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Definitionsmacht und sexualisierte Gewalt
von Gruppe Perspektiven

In den letzten Wochen haben wir uns ausführlich mit dem Thema sexualisierte Gewalt beschäftigt. In diesem kurzen Papier halten wir erste Ergebnisse unserer Diskussionen und unser Bekenntnis zum Konzept der Definitionsmacht fest.

  • 1. Als emanzipatorische Organisation teilt Perspektiven einen antisexistischen Grundkonsens. Das bedeutet, dass wir gegen strukturelle, geschlechtsspezifische Machtverhältnisse sowohl gesellschaftspolitisch ankämpfen, als auch auf individueller Ebene für eine antisexistische Praxis eintreten.
  • 2. Innerhalb gegenwärtiger Gesellschaften ist die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen stark eingeschränkt. Die bestehenden Geschlechterverhältnisse kommen unter anderem in sexualisierter Gewalt zum Ausdruck und werden durch diese reproduziert. Dabei handelt es sich um einen politischen Akt, der nicht nur einzelne Männer* und Frauen* betrifft. Vergewaltigung ist nicht außer Kontrolle geratene Sexualität, sondern sexualisierte Gewalt.
  • 3. Das Fortbestehen eines strukturellen Macht- und Herrschaftsverhältnisses zwischen Mann* und Frau* – auch in der Linken – macht „Definitionsmacht“ zu einem notwendigen Konzept. Hierbei geht es um die Anerkennung der Definitionsmacht über sexualisierte Gewalt – also darüber, welche Situationen und Erfahrungen als Grenzüberschreitung zu definieren sind. Die vorherrschende, juristische Definition sexualisierter Gewalt verlangt ein sofortiges Sich-Wehren der Betroffenen, eine klare Benennung des Täters sowie (sichtbare) Beweise für die Tat. Weil sexualisierte Gewalt zumeist im sozialen Nahbereich stattfindet, eine unmittelbare Einordnung und Reaktion im Moment des Übergriffs oft kaum möglich ist und sich auch der Tatbeweis schwierig und entwürdigend gestaltet (darüber hinaus wird ein Großteil der Fälle vor Gericht wegen mangelnden Beweisen eingestellt oder erst gar nicht verfolgt ), nimmt eine solche juristische Definition strukturell die Täterperspektive ein und schützt diesen so.
  • 4. Mit der „Definitionsmacht“ wird demgegenüber das persönliche Empfinden einer Grenzüberschreitung als Ausgangspunkt gesetzt, denn nur die Betroffene* selbst kann definieren, was sexualisierte Gewalt im je konkreten Einzelfall ist oder war; diese Definition stellen wir nicht in Frage. Für uns als Organisation bedeutet das Bekenntnis zur Definitionsmacht die aktive und bedingungslose Parteilichkeit mit der Betroffenen*. Ihre Definition wird vollständig akzeptiert und auch nicht durch „kritisches“ Nachfragen oder detektivische Beweisführung in Zweifel gezogen.
  • 5. Perspektiven fühlen sich als feministische Organisation angerufen. Damit die Konsequenzen unseres Bekenntnisses zur Definitionsmacht von der ganzen Gruppe mitgetragen werden, muss ein transparenter Informationsprozess stattfinden. Zu diesen Konsequenzen gehört unter anderem, dass falls es zu Fällen sexualisierter Gewalt seitens eines Mitglieds kommen sollte, der Täter aus der Organisation ausgeschlossen wird und wir die Forderungen der Betroffenen* bedingungslos umsetzen. Das Bekenntnis zur Definitionsmacht bedeutet für uns auch, nicht mit Organisationen, Initiativen etc. zusammenzuarbeiten, die Täter schützen. Wir möchten einen Raum darstellen, in dem Frauen* politisch aktiv sein können und wollen. Definitionsmacht ist ein Ermächtigungsverhältnis, das unter bestehenden Geschlechterverhältnissen notwendig ist, um gemeinsame politische Praxis und gegenseitiges Vertrauen zu ermöglichen.
  • 6. Die Anerkennung der Definitionsmacht bedeutet keineswegs, dass antisexistische und feministische Praxis sich darin erschöpft. Vielmehr ist eine stetige Auseinandersetzung mit Antisexismus und Feminismus für uns zentral.




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