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Alternativen zur Alternativlosigkeit, Die neue Linke in Deutschland
von Klaus Henning, David Sagner

Anfang des Jahres fand in Frankfurt ein Studierendenkongress zur Gründung des bundesweiten Hochschulverbands der Neuen Linken in Deutschland statt. Das Hochschulnetzwerk soll den Kampf gegen Studiengebühren und den neoliberalen Umbau der Universitäten unterstützen und dabei in Anbindung an die neue Linkspartei stehen. Das Projekt Linkspartei, ein Zusammenschluss der PDS und WASG, stellt seit den letzten Bundestagswahlen eine linke Alternative zur Dritten-Weg-Sozialdemokratie dar. Wie das Projekt entstanden ist, welche neuen Herausforderungen seit der Wahl hinzugekommen sind und wie der Prozess der Verankerung auf den Universitäten voran geht, brachte David Sagner in Erfahrung, der Klaus Henning, Mitorganisator des Kongresses, Mitglied der WASG und aktiv bei Linksruck, am Rande der Veranstaltung für Perspektiven interviewt hat.

Perspektiven: Wann war der Moment, als Mitglieder der SPD gesagt haben „Das ist nicht mehr unsere Partei“, vor allem auch langjährige Mitglieder, die nach dreißig oder mehr Jahren mit ihrer politischen Heimat gebrochen haben?

Klaus Henning: Der Bruch in den unteren Ebenen der Gewerkschaftsbürokratie hat mit der Ankündigung und dann der Durchführung der Hartz-IV-Reformen begonnen. Diese Maßnahme betrifft die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und deren Ersetzung durch eine Fürsorgeleistung oder Sozialhilfe und hat damit Massen von arbeitslosen Menschen in die Armut gestürzt. Alle Statistiken verweisen darauf, dass die Hartz-IV-Reformen zu einer Verelendung geführt haben, zu Massenverelendung. Hinzu kommt, dass die Sozialdemokratie das durchgesetzt hat und nicht, wie man vielleicht erwartet, konservative Parteien wie beispielsweise in Großbritannien. Das heißt, dass die Sozialdemokratie in Deutschland den größten Angriff auf den Sozialstaat seit dem Faschismus gefahren hat. Die Sozialdemokratie hat damit die Wegsprengung des Sozialstaates übernommen. Und weil der Angriff so scharf war, waren die Reaktionen auch so klar: Entscheidende Teile der unteren Gewerkschaftsbürokratie sagten „Das können wir nicht mehr mittragen“. Sie haben damit gedroht, dass sie auch den Weg gehen würden eine eigene Partei zu gründen, wenn die Hartz-IV-Reformen nicht zurückgenommen werden. Aber am Anfang war das alles nur auf der Ebene der Drohung, mit der Illusion und der Hoffnung, die SPD wieder nach links zu ziehen. Das waren Leute wie zum Beispiel Thomas Händel oder Klaus Ernst, heute der Vorsitzende der WASG [Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit], die langjährige SPD-Mitglieder und Gewerkschaftsfunktionäre waren. Sie versandten im März 2004 einen Aufruf per E-Mail zur Gründung der Initiative „Arbeit und Soziale Gerechtigkeit.“ Das Problem war, es kam zu keiner Kursänderung der Sozialdemokratie, sondern eher zu einer Verschärfung. Thomas Händel, Klaus Ernst und andere mit ihnen wurden ohne Anhörung aus der SPD ausgeschlossen. So hat dann eigentlich der Druck der Ereignisse dazu geführt, dass sich diese Leute selbst radikalisiert haben. Das führte dazu, dass aus der Drohung, einen neuen Wahlverein zu gründen, Realität werden musste.

Welche Konsequenzen haben die Mitglieder der SPD, die unzufrieden waren, gezogen? Kann man sagen, dass eine Mehrheit der unzufriedenen Mitglieder diesen Schritt mitgegangen ist? Oder gab es anfangs noch andere Konsequenzen in der SPD-Basis?

Die erste Reaktion war natürlich oft, sich absolut aus der Politik zurückzuziehen. Die SPD hat seit Jahren kontinuierlichen Mitgliederschwund erlebt, hat zehntausende Mitglieder verloren und allein schon die Ankündigung der Hartz-IV-Reformen hat diesen Prozess noch mal extrem beschleunigt. Die erste Reaktion war, überhaupt nichts mehr zu machen und auch nicht mehr zur Wahl zu gehen. Ein einschneidendes Ereignis war die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2005, ein Bundesland im Westen Deutschlands, das immer sozialdemokratisch geprägt war durch das ArbeiterInnenmilieu im Ruhrgebiet. Dort hat die SPD im Mai 2005 bei den Landtagswahlen so massiv an Stimmen verloren, dass die CDU – obwohl die auch Stimmen verloren hat, weil sie auch als eine Sozialabbau-Partei gesehen wurde – trotzdem gegenüber der SPD haushoch gewonnen hat, mit einer absoluten Mehrheit. Passivität war die erste Reaktion der sozialdemokratischen WählerInnenschaft.
Wichtig ist, dass es davor schon Demonstrationen von Arbeitslosen gegen die Hartz-IV-Reformen gegeben hat und die hatten ihren Schwerpunkt in Ostdeutschland. Im Sommer 2004 war der Höhepunkt der Demonstrationen, hauptsächlich getragen von Arbeitslosenverbänden, die in Anknüpfung an die Montagsdemonstrationen 1989 in der DDR die Proteste ebenfalls „Montagsdemos“ genannt haben. Es ist zu einer spontanen Massenbewegung in Ostdeutschland gekommen, mit bis zu 200.000 TeilnehmerInnen. Das Problem war, dass die Gewerkschaften diese Proteste nicht aktiv mitgetragen haben. So ist die Bewegung dann auch im Sand verlaufen und konnte keine Kraft entwickeln. Das hat man sehr gut daran gesehen, dass die Bewegung ihren Schwerpunkt im Osten hatte, aber in den industriellen Zentren im Westen nichts gelaufen ist. Hier in Frankfurt zum Beispiel gab es zwar Solidarisierungsversuche von linken Gruppen, aber da waren maximal tausend Leute auf der Straße. Es gab keine aktive Unterstützung seitens der Gewerkschaften und das lag daran, dass diese natürlich immer noch unter dem Einfluss der Sozialdemokratie standen und stehen. Es gibt da einen guten Film, „Die neue Wut“1. Da wird der DGB-Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, zitiert, der das auch so sagt: „Wäre das gleiche [Hartz-IV-Reformen] unter einer CDU-geführten Koalition gelaufen, wären die Proteste anders gewesen…Wenn wir mit der Macht, mit der wir den 3. April [2004] organisiert haben [eine halbe Million Menschen folgte dem Aufruf der Gewerkschaften und protestierte gegen Sozialabbau], die Montagsdemonstrationen begleitet hätten, dann würden wir jetzt in einem anderen Land leben. Ob wir gewonnen hätten, das wage ich nach wie vor zu bezweifeln. Aber das hätte eine andere soziale Dimension gehabt…“

Welche Kräfte und AkteurInnen waren an der Entstehung der Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit, WASG, beteiligt? Das heißt, haben auch andere Kräfte außerhalb der Sozialdemokratie die Wahlalternative mit aufgebaut?

Na klar, die Bewegungen auf der Straße, stellen den politischen Rahmen. Eine wichtige Quelle waren die Montagsdemonstrationen, die hauptsächlich von Arbeitslosen getragen wurden. Aber die dynamischste Kraft bzw. die Kraft, die sich dann auch am weitesten radikalisiert hat, waren vor allem die gewerkschaftlich orientierten Kräfte aus Süddeutschland, vor allem der Gewerkschaft IG Metall, dort vor allem der gewerkschaftliche Mittelbau. Es gab sicher noch andere Kräfte. Nur, diese Bewegung hätte niemals so eine Dynamik entfalten und auch in die SPD hinein wirken können, wenn die GewerkschafterInnen nicht mit dabei gewesen wären. Das war entscheidend. Und dann gab es natürlich auch linke Kräfte, die das Projekt von Anfang an mit unterstützt haben, wie zum Beispiel Linksruck. Wir sind schon mit Schildern „Für eine neue Linkspartei“ aufgetreten, als die Möglichkeit einer Wahlalternative noch in der Hartz-IV-Bewegung diskutiert wurde. Das war vor allem wichtig, als die PDS mit aufgesprungen ist und sich auch den Namen „Linkspartei“ gegeben hat. Für uns war es ganz praktisch, weil wir so Plakate und Schilder weiterhin verwenden konnten…(lacht). Die PDS ist eine aus der SED [ehem. Staatspartei der DDR] hervorgegangene Partei, die allerdings, gerade hier im Westen, nie die Funktion einer Alternative zur Sozialdemokratie übernehmen konnte. Ich denke, es ist auch ganz wichtig, darauf hinzuweisen, dass die GewerkschafterInnen, von denen ich vorhin gesprochen habe, sich bewusst entschieden haben, sich nicht nur der Linkspartei anzuschließen, sondern gesagt haben, wir brauchen ein neues Parteiprojekt „WASG“. Dann kam die Ankündigung nach den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen 2005, dass es vorgezogene Bundestagswahlen geben sollte, weil die Schröder-Regierung in der Krise war. Das führte zum Prozess der Vereinigung. Dieser Prozess wurde uns praktisch von der Regierung aufgezwungen. Oskar Lafontaine kündigte an, die WASG im Falle eines gemeinsamen Antritts mit der PDS zu den vorgezogenen Bundestagswahlen zu unterstützen. Zur Wahl mussten sich nun unterschiedliche linke Kräfte zusammenfinden. Die „WASG“ musste sich mit der „Linkspartei“ zusammentun und unter diesem Druck ist dann das Wahlprojekt entstanden. Das erfolgreiche Abschneiden bei den Bundestagswahlen hat dann auch dazu geführt, dass das ganze Projekt mehr Aufwind bekommen hat.

Die WASG gibt es mittlerweile schon zwei Jahre. Wie hat die Wahlalternative, abgesehen davon, dass es eine wählbare Alternative gibt, die politische Landschaft in Deutschland verändert?

Das Entscheidende ist, dass das Projekt mit dem Verständnis initiiert wurde, wirklich etwas verändern zu wollen. Es geht nicht nur darum, eine parlamentarische Partei zu gründen, das oberste Ziel ist es, die Kräfteverhältnisse zu verändern. Es wird auch immer wieder betont, dass das nicht alleine über das Parlament erfolgen kann. Dass eine enge Verbindung mit sozialen Bewegungen, vor allem mit gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen angestrebt werden muss, wird immer klarer. Ich glaube, der größte Verdienst dieser Formierung ist, dass sie eine Wirkung auf die Klassenkämpfe hat. In den letzten Streikbewegungen wurde das sehr deutlich. Die Streiks im öffentlichen Dienst in Baden-Württemberg letztes Jahr haben einen sehr radikalen Charakter angenommen. Die Wahlalternative hat eine entscheidende Rolle in diesen Auseinandersetzungen gespielt. Bernd Riexinger von der WASG war Streikführer in Stuttgart, der wichtigsten industriellen Region im Süden Deutschlands. Er hat dort, in seiner Funktion als Gewerkschaftssekretär, die Streiks im öffentlichen Dienst geführt und gleichzeitig, in seiner Funktion als Vertreter der Wahlalternative, politisch in diese Auseinandersetzung interveniert. Die Politisierung dieser Streikbewegung ist viel weiter gegangen als bisher in vergleichbaren Situationen. In den letzten Jahren wurden Streiks immer wieder frühzeitig abgewürgt, ehe die Auswirkungen voll zum Tragen gekommen sind.
Die politische Landschaft veränderte sich auch durch den Wahlerfolg bei den Bundestagswahlen 2005 [die Linkspartei erhielt 8,7% der Stimmen], mit dem dieses Projekt natürlich an Anziehungskraft gewonnen hat. Es war dann in den Medien präsent. Die jetzigen Entwicklungen finden aber eher versteckt statt. Betrachtet man genau was in den letzten zwei Jahren passiert ist, so kann eine langsame Erodierung des Einflusses der Sozialdemokratie in den Gewerkschaften ausgemacht werden. Der Mittelbau in den Gewerkschaften orientiert sich zunehmend an der Neue Linken und wartet jetzt darauf, dass sich die Linkspartei und die Wahlalternative zusammenschließen. Wir sind jetzt im Parteienfusionsprozess und es ist entscheidend, dass wir das schaffen und zusammen wachsen. Es gibt natürlich auch Probleme in diesem Prozess. Es gab einen wichtigen Kampf gegen Sektierertum; also den Versuch jener Kräfte, die sich lieber eine klar sozialistische und damit kleinere Organisation wünschen, das Projekt Neue Linke zum Scheitern zu bringen. Natürlich hat die Neue Linke einen widersprüchlichen Charakter und ist nicht per se sozialistisch oder antikapitalistisch, sondern es wirken verschiedene Kräfte mit. Um gegen die Gewalttätigkeit der Angriffe auch vorgehen zu können, ist dieses breite Bündnis nötig. Das war ein wichtiger Kampf, den wir geführt haben. Nur so konnte und nur so kann die Neue Linke die Funktion erfüllen, die wir brauchen, nämlich den sozialdemokratischen Einfluss in den Gewerkschaften zurückzudrängen. Ganz wichtig dabei war der Gewerkschaftstag letztes Jahr. Dort wurde der SPD-Bundesminister für Arbeit und Soziales, Franz Müntefering, ausgepfiffen und Oskar Lafontaine, der dort die Neue Linke vorgestellt hat, bekam standing ovations. Ich denke, das war ein wichtiges Signal.

Die große Herausforderung ist jetzt der Fusionsprozess. Gibt es darüber hinaus noch andere politische Herausforderungen für die WASG, die zu größeren Diskussionen innerhalb der Wahlalternative führen?

Dieser Fusionsprozess hat natürlich viele Facetten, es gibt viele inhaltliche Diskussionen. Was soll die Neue Linke für ein Programm haben, wie soll sie ausgerichtet sein? Die wichtigste Frage ist für mich nicht, wie das Programm aussieht, ob es ein knallhart sozialistisches Programm ist, sondern, welche Praxis die Neue Linke entwickelt. Ich denke, die größte Herausforderung ist diese Vereinigung jetzt zustande zu bringen und darin für eine aktivistische, klassenkämpferische Ausrichtung zu streiten. Danach wird jedoch die wichtigste Frage sein: welche Politik macht die Neue Linke?
So stehen wir jetzt hier in Hessen vor einer Herausforderung: der Positionierung zu den Landtagswahlen 2008. Wir sind konfrontiert mit der Koch-Regierung [Roland Koch, CDU], eine konservative Regierung, die die absolute Mehrheit hat, hier mit absolut undemokratischen Mitteln regiert, Studiengebühren eingeführt hat usw. Die SPD versucht jetzt, eine Art Lagerwahlkampf zu starten, zwischen dem konservativen Koch und einer linken Form der SPD. Eigentlich haben wir jetzt eine Situation, in der die SPD in der Opposition ist und einen linken Wahlkampf macht und die Linke muss versuchen, eine nicht ausgrenzende Position dazu zu finden um eine Bewegung daraus zu machen die auch die linken Teile der Sozialdemokratie erfasst. Wir wollen das jetzt über die Verfassungsklage gegen die Studiengebühren, die wir mit den SozialdemokratInnen zusammen einbringen in die Wege leiten. Natürlich sollte man keine Illusionen haben. Aber die Linke muss sich positionieren und sich auf die Seite der Linken in der SPD stellen. Ansonsten würde sich die Neue Linke aus der politischen Landschaft rauskatapultieren und keinen Einfluss mehr auf den Prozess nehmen können.
Gleichzeitig sitzt die PDS im Osten Deutschlands in den Länderparlamenten. Dort ist die große Frage die Regierungsbeteiligung um jeden Preis. Die stellt sich ganz extrem am Beispiel von Berlin, wo die Linkspartei in der Regierung sitzt und dort Sparmaßnahmen mit trägt. Das prominenteste Beispiel sind die Ladenöffnungszeiten. Das Gesetz, das den Ladenschluss regelte, wurde dort als erstes gekippt und durch ein extrem frauenfeindliches und extrem arbeiternehmerInnenfeindliches Gesetz ersetzt. Das ist eine scharfe Auseinandersetzung, die natürlich auch die Gefahr in sich birgt, dass dieses Projekt der Vereinigung der Neuen Linken scheitert.

Wir sind hier auf dem Hochschulkongress der Neuen Linken. Vielleicht kannst du noch darüber erzählen, welche Rolle die Linke auf den Hochschulen spielt und auf die Idee des Hochschulverbandes eingehen, wie und warum der Verband entstehen soll?

Das ist eigentlich die spannendste Frage. Studierende spielen eine ganz entscheidende Rolle in den Auseinandersetzungen. Die StudentInnen haben, einfach weil sie mehr politischen Freiraum haben als ArbeiterInnen, die Möglichkeit in Aktion zu treten. Und auch schneller in Aktion zu treten. Es ist kein Wunder, dass in Frankreich dieser große Massenaufstand gegen das CPE [Flexibilisierung des Kündigungsschutzes für junge ArbeitnehmerInnen] maßgeblich von den Studierenden ausging, als Straßenprotest. Ich glaube, dass StudentInnen die Rolle eines Zündfunkens gesellschaftlicher Auseinandersetzungen spielen können, und dass sie diese Funktion auch immer mehr bekommen, weil der Charakter des heutigen Studierendendaseins immer stärker an das Arbeitsleben und damit an gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen angebunden ist. Siebzig Prozent der Studierenden müssen neben dem Studium arbeiten um studieren zu können, immer mehr StudentInnen aus ArbeiterInnenfamilien kommen an die Unis und die aktuelle Hochschulreform treibt das noch voran. Mit der Einführung von Bachelor- und Master-Studien wird zwar das Ziel verfolgt die Hochschulbildung zu entqualifizieren, aber es werden auch mehr Leute an die Unis geholt. Da gibt es mehr Potential. Die Neue Linke muss die Hochschulen ernst nehmen und braucht deshalb einen Hochschulverband, der in den politischen Auseinandersetzungen an Einfluss gewinnt. Wir hatten hier in Hessen eine starke StudentInnenbewegung gegen Studiengebühren, die uns vor die Aufgabe stellt, einen handlungsfähigen Verband zu gründen, der sich auch in die Auseinandersetzungen einmischen kann. Die föderale Struktur des Bildungswesens in Deutschland ist ein großes Problem. Studiengebühren werden nur landesweit eingeführt und daher nur auf Landesebene bekämpft. Die Proteste sind kaum vernetzt. Da ist es eine entscheidende Frage, wie eine bundesweite Perspektive geschaffen werden kann. Deswegen ist so ein Bundesverband wichtig. Die andere Frage ist eine politische Frage. Innerhalb der StudentInnenbewegung werden vor allem zwei Standpunkte vertreten. Einerseits gibt es Illusionen in sozialdemokratischen Reformismus, die Hoffnung durch Wahlen die Kräfteverhältnisse zu verändern und Studiengebühren zu verhindern. Das ist die Position, die am stärksten vertreten ist. Andererseits haben einige Studierenden diese Illusion nicht mehr. Sie lehnen dagegen Parteien grundsätzlich ab und haben grundsätzlich die Hoffnung verloren, Mehrheiten für eine anti-neoliberale Politik zu gewinnen. Sie stehen dem Parteiprojekt der Neuen Linken skeptisch gegenüberstehen und setzen lieber auf radikale Aktionen. Wir haben das gestern in dem Film gesehen [„Kick it like Frankreich“2]. Das sind nicht nur langjährige AktivistInnen der autonomen Szene, sondern auch neue Leute, die eher eine Art voluntaristisches Herangehen haben und sagen, wir müssen erst mal das Uni-Präsidium oder das Wissenschaftsministerium besetzen, wenn auch nur mit fünf Leuten und wir reißen dadurch die Massen hinterher. Das hat aber nicht geklappt, das zeigt die Bewegung auch praktisch. Die Bewegung in Hessen hat sich nicht durch solche Aktionen einer Minderheit ausgeweitet, sondern es muss ein Weg gefunden werden, wie die Mehrheiten erreicht werden können. Und das ist die Chance mit so einem Hochschulverband der Linken, der auch angebunden ist an das Parteiprojekt der Neuen Linken, die wiederum in Gewerkschaften und in die sozialen Bewegungen einwirkt. Das kann die Studierendenbewegung stärken, um da mehr Muskeln und mehr Einfluss über die Universität hinaus zu entwickeln.

Anmerkungen

1„neueWUT – Vereinzelte Proteste oder neue soziale Bewegungen“, Dokumentarfilm von Martin Keßler, 90 Min. Mehr Infos und Bestell-Möglichkeit auf http://www.neuewut.de/neuewut/index.html
2„Kick it like Frankreich: Der Aufstand der Studenten“, ebenfalls von Martin Keßler, Infos http://www.neuewut.de/kickit/index.html





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