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Kämpfe im Plastikmeer
von Dieter Behr, Lisa Bolyos, Benjamin Opratko

Die Zustände im „Plastikmeer von Almería“, wo ein großer Anteil an Treibhausgemüse für den europäischen Verbrauch – vor allem im Winter – produziert wird, sind mittlerweile weithin bekannt. Almería ist gleichsam zum Symbol für die Ausbeutung in der industriellen Landwirtschaft geworden. Benjamin Opratko sprach mit Lisa Bolyos und Dieter Behr, die in der Solidaritätskampagne mit der andalusischen LandarbeiterInnengewerkschaft SOC aktiv sind.

Nach den brutalen rassistischen Ausschreitungen in der Kleinstadt El Ejido im Februar 2000 wurde das Europäische BürgerInnenforum (EBF)/Longo Maï auf die Zusammenhänge aufmerksam, die zwischen industrialisierter Agrarproduktion, (Arbeits-)Migration und rassistischen Politiken bestehen. Langjährige Kontakte zur andalusischen LandarbeiterInnengewerkschaft SOC (Sindicato de Obrer@s del Campo) haben sich seither in einer gemeinsamen Solidaritätskampagne verfestigt. Die SOC wurde im Februar 2000 in der Region Almería aktiv, es bildete sich eine erste migrantische Gewerkschaftsgruppe. Gemeinsam mit den Feministinnen der Mujeres Progresistas, deren Arbeit jedoch nur kurze Zeit später durch rassistisches und sexistisches Mobbing in der Stadt verunmöglicht wurde, bildete die SOC Almería eine aktivistische Front gegen den institutionalisierten rassistischen Konsens. Das Ziel der SOC Almería ist die Organisation der ArbeiterInnen in den Treibhäusern im Kampf gegen Ausbeutung und Illegalisierung. Zusätzlich will die Solidaritätskampagne eine breite Öffentlichkeit informieren und darüber hinaus motivieren, aktiv zu werden.
Seit dem Jahr 2004 ist der Aufbau sozialer Zentren ein Arbeitsschwerpunkt der SOC Almería und so auch der internationalen Kampagne. Diese Lokale sollen den MigrantInnen Infrastruktur, Beratungsstelle, Treffpunkte und Versammlungsorte sein. Angesichts der rund einhunderttausend ArbeiterInnen im „mar del plastico“, einer Gesamtfläche von etwa 35.000 ha, in der 16.000 Betriebe wirtschaften, eine gewaltige Herausforderung, die Schritt für Schritt in Angriff genommen wird. Im Jahr 2005 wurde ein erstes Zentrum in El Ejido eröffnet. Das Lokal wurde durch die Solidaritätskampagne des EBF mit Hilfe zahlreicher Organisationen und privaten Spenden finanziert und trägt sich mittlerweile durch die Gewerkschaftsbeiträge weitgehend selbst. Im Frühjahr 2007 wurde nun das zweite soziale Zentrum in San Isidro im Campo de Níjar eröffnet. Zu diesem Anlass fand eine mehrtägige Konferenz statt, die Ausbeutung der ArbeiterInnen und Umweltzerstörung durch die industrielle Landwirtschaft und mögliche Alternativen dazu zum Thema hatte.

Interview

Ihr seid aktiv in der Solidaritätsbewegung mit LandarbeiterInnen in Südspanien. Wie sehen deren Arbeitsbedingungen dort aus?

Die materiellen Arbeitsbedingungen sind großteils furchtbar schlecht, in den Treibhäusern hat es Temperaturen bis zu 60°C, die ArbeiterInnen bekommen keine oder keine adäquate Schutzkleidung zu Verfügung gestellt, es gibt keine geregelten Arbeitszeiten sondern Arbeit nach Bedarf der landwirtschaftlichen Produktion, immer wieder kommt es zu Lohnraub, Arbeiterinnen berichten von sexuellen Übergriffen. Einen Unterschied macht es darüber hinaus, ob der oder die ArbeiterIn illegalisiert ist oder Papiere hat. Denn selbstredend ist es, wenn auch nicht einfach, dann doch einfacher, mit Papieren Lohnforderungen zu stellen, nach Arbeitsunfällen ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen oder sich gerichtlich gegen rassistische und sexistische Angriffe zur Wehr zusetzen, ohne von Abschiebung bedroht zu sein.

Der Begriff Prekarität/Prekarisierung als Verunsicherung der Arbeits- und Lebensverhältnisse wird in letzter Zeit heiß diskutiert. Denkt ihr, dass dieser Begriff auch in diesem Bereich Verwendung finden kann? Wenn ja, inwiefern?

Prekarisierung findet zu allererst als Illegalisierung statt. Auf einem unsicheren oder illegalisierten Aufenthaltsstatus basiert dann ja die ganze Palette unsicherer Arbeits- und Lebensverhältnisse, inklusive der Bedrohung des eigenen Lebens. Prekarität als Begriff der Selbstbehauptung kommt sicherlich ins Spiel, wenn die Selbstorganisation beginnt. Die kann, muss aber nicht in den gewerkschaftlichen Strukturen der SOC stattfinden, wie die Geschichte der Region und ihrer Widerstandsformen zeigt.

Welche Versuche gab es bisher, LandarbeiterInnen gewerkschaftlich zu organisieren? Mit welchen Problemen ist man dort konfrontiert und welches Verhältnis gibt es zu den etablierten spanischen Gewerkschaften?

Die SOC, sindicato de obrer@s del campo (Gewerkschaft der LandarbeiterInnen), ist seit den 70er Jahren in Andalusien aktiv. Erst noch im Widerstand gegen die Diktatur, ging die SOC 1973 mit direkten Aktionen an die Öffentlichkeit, das heißt in erster Linie: LandarbeiterInnenstreiks und Landbesetzungen. Diese Strategien waren vor allem in Westandalusien, in den Provinzen Sevilla und Malaga, wo der Großgrundbesitz in Form sogenannter latifundias vorherrschte, sehr erfolgreich. Im Osten, vor allem in der Provinz Almería, wo es aufgrund der schlechten landwirtschaftlichen Voraussetzungen keinen Großgrundbesitz gab, war die SOC bis vor kurzem nicht aktiv. Nach den rassistischen Pogromen in der Region Almería im Jahr 2000 hat sich auch dort eine Gruppe der SOC gebildet, die von Migranten gegründet wurde und nunmehr MigrantInnen in der Region organisiert.
Die so genannten etablierten Gewerkschaften UGT und CCOO sind, soweit wir das von außen beurteilen können, nicht ausgesprochen solidarisch mit der SOC, die sind auch in ganz anderen Strukturen verankert, d.h. sie bekommen staatliche Förderungen und fahren ein sehr traditionalistisches Gewerkschaftsprogramm, das sich auf Mitgliederwerbung konzentriert und dementsprechend kein Interesse an der Organisation von migrantischen LandarbeiterInnen hat, die, so zumindest die Vorstellung, nicht für eine langfristige Mitgliedschaft zu gewinnen sind.
Punktuell gibt es zwar Zusammenarbeit mit den großen Gewerkschaften, allerdings war die Positionierung von CCOO und UGT im Jahr 2000 eindeutig nicht antirassistisch, insofern ist die Ausgangsbasis schwierig.

Fast alle LandarbeiterInnen in der Region haben migrantischen Hintergrund. Welche Auswirkungen hat das auf die gewerkschaftliche und politische Arbeit vor Ort?

In erster Linie bedeutet es, mit Rassismus und rassistisch verstärktem Sexismus konfrontiert zu sein. Diese Gewalt ist im Jahr 2000 in Pogromen ausgeartet, die auch medial präsent waren, ist aber seither keineswegs verschwunden. Im März 2005 wurde ein Gewerkschaftsmitglied ermordet, immer wieder berichten die ArbeiterInnen von rassistisch motivierten Überfällen, und ganz aktuell gibt es einen Prozess gegen eine Gruppe von Männern wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt, nachdem die Guardia Civil mehrere gewalttätige Überfälle auf Wohnstätten der ArbeiterInnen verübt hat.
Die andere Frage ist die der möglichen Organisation. Das hat weniger mit migrantischem Hintergrund als mit der Art der Arbeitsmigration zu tun. Ist sie temporär im Sinne von Saisonarbeit, dann ist traditionelle gewerkschaftliche Organisation kaum von Interesse. Das heißt nicht, dass etwa Formen der direkten Aktion nicht auch für SaisonarbeiterInnen die Möglichkeit bieten würden, sich gegen prekäre Arbeitsverhältnisse zu wehren, oder mehr noch dass SaisonarbeiterInnen nicht von Prekarisierung betroffen wären. Vielmehr bedeutet es, dass sich die Gewerkschaftsarbeit den aktuellen Formen der Lohnarbeit anpassen muss und nicht von den ArbeiterInnen erwartet werden kann, sich umgekehrt den Vorstellungen der Gewerkschaft anzupassen. Ist die Arbeitsmigration temporär, weil Almería ein Durchzugsgebiet ist (eine These allerdings, die meist dem Wunsch der ankommenden MigrantInnen entspricht, jedoch in vielen Fällen nicht den tatsächlichen Möglichkeiten), dann ist jede Form der politischen Organisation mit der Problematik der Kurzfristigkeit konfrontiert, was sie aber noch lange nicht unmöglich macht. Es gibt ja Aktionsformen wie Streik, die oftmals, schon lange bevor die SOC in der Region zu arbeiten begann, erfolgreich erprobt wurden, und zwar sowohl von Leuten, die immer noch im almerischen Gemüsebau arbeiten, als auch von solchen, die aus dem Süden weggezogen sind. Nicht zuletzt bleibt als Beispiel natürlich die SOC-Gruppe in Almería, in der vier von fünf hauptamtlichen GewerkschafterInnen im Erwachsenenalter nach Spanien migriert sind, und die zur Frage der politischen und gewerkschaftlichen Arbeit ergänzen lässt, dass ein Um- oder Weiterdenken innerhalb traditionalistischer Strukturen durch die Selbstorganisation von MigrantInnen ein Stück weit auch forciert werden kann.

Was hat es mit den Versuchen der spanischen Regierung auf sich, illegalisierte MigrantInnen zu Legalisieren?

Es gab bisher eine Reihe von Legalisierungskampagnen von der spanischen Regierung, bei denen mehrere hunderttausend Leute Aufenthaltspapiere bekommen haben, die letzte davon von Februar bis Mai 2005. Natürlich ist die Intention der Regierung keine antirassistische; den praktischen Nutzen für die Leute, die legalisiert werden, zu übersehen, wäre dennoch zynisch. (Viele ArbeiterInnen aus Almería berichten, dass sie den neuen Status nützen, um sofort aus der Region und den dortigen Arbeits- und Abhängigkeitsverhältnissen wegzugehen.)
Die Legalisierungen verlaufen aber ja nicht bedingungslos, sondern sind im Gegenteil an sehr strenge und oftmals gerade mit illegalisierten Status schwer oder unmöglich zu erfüllende Kriterien gebunden. Es müssen Arbeitsvertrag, Meldezettel und diverse Versicherungspapiere nachgewiesen werden, also absurde Forderungen an Menschen, denen eben diese Unterlagen aufgrund ihres Status verwehrt werden. Vor den Einreichterminen zur Legalisierung kommt es zu einem regelrechten Handel mit Papieren, bei dem beispielsweise ArbeitgeberInnen für einige tausend Euro rückwirkend einen Arbeitsvertrag ausstellen.
Ob es weiterhin die sogenannten „Massenlegalisierungen“ geben wird, ist unklar. Die konservative Opposition in Spanien versucht bei Barroso ein EU-weites Verbot zu erwirken, aber das ist noch lange nicht gegessen.

Wie sieht eure Solidaritätsarbeit konkret aus?

Die Soliarbeit baut auf den direkten Kontakt mit GewerkschafterInnen und vermehrt auch ArbeiterInnen auf. Das ist insofern wichtig, als es ein Abheben in Diskussionen und Aktionen, die mit der Situation vor Ort nicht rückgekoppelt und deshalb realitätsfern sind, ein ganzes Stück weit verhindert. Neben der üblichen Aufklärungs- und Bildungsarbeit versuchen wir permanent die Vernetzung mit anderen Gruppen und Kontexten, die mit Landwirtschaft und Migration zusammenhängen – was sehr viele sind. Wir zielen darauf ab, Zusammenhänge auf den verschiedenen Ebenen dieses doch sehr komplexen Themas aufzuzeigen und gemeinsam mit anderen aus linken Zusammenhängen dort anzugreifen, wo es konkrete Anhaltspunkte gibt – nicht nur in Spanien, sondern, eingebettet in ein europäisches Netzwerk, auch in Italien, Frankreich, der Schweiz, Holland, Deutschland und auch Österreich. Im Jahr 2004 haben wir dazu ein Buch herausgebracht mit dem Titel: „Bittere Ernte – die moderne Sklaverei in der industriellen Landwirtschaft Europas“. Gerade dieses Jahr ist es weiters gut gelungen, Migration und Landwirtschaft als zwei Schwerpunktthemen im Zuge der G8-Proteste in Heiligendamm zu verknüpfen. Darüber hinaus gab es in Heiligendamm ein erstes Zusammentreffen der SOC- mit der Lidl-Kampagne, also der Themen Primärproduktion und Discounter und den damit verbundenen Arbeitsbedingungen. An diesem Thema wollen wir auch in der nächsten Zeit verstärkt arbeiten.

Danke für das Interview!

Weiterführende Internetseiten

http://www.forum-civique.org
http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/plastikmeer_almeria.html
http://www.soc-almeria.org
http://www.g8-landwirtschaft.net





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