Die neue Ausgabe von Perspektiven erscheint in einer veränderten politischen Landschaft: die Regierung Schüssel ist Geschichte. Der Wahlsieg Alfred Gusenbauers, trotz Bawag-Skandal und Gewerkschaftskrise, war vor allem eine deutliche Absage an die schwarz-blau-orange Politik der vergangenen sechs Jahre. Der Wahlkampf der SPÖ war der vielleicht „linkeste“ seit langem, mit Studiengebühren und Eurofighter wurden zwei symbolträchtige Projekte der Rechtsregierung angegriffen. Die Hoffnungen auf einen tatsächlichen Politikwechsel unter einem „roten“ Kanzler waren groß – und sie wurden bitter enttäuscht. „Links blinken, rechts abbiegen“ war das Motto der SPÖ: Praktisch alle Wahlversprechen wurden gebrochen, der Betrug an der eigenen Basis wurde durch nichts deutlicher als durch die Beibehaltung der Studiengebühren. Deren angebliche „Abfederung“ durch die Möglichkeit, sich durch „soziale“ Hilfsarbeit frei zu hackeln, wurde umgehend als Farce entlarvt. Dass man für Geld lohnarbeiten gehen kann, um sich das Studium zu finanzieren, ist schließlich so neu nicht. Allein, warum man dies für ganze sechs Euro pro Stunde tun sollte, erschließt sich wohl nur den KoalitionsverhandlerInnen.
Seither bewahrheitet sich Murphy’s Law jeden Tag auf’s Neue: Wenn du glaubst, es geht nicht mehr schlimmer, kommt von irgendwo her eine sozialdemokratische Stimme: Arbeitszeitverlängerung, Aufweichung des Kündigungsschutzes für Lehrlinge, Abschaffung der Erbschaftssteuer, Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen für Erwerbslose, Beibehaltung rassistischer Asylgesetze, ein Frauenministerium ohne eigenes Budget und eine „Grundsicherung“, die mehr mit „Hartz IV“ als mit Armutsbekämpfung gemein hat. Die Regierung Gusenbauer hat sich damit im Wesentlichen als Fortführung schwarz-blau-oranger Politik entpuppt.
Die Frage ist nun, wie sich die Linke in Österreich, die sich seit sieben Jahren mit der Regierung Schüssel und einer sozialdemokratischen Opposition auseinander zu setzen hatte, in dieser Situation positionieren soll. Um es mit dem Titel einer jüngst stattgefundenen Diskussionsveranstaltung auf der Uni Wien zu formulieren: Wie sieht „Widerstand in großkoalitionären Zeiten“ aus? Die große Herausforderung wird sein, ein offenes und unsektiererisches Verhältnis zur unzufriedenen Basis in Sozialdemokratie und Gewerkschaften zu schaffen, ohne dabei Illusionen in die Politik der SPÖ aufzusitzen. Das bedeutet, Widerstand gegen neoliberale und rassistische Politik gemeinsam mit jenen zu tragen, denen die Sozialdemokratie (noch) eine – wenn auch unbequeme – politische Heimat ist. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die außerparlamentarische Linke glaubwürdige Alternativen zur neoliberalisierten Sozialdemokratie aufzeigt und die Stärke entwickelt, diese auch in politische Praxis umzusetzen. Vor dem Hintergrund fortschreitender Prekarisierung von Lebens- und Arbeitsverhältnissen wird dabei dem Kampf für soziale Rechte eine wichtige Rolle zukommen müssen.
Die Frage nach der Rolle der Sozialdemokratie steht aus diesen Gründen im Zentrum dieses Hefts. Dass die unsoziale Politik der großen Koalition nicht einfach auf „Umfaller“ der SPÖ oder dem individuellen Verrat der SPÖ-Führung an der Basis reduziert werden kann, zeigt der Artikel von Benjamin Opratko. Er zeichnet die Geschichte des „Dritten Wegs“ nach, der die europäischen Sozialdemokratien unter Tony Blair und Gerhard Schröder dorthin geführt hat, wo Alfred Gusenbauer heute steht.
Widerstand gegen diesen Dritten Weg innerhalb von Sozialdemokratie und Gewerkschaften orientiert sich auch heute noch allzu oft an den scheinbar goldenen Zeiten des Keynesianismus, die in Österreich vor allem vom „Mythos Kreisky“ verkörpert werden. Stefan Probst argumentiert, dass es kein Zurück zu „K.u.K.“-Zeiten geben kann und zeigt dabei, wie der lange Nachkriegsaufschwung aus marxistischer Perspektive erklärt werden kann.
Doch es gibt nicht nur „rücksichtslose Kritik alles Bestehenden“. Der Bankrott der neoliberalisierten Sozialdemokratie stellt einmal mehr die Frage nach politischen Alternativen. David Sagner führte deshalb ein Interview mit Klaus Henning, Mitglied der WASG und Organisator des Gründungskongresses des Linken Hochschulnetzwerks in Deutschland. Dort ist man im Projekt „Neue Linke“ schon ein gutes Stück weiter, die Erfahrungen mit der neuen Linkspartei zeigen sowohl Möglichkeiten als auch Probleme und Herausforderungen im Neuformierungsprozess der antineoliberalen Linken. Die Debatten rund um den Hochschulkongress zeigen darüber hinaus, welche Rolle eine universitäre Linke bei der Schaffung einer „Alternative zur Alternativlosigkeit“ spielen kann.
Außerhalb des Schwerpunkts freuen wir uns, einen Beitrag des US-amerikanischen Umweltsoziologen John Bellamy Foster präsentieren zu können, der mit seiner innovativen Marx-Lesart eine radikale Kritik der politischen Ökologie präsentiert. In seinem erstmals im US-amerikanischen Magazin „Monthly Review“ erschienenen Artikel „Ökologie der Zerstörung“ zeigt Foster, dass wir uns in der aktuellen Debatte um von Menschen geschaffene Erderwärmung nicht davor drücken dürfen, auf den fundamentalen Zusammenhang zwischen einer profitgetriebenen Ökonomie und ökologischen (Klima-)Katastrophen hinzuweisen.
„Sex sells“ ist heute ein Gemeinplatz. Doch wo früher die feministische Bewegung Sexismen in (Pop-)Kultur und Werbung als solche entlarvt hat, gilt heute die Zurschaustellung vorgeblich selbstbewusster weiblicher Körper oft als Beweis für befreite Sexualität. Wie sexy sich der neue Sexismus in Zeiten von „Sex and the City“ und „Pussycat Dolls“ präsentiert und wie wenig er mit jener sexuellen Befreiung zu tun hat, die sich einst die feministische Bewegung auf die Fahnen geheftet hatte, zeigen Kristina Botka und Maria Asenbaum.
Die Serie „Was macht die Linke in…“ führt uns dieses Mal nach Mexiko, wo Proteste gegen Korruption und Neoliberalismus in ein Projekt der demokratischen Selbstverwaltung mündeten: Ramin Taghian analysiert die Entstehung der „Kommune von Oaxaca“.
Zum Abschluss gibt es französische Staatstheorie, rhizomatische Multituden, feministische Trinkspiele und keynesianische Kaufkraft freigegeben in Abteilung 3 (Rezensionen) zur unproduktiven Konsumption. Freude am Lesen und Diskutieren – denn keinen Spaß haben ist auch keine Lösung – wünscht
Eure Redaktion
P.S. Besonderer Dank geht an Reinhard Lang, der den Schwerpunkt zu Sozialdemokratie und Neuer Linke fotografisch illustriert hat und auch für unser Coverbild verantwortlich zeichnet.