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Feminismus weiterdenken
von Katharina Hajek

Rezension: Klinger, Cornelia/ Knapp, Gudrun-Axeli/ Sauer, Birgit (Hg.): Achsen der Ungleichheit. Zum Verhältnis von Klasse, Geschlecht und Ethnizität, Frankfurt/ New York: Campus Verlag, 30,80 €

Intersektionalität ist ein politisches Produkt des Feminismus, ein notwendiges und zugleich logisches. Seinen Lauf nahm alles mit der Kritik der anderen Frauen, die sich in den USA der späten 1970er und frühen 1980er Jahre lautstark zu Wort meldeten. Es war dies die Kritik der women of color und der lesbischen Feministinnen, die aufzeigten, dass der etablierte Feminismus zuallererst ein Feminismus von und für weiße, heterosexuelle und bürgerliche Frauen war. Es war dies somit auch die Kritik von Frauen, die beispielsweise nicht erst gegen die gesellschaftliche Positionierung von Frauen in der Sphäre der häuslichen Reproduktionsarbeit kämpfen mussten, da sie schon immer gezwungen waren, einem Lohnarbeitsverhältnis nachzugehen um das Familieneinkommen zu unterstützen.
Der Fokus richtete sich in Konsequenz auf Differenzen unter Frauen und führte einerseits dazu, dass das einheitliche Subjekt Frau, auf das sich der Feminismus bis dahin vorbehaltlos stützen konnte, verloren war. Andererseits jedoch hatte dies auch eine wichtige Einsicht zur folge: Unterdrückung und Marginalisierung verläuft nicht nur entlang von Geschlecht, sondern entlang mehrerer Kategorien. Genau diesem ‚Umstand’ gab Kimberlé Crenshaw 1988 den Namen ‚Intersektionalität’.
Die im Anschluss daran entstandene Forschung hat es sich zum Ziel gesetzt, der Gleichzeitigkeit und dem Zusammenwirken aber auch den Interferenzen und Überschneidungen verschiedener Machtverhältnisse nachzugehen, ohne dabei die je spezifische Verfasstheit der einzelnen Kategorien aus dem Blick zu verlieren. Obwohl sich Intersektionalität als Paradigma feministischer Forschung und Gesellschaftsanalyse in den USA bereits etablieren konnte, kann hiervon im deutschsprachigen Raum nicht die Rede sein.
Diesem Umstand möchten Cornelia Klinger, Gudrun-Axeli Knapp, und Birgit Sauer mit dem Band Achsen der Ungleichheit. Zum Verhältnis von Klasse, Geschlecht und Ethnizität entgegen kommen. Er ging aus einem Workshop hervor, zu dem die Herausgeberinnen 2005 geladen hatten.
Als Referenzpunkt für die Beiträge dient der erste Text von Cornelia Klinger und Gudrun-Axeli Knapp. In ihm skizzieren die Autorinnen ihr Vorhaben, eine integrierte und gesellschaftstheoretisch fundierte Analyse zentraler Ungleichheitskategorien zu schaffen, die sowohl die Zusammenhänge als auch die je eigene Qualität von ‚Geschlecht, Ethnizität und Klasse’ aufzeigt und diese dezidiert als Strukturgeber moderner Gesellschaften auffasst. Zentral erscheint ihnen dabei einerseits eine umfassende ‚Rehabilitierung’ der Kategorie ‚Klasse’ als gesellschaftliche Strukturkategorie und damit auch eine Abkehr von Ansätzen, die von einer ‚Pluralisierung von Lebenslagen’ ausgehen und damit Gefahr laufen, Klasse, Geschlecht oder Ethnizität als ‚bloße’ Identitätskategorien zu fassen. Andererseits streichen sie heraus, dass die gesellschaftstheoretische Einbettung der Intersektionalitätsforschung im Sinne der Kritischen Theorie explizit normativ als auch selbstreflexiv passieren soll. Brigitte Aulenbacher beleuchtet in ihrem Beitrag, wie die benannten Strukturkategorien in die gesellschaftlichen Transformierungsprozesse der letzten Jahrzehnte eingelassen sind. Angesichts rassistischer Realitäten muss man zwar mit ihrer Diagnose der „historisch überkommenen Zuweisungen nach Ethnie“ nicht übereinstimmen. Dennoch kann Aulenbacher überzeugend die blinden Flecken aktueller Gesellschaftsanalysen herausarbeiten, die den Fokus zu sehr auf die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses legen, das auch immer implizit auf den männlichen Lebenszusammenhang abgestimmt war.
In eine ähnliche Richtung geht auch der Beitrag von Hans-Jürgen Bieling, der mit einem neo-gramscianisch erweiterten Regulationsansatz zunächst die zunehmende, jedoch auch ungleichförmige Verschärfung sozialer Disparitäten im Zuge der gesellschaftlichen Umbrüche der letzten Jahrzehnte skizziert. Klasse, Geschlecht und Ethnie konzeptualisiert er dabei als „analytische Relationalitätskategorien“, die sich auf zentrale Strukturdeterminanten sozialer Kollektive beziehen. Durch diese akteursbezogene Perspektive gelingt zwar eine treffende historische Kontextualisierung von sozialen Kämpfen, läuft jedoch im Hinblick auf eine intersektionelle Analyse Gefahr, zu identitätspolitisch zu argumentieren, wie beispielsweise die verkürzte Konzeptualisierung von Ethnie als „Referenzpunkt für eine imaginierte Gemeinschaft“ (S. 108) zeigt, die die strukturellen Ausgrenzungsmechanismen entlang von Ethnizität ausblendet.
Auch Lars Kohlmorgen nähert sich dem Vorhaben einer integrierten Analyse des Klassen- und Geschlechterverhältnisses über die Regulationstheorie, die er um das Habitus-Konzept von Bourdieu erweitert. Dabei geht er davon aus, dass das Akkumulationsregime und die entsprechende Regulationsweise ein „Kapital-Lohnarbeits-Hausarbeitsverhältnis“ bewirken, welches wiederum einen „Klassen-Geschlechts-Habitus“ erzeugt und dadurch auf ersteres zurückwirkt. Das hier skizzierte makrotheoretische Konzept lässt jedoch, so auch der Autor, einige Punkte bezüglich der Herausbildung von Subjektivität, bzw. der Integration weiterer Kategorien nur angedeutet.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Beiträgen unterscheidet Regina Becker-Schmidt in ihrer Herangehensweise neben Geschlecht und Klasse auch noch explizit zwischen ‚Ethnizität’ und ‚Rasse’, wobei ersteres auf Ausschießungspraxen im nationalstaatlichen Rahmen abzielt und letzteres direkt auf biologistisch-rassistische Diskurse in der Tradition des Kolonialismus rekurriert. Nimmt man die Vorgaben der Intersektionalitätsforschung ernst, so sind dabei zwei Punkte von zentraler Bedeutung: zum ersten muss der sozialhistorische Kontext der Entstehung und Entwicklung der jeweiligen Ungleichheitslagen beachtet werden; zum zweiten erfordert dies eine integrierte Analyse sowohl der Ebene der sozialen Interaktion, als auch der Ebene der sozialen Positionierung von gesellschaftlichen Gruppen. Aufgrund dieses Umfanges lässt sich – so die Autorin – Intersektionalitätsforschung nur arbeitsteilig bewältigen.
Mechthild Bereswill zäumt dagegen das Pferd von hinten auf, indem sie sich der Fragen nach den Interferenzen sozialer Strukturkategorien im Kontext der Männlichkeitsforschung, genauer über das Konzept der „hegemonialen Männlichkeit“, nähert. Anstatt von einem dichotomen Geschlechterverhältnis auszugehen, wird hier anhand einer Studie über junge, „randständige“, inhaftierte Männer nachgezeichnet, wie verschiedene Konzepte von Männlichkeit gerade durch die Überlagerung von rassistischen und sozialen Machtverhältnissen entweder hegemonial oder marginalisiert werden.
Ähnlich, für diesen Bereich jedoch fast exotisch, geht auch Wolfgang Gabbert vor, wenn er in seinem Beitrag aus einer sozialanthropologisch-komparativen Perspektive nachzeichnet, dass Kategorien wie Ethnizität, Klasse, Geschlecht oder aber auch Generation ihre strukturierende Bedeutung erst in bestimmten historischen und kulturellen Kontexten erlangen. Am Beispiel der Endogamie, d.h. der Norm, nach der Eheschließungen nur innerhalb der eigenen sozialen Gruppe zulässig sind, stellt er dar, wie diese Kategorien bis in das letzte Jahrhundert noch synonym verwendet wurden und sich die heute geläufigen Konzeptionen erst parallel mit den modernen Nationalstaaten herausbildeten.
Ein weiteres Beispiel für einen historischen Zugang zum Thema der Intersektionalität bietet der Beitrag von Sybille Küster. Anhand der Kategorien von Ethnizität, Nationalität und „Rasse“ zeichnet sie die Herausbildung und Kodifizierung der Staatsangehörigkeit in Deutschland im Kontext der Entstehung moderner Staatlichkeit und der „Ethnisierung von Fremdheit“ nach. Christoph Görg argumentiert anhand des Beispiels des Millenium Ecosystem Assessments, dass soziale Ungleichheiten nicht getrennt von gesellschaftlichen Naturverhältnissen betrachtet werden können, sondern aufs engste miteinander verwoben sind. Somit reproduzieren sich soziale Konflikte auch in der Definition von (Umwelt-) Problemen und (internationalen) Verhandlungs- und Entscheidungsstrukturen. Klasse, Gender oder Ethnizität spielen also auch hierbei eine zentrale Rolle, bekommen jedoch im Kontext der Naturverhältnisse eine neue Ausrichtung.
Auf einen höchst umstrittenen Begriff, nämlich den Begriff der „Überflüssigen“, der in letzter Zeit vor allem im Zusammenhang mit den Unruhen in den französischen Banlieus Furore gemacht hat, beschäftigen sich gleich zwei Beiträge in diesem Band. Markus Schroer verwendet ihn in seinem Konzept, um die Existenz von Gruppen zu beschreiben, die nicht mehr ‚nur’ materiell benachteiligt sind, sondern aufgrund mehrdimensionaler Faktoren überhaupt fast vollständig von jeglicher Form gesellschaftlicher Partizipation ausgeschlossen sind. Damit in Verbindung setzt er das Konzept von „Aufmerksamkeit“, das in der ‚globalen Mediengesellschaft’ zunehmend zur knappen und damit umkämpften Ressource wird. Die Annahme, dass sich soziale Kämpfe alleinig um Aufmerksamkeit als Selbstzweck drehen, erscheint jedoch im Hinblick auf die Lebensrealitäten von Subalternen etwas zynisch. Auch Sabine Hark kritisiert diesen Begriff auf heftigste, wenn sie ihn als eine Form symbolischer Delegitimierung bezeichnet, die der Festschreibung und Passivierung dieser Gruppen noch zusätzlich Vorschub leistet. Dem gegenüber sei es die Aufgabe der Soziologie (und man möchte hinzufügen: der Sozialwissenschaften generell), gerade die Prozesse und Strukturen, und damit die Machtverhältnisse, die diesescheinbare Exklusion zur Folge haben, zu beleuchten.
Shalini Randeria vergleicht in ihrem Beitrag die Bevölkerungspolitiken in China und Indien und stellt damit eine angenehme Ausnahme zu den sonst eher auf Europa fixierten Beiträgen in diesem Band dar. Auch wenn sie damit auf den ersten Blick die Intentionen
der Herausgeberinnen etwas verfehlt, bietet sie nicht nur einen interessanten und höchst informativen Einblick in diese Thematik, sondern kann auch – wenn auch nur implizit – aufzeigen, wie sich staatliche Maßnahmen bezogen auf die Geburtenkontrolle mit den
Kategorien von Geschlecht und sozialer Klassenlage überschneiden und für die Betroffenen höchst unterschiedlich auswirken.
Einer der überzeugendsten und kreativsten Beiträge in diesem Band kommt von Helma Lutz, die sich in ihrer Forschung auf migrantische Arbeit in Haushalten konzentriert. Auf
Basis einer kurzen Einführung in das Thema, die mit erschütternden Daten und Fakten die enormen Dimensionen darlegt, die dieses Phänomen in den letzten Jahrzehnten erreicht hat, skizziert sie, wie auf diesem Feld eine intersektionelle Analyse aussehen könnte.

Dabei berücksichtigt sie sowohl die Akteursebene in der Interaktion von ‚Doing Gender’ und ‚Doing Ethnicity’, als auch den hierbei relevanten institutionellen Rahmen der Interferenz von Wohlfahts-, Geschlechter- und Migrationsregimen. Aus der Perspektive der Lebenslaufforschung nähert sich wiederum Helga Krüger der Interferenz von Geschlecht und Klasse. Dabei legt sie dar, wie das geschlechterbezogene und soziale Ungleichheitsverhältnis in den deutschsprachigen Ländern in Form des Ernährermodells
institutionalisiert ist, d.h. im Ensemble wohlfahrtsstaatlicher Leistungen, die explizit auf die Kleinfamilie mit männlichem, vollerwerbstätigem Ernährer abgestimmt sind.
So treffend die Argumentation der Autorin hier ist, umso enttäuschender wirkt jedoch ihr Fazit, dass diese Konstellationen aufgrund neuer Lebensstile zunehmend „dysfunktional“ erscheinen und „der Staat [...] neue Formen der Moderierung“ von Erwerbsarbeit
und Familienbelangen (S. 189) übernehmen wird müssen; richtet sich hier doch die Frage nicht nach der Dysfunkscheinbare Exklusion zur Folge haben, zu beleuchten. Shalini Randeria vergleicht in ihrem Beitrag die Bevölkerungspolitiken in China und Indien und stellt damit eine angenehme Ausnahme zu den sonst eher auf Europa fixierten Beiträgen in diesem Band dar. Auch wenn sie damit auf den ersten Blick die Intentionen der Herausgeberinnen etwas verfehlt, bietet sie nicht nur einen interessanten und höchst informativen Einblick in diese Thematik, sondern kann auch – wenn auch nur implizit – aufzeigen, wie sich staatliche Maßnahmen bezogen auf die Geburtenkontrolle mit den Kategorien von Geschlecht und sozialer Klassenlage überschneiden und für die Betroffenen höchst unterschiedlich auswirken.
Einer der überzeugendsten und kreativsten Beiträge in diesem Band kommt von Helma Lutz, die sich in ihrer Forschung auf migrantische Arbeit in Haushalten konzentriert. Auf Basis einer kurzen Einführung in das Thema, die mit erschütternden Daten und Fakten die enormen Dimensionen darlegt, die dieses Phänomen in den letzten Jahrzehnten erreicht hat, skizziert sie, wie auf diesem Feld eine intersektionelle Analyse aussehen könnte. Dabei berücksichtigt sie sowohl die Akteursebene in der Interaktion von ‚Doing Gender’ und ‚Doing Ethnicity’, als auch den hierbei relevanten institutionellen Rahmen der Interferenz von Wohlfahts-, Geschlechter- und Migrationsregimen.
Aus der Perspektive der Lebenslaufforschung nähert sich wiederum Helga Krüger der Interferenz von Geschlecht und Klasse. Dabei legt sie dar, wie das geschlechterbezogene und soziale Ungleichheitsverhältnis in den deutschsprachigen Ländern in Form des Ernährermodells institutionalisiert ist, d.h. im Ensemble wohlfahrtsstaatlicher Leistungen, die explizit auf die Kleinfamilie mit männlichem, vollerwerbstätigem Ernährer abgestimmt sind. So treffend die Argumentation der Autorin hier ist, umso enttäuschender wirkt jedoch ihr Fazit, dass diese Konstellationen aufgrund neuer Lebensstile zunehmend „dysfunktional“ erscheinen und „der Staat [...] neue Formen der Moderierung“ von Erwerbsarbeit und Familienbelangen (S. 189) übernehmen wird müssen; richtet sich hier doch die Frage nicht nach der Dysfunktionalität, sondern im Gegenteil gerade nach der Funktionalität von geschlechterbasierter Ungleichheit in modernen Gesellschaften.
Thomas Schwinn geht dagegen in seinem Text davon aus, dass Differenzen bezüglich Klasse, Ethnie und Geschlecht nicht per se die Ursache von Diskriminierung sind, sondern sich erst aus den unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten zu institutionellen Ressourcen (hier: Familie, Bildung und Arbeit) ergeben. Diese resultieren wiederum aus der individuellen Sozialisation in der Familie, in der sowohl materielle als auch kulturelle Ressourcen ‚vererbt’ werden. Um die Wechselwirkungen zwischen den sozialen Ungleichheitsformen näher zu beleuchten, schlägt er das Bourdieusche Kapitalmodell vor. Mit diesem könnten sodann empirisch fassbare Beispiele einer „kompensierenden Strukturierung“ (inländischer Obdachloser fühlt sich ausländischem Spender überlegen) und einer „kumulativen Strukturierung“ („ethisch-kulturelle Abgrenzungsreaktionen“ durch „extreme Klassenunterprivilegierung“) theoretisiert werden. Abgesehen davon, dass diese Herangehensweise zu einer essentialistischen Konzeptualisierung von Ungleichheitskategorien neigt, bleibt jedoch die Frage, ob man der Thematik der Intersektionalität mit sozialpsychologischen Erklärungsmodellen gerecht wird.
Resümierend kann hier festgehalten werden, dass dieser Band keine fertigen Antworten auf die Frage gibt, wie eine intersektionelle Analyse von Macht und Herrschaftsverhältnissen aussehen könnte. Dies mag zum einen Teil an den divergierenden und z. T. widersprüchlichen theoretischen Herangehensweisen an die zentralen Begriffe der Intersektionalitätsforschung liegen. Zum anderen ist dies sicher auch der, sich durch einige Beiträge ziehenden, Untertheoretisierung des Klassenbegriffes zuzurechnen, die jedoch nur als logische Konsequenz der Entwicklung der sozialwissenschaftlichen Disziplinen der letzten Jahrzehnte zu sehen ist. Einen guten Überblick über die analytische Konzeptualisierung von sozialer Ungleichheit aus der Perspektive diverser sozial- und geisteswissenschaftlicher Disziplinen bietet dieser Band jedoch allemal.





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