„The revolution will not be televised“, heißt es. Mag sein. Dass Filme jedoch die Möglichkeit bieten, die Herausforderungen und Probleme beim Umsturz der herrschenden Verhältnisse aufzuzeigen, verdeutlicht Paul Pop anhand seiner Auswahl der zehn besten Filme über die Schönheit und das Scheitern der Revolution.
„Unsere Kneipen und Großstadtstraßen, unsere Büros und möblierten Zimmer, unsere Bahnhöfe und Fabriken schienen uns hoffungslos einzuschließen. Da kam der Film und hat diese Kerkerwelt mit dem Dynamit der Zehntelsekunde gesprengt, so dass wir nun zwischen ihren weitverstreuten Trümmern gelassen abenteuerliche Reisen unternehmen“, schrieb Walter Benjamin 1936.1 Er hegte die Hoffnung, der Kinofilm könnte zur revolutionärsten Kunstform werden, besonders wenn es gelänge, die Kontrolle der kapitalistischen Konzerne über die filmischen Produktionsmittel zu brechen. Damit unterschied Benjamin sich von Theodor W. Adorno, der glaubte, die Kulturindustrie übe eine mehr oder weniger totalitäre Herrschaft im Spätkapitalismus aus.
Filme bieten meines Erachtens tatsächlich die Möglichkeit, die Widersprüchlichkeiten der heutigen Gesellschaft zu visualisieren und Perspektiven für eine „andere Welt“ zu eröffnen. Stattdessen werden aber im heutigen Kino, egal ob in Form von Liebeskomödien oder Science-Fiction-Abenteuern, in der Regel die immer gleichen Repräsentationen der herrschenden Ideologie auf neuestem technischen Niveau reproduziert. Mit der weltweiten Krise der linken Bewegungen gibt es heute auch für radikale Filmkunst kaum Ansatzpunkte und Publikum. Dennoch wurden Filme gemacht, die sich niemand entgehen lassen sollte, der/die für grundlegende Veränderungen eintritt.
Gute Revolutionsfilme visualisieren die Herausforderungen und Probleme bei den Versuchen der Menschen, sich selbst zu befreien. Es geht also nicht darum, dass die SchauspielerInnen mit roten Fahnen herumlaufen und Parolen brüllen, sondern darum, die Widersprüchlichkeiten bei der Überwindung von Hierarchien basierend auf Klasse, Gender und race, die Suche nach neuen Organisationsformen sowie den Umgang mit Gewalt und Gegengewalt zu thematisieren. Ob Filme wie Oktober oder Viva Zapata die historische Realitätder russischen oder mexikanischen Revolution widerspiegeln, ist in diesem Zusammenhang zweitrangig. Beim Dreh der Massenszene des Sturms auf das Winterpalais in Eisensteins Oktober starben im Tumult etwa mehr Menschen als bei dem realen historischen Ereignis. Wichtiger als Realismus ist, welche Fragen Filme aufwerfen und welche neuen ästhetischen Maßstäbe gesetzt werden.
Im besten Fall ist nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form des Films revolutionär. Die Höhepunkte des radikalen avantgardistischen Films stellten die 1920er und die 1960er bis frühen 1970er Jahre dar. Nicht zufällig entstand die sowjetische Avantgardekunst im Zuge der russischen Oktoberrevolution von 1917. Das Autorenkino der 1960er Jahre hatte die StudentInnenbewegungen in den Metropolen sowie die Befreiungsbewegungen in der „Dritten Welt“ als Bezugspunkt. Christof Hesse definiert den Avantgardefilm so: „Als ästhetische Veranstaltung kritisiert er die Reglementierungen, Kodifikationen und Bilderverbote; als politisches Ereignis bekämpft er die Institution, die von den kritisierten Bildern nicht zu trennen ist.“2 Der französische Regisseur Jean-Luc Godard formulierte den Anspruch, nicht politische Filme, sondern politisch Filme zu machen. Das bedeutet, unter ungünstigen Bedingungen Kontrolle über filmische Produktionsmittel zu erkämpfen und die Produktionsmethoden zu verändern. Godard bezog in einige Filme ArbeiterInnen und AktivistInnen direkt mit ein und wollte dadurch die Allmacht der Regie durch kollektive Strukturen ersetzen. Ihm ging es zudem darum, die ästhetischen Sehgewohnheiten des Publikums zu stören und damit eine kritische Auseinandersetzung über die Bilder anzustoßen. Auch in der frühen Sowjetunion wurde mit neuen Produktionsformen experimentiert. Der Regisseur Alexander Medvedkin fuhr Anfang der 1930er Jahre mit dem Zug durchs Land und hielt an, wenn er drehen wollte. Die Filme konnten sofort entwickelt und den Leuten gezeigt werden, die spontan in die Arbeit an den Dokumentationsfilmen eingebunden worden waren. Der Kommunistischen Partei waren die Bilder allerdings zu realistisch und die Filme verschwanden im Archiv.
Im Folgenden möchte ich zehn Filme über die Schönheit und das Scheitern der Revolution vorstellen. Nicht alle zehn Filme, die ich ausgesucht habe, werden dem Anspruch gerecht, neue Formen zu schaffen. So werden in Filmen wie Siebtelbauern wichtige politische Fragen, wie jene nach der revolutionären Veränderung, aufgeworfen, ohne dass damit eine Attacke auf die Ästhetik Hollywoods verbunden wäre. Dies soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Möglichkeiten, mit konventionellen Ästhetiken und Erzählstrukturen radikale Filme zu machen, begrenzt sind. So wirkt z.B. der Revolutionsfilm von Ken Loach über den spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) (Land and Freedom, 1995) hölzern, die Dialoge krampfhaft und der übliche Hollywood-Kitsch lässt keinen Platz für eine Ambiguität der Bilder. Auch die Versuche, das Leben von RevolutionärInnen zu erzählen, endeten nicht selten in schwülstigen Helden-Epen wie Spike Lees Malcom X (1992) oder Margarethe von Trottas Rosa Luxemburg (1986).
Doch nun zu den gelungensten Filmen:
1. In drei Stunden um die Welt: Rot liegt in der Luft
(Frankreich 1977, Regie: Chris Marker, zum Bestellen nur US-Edition A Grin without a Cat)
In dem dreistündigen Essayfilm geht es um nichts weniger, als zu erklären, wie die Neue Linke nach 1968 ihre eigene Oktoberrevolution suchte und warum sie scheiterte. Nicht zufällig beginnt Rot liegt in der Luft daher mit der berühmten Szene aus Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin (1925), in welcher zaristische Soldaten auf der Treppe im Hafen von Odessa 1905 DemonstrantInnen massakrieren. Marker montiert in diese Szene Bilder von StudentInnen, die 1968 von der Polizei verprügelt werden. Er interessiert sich vor allem für linke Bewegungen, welche die Avantgarde-Rolle der kommunistischen Partei in Frage stellten und eine „Revolutionder Revolution“ wollten. Die Reise geht nach Vietnam, zur kubanischen Revolution, den Pariser Mai-Unruhen von 1968, zum Prager Frühling, zu Maos Kulturrevolution und zum demokratischen Sozialismus in Salvador Allendes Chile. Marker kann dabei auf beeindruckendes Filmmaterial und Interviews seiner früheren Filme zurückgreifen.
Der Essayfilm ist eine Form der Analyse, bei der auch die Bilder selbst in Frage gestellt und entfremdet werden. Im Gegensatz zu postmodernen Dokumentarfilmen, die oft ohne Kommentar auskommen und die ZuschauerInnen ihrem (Un-)Wissen überlassen, strebt der Essayfilm eine aufklärerische Wirkung an. Interviews mit Pariser StudentInnen werden in Rot liegt in der Luft z.B. mit Aussagen von ArbeiterInnen kontrastiert; als Kubas Staatschef Fidel Castro in einer Fernsehansprache den Einmarsch der Truppen des Warschauer-Paktes in Prag 1968 rechtfertigt, werden die Bilder plötzlich immer wackeliger und die Störgeräusche bedrohlicher.
Besonders ergreifend sind die Szenen, in denen Vietnam-Veteranen ihre Ehrenmedaillen über den Zaun des Pentagons werfen oder Chiles Präsident Allende versucht, den Arbeiter einer Staatsfabrik zu überzeugen, nicht zu stehlen. Auch bei der Darstellung der bittersten Entwicklungen verliert Marker nicht den Humor. Um die Sowjetisierung der kubanischen KP darzustellen, zeigt er eine Rede von Castro auf dem ersten Parteitag 1975, als der Máximo Líder die Delegierten fragt: „Ist jemand gegen die Beschlüsse?“ und damit im Saal großes Gelächter hervorruft. Markers Film bleibt die scharfsinnigste Darstellung der Revolutionen um 1968 und deren Scheitern.
2. Der revolutionäre Bildersturm: Oktober
(UdSSR 1927, Regie: Sergej Eisenstein, Stummfilm)
Bis heute werden Filmszenen von Sergej Eisenstein (1898-1948) in den Filmseminaren der Universitäten auf der ganzen Welt gezeigt. Doch in der Regel wird Eisensteins revolutionäre Filmkunst auf ästhetische Aspekte und die Montage-Technik reduziert. Sein berühmter Film Panzerkreuzer Potemkin (1925) wurde in vielen kapitalistischen Ländern verboten oder zensiert. Eisenstein glaubte, das Kino könne direkt auf die Psyche der ZuschauerInnen einwirken und ihr Bewusstsein revolutionieren.
Oktober wurde von der KPdSU zum zehnten Jahrestag der russischen Oktoberrevolution in Auftrag gegeben und erzählt die Geschichte von der Februarrevolution 1917, die den Zaren stürzte, bis zum Sturm auf den Winterpalais in Petrograd und dem Sieg der Bolschewiki. Immer wieder wird den ZuseherInnen eingehämmert, worum es bei der Revolution geht: Brot, Friede und Land! Obwohl es in einem Zwischentitel heißt „Die Partei wird euch zur rechten Zeit die Befehle erteilen“, sind im Film die Massen die Helden: Matrosen, Soldaten und ArbeiterInnen. Eisenstein setzte auf AmateurInnen statt auf Stareffekte durch bekannte Gesichter. Die RevolutionärInnen siegen, als es der Regierung nicht mehr gelingt, durch das Hochziehen von Brücken die ArbeiterInnenviertel von der Innenstadt abzuschneiden und die Armee schließlich rebelliert. Lenin kommt im Film zwar vor, hält sich aber im Vergleich zu stalinistischen Dramen wie Lenin im Oktober (Mikhail Romm, 1937) im Hintergrund. In späteren sowjetischen Filmen ist Lenin der Mastermind, der alle Fäden zieht – mit Stalin als ewigem Schatten.
Auf geniale Weise setzt Eisenstein die Montage von gegensätzlichen Bildern ein, um die bürgerlich-provisorische Regierung, die ihren Sitz im Winterpalais des Zaren hat, mit Prunkgegenständen aus der alten Zeiten zu umgeben. Indem Statuen und Ikonen zu einer Ausstellung der Dekadenz und des Schreckens montiert werden, greift der Film die Kirche an. Um die Gefahr der Restauration der alten Ordnung aufzuzeigen, fliegt der abgeschlagene Kopf der Zaren-Statue auf den Rumpf zurück. Eine der beeindruckendsten Szenen ist der Sturm auf das Winterpalais, wenn sich die Massen in einem peitschenden Montage-Beat die Räume der Herrschaft aneignen – mit ihren Gewehrkolben zerschlagen Matrosen die Weinsammlung des Zaren. Der Film endet mit der Botschaft: „Die sozialistische Revolution der Arbeiter und Bauern ist vollbracht.“ Leider war Eisenstein damit etwas voreilig: Mit der Wende zum sozialistischen Realismus Anfang der 1930er Jahre wurde es immer schwieriger, Kunst auch bezüglich der Form zu revolutionieren. Eisensteins stark zensiertes Spätwerk (Iwan, der Schreckliche, 1945-46) ist weit von der Qualität des radikalen Bildersturms von Oktober entfernt.
3. Die Schlacht von Algier
(Algerien 1966, Regie: Gillo Pontecorvo, Musik: Ennio Morricone)
Der Film beginnt mit einem Tabubruch: Französische Soldaten umringen eine gefolterte Kreatur, die nach den Qualen bereit ist, das Versteck der Führung der algerischen Befreiungsfront (FLN) zu verraten. Schließlich setzt ein Soldat dem gefolterten Algerier eine Armeekappe auf und verkündet: „Integration“. Damals wurden in Frankreich alle Publikationen oder Filme verboten, welche die Folter durch die französische Armee in der Kolonie Algerien thematisierten, so auch Die Schlacht von Algier. Fast dokumentarisch versucht der Spielfilm, den Unabhängigkeitskrieg in der Altstadt von Algier, der Casbah, von 1954 bis zur Unabhängigkeit von 1962 nachzuzeichnen. Regisseur Pontecorvo (1919-2006) bemüht sich, die Bilder wie eine Wochenschau wirken zu lassen, filmt in schwarz-weiß und lässt sogar einen der Anführer der FLN, Saadi Yacef, sich selbst spielen. Ansonsten werden die BewohnerInnen der Casbah eingesetzt. Der Film steht damit in der Tradition des italienischen Neo-Realismus, der versuchte, eine Kritik der realen Verhältnisse durch ihre getreue Abbildung zu formulieren.
Die Gegenmaßnahmen der französischen Armee wie Absperrungen, Checkpoints, Folter, nächtliche Hausdurchsuchungen, Sprengungen der Häuser von „VerräterInnen“ und sogar Terroranschläge erinnern an den heutigen Irak oder Palästina. Die Schlacht von Algier erzählt die Geschichte einer gescheiterten Konterstrategie, die durch ihre Repressionsmaßnahmen immer größere Teile der Bevölkerung gegen die Kolonialmacht aufbringt. 2003 wurde der Film im Pentagon gezeigt, um Vergleiche zum Irak zu ziehen. Die Sympathien von Pontecorvo, der selber als Mitglied der KP Italiens eine PartisanInnengruppe in Mailand im Kampf gegen die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg leitete, liegen klar auf Seiten der FLN. Er romantisiert die algerische Stadt-Guerilla jedoch nicht, und auch die Opfer der Terroranschläge werden nicht entmenschlicht dargestellt. Als eine Frau eine Bombe in einem französischen Café platziert, wird vor der Explosion ein eisessendes Kind in Großaufnahme gezeigt. Besonders beeindruckend ist der Wandel der Geschlechterrollen im bewaffneten Kampf: Frauen nehmen die Schleier ab und schminken sich wie Französinnen, um flirtend unkontrolliert die Checkpoints zu passieren; Männer verschleiern sich, um den Durchsuchungen zu entkommen. Ob als Kritik gemeint oder nicht, die Liquidierung von Zuhältern durch die FLN und die Appelle an die islamische Moral wirken für heutige ZuschauerInnen womöglich wie Vorboten eines sich zuspitzenden religiösen Fanatismus. Nach der Zerschlagung der FLN in der Altstadt bringen schließlich spontane Massendemonstrationen die französische Herrschaft in Bedrängnis. Der Film endet mit der Unabhängigkeit 1962 und der Aussage: „Und die algerische Nation wurde geboren“. Leider trug die nationale Befreiung zur Lösung der sozialen Fragen wenig bei. Die Casbah wurde in den 1990er Jahren zum Schauplatz islamistischen Terrors und staatlichen Gegenterrors des postkolonialen Regimes.
4. Die Chinesin
(Frankreich 1967, Regie: Jean-Luc Godard, DarstellerInnen: Anne Wiazemsky, Jean-Pierre Léaud, Juliet Berto)
Eine Chinesin kommt zwar nicht vor, dafür aber eine maoistische WG in Frankreich. Mit Tout va bien (1972) gehört der Film zu Godards maoistischer Phase. Nachdem sich im Mai 1968 die KP Frankreichs gegen die Revolte der StudentInnen und ArbeiterInnen stellte, suchten viele linke Intellektuelle in Maos Kulturrevolution (1966-1976) ein alternatives Modell. Wie viele Werke Godards ist auch Die Chinesin eine Reflexion über Sprache, Repräsentation und Film. Die fünf WG-Mitglieder rezitieren ein wildes Gemisch von Mao-Zitaten, linguistischen Theorien und Filmkritiken. Kamera und Klappen sind häufig zu sehen und durch die Form der Dialoge soll erst gar keine realistische Illusion entstehen. 1967 konnte der französische Maoismus noch humorvoll sein. So spielen die französischen StudentInnen in der Wohnung der Eltern, verschanzt hinter Bergen von „Mao-Bibeln“, den Vietnamkrieg nach. Indirekt wird auch Kritik an traditioneller Rollenverteilung geübt, indem gezeigt wird, wie Yvonne, die aus proletarischen Verhältnissen stammt, die ganze Hausarbeit macht. Sie geht sogar auf den Strich, weil zu wenige Exemplare der Roten Garde verkauft werden. Besonders absurd wirkt die Szene, in der die Studentin Veronique mit Francis Jeanson im Zug diskutiert, ob sie an französischen Universitäten Bomben legen soll, um wie in China die Schließung der Unis zu erzwingen. Jeanson hatte in Algeriens Unabhängigkeitskrieg mit einem Netzwerk die FLN unterstützt. Er versucht im Film jedoch, Veronique von ihrem Vorhaben abzubringen. An das Brechtsche Theater erinnert dann ein gescheiteter Anschlag der Gruppe auf den sowjetischen Kulturattaché. Bertolt Brecht (1898-1956) wollte durch Unterbrechung der Handlung und Entfremdung die Identifizierung der ZuschauerInnen mit dem Stück verhindern und stattdessen eine kritische Reflexion anstoßen. Was in Die Chinesin noch spielerisch karikiert wird, sollte einige Jahren später im bewaffneten Kampf der „Stadtguerilla“ in Deutschland und Italien bitterer Ernst werden. Es wäre jedoch verkürzt, den Film nur als Warnung gegen Terrorismus zu lesen, zeigt der doch vor allem die Frühphase der Neuen Linken.
5. Die Eigendynamik der Gewalt: Morning Sun
(USA 2003, Regie: Carma Hinton, Geremie Barmé, Richard Gordon)
Der Dokumentarfilm Morning Sun versucht, die sich entwickelnde Begeisterung, Radikalisierung und Eskalation des Terrors während der chinesischen Kulturrevolution zu erklären. Die chinesische Kulturrevolution war nicht nur ein parteiinterner Machtkampf, sondern auch ein gescheiterter Versuch, neue Formen der Beteiligung und Repräsentation der Massen zu schaffen. Nach einigen Monaten verstrickten sich die rebellierenden Jugendlichen jedoch in blutige Fraktionskämpfe. Zu Wort kommen im Film GründerInnen der Roten Garden, damalige SchülerInnen, LehrerInnen, die zu Opfern von Gewalt wurden, sowie Kinder hoher gestürzter ParteifunktionärInnen, die sich zwischen der Revolution und den Eltern entscheiden mussten.
Morning Sun erinnert stark an Chris Markers Essayfilme: In einer vielschichtigen Analyse werden Ausschnitte aus damaligen Spielfilmen, revolutionärem Ballet, Liedern und Nachrichtensendungen montiert. Eine Hauptthese des Films ist, dass die chinesische Revolution von 1949 im Jahr 1966 quasi reinszeniert wurde – von den Kindern gegen die Elterngeneration. Die Jugendlichen kopierten die Kritiksitzungen, die sie in Filmen zur Bodenreform gesehen hatten, um ihre eigenen LehrerInnen anzugreifen. Auf der Suche nach einem revolutionären Geist wanderten sie z.B. alleine die lange Strecke des legendären Langen Marsches (1934-35) der Roten Armee nach.
Das RegisseurInnenkollektiv Hinton, Gordon und Barmé dämonisieren oder romantisieren nicht, sondern versuchen zu erklären, warum der Kampf um das Recht, an der Revolution teilzunehmen, in Terror eskalierte und zu Enttäuschungen führte. Sehr empfehlenswert ist auch der Dokumentarfilm des Teams The Gates of Heavenly Peace über die StudentInnenbewegung von 1989.
6. Polyamouröse Verstrickung auf der Baustelle: Spur der Steine
(DDR 1966, Regie: Frank Beyer, Darsteller: Manfred Krug, Krystyna Stypulkowska, Eberhard Esche)
Es ist traurig zu sehen, wie wenig gute politische Filme von der DEFA, dem „volkseigenen“ Filmstudio der DDR, produziert worden sind. „Indianer“- und Sciencefiction-Streifen versuchten, den Massengeschmack zu bedienen; propagandistische Streifen wie Ernst Thälmann: Sohn seiner Klasse (1954) erzeugten schon damals eine unfreiwillige Komik. Immerhin sind in der Frühphase einige antifaschistische und antimilitaristische Werke wie Die Mörder sind unter uns (1946) oder Der Untertan (1951) entstanden, die in der BRD erst Jahre später gezeigt werden durften.
Ein wahres Meisterwerk ist Spur der Steine von Frank Beyer, das allerdings nach der Uraufführung verboten wurde und 23 Jahre lang von der Leinwand verschwand. Die Geschichte erzählt vom gescheiterten Versuch, den Aufbau des Sozialismus gegenüber „Planfetischismus“ und politischen Scharfmachern voranzutreiben. Der Film beginnt mit einer Kritiksitzung gegen den jungen Parteisekretär Horrath im Niemandsland einer Großbaustelle. Gegenspieler von „Sheriff“ Horrath ist in der Geschichte der „Cowboy“ Brigadeführer Balla, der von Manfred Krug gespielt wird. Balla hält seine Truppe mit deftigen Sprüchen zusammen und klaut schon mal Zement, um weiter bauen zu können. Die Macht der ArbeiterInnen auf der Baustelle besteht nicht in der Teilnahme an Entscheidungen, sondern in einer rüpelhaften Verweigerung gegenüber den „Weltverbesserern“ der Partei. Auf der Großbaustelle herrscht Resignation vor, da FunktionärInnen das Sagen haben, die lieber mit falschen Projektierungen bauen lassen, um den Plan zu erfüllen, auch wenn später die Fundamente wieder gesprengt werden müssen. Die Situation ändert sich, als der junge und dynamische Parteisekretär Horrath nach dem Motto „Vertrauen macht die Menschen gut“ sowohl Balla für sich gewinnen als auch den resignierten FunktionärInnen wieder Hoffnung machen kann. Balla und Horrath verlieben sich dann aber beide in die junge Technikerin Kati Klee, die sich in der rauen Männerwelt erfolgreich Respekt verschafft.
Der Film ist sozialistischer Realismus im besten Sinne und wirft Fragen auf, die bisher in jeder proletarischen Revolution aufkamen. Wie kann man sexistische Arbeiterrüpel wie Balla verändern und produktiv in den Aufbau einbinden? Wie kann verhindert werden, dass Liebe und Leidenschaft ein Widerspruch zu politischen Beziehungen, und GenossInnen durch polyamouröse Verstrickungen zu GegnerInnen werden? In welchem Verhältnis sollten Alltagskenntnis der ArbeiterInnen, Fachwissen der „ExpertInnen“ und politische Ideologie stehen?
Besonders fortschrittlich ist, wie der Film die Frage des Mutterseins thematisiert: Obwohl Kati den Vater ihres Kindes geheim hält, ist es nach DDR-Manier selbstverständlich, dass sie nach der Geburt wieder an den Bau zurückkehrt und sogar stellvertretende Leiterin wird. Allerdings lernt Kati auch, dass immer noch eine Doppelmoral herrscht und sie von Männern mehrfach als unmoralisch angegriffen wird. Nicht um das Ansehen der Frauen, sondern um einen Gesichtsverlust der Partei fürchten die männlichen Funktionäre. Der Film ist keinesfalls antisozialistisch; zwar werden die ArbeiterInnen nicht als reine HeldInnen dargestellt – es gibt sogar halbe FaschistInnen unter ihnen –, aber der Film hegt die leise Hoffnung, dass das Projekt Sozialismus noch zu retten sei. Das Verbot des Films zeigte aber auch die Unfähigkeit zur Selbstkritik und die Humorlosigkeit der SEDFunktionärInnen.
7. Schwarzer bolschewistischer Humor: Happiness
(UdSSR 1934, Regie: Alexander Medvedkin, Stummfilm)
Apropos Humor: Mit der Widmung „Den Faulenzern in den Kolchosen“ beginnt der wohl außergewöhnlichste Film, der in der Sowjetunion gedreht wurde. Die Stummfilm-Komödie von Medvedkin erzählt von der Suche des Bauern Khmyr und seiner Frau Anna nach Glück. Es geht jedoch nicht mit rechten Dingen zu: Während dem Kulaken (Großbauer) in der alten Gesellschaft köstliche Knödel beim Mittagessen einfach in den Mund fliegen, treibt ein gepunktetes Pferd seinen Schabernack mit dem Bauernehepaar. Erst nachdem Khmyr aus lauter Verzweiflung seinen eigenen Sarg zimmert und sich umbringen will, kommt plötzlich der ganze zaristische Staatsapparat ins Dorf, denn: „Wer soll Russland ernähren, wenn der Bauer stirbt?“ Ein Jahr nach der Hungersnot mit sechs bis sieben Millionen Toten muss diese Frage eine gewisse Doppeldeutigkeit gehabt haben.
Auch nach der Kollektivierung der Landwirtschaft bleibt Khmyr ein Pechvogel und Faulenzer, doch schließlich rettet er die Pferde der Kolchose vor der Sabotage der Kulaken. Der Film macht sich nicht über den russischen Bauern als „dummen August“ lustig, sondern inszeniert ihn lustvoll als sympathischen Anti-Helden. Medvedkin drehte schon während des russischen Bürgerkrieges (1918-1920) Propaganda-Filme für die Rote Armee und blieb bis zu seinem Tod im Jahr 1989 strammer Bolschewik. Happiness versetzt den Zuschauer noch heute in Erstaunen: Soldaten tragen surrealistische Masken, Nonnen durchsichtige Blusen, Häuser können laufen und Tiere verzücken durch Humor. Nach der ersten Aufführung wurde der Film verboten und erst in den 1960er Jahren wiederentdeckt. Die US-Edition von Happiness beinhaltet auch den brillanten Dokumentarfilm The Last Bolshevik (1993) von Chris Marker, der in fiktiven Briefen an Medvedkin der Frage nachgeht, warum kreative und innovative Geister der sowjetischen Avantgarde später unbedeutende und kitschige stalinistische Propaganda-Filme drehten. Freche Pferde tauchten zumindest auch in späteren Filmen Medvedkins wieder auf.
8. Rape and Revenge: Die Siebtelbauern
(Ö/D 1998, Regie: Stefan Ruzowitzky, DarstellerInnen: Sophie Rois, Simon Schwarz, Lars Rudolf )
Revolutionäres tut sich in einem österreichischen Dorf: Aus reiner Schadenfreude vermacht ein Bauer im Mühlviertel der 1930er Jahre den Hof an seine Knechte. Anstatt sich aberdie Köpfe einzuschlagen, entscheiden sich sieben Männer und Frauen, den Hof gemeinsam zu bewirtschaften. Die neuen „Siebtelbauern“ stehen vor den gleichen Problemen wie jede Revolution: Soll nun der Großknecht, der junge Lukas mit dem großen Maul, das Sagen haben oder sollen alle Entscheidungen gemeinsam gefällt werden? Wie sollen der gemeinsam beschlossene Verzicht und die härtere Arbeit durchgesetzt werden, um die anderen Knechte auszuzahlen, wenn sie sich an dem Wagnis nicht beteiligen wollen? Auch die Konterrevolution schläft nicht. Unter dem Motto „Ein Knecht darf kein Bauer werden“ versuchen die Großbauern des Ortes mit allen Mittel, den Hof der „Siebtelbauern“ in den Ruin zu treiben. Wie sollen die Sieben darauf reagieren, ohne sich auf einen gewaltsamen Kampf einzulassen, den sie nicht gewinnen können? Neben dem egalitären Projekt entfaltet sich noch eine Rape and Revenge-Geschichte, welche die Siebtelbauern auch bezüglich der Geschlechterfrage zum vorbildlichen Revolutionsfilm macht. Der Film ist ein neuer Heimatfilm im besten Sinne: Im Unterschied zu Klassikern des Genres wie Heimat (Edgar Reiz, 1981-1984) oder Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach (Volker Schlöndorf, 1971) setzt Siebtelbauern nicht auf Mundart und Laien-SchauspielerInnen, um die Geschichte authentisch erscheinen zu lassen. Im Gegenteil kommunizieren bekannte SchauspielerInnen auf Hochdeutsch und die Filmmusik von Eric Satie und Verdi gibt dem Ganzen einen surrealistischen Beigeschmack. Am Ende scheitern die „Siebtelbauern“ zwar, aber allein die zeitweilige Existenz eines von Männern und Frauen egalitär geführten Hofes ist schon ein Erfolg.
9. Die Geister der alten Ordnung: Judou
(China 1990, Regie: Zhang Yimou und Zhang Fengliang, DarstellerInnen: Gong Li, Li Baotian)
In den 1980er Jahren drehte die so genannte Fünfte Generation chinesischer Regisseure noch sozialkritische Filme, die das Leben der einfachen Leute widerspiegelten. Zu ihnen gehörte auch Zhang Yimou, der sich spätestens mit dem Kongfu-Film Hero (2002) Kommerz und nationalistischer Propaganda verschrieben hat. Judou ann dagegen als Parabel zur chinesischen Revolution gelesen werden. Oberflächlich betrachtet entwickelt der Film eine Liebesgeschichte im ländlichen China der 1930er Jahre, in der sich die junge Ehefrau des alten Patriarchen einer Stofffärberei und der Knecht ineinander verlieben. Obwohl weder KommunistInnen noch aufständische Massen vorkommen, wird eine entscheidende Frage aufgeworfen: Wie verändern sich die Unterdrückten, wenn sie plötzlich die Macht über ihre UnterdrückerInnen erhalten?
Die Ehefrau Judou, gespielt von Chinas Filmikone Gong Li, wird von ihrem alten Mann jede Nacht gequält und geschlagen, weil sie keinen Sohn bekommt. Ihr Geliebter, der Knecht Tianqing, findet den Alten nach einem Unfall querschnittsgelähmt vor. Statt ihn sterben zu lassen, pflegen die beiden ihn. Schließlich hängen sie ihn als Strafe in einer Holztonne an die Decke, damit er das schöne Leben des Paares mit ansehen muss. Die Freude über den Sieg wehrt jedoch nur, bis Judou einen Sohn von Tianqing gebärt, den Alten aber als Vater ausgeben muss. Schon im Kindesalter schlägt sich der Junge auf die Seite des Alten und beginnt später das Liebespaar zu drangsalieren. Aus Angst verstecken Judou und Tianqing ihre Gefühle immer mehr. Bolschewistisch gelesen, könnte die Botschaft lauten, dass es sich bitter rächt, versetzt man dem Feind (den alten Tyrannen) nicht im entscheidenden Moment den tödlichen Schlag. Maoistisch könnte man argumentieren, dass sich die alte Ordnung (der Revisionismus) wieder einschleicht, wenn man sich nicht um die richtige Erziehung der Kinder der Revolution kümmert. Aus heutiger Sicht ist die Botschaft eher, dass sich die Unterdrückten durch ihre erlangte Macht verändern und dadurch Gefahr laufen, die Geister der Vergangenheit nicht loszuwerden. Die Frau Judou ist in der Geschichte die eigentliche treibende Kraft, die als einzige bis zum Schluss die Ordnung in Frage stellt. Das verwundert nicht, da im chinesischen Kino schon seit den 1920er Jahren in vielen Filmen Frauen die Hauptrolle spielen.
10. Gleichzeitig niederbrennen und sähen: Viva Zapata!
(USA 1952, Regie: Elia Kazan, Drehbuch: John Steinbeck, Darsteller: Marlon Brando, Jean Peters, Anthony Quinn)
Von den starken chinesischen Frauen zum „revolutionären Machismo“: In dem Film spielt der spätere Hollywood-Star Marlon Brando den energiegeladenen und vom Gerechtigkeitssinn getriebenen Emiliano Zapata (1879-1919). Dem mexikanischen Revolutionär und Bauern geht es in dieser Geschichte vor allem darum, das Land wieder an die Campesinos (LandbewohnerInnen) zu verteilen. Sein Verbündeter Madero will nach dem Sieg von Zapatas Guerilla die Bauern überreden, die Waffen abzugeben und die Landreform den Gerichten zu überlassen. General Huertas will die Bauern hingegen wieder vom besetzen Land vertreiben und Zapata töten. Schnell sieht sich Zapata in einem Kreislauf der Gewalt gefangen, in dem Zweifel aufkommen, wie die RevolutionärInnen gleichzeitig niederbrennen und sähen sollen. Wie die alte Gesellschaft zerstören und eine neue schaffen? Zapata erkennt die Notwendigkeit der revolutionären Gewalt, verzweifelt aber gleichzeitig an ihr. Als er sich nach dem Sieg seiner Gegner wieder in die Berge zurückzieht, antwortet er auf die Frage, was sich in Mexiko durch Revolution und Bürgerkrieg eigentlich geändert habe: „Sie, die Menschen, haben sich geändert“. Auch wenn der Kampf um das Land noch lange dauern würde, bräuchten die Campesinos nun keinen Führer mehr und könnten ihre Sache selbst in die Hand nehmen.
Dass dieser sozialrevolutionäre Film in den USA in der Frühphase des Kalten Krieges produziert werden konnte, und Anthony Quinn für den besten Nebendarsteller noch einen Oscar erhielt, ist erstaunlich. Allerdings bleibt die Revolution im bürgerlich-demokratischen Rahmen gefangen (Sturz der Tyrannei und Bodenreform). Das US-amerikanische Publikum fühlte sich beim Rücktritt Zapatas vom Amt des mexikanischen Präsidenten und dessen Rückzug auf das Land wahrscheinlich an die Geschichte des ersten US-Präsidenten George Washington erinnert, dessen angebliche Selbstlosigkeit zum Mythos gemacht wurde. Frauen spielen im revolutionären Kampf keine zentrale Rolle und Zapata bekommt die schöne Bürgertochter als Belohnung für einen Sieg. Trotzdem ist Viva Zapata! einer der besten Filme über revolutionäre Gewalt. Nicht vergessen sollte man auch, dass Brando der bewaffneten Protestaktion des American Indian Movement 1973 in der Reservation am „Wounded Knee“ im US-Bundestaat South Dakota zu weltweiter Aufmerksamkeit verhalf, als er während der Niederschlagung durch das Militär die parallel stattfindende Verleihung des Oscar für Der Pate ablehnte.
Es bleibt anzumerken, dass die meisten linken Gruppen ihre Botschaften immer noch sehr textlastig verbreiten. Statt bei Seminaren komplizierte Texte zu Revolutionstheorien zu lesen, die ohne jahrelange Vorbildung schwer verständlich sind, können die gleichen Fragen auch anhand von Filmen aufgeworfen werden. In Anlehnung an Godard soll es dabei nicht darum gehen, politische Filme zu schauen, sondern politisch Filme zu schauen.
- Axjonow, Iwan: Sergej Eisenstein: Ein Porträt, Berlin 1997
- Albersmeier, Franz-Josef (Hg.): Texte zur Theorie des Films, Stuttgart 1979
- Brody, Richard: Everything is cinema: The working life of Jean-Luc Godard, New York 2008
- Hesse, Christoph: Bilder in Bewegung: Bemerkungen zu Film und Politik, unter: http://www.rote-ruhr-uni-com/cms/Bilder-in-Bewegung-html
- Vogel, Amos: Film als subversive K
10-Filme: Paul Pop ist Redaktionsmitglied der grundrisse.zeitschrift für linke theorie und & debatte aktiv in der Superlinken und Autor für die Wochenzeitung Jungle World.
Anmerkungen
1 Benjamin, Walter: Das Kunstwerk in der Epoche seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt 1977, S. 35ff.
2 Hesse, Christoph: Film, Politik und Avantgarde, unter: http://www.roteruhr-uni.com/cms/Film-Politik-Avantgarde.html