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Thesen zur Wien-Wahl 2010
von Gruppe Perspektiven

Die Wien-Wahl ist keine Wahl wie jede andere.

Die Wien-Wahl ist ein entscheidender Gradmesser für die politische Situation in Österreich. Wie und mit welchen inhaltlichen Schwerpunkten der Wahlkampf geführt wird und welche Politik die Stadt in den nächsten Jahren prägt, ist nicht nur für alle in Wien lebenden Menschen von großer Bedeutung, sondern hat weit über den lokalen Kontext hinaus Signalwirkung. In zugespitzter Form schlagen sich bei dieser Wahl die parteipolitischen Tendenzen der letzten Jahre und Jahrzehnte nieder: Aufgrund ihrer anhaltenden Krise ist die Sozialdemokratie mehr denn je vom Erhalt ihrer starken Machtposition und des Mythos Rotes Wien abhängig. Gleichzeitig verfolgt die FPÖ – als der Kristallisationspunkt der extremen Rechten in Österreich – explizit die Strategie, über einen (Achtungs-)Erfolg in Wien die politischen Kräfteverhältnisse in ganz Österreich weiter nach rechts zu verschieben. Für Bundes- und Landesparteiobmann Heinz-Christian Strache ist es sogar erklärtes Ziel, das Amt des Wiener Bürgermeisters zum Ausgangspunkt für eine erfolgreiche Bundeskanzler-Kandidatur zu machen. Infolgedessen wird der von Strache ausgerufene „Kampf um Wien“ zum wichtigen Prüfstein für die Schlagkraft linker, antifaschistischer und antirassistischer Politik.

Die Sozialdemokratie befindet sich in einer strukturellen Krise.

Die europaweite Neoliberalisierung sozialdemokratischer Parteien in Gestalt des so genannten Dritten Weges hat auch vor der SPÖ nicht halt gemacht. Folglich ist sie mit dem gleichen strukturellen Widerspruch konfrontiert, der sozialdemokratische Politik in ganz Europa seit Jahren prägt: Hier die Interessen der ArbeiterInnen und Gewerkschaftsmitglieder als soziale Basis der Sozialdemokratie; und dort neoliberale Politiken, welche die soziale Situation fortwährend verschlechtern. Das Ergebnis ist eine tiefgreifende Legitimitäts- und Repräsentationskrise sowie ideologische Orientierungslosigkeit der Sozialdemokratie. Ihren Ausdruck findet diese Krise in ausbleibenden Wahlerfolgen, Austrittswellen und dem Fehlen personeller Alternativen. Diese Problematik offenbart sich, wenngleich in abgeschwächter Form, auch mit Blick auf die Wiener SPÖ: In Bereichen wie Wohnen, Versorgung, Soziales, Bildung oder Stadtentwicklung verfolgt die Partei auch hier eine neoliberale Politik, die sich negativ auf die soziale Situation vieler BewohnerInnen der Stadt auswirkt. Gleichzeitig versucht sie mit Slogans wie „Wien ist anders“ oder dem ständigen Verweis auf die Tradition des Roten Wien sich ihrer sozialen und politischen Basis zu versichern – jedoch mit mäßigem Erfolg.

Die FPÖ profitiert maßgeblich von der Politisierung der sozialen Frage.

Zwei Jahrzehnte neoliberaler Klassenkampf von oben haben die gesellschaftlichen Ungleichheiten in Österreich massiv verschärft. Da die Folgen der aktuellen Wirtschaftskrise – einer der schwersten der letzten 100 Jahre – zunehmend auf die lohnabhängig Beschäftigen abgewälzt werden, kommt es zu einer tiefgreifenden sozialen Verunsicherung. Unter dieser Voraussetzung kann der parteiförmige Rechtsextremismus v. a. deshalb über seinen deutschnationalen Kern hinaus AnhängerInnen gewinnen, weil er in jene Repräsentationslücke stößt, welche die Krise der Sozialdemokratie hinterlässt. Indem die FPÖ die soziale als nationale Frage politisiert, kann sie an den realen Erfahrungen breiter Bevölkerungsschichten anschließen und so die massenhafte Zustimmung zu rechtsextremen Inhalten organisieren. Forderungen wie „Sozialleistungen nur für Staatsbürger! – Österreicher zuerst“ oder „Arbeitsplätze für unsere Wiener!“ – statt für „Gastarbeitslose“ sind beispielhaft für diese Strategie. Indem sie Themen wie steigende Lebenshaltungskosten (Strom, Gas, Miete etc.), Kinderbetreuungsplätze, urbane Großprojekte, sozialen Wohnbau oder den Alltag im Grätzel offensiv thematisiert, versucht die FPÖ sich auch stadtpolitisch als soziale Alternative zur SPÖ zu positionieren. Dass dieser Selbstdarstellung als „soziale Partei“ de facto eine wirtschaftsliberale, wohlfahrtsstaatsfeindliche Politik gegenübersteht, zeigt unter anderem die freiheitliche, wirtschaftspolitische Ausrichtung an den Interessen von Großunternehmen und mittelständischen Betrieben.

Wo es an Abgrenzung sowie einem antirassistischen und antifaschistischen Grundkonsens mangelt, wird die extreme Rechte gestärkt.

Der Aufstieg der FPÖ zu einer politisch relevanten Kraft ist nicht zuletzt der fehlenden inhaltlichen und personellen Abgrenzung von Seiten anderer Parteien und gesellschaftlicher Kräfte geschuldet. Wo der Themensetzung der extremen Rechten entsprochen und rassistische Inhalte in die eigene Politik aufgenommen werden oder die FPÖ als realer oder potentieller politischer Verbündeter und Koalitionspartner hofiert wird, kommt es zur Normalisierung und Legitimierung von Rechtsextremismus und Rassismus. Die politischen Koordinaten verschieben sich weiter nach rechts. Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus sind auf diesem Weg ebenso (wieder) salonfähig geworden wie ein revanchistischer Sicherheitsdiskurs, in dem sich Forderungen nach mehr Polizei und stärkerer Überwachung des urbanen Raums mit rassistischen Klischees von „osteuropäischen Bettelbanden“ verbinden. Das Fehlen eines antirassistischen Grundkonsenses macht sich auch dort bemerkbar, wo die alltägliche rassistische Polizeigewalt samt ihrer tödlichen Folgen unkommentiert bleibt. Wird demgegenüber von antirassistischen und antifaschistischen Initiativen und Gruppen versucht, Rassismus zu politisieren und, wie etwa beim WKR-Ball, dem selbstbewussten und offenen Auftreten rechtsextremer und nazistischer Kräfte entschlossen entgegenzutreten, wird dem mit scharfer Repression begegnet. Die notwendige, auch finanzielle und infrastrukturelle, Unterstützung solcher Projekte und Initiativen durch die Stadt bleibt aus.

Die FPÖ muss demaskiert, isoliert und marginalisiert werden.

Die Affäre um die Präsidentschaftskandidatur von Barbara Rosenkranz zeigt auf, welche Möglichkeiten entstehen, wenn die FPÖ ideologisch entlarvt und somit in Erklärungs- und Rechtfertigungsnot gebracht wird. Die Demaskierung von Rosenkranz trug zu einer Schwächung ihres politischen Auftretens bei und machte einen offensiven Wahlkampf für sie schwieriger. Daher ist es entscheidend, neben dem rassistischen und rechtsextremen Charakter der FPÖ auch die historisch-ideologischen Wurzeln der Partei zu benennen. Diese zeigen sich etwa in ihrer Entstehungsgeschichte aus dem Verband der Unabhängigen (VdU), der als Auffangbecken nationalsozialistischer Kader nach 1945 gilt, ihrer aktiven Verbindung zu außerparlamentarischen rechtsextremen Gruppierungen und in der engen Verknüpfung ihrer FunktionärInnen mit dem Lager der deutsch-nationalen Burschenschaften. Gleichzeitig ist es essenziell, eine breite Gegenöffentlichkeit zur FP-Ideologie und ihrer Präsenz in Politik und Gesellschaft zu mobilisieren. Ein großes, antifaschistisches Bündnis gegen die FPÖ und die mit ihr verbundenen rechtsextremen Kreise treibt ihre politische Isolierung voran. Darüberhinaus können Mobilisierungen gegen FPÖ-Auftritte im Kleinen (auf Bezirksebene, bei Infoständen usw.) wie im Großen (durch Demonstrationen, Konzerte oder Blockaden) zu ihrer Demoralisierung und Marginalisierung beitragen. Der öffentliche Raum darf nicht der extremen Rechten überlassen werden!

Letztendlich ist es auch wichtig, den institutionell-politischen Einfluss der FPÖ, z.B. ihren Zugang zu Parteienförderung, zu beschneiden. Deshalb macht es auch Sinn, gegen Rechts wählen zu gehen, um die Präsenz von Rassismus und Rechtsextremismus im Rahmen der repräsentativen Demokratie zurückzudrängen.

Die soziale Frage von links stellen.

Wenn die FPÖ ernsthaft und nachhaltig konfrontiert werden soll, muss auch das zentrale Element ihres Erfolges ausgehebelt werden, also ihre Fähigkeit, die soziale Frage nationalistisch und rassistisch zu beantworten und damit Hoheit über die Tagesthemen zu beanspruchen. Die Notwendigkeit linker Antworten auf soziale Fragen wird im Kontext der aktuellen Wirtschaftskrise und der Krise der SPÖ noch akuter. Es bedarf eines aktiven Agendasettings von links, bei dem auch die bundesweiten Diskussionen aufgegriffen werden müssen. Brennende Themen sind z.B. die Frage der Wirtschafts- und Finanzpolitik, und in diesem Sinne die Forderung einer Umverteilung von oben nach unten (Vermögenssteuern, Refinanzierung der Universitäten, bedingungsloses Grundeinkommen, usw.). Andererseits bedarf es auch einer progressiven Thematisierung stadt- und bezirkspolitischer Fragen, wie des Anstiegs der Lebenshaltungskosten, der zunehmenden (Neo-) Liberalisierung der städtischen Sozialpolitik oder von Gentrifizierungstendenzen.

(Un-)Mögliche politische Alternativen – Eine Neue Linke ist nötig.

Es stellt sich die Frage, ob Die Grünen angesichts des Versagens der SPÖ als linke, soziale Kraft und des Aufstiegs der FPÖ eine Alternative darstellen können. Auch wenn Die Grünen die einzige politisch relevante Partei in Österreich ist, die so etwas Ähnliches wie ein antirassistisches und antifaschistisches Profil besitzt, muss die Frage nach ihrem Potential als linke Alternative verneint werden. Ihre fehlende Verankerung in der ArbeiterInnenklasse und ihre Konzentration auf liberal-bürgerliche Forderungen sowie ihre Unfähigkeit, antirassistisches Engagement mit einer Diskussion um tatsächliche soziale Alternativen zu verbinden, disqualifiziert sie als ernsthafte linke Kraft, die das existierende politische Vakuum füllen könnte.

Die Wien-Wahl demonstriert dementsprechend erneut die Notwendigkeit des Aufbaus einer Neuen Linken in Österreich. Diese müsste antirassistisches Engagement und Konfrontation der extremen Rechten mit der Politisierung der sozialen Frage von unten verbinden und in weiterer Konsequenz auch bei Wahlen eine reale politische Alternative zu rechter Sozialdemagogie und Klassenkampf von oben darstellen können.

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