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Arbeiten am Hegemoniebegriff
von Mario Becksteiner

Rezension: Winter, Jens: Transnationale Arbeitskonflikte. Das Beispiel der hegemonialen Konstellation im NAFTA-Raum, Münster: Westfälisches Dampfboot 2007, 30,80 €

Der gesellschaftliche Hintergrund, vor dem Jens Winter seine Arbeit entwickelt, sind die globalen Veränderungen der Arbeitsverhältnisse und die mannigfachen Fragen die sich daraus ergeben. Nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für politische AkteurInnen, die sich Angriffen ausgesetzt sehen, welche über Jahrhunderte erworbene Rechte im Bereich der Arbeitsbeziehungen zunichte machen oder zumindest aushöhlen, sind die Fragen heute von zentraler Bedeutung. Entlang der Veränderungen in einer globalen Welt, die sich auszeichnen durch eine vermehrte Transnationalisierung von Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen, rekonstruiert der Autor mehrere theoretische Ansätze, die diese Dynamik zu begreifen versuchen. Generell unterteilt er hier in „problem solving“-Theorien und in kritische Theorien, wobei er sich selbst in einer wissenschaftlichen Tradition verortet, die sich aus den kritischen Arbeiten des neogramscianschen Ansatzes, der Regulationsschule und der staatstheoretischen Debatte rund um Joachim Hirsch und Bob Jessop speist.
Überblicksmäßig lässt sich festhalten, dass er mit Bezug auf die „problem solving“-Theorien, unter die er neoinstitutionalistische und regimetheoretische Ansätze einordnet, zwei zentrale Schwachstellen erkennt. Sie schaffen es nicht, die Genese und das umfassende gesellschaftstheoretische Transformationspotential aktueller Entwicklungen, unter Berücksichtigung sich neu konstituierender transnationaler Herrschaftsverhältnisse, zu erfassen. Mit Bezug auf Staatlichkeit sind es auch genau diese Herrschaftsverhältnisse, die aus dem Blickfeld geraten und deshalb zu einem verkürzten Staatsverständnis führen. Trotzdem spricht er diesen Ansätzen nicht ab, auf analytischer Ebene ein sensibles methodisches Instrumentarium entwickelt zu haben, um die politischen Prozesse innerhalb analytisch fixierter Rahmenbedingungen zu erfassen. Mit Bezug auf die neogramscianisch inspirierte Forschung macht Jens Winter zwei zentrale Problembereiche aus: a) ein zu hoher Abstraktionsgrad der Analyse, der es erschwert, spezifische soziale Dynamiken und Institutionalisierungsprozesse zu erfassen und b) ein stark auf die KapitalistInnenklasse konzentriertes Erkenntnisinteresse, was zu einer Unterbelichtung der Rolle staatlicher AkteurInnen, inter- bzw. transnationalen Regimen und Subalternen führt. Entlang dieser Einschätzung neogramscianischer Problemfelder spezifiziert er sein Anliegen. Dabei steht das permanente Spannungsfeld dynamischer und statischer Elemente in hegemonietheoretischen Analysen im Zentrum. Da Hegemonie immer sowohl das Umkämpfte als auch das Medium des Kampfes ist, schlägt Winter vor, die dynamische Perspektive zu favorisieren und fasst dies in einer terminologischen Erneuerung. Nicht ein präfixierter historischer Block sollte Untersuchungsgegenstand sein, sondern der Prozess der Herausbildung einer hegemonialen Konstellation. Mit dieser prozessorientierten Konzeption von Hegemonie betont er die konstitutive Komponente sozialen Handelns, umgeht die präjudizierte Setzung wichtiger AkteurInnen in hegemonialen Auseinandersetzungen und kann die in hegemonialen Auseinandersetzungen sich neu bildenden AkteurInnen auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen erfassen, was ein besseres räumlichfunktionales Begreifen politischer Prozesse ermöglicht.
Sein eigenes Vorgehen bezeichnet Jens Winter als akteursorientierten kritischhegemonietheoretischen Ansatz. „Es geht darum, verschiedene methodische Wege zu nutzen und v.a. die Ergebnisse mit der Absicht zu interpretieren, neue Erkenntnispfade innerhalb des kritisch-hegemonietheoretischen Paradigmas zu beschreiten“, deren Ergebnisse
nicht schon im Vorhinein, aufgrund festgezurrter Annahmen relativ fixiert sind. (74)
Als sein Untersuchungsfeld wählt Jens Winter die hegemoniale Konstellation des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA und spezifischer das North American Agreement on Labor and Cooperation (NAALC), also einen „spezifischen transnationalen Governance Prozess im Widerspruchs und Konfliktfeld der Arbeitsregulierung“ (75).
In seinem ersten empirischen Teil analysiert Winter die allgemeine hegemoniale Konstellation der NAFTA, um sich dann einem speziellen Teilbereich dieser Konstellation zuzuwenden. Die Analyse des NAALC versucht empirisch reich untermauert die Dynamiken und Resultate unterschiedlicher Auseinandersetzungen in den verschiedenen Arenen als Handlungsspielräume verschiedenster Akteure zu interpretieren. Sein akteurszentrierter Ansatz kann zeigen, dass die Entwicklung einer hegemonialen Konstellation der NAFTA keineswegs als ein reines Elitenprojekt zu begreifen ist, sondern widerständige Praktiken sich insbesondere in den Nebenabkommen wie dem NAALC niederschlugen, diese dadurch aber Teil einer hegemonialen Kompromissformel wurden. Das heißt, die oft elitenfixierte Herangehensweise neogramscianischer Ansätze kann kein umfassendes Bild hegemonialer Konstellationen und deren Realität zeichnen, wenn nicht die Rolle subalterner Akteure als Teil der Konstitutionsbedingung hegemonialer Konstellationen gefasst wird. Methodisch lässt sich sagen, dass der Versuch, unterschiedliche Formen der Untersuchung für das Feld NAFTA und NAALC zu verbinden, gelungen ist. Trotzdem bleiben einige Fragen offen, wie der Autor zum Teil selbst anmerkt. Theoretisch führt uns die Arbeit zu einer zentralen Fragestellung, die nicht beantwortet wird, nämlich dem Verhältnis zwischen Struktur und Handlung innerhalb der Analyse hegemonialer Konstellationen. Jens Winter benennt diesen Problembereich zwar, beantwortet ihn aber nicht. Darüber hinaus stellt der Begriff des Transnationalen zwar eine zentrale theoretische Kategorie dar, bleibt allerdings unterbestimmt. Wie in dem Buch zu erkennen ist, wird transnationaler Raum analytisch nicht beschränkt auf die Summe von Akteuren oder Prozessen, sondern erhält einen eigenständigen theoretischen Status, doch bleibt dieser Status implizit im Text verschlüsselt. Empirisch werden die transnationalen Prozesse zwar akribisch herausgearbeitet, doch fehlt eine theoretische Darstellung des transnationalen Raumes in seinen eigenen Logiken als Arena hegemonialer Auseinandersetzungen. Besonders für das Erfassen transnationaler, subalterner Subjektivierung wäre diese Darstellung hilfreich. Abschließend soll festgehalten werden, dass das Buch, sowohl in methodischen Belangen als auch in seinen theoretischen Erweiterungen, als wichtige Intervention in die Debatten um neogramscianische Forschungsperspektiven zu sehen ist. Besonders die gelungene Überwindung der Dichotomie zwischen theoretischen Arbeiten und empirischer Forschung ist ein Vorzeigebeispiel dafür, wie theoriegeleitete Forschung aussehen kann. Kritische Forschung kann sich entlang solcher Herangehensweisen wieder als wichtige Stichwortgeberin gesellschaftlicher Kämpfe etablieren und so das gramscianische Paradigma einer „Philosophie der Praxis“ mit neuem Leben erfüllen.





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