Artikel drucken Twitter Email Facebook

Weltöffnende Begriffe
von Ulrich Brand, Benjamin Opratko

Benjamin Opratko sprach mit Ulrich Brand über dessen ABC der Alternativen.

Ihr habt im ABC der Alternativen 126 Begriffe von 133 Autor-Innen versammelt – was war die Idee dahinter, so ein Buch zu machen, was ist der politische Einsatz dieses „ABC“s?

Der erste Punkt ist, dass die Leute, die in dem Band schreiben, in sozialen Bewegungen als kritische Intellektuelle aktiv sind und wir in der Debatte um Kritik der Globalisierung bzw. Kritik der aktuellen Entwicklungen auf die Frage eingeben wollten: gibt es auch Alternativen? Ja, es werden aktiv Alternativen diskutiert, das wollten wir zeigen. Wir sind dann schnell drauf gekommen, dass das viel zu viel ist und haben uns darauf beschränkt, perspektivierende Begriffe zu nehmen, die bestimmte Weltsichten öffnen. Wir haben also keine realen Bewegungen beschrieben wie die Zapatistas oder Attac, sondern gefragt: was sind alternative Weltsichten? Und das interessante daran ist, dass es uneindeutig ist, dass es ganz wenige eindeutige Begriffe gibt. Und je umfassender die Begriffe sind, umso uneindeutiger sind sie. Das ist Teil der Kämpfe um Alternativen: Was heißt Kommunismus? Was heißt Sozialismus? Was heißt Marxismus? Was heißt Solidarität? Was heißt Wirtschaftsdemokratie?

Ein zweiter interessanter Punkt ist, dass das Denken von Alternativen durch eine Kritik der bestehenden Verhältnisse durch muss. Es gibt keine Blaupause, es wird nicht irgendwo etwas entwickelt, sondern es gibt immer – in den Stichworten natürlich in aller gebotenen Kürze – den deutlichen Bezug darauf, dass die herrschenden Verhältnisse kritisiert werden. Das ist nicht eindeutig – eine Kritik etwa im Stichwort „Keynesianismus“ fällt anders aus als in „Kritik der politischen Ökonomie“, aber das ist ein wichtiger Punkt.

Drittens wird in vielen Stichworten deutlich, dass die Entwicklung von Alternativen durch Geschichte, durch linke Geschichte, durch Erfahrungen, durch Niederlagen hindurch gehen muss. Das scheint auf, auch wenn die Stichworte dafür zu kurz sind – aber das ist ein wichtiger Punkt. Wir argumentieren nicht ahistorisch, sondern zeigen bei Begriffen wie Trotzkismus oder Marxismus, wie sie historisch verwendet wurden und wie sie auch Teil von politischen, mitunter folgenschweren Irrtümern und Niederlagen sind – das müssen wir uns ja eingestehen.

Und als letzten Punkt: deutlich werden die Vielfältigkeit und Relevanz von Theorie, das heißt die Bedeutung unterschiedlicher theoretischer Perspektiven. Beispielsweise wird klar, wenn man John Holloway, Margit Mayer, Joachim Hirsch, Christa Wichterich, Karl Heinz Roth, Jörg Huffschmid nebeneinander legt, um nur ein paar zu nennen, dass es da große Unterschiede gibt, eben unterschiedliche politische Vorstellungen: Was heißt Veränderung, etwa in Bezug auf Staat und die herrschenden Verhältnisse?

Die zweite Frage hast du damit fast vorweg genommen, nämlich jene nach den Auswahlkriterien für Begriffe und Autor-Innen. Schließlich besteht bei einem solchen Projekt die Gefahr, Begriffe, die wie du sagst einem geschichtlichen Wandel unterliegen, festzuschreiben durch Personen, die natürlich auch ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Positionen einbringen. Es gibt im ABC Begriffe, die eher affirmativ beschrieben werden, von AktivistInnen, die ihre Position vertreten und andere, eher kritische Begriffe.

Absolut – da hatten wir kein klares Kriterium. Neben den zuvor genannten inhaltlichen Kriterien ging es natürlich auch darum: wen kennen wir, wen wollen wir dabei haben? Es ist kein Lexikon, das das bestehende Wissen sammelt – das wäre absurd, auf 250 Seiten. Sondern es ist Anstoß zur Diskussion. Es ist Bildungsmaterial für eine breitere Öffentlichkeit, das zeigen auch die bereits nach drei Monaten enormen Verkaufszahlen, und es ist ein Anstoß innerhalb einer Linken, die sehr plural ist, für Diskussionen um Begriffe. Aber, wie gesagt, nicht als Begriffshuberei, sondern als Perspektiven für das Verständnis und die emanzipatorische Veränderung herrschaftsförmiger sozialer Verhältnisse.

Was unter anderem auffällt ist, dass es recht viele Begriffe gibt, die sich ökologischer Fragen annehmen. Es gibt „Bioethik-Kritik“, „Energiepolitik“, „Ernährungssouveränität“, „Klimagerechtigkeit“, „Nachhaltigkeit“, „Naturverhältnisse“, „ökologische Gerechtigkeit“ und auch in anderen Stichworten wird diese Dimension mit einbezogen. Nun arbeitest du selbst seit vielen Jahren zu Naturverhältnissen – inwieweit war das eine bewusste Intervention in die Debatten der sozialen Bewegungen?

Das ist tatsächlich eine Intervention. Wir als Herausgeber-Innen wollten das stärken, weil es eine Schwäche in den aktuellen Bewegungen ist. Oft wird dichotomisiert: hier gibt’s die Umweltgeschichten, da gibt’s die globalisierungskritischen oder radikalen Geschichten. Gerade als wir begonnen hatten, das Buch zu planen, gab es den McPlanet Kongress im Mai 2007 in Berlin zu Umweltfragen mit 2.000 Leuten. Und es gab ein paar Wochen später die Anti-G8-Proteste in Heiligendamm. Beim McPlanet Kongress war so etwas wie Kapitalismusanalyse abwesend, das einzige war ein Workshop, den ich mit Elmar Altvater gemacht habe, der rappelvoll war und wo auch viele gesagt haben: endlich gibt’s mal so etwas. Aber auf den großen Podien war es absent. In Heiligendamm dagegen war die Ökologiefrage anwesend – globale Landwirtschaft war ein prominentes Thema – und wir wollten diese Konstellation nutzen, um das voranzutreiben. Seit Herbst 2007 ist das Umwelt- und vor allem das Klimathema in den Post-G8-Bewegungen sehr präsent, einige neigen aber zur Instrumentalisierung. „Wenn die herrschende Agenda nun Klima ist, dann müssen wir dem etwas entgegen setzen.“ Oft wird die Problematik der Naturverhältnisse aber auf die „Umweltfrage“ reduziert und damit den herrschenden Sichtweisen auf den Leim gegangen. Ich hoffe, dass wir mit dem ABC zu einer Klärung beitragen können.

Ähnlich verhält es sich mit den vielen feministischen Themen im Buch. Auch das ist oft ein blinder Fleck in den Bewegungen, wenn gemeint wird, es gehe jetzt um das „Kerngeschäft“ des Kapitalismus, d.h. Finanzmärkte, Arbeitsverhältnisse im sehr engen Sinne. Dem wollen wir entgegen arbeiten. Um eine kleinen Vergleich zu machen: Das ABC zum Neoliberalismus, das zweite Buch in der ABC-Reihe, ist sehr gewerkschaftsorientiert. Ich finde es absolut gelungen, aber da sind viele Themen nicht dabei: sozialökologische Themen sind kaum vertreten, feministische Themen sind nicht dabei, und nur sieben der 67 AutorInnen sind Frauen. Neben der Berücksichtigung der Geschlechterverhältnisse waren uns zwei weitere Aspekte wichtig: Bei der Auswahl der AutorInnen intergenerationell zu sein, also alle politischen Generationen vertreten zu haben, sowie eine große politische Pluralität, vom linksliberalen bis linksradikalen Spektrum.

Das Anstoßen der Debatte rund um solche Begriffe passiert auch von eurer Seite konkret durch Veranstaltungen – es gab eine gut besuchte Buchvorstellung in Wien, um im April wird eine größere Veranstaltung zum ABC in Graz stattfinden. Was gibt es dort zu erwarten?

Wir selbst organisieren diese Veranstaltung gar nicht, sondern wurden eingeladen von Leuten in Graz, die das Buch gelesen haben und so begeistert sind, dass sie diese Tagung auf die Beine stellen, um drei Tage Themen des Buchs zu diskutieren. So soll ein Buch am besten wirken, dass auch Leute selbst etwas organisieren. Sie haben jetzt mit Joachim Hirsch, Manuela Bojadzijev, den grundrisse-Leuten aus Wien und vielen anderen ein wie ich denke sehr gutes Programm zusammengestellt. Das Buch muss Resonanzen entwickeln, es ist nicht etwas fürs Bücherregal, also ist es umso besser wenn es Arbeitskreise gibt, oder wenn LehrerInnen Stichworte verwenden – auch schon vom ABC der Globalisierung, das 2005 rauskam. Das ist ein enormer Wert, weil es in vielen Kontexten keine kritischen Wissensbestände mehr gibt.

Danke für das Interview!





Artikel drucken Twitter Email Facebook