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Welcome Back – Unless You’re Black
von Julia Hofmann

Rezension: Jakob, Christian/ Schorb, Friedrich: Soziale Säuberung. Wie New Orleans nach der Flut seine Unterschicht vertrieb. Münster: Unrast Verlag 2008, 227 Seiten, 13.80 Euro

Ende 2005 traf der Hurrikan Katrina auf die Küste von Louisiana (USA) und richtete die schwersten Schäden an, die je ein Unwetter in den USA verursacht hat. Über 1800 Menschen starben, der Sachschaden soll um die 125 Mrd. Euro betragen haben. Besonders die Stadt New Orleans wurde schwer getroffen: Drei von vier BewohnerInnen mussten evakuiert werden, über 180.000 wollten oder konnten nach dem Sturm nicht mehr in die Stadt zurückkehren.
Das Buch von Christian Jakobs und Friedrich Schorbs widmet sich insbesondere den Fragen, wer von den Schäden, die Katrina verursacht hat, am härtesten betroffen war/ist und wie die Naturkatastrophe von politischen und ökonomischen AkteurInnen ausgenutzt wurde, um lange geplante, städtebauliche Veränderungen in Gang zu setzen. Die beiden Soziologen lassen in ihrem Buch die Betroffenen – größtenteils vertriebene, afroamerikanische SozialmieterInnen –, BürgerrechtlerInnen sowie die politisch und ökonomisch Verantwortlichen (wie ManagerInnen von Immobilenfirmen oder StadträtInnen) sprechen und zeigen hierdurch auf, wie im Namen des „Wiederaufbaus“ eine Politik der Vertreibung und eine Unterwerfung der Wohnpolitik unter die Prinzipien des (Wohnungs-)Marktes durchgesetzt wurde.
Im ersten Teil des Buches wird anhand empirischer Daten gezeigt, dass die Viertel von New Orleans, die von Armen und Minderheiten bewohnt wurden, überproportional stark von der Flut betroffen waren. Auch „die meisten der 1800 Todesopfer von Katrina waren Menschen, die kein eigenes Auto besaßen und sich daher nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten“ (40). Viele Arme – und das sind in New Orleans vor allem AfroamerikanerInnen – wurden, so die beiden Autoren, auch effektiv daran gehindert die Stadt zu verlassen bzw. in sichere Gebiete von New Orleans zu flüchten: Teile der Polizei und weiße Bürgerwehren „blockierten die Brücken und verhinderten mit Gewehren, dass sich die Flutopfer in Sicherheit bringen konnten“ (22). Mit dieser Feststellung richten sich Jakob und Schorb insbesondere gegen die in der Wissenschaft so populär gewordene These einer Weltrisikogesellschaft nach Ulrich Beck. Diese besagt, dass die postmoderne, globalisierte Gesellschaft in eine Phase eingetreten ist, in der alle gleichermaßen von Risiken betroffen sind, egal in welcher sozioökonomischen Lage sie sich befinden oder in welcher Region sie leben. Für die beiden Autoren sind Naturkatastrophen stattdessen „unter kapitalistischen Verhältnissen in erster Linie soziale Katastrophen“ (213), die zu einer dauerhaften Verschärfung der sozialen Ungleichheit beitragen.
Doch nicht nur Katastrophen an sich sind sozial und politisch geprägt, auch der Umgang mit ihnen offenbart die Kräfteverhältnisse einer Gesellschaft: Nach Katrina wurden die vier größten Public Housing Projects (PHPs) der Stadt – staatlich geförderte Großwohnanlagen für Familen in der Extremely Low Income-Kategorie – von der städtischen Wohnungsbehörde HANO unter dem Vorwand der Schimmelbelastung und des Schutzes vor Plünderungen abgeriegelt. Ohne dass die ehemaligen BewohnerInnen jemals wieder ihre Wohnungen betreten konnten, entschied die Stadtpolitik sie abzureißen und auf dem neu gewonnenen Land moderne Mixed-Income-Wohnbauten zu errichten. Für Jakob und Schorb sowie für die von ihnen befragten ehemaligen BewohnerInnen der PHPs ist diese Maßnahme als gezieltes politisches Kalkül zu verstehen: „Was sie wollen, ist wertvolles Land in der Innenstadt zu nehmen, das im Moment von Armen und Schwarzen bewohnt wird. Diese wollen sie loswerden, das Land bebauen, aufwerten und darauf Wohnraum für die Mittelklasse schaffen“ (34). New Orleans lässt sich diese Sanierung 700 Millionen Dollar kosten. Das ist weit mehr als die Renovierung der PHPs gekostet hätte. Profitieren werden von dieser Stadterneuerung insbesondere private Immobilienfirmen, doch die Stadtpolitik argumentiert, dass eben diese Mixed-Income-Siedlungen „für beide Seiten befruchtend“ sein können: Die Stadt könne ihr Image aufbessern und der Kriminalität entgegenwirken und den Armen würden sich „neue Perspektiven“ eröffnen. Dass diese Mixed-Income-Siedlungen nicht genug Platz bieten für alle ehemaligen BewohnerInnen der PHPs und viele von ihnen nun nicht mehr nach New Orleans zurückkehren können, dass sie die Verbundenheit der über Jahrzehnte gewachsenen PHP-Gemeinschaften zerstören und dass die „SozialmieterInnen nicht in einem Schloss, sondern in einem goldenen Käfig“ (210) leben würden, wird von den lokalen PolitikerInnen mit keinem Wort erwähnt bzw. konsequent ignoriert.
Im zweiten Teil des Buches zeigen Jakob und Schorb, dass die Vertreibung der afroamerikanischen Bevölkerung nicht als eine einmalige Aktion zu sehen ist, sondern historische Tradition hat und bis an die Anfangszeit der Unterwerfung des amerikanischen Kontinentes durch die europäischen Kolonialmächte zurückzuverfolgen ist. Die Geschichte des Bundesstaates Louisiana (und damit die Geschichte New Orleans) ist die Geschichte einer konsequenten Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerung. Die Ausbeutung der afrikanischen SklavInnen hat massiv dazu beigetragen, dass New Orleans Anfang des 19. Jahrhunderts zu einer der reichsten Städte des Kontinents aufsteigen konnte (109ff.). Einige der damaligen Ausbeutungsmethoden, wie das sogenannten convict lease system, werden bis heute angewandt: „Tausende Gefangene, überwiegend AfroamerikanerInnen, übernehmen Arbeiten in der Landwirtschaft oder reinigen in sogenannten „Chain Gangs“, an den Füßen aneinander gekettet, die Straßen von Unrat“ (123). Von diesem „ultramobilen und völlig rechtslosen Arbeitskräftereservoir“ (124) profitiert neben den lokalen Sheriffs besonders die lokale Ökonomie. Katrina hat der Durchsetzung dieser rassistischen Politik „nur“ neue Möglichkeiten eröffnet.
Um zu zeigen, dass die Eliminierung der Public Housing Projects in New Orleans jedoch nicht nur eine historische Kontinuität darstellt, sondern auch als Teil eines Paradigmenwechsels in der amerikanischen Sozialpolitik (und damit auch in der Wohnungspolitik) zu verstehen ist, widmen sich Jakob und Schorb im letzten Teil ihres Buches der Entwicklung des amerikanischen Sozialstaates seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Während in den 1960er Jahren unter dem Deckmantel der „Grand Society“ der amerikanische Sozialstaat (auf paternalistische Art und Weise) massiv ausgebaut wurde, kam es im Zuge der 1970er Jahre zum Übergang vom „fürsorgenden zum strafenden Staat“ (135). Die damit einhergehende ideologische Verschiebung in der Einschätzung der Ursachen von Armut und sozialer Unsicherheit zeigte sich besonders deutlich in der Idee einer „culture of poverty“. Diese wurde durch die Arbeiten des amerikanischen Sozialanthropologen Oscar Lewis angeregt. Er beobachtete in den 1940er Jahren die „urban poor“ in Mexiko und Puerto Rico und kam zu dem Schluss, dass Armut in erster Linie selbstverschuldet und charakterbedingt sei, sowie dass die Armen eine „Parallelkultur“ aufbauen würden, die nur marginale Verbindungen zur Mainstream-Gesellschaft aufweise. Die Gründe für Armut werden nicht länger in der sich verschärfenden strukturellen und materiellen Ungleichheit, sondern in tatsächlichen und zugeschriebenen Verhaltensweisen der Armutsbevölkerung gesucht“ (134). Dies änderte auch das generelle Bild auf Sozialbauten: „Die Identifikation der Sozialbauten mit Arbeitsscheu, Kriminalität und Promiskuität ist in den USA ‚Common Sense’“ (142). Auf Basis dieses Paradigmenwechsels wurden zahlreiche wohnpolitische Maßnahmen (wie HOPE IV) ergriffen, die dazu führten, dass viele Sozialbauten abgerissen wurden und durch Wohnungsanlagen mit geringeren Bebauungsdichte ersetzt wurden (und somit viele ehemalige BewohnerInnen nicht mehr in ihre Quartiere zurückkehren konnten): „HOPE VI sei letztlich dazu benutzt worden, um die Unterschichts-Dominanz in bestimmten Innenstadtgebieten zurück zu drängen. Die hierfür nötige Vertreibung sei mit dem Vorwand der Kriminalitätsbekämpfung gerechtfertigt worden“ (150).
Jakob und Schorb schließen ihr Buch mit der Analyse, dass Katrina zwar „Katalysator für die Umwandlung der Sozialbauquartiere gewesen sei, aber nicht der Auslöser“ (185). Was sich von Katrina jedoch lernen lasse, sei folgendes: „Naturkatastrophen fordern nicht nur die meisten Todesopfer und den größten Verlust an Eigentum bei den Ärmsten, sondern sie verändern auch das soziale Gefüge und sorgen für eine dauerhafte Verschärfung sozialer Ungleichheit. In New Orleans führte Katrina dazu, dass die Stadt für Arme teurer wurde und dass sich nun viele ihrer ärmsten BewohnerInnen eine Rückkehr nicht leisten können. Katrina hatte zur Folge, dass die Zahl der Obdachlosen in die Höhe geschnellt ist, die öffentliche Infrastruktur wie kommunale Schulen und Krankenhäuser geschlossen bleiben oder privatisiert werden“ (213).
Soziale Säuberung ist ein Buch, das beim Lesen in erster Linie wütend macht. In den Interviews mit den politisch und ökonomisch Verantwortlichen fallen Sätze wie dieser: „We finally cleaned up public housing in New Orleans. We couldn’t do it, but God did” (50). Oder: „Das, was in den Public Housing Projects in New Orleans stattfindet ist Teil dieses Krieges gegen die Armen. Wir können die Armut nicht loswerden – also werden wir eben die Armen los“ (159). Die zahlreichen Interviews mit den Betroffenen, aber auch mit den Verantwortlichen zeigen auf, wie mit Hilfe von Klimakatastrophen konsequente (Vertreibungs-)Politik gemacht wird. Auf Basis der Analysen von Naomi Klein, Mike Davis und Loic Wacquant gelingt es Jakob und Schorb die Ereignisse in New Orleans nicht für sich stehen zu lassen, sondern in einen größeren Kontext einzubetten und als Teil der Geschichte der Ausbeutung und Unterdrückung der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA sowie als Ausdruck eines Paradigmenwechsels in der amerikanischen Sozialpolitik zu fassen. Die beiden Soziologen bleiben in ihren Schlussfolgerungen allerdings weit hinter ihren Analysen zurück, wenn sie argumentieren, dass „man über den Abriss der Housing Projects von New Orleans keine eindeutigen Urteile fällen (kann). Die Behauptung, reiche weiße Männer würden arme afroamerikanische Familien aus ihren Wohnungen jagen, wird den Verhältnissen jedenfalls nicht gerecht. Die Verantwortlichen für den Abriß der Quartiere (…) sind […] Afroamerikaner.“ (210) Auch wenn einzelne Akteure nicht dem Bild des „weißen, männlichen, amerikanischen Kapitalisten“ entsprechen, so muss man doch die von ihnen durchgesetzte Politik als Teil eines „Projektes der sozialen Säuberung“ verstehen. Trotz dieser politisch eher problematischen Schlussfolgerungen, ist Soziale Säuberung auf alle Fälle ein lesenswertes Buch, das, folgt man den Analysen in Naomi Kleins „Schockstrategie“, in den nächsten Jahren traurige Aktualität behalten wird.





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