernselbstverteidigung und den heutigen Paramilitärs, die
unter ähnlichen Namen firmieren. Der zentrale Unterschied liegt darin,
dass es sich bei ersteren um Organisationsversuche von unten gegen die
GroßgrundbesitzerInnen handelte, letztere hingegen handeln häufig in
deren Auftrag um unbequeme KleinbäuerInnen, GewerkschafterInnen
etc. loszuwerden (vgl. Zelik: Kolumbien, a.a.O., S. 55).
5 Camposa Zornosa, Yezid: El baile rojo. Bogotá: Random House 2008.
6 Die Jahrzehnte zuvor hatten die Eliten sich die politische Macht untereinander
aufgeteilt. Beschrieben wird dieses Charakteristikum Kolumbiens
mit dem Begriff des bipartidismo. Gemeint ist laut Zelik eine
„vertikale Spaltung der Gesellschaft“, das heißt „die Trennlinie verläuft
nicht entlang sozialer Widersprüche, sondern zwischen Parteilagern, die
in ihrer sozialen Zusammensetzung weitgehend identisch sind [...]“ (Zelik:
Kolumbien, a.a.O., S. 49).
7 Campos Zornosa, Yezid: El Baile Rojo, a.a.O., S. 225-233.
8 Zelik, Raul: Die kolumbianischen Paramilitärs .„Regieren ohne
Staat?“ oder terroristische Formen der Inneren Sicherheit. Münster: Westfälisches
Dampfboot 2009, S. 235.
9 Sehr zu empfehlen ist die Dokumentation zum gleichnamigen Buch
„El baile rojo“. Sie ist frei und mit englischen Untertiteln unter folgendem
Link verfügbar: http://video.google.com/videoplay?docid=89813048680
98159223#docid=3833186377925394599
10 Zelik, Raul: Paramilitärs, a.a.O., S. 30.
11 Diese Form der Kooperation zwischen staatlichen und parastaatlichen
Akteuren hat in Kolumbien eine weit zurückreichende Tradition in der
bereits erwähnten la violencia, zu deren Zeiten Präsident Laureano Gómez
die sogenannten pájaros systematisch aufbaute. Bereits hier zeigte
sich die Funktionalität dieser Kooperation, indem diese gemeinsam unliebsame
GegenspielerInnen aus dem Weg räumten oder auch ganze Dörfer
niedermetzelten, in denen der Stimmenanteil oppositioneller Parteien
besonders hoch war.
12 Zelik: Kolumbien, a.a.O., S. 78.
13 Zelik: Paramilitärs, a.a.O., S. 93ff.
14 CONVIVIR ist der Eigenname der Kooperative, das Verb selber bedeutet
aber zynischerweise „zusammenleben“.
15 Zelik: Paramilitärs, a.a.O., S.116.
16 Isacson, Adam/ Poe, Abigail: After Plan Colombia. Evaluating “Integrated
Action”, the next phase of US. Assistance, in: International Policy
Report, Center of International Policy 2009.
17 CODHES Informa: Salto estratégico o salto al vacío? Boletín informative de la Consultoría para los Derechos Humanos y el Desplazamiento,
No. 76, Bogotá 2010, S. 1-43.
18 Zelik: Paramilitärs, a.a.O., S. 121f.
19 Zelik: Paramilitärs, a.a.O., S. 114f.
20 Rodríguez-Garavito, César: Colombia. The New Left: Origins, Trajectory and Prospects, in: Barrett, Patrick/ Chavez, Daniel/ Rodríguez-Garavito, César: The New Latin American Left. Utopia Reborn. London: Pluto Press 2008, S. 133ff.
21 Barrett, Patrick/ Chavez, Daniel/ Rodríguez-Garavito, César: Utopia reborn? Introduction to the study of the new Latin American left, in: dies.: The New Latin American Left. Utopia Reborn. London: Pluto Press 2008, S. 16f.
22 Rodríguez-Garavito, César: Colombia, a.a.O., S. 129ff.
23 Ling, Martin: Die soziale Ungerechtigkeit ist das Grundübel, in: Lateinamerika
Nachrichten, Nr. 394 (2007), unter: http://www.lateinamerikanachrichten.de/index.php?/artikel/1097.html
24 Das liegt insbesondere daran, dass in den 1980er und 1990er Jahren linke Präsidentschaftskandidaten vor den Wahlen umgebracht wurden, z.B.: Luis Carlos Galán, der vor seiner Ermordung als Favorit für das PräsidentInnenamt gehandelt wurde und innerhalb der kolumbianischen Bevölkerung hohe Popularitätswerte zu verzeichnen hatte.
25 Barrett, Patrick/ Chavez, Daniel/ Rodríguez-Garavito, César: Utopia reborn?, a.a.O., S.16f.
26 Rodríguez-Garavito, César: Colombia, a.a.O., S. 140ff.
27 Alke, Jenss: Das kolumbianische Linksbündnis Alternativer Demokratischer Pol erlebt eine Zerreißprobe, in: Lateinamerika Nachrichten, Nr. 426 (2009), unter: http://www.lateinamerikanachrichten.de/index.php?/artikel/3733.html
28 Zelik, Raul: Gewerkschaftssterben in Kolumbien, labournet.de (2003), unter: http://www.labournet.de/internationales/co/zelik.html
29 Henkel, Knut: Regierungen und Investoren wissen Bescheid, in: Jungle World Nr. 21 (2009), unter: http://jungle-world.com/artikel/2009/21/34879.html
30 Neuber, Harald: Alle drei Tage ein politischer Mord, in: Portal Amerika21.de (2009), unter: http://amerika21.de/nachrichten/inhalt/2009/okt/vecino-926373-interview
31 Zelik: Gewerkschaftssterben in Kolumbien, a.a.O.
32 Rodríguez-Garavito, César: Colombia, a.a.O., S.136f.
33 Zelik, Raul: Mit, im und gegen den Staat. Kooperativen im Grenzgebiet von Kolumbien und Venezuela, 2004, unter: http://www.raulzelik.net/textarchiv/kolumbien/kooperativen.htm
34 Delegation Kolumbien: Congreso de los Pueblos und die Minga des Widerstandes, 2010, unter: http://kolumbien.blogsport.de/2010/09/07/congreso-de-los-pueblos-und-minga-des-widerstands/
35 Colectivo de abogados José Alvear Restrepo, 2008, unter: http://www.colectivodeabogados.org/CHIQUITA-BOARD-MEMBERS-TOTAL
36 Ortiz Sarmiento, Carlos Miguel: Urabá. Pulsiones de vida y desafíos de muerte. Medellín: La Carreta Editores 2007, S. 69f.
37 Botero, Fernando: Urabá: colonización, violencia y crisis del Estado, Medellín: Universidad de Antioquia 1990.
38 Zelik: Paramilitärs, a.a.O., S. 188-192.
39 Comisión Colombiana de Juristas: Colombia: La metáfora del desmantelamiento de los grupos paramilitares. Bogotá: Opciones Gráficas Editores 2010, S.156f.
40 Zu den genaueren Verbindungen der Familie Uribe und den Paramilitärs sowie Drogenkartellen vgl. Zelik: Paramilitärs, a.a.O., S. 127-133.
41 Die Informationen über die Friedensgemeinde beruhen auf persönlichen Gesprächen mit den BewohnerInnen aus dem Jahr 2010.
42 Reis, Bettina: Ein supermächtiger Präsident. Kolumbien: Von 2010 bis 2014 will Juan Manuel Santos als „Präsident der nationalen Einheit“
regieren, in: Quito ila 337 Juli / August 2010.





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